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Mietvertragskündigung wegen Zahlungsverzugs kann treuwidrig sein

Eine komplexe Mietstreitigkeit findet ein Ende

Es handelt sich um einen komplexen Rechtsstreit, der viele Jahre und verschiedene rechtliche Aspekte umfasst hat. Im Kern geht es um eine Erbengemeinschaft, die nach dem Tod des ursprünglichen Eigentümers des Grundstücks, einem gewerblichen Immobilienobjekt, Rechtsansprüche gegen die jetzige Mieterin geltend machte. Ein Hauptproblem war dabei die Interpretation und Durchsetzung der Kündigung des Mietvertrags sowie die Forderung nach einer Nutzungsentschädigung.

Direkt zum Urteil Az: 3 U 93/21 springen.

Der Ausgangspunkt des Rechtsstreits

Die Kläger, eine Erbengemeinschaft, und die Beklagte, die Mieterin eines gewerblich genutzten Grundstücks, fanden sich in einer Kontroverse wieder. Dieses Grundstück wurde ursprünglich von der Erbengemeinschaft an die Beklagte vermietet, um darauf eine Entsorgungs-, Speiseverwertungs- und Photovoltaikanlage zu betreiben. Aufgrund von Schwierigkeiten, die sich aus einer vorherigen Darlehensvereinbarung und der Miete ergeben haben, wurde die Kündigung des Mietvertrags ausgesprochen.

Entwicklungen vor dem Landgericht Frankfurt

Im ersten Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt wurde die Forderung der Kläger nach rückständiger Miete in Höhe von 34.800 Euro teilweise stattgegeben. Dieses Urteil wurde jedoch vom Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg im Berufungsverfahren aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz zu 22% und die Beklagte zu 78% zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Kläger.

Der Rechtsstreit im OLG Brandenburg

Auf Berufung der Beklagten wurde das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) abgeändert und die Klage der Erbengemeinschaft abgewiesen. Das OLG Brandenburg hat dabei auch entschieden, dass die Kläger die Kosten des Rechtsstreits tragen müssen. Darüber hinaus wurde die Revision nicht zugelassen, was das Ende des Rechtsstreits bedeutet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde auf 74.148,75 Euro festgesetzt und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe erbringen.


Das vorliegende Urteil

OLG Brandenburg – Az.: 3 U 93/21 – Urteil vom 29.11.2022

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 03.09.2021, Az. 11 O 23/19, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Kläger 22% und die Beklagte 78% zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe erbringen.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 74.148,75 Euro festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Kläger – Mitglieder der Erbengemeinschaft nach dem am ###2013 verstorbenen W. S. (Erblasser) gemäß Erbschein des Amtsgerichts Mitte vom 30.07.2013 (Bl. 11) – verlangen nach Kündigung eines Gewerbemietvertrages Räumung und Herausgabe eines mit einer Halle bebauten, gewerblich genutzten Grundstücks nebst Freiflächen in der ###-###-Straße ###, ### ### sowie eine Nutzungsentschädigung. Der Erblasser war Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks.

Die Beklagte nutzt das streitgegenständliche Grundstück seit 2006, zunächst als Containerabstellfläche. Am 27.06.2006 schloss sie mit der A### Beteiligungsgesellschaft einen Mietvertrag rückwirkend zum 01.05.2006 über die „Rohbauhalle und Freiflächen“ (Bl. 110 ff.).

Durch notariellen Darlehensvertrag vom 11.06.2008 gewährte die Beklagte der A. H. Ltd., vertreten durch den Erblasser, ein Darlehen über einen Betrag von bis zu 233.000 Euro. In Erfüllung des Darlehensvertrages überwies die Beklagte am 31.12.2008 an die Darlehensnehmerin 232.562,05 Euro. Eine Rückzahlung erfolgte nicht; die Darlehensnehmerin ist nicht mehr existent.

Mit Vertrag vom 28.09.2009 vermietete der Erblasser der Beklagten das streitgegenständliche Grundstück zum Betrieb einer Entsorgungs-, Speiseverwertungs- und Photovoltaikanlage zu einer monatlichen Kaltmiete von 2.900 Euro (Bl. 6 ff.). Die Vertragsparteien vereinbarten in § 2 Abs. 1 des Mietvertrages eine Laufzeit vom 01.10.2009 bis zum 31.12.2029. Mit Nachtragsvereinbarung vom 08.10.2009 reduzierten sie einvernehmlich die Miete ab dem 01.10.2009 auf 500 Euro monatlich (Bl. 9). Durch den 2. Nachtrag vom 17.10.2011 verpflichtete sich die Beklagte, die Miete von monatlich 500 Euro für den Zeitraum 11/2011 bis 10/2017 abgezinst im Voraus zu zahlen (Bl. 10 f.). Diese Vereinbarung hat die Beklagte durch Zahlung von 31.485,88 Euro erfüllt.

Vor dem Landgericht Frankfurt/Oder machten die Kläger zum Aktenzeichen 11 O 28/18 rückständige Miete in Höhe von 34.800 Euro für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2014 gegen die Beklagte geltend. Das Landgericht hat der Klage nach teilweiser Klagerücknahme in Höhe von 8.808 Euro stattgegeben (Bl. 229 ff der beigezogenen Akte 11 O 28/18), der Senat hat die Klage auf Berufung der Beklagten unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils mit Urteil vom 06.10.2020 – 3 U 52/19 – abgewiesen (Bl. 310 ff. der beigezogenen Akte 11 O 28/18).

Unter dem 24.08.2018 haben die Kläger die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses gegenüber der Beklagten erklärt (Bl. 57). Die Beklagte hat die Kündigung unter Hinweis auf die Vereinbarung der bestimmten Laufzeit bis zum 31.12.2029 zurückgewiesen (Bl. 58).

Die Kläger erklärten mit Schreiben vom 27.12.2018 die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs (Bl. 17), weil die Beklagte die Miete für die Monate November und Dezember 2018 nicht gezahlt hatte. Die Beklagte entrichtete daraufhin die ausstehenden Mieten für November und Dezember 2018 in Höhe von jeweils 500 Euro monatlich am 04.01.2019 und wies die Kündigung mit Schreiben vom 04.01.2019 zurück (Bl. 13). Die Kläger forderten die Beklagte mit Schreiben vom 10.01.2019 zur Räumung bis zum 24.01.2019 auf (Bl. 14).

Das Landgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 03.09.2021 zur Räumung und Herausgabe des streitgegenständlichen Grundstücks sowie zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung von jeweils 21.628 Euro für die Monate Januar bis einschließlich März 2019 und in Höhe von 3.264,75 Euro für April 2019 verurteilt und die Widerklage der Beklagten, gerichtet auf Übereignung des Grundstücks gegen Zahlung von 259.276,09 Euro abzüglich der seit dem 01.07.2019 gezahlten Mieten, abgewiesen. Die Klagestattgabe hat das Landgericht damit begründet, dass die fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB durchgreife. Zahlungsverzug sei unabhängig davon eingetreten, ob die Beklagte die ursprüngliche Miete von 2.900 Euro oder nur 500 Euro geschuldet habe. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft, weil die Fälligkeit der Miete nach § 3 Nr. 2 des Mietvertrages kalendermäßig bestimmt gewesen sei und der Verzug nach Ablauf des dritten Werktages der Monate November und Dezember 2018 eingetreten sei. Die Beklagte habe den Verzug auch verschuldet. Soweit sie behaupte, sie habe ab November 2017 für die Mietzahlung versehentlich nur einen Dauerauftrag begrenzt auf ein Jahr eingerichtet, entlaste sie dies nicht. Auch sei es unerheblich, dass sie in der Vergangenheit erhebliche Vorleistungen auf die Miete und erhebliche Beträge in die Mietsache investiert habe. Die Nachholung der Zahlung am 04.01.2019 führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 S. 2 BGB, denn die Kläger seien nicht vor Zugang der Kündigung befriedigt worden. Die Kündigungserklärung sei auch wirksam, da sie von allen vier Klägern unterschrieben worden sei. Die Willenserklärung des zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch minderjährigen Klägers zu 3 sei durch die Einwilligung seiner mitunterzeichnenden Mutter wirksam. Die Kündigung sei auch nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB. Dies sei anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei auch das Verhalten des Mieters nach Ausspruch der Kündigung Bedeutung gewinnen könne. Auf ein Vertrauensverhältnis zu dem längst verstorbenen Erblasser sowie etwaige Verhandlungen über den Verkauf des Grundstücks an die Beklagte in den Jahren 2006 bis 2009 komme es nicht an, weil der Verkauf letztlich nicht realisiert worden sei. Vor dem Hintergrund der gerichtlichen Auseinandersetzungen seit dem Sommer 2018 u. a. in dem Verfahren 11 O 28/18, in dem die Beklagte zur Zahlung von Miete verurteilt worden sei, und des durch die Kündigung vom 24.08.2018 zum Ausdruck gebrachten Wunsches der Kläger nach Beendigung des Mietverhältnisses habe die Beklagte nicht von einem Fortbestand des Mietverhältnisses zu den mit dem Erblasser ausgehandelten Konditionen ausgehen dürfen. An dieser Einschätzung ändere sich auch nichts dadurch, dass das Oberlandesgericht die in dem Verfahren 11 O 38/18 (gemeint ist 11 O 28/18) erfolgte Verurteilung der Beklagten geändert und die Klage insgesamt abgewiesen habe. Der Wirksamkeit der Kündigung stehe die vom Erblasser bestellte beschränkte persönliche Dienstbarkeit nicht entgegen, da diese ausweislich der §§ 1 Nr. 3, 7 Nr. 1 und Nr. 2, 9 des Mietvertrages von der Dauer des Mietverhältnisses abhängig habe sein sollen. Dem Räumungsanspruch könne die Beklagte auch nicht den mit der Widerklage verfolgten Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten. Denn die Beklagte habe keinen unbedingten Anspruch auf Eigentumsverschaffung an dem Grundstück. Da das Mietverhältnis durch die fristlose Kündigung mit sofortiger Wirkung beendet worden sei, schulde die Beklagte für die Monate Januar bis einschließlich März 2019 eine monatliche Nutzungsentschädigung von 21.628 Euro und für April 2019 anteilig in Höhe von 3.264,75 Euro. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die ortsübliche Miete für vergleichbare Objekte monatlich 21.628 Euro betrage. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Die Berufung der Beklagten richtet sich allein gegen die Klagestattgabe. Sie meint, die fristlose Kündigung sei angesichts der erheblichen überobligatorischen Mieterleistungen treuwidrig. Der zum Kündigungszeitpunkt vereinbarte monatliche Zahlbetrag von 500 Euro habe tatsächlich keinen Gegenwert für die Nutzungsüberlassung des Grundstücks dargestellt, weshalb ein Ausbleiben dieses symbolischen Betrages nicht als Mietzahlungsverzug zu werten sei. Das Landgericht habe es versäumt, das Mietverhältnis in der Gesamtheit seiner Laufzeit zu würdigen, wie es die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordere. So seien auch die vor Abschluss des im September 2009 geschlossenen Mietvertrages mit dem Erblasser geführten Gespräche über eine Eigentumsübertragung auf die Beklagte in die Bewertung miteinzubeziehen, zumal die darauf gerichtete gemeinsame Interessenlage bis zum Ableben des Erblassers fortbestanden habe. Die zehn Jahre vor dem ordentlichen Mietvertragsende erklärte Kündigung wegen eines kurzzeitigen Zahlungsverzugs müsse vor diesem Hintergrund bewertet werden. Auf der Grundlage der klägerischen Auffassung, wonach von einer monatlichen Miete von 2.900 Euro auszugehen sei, sei sie – die Beklagte – bei Kündigungserklärung ohnehin nicht mit zwei Monatsmieten in Verzug gewesen. Das Landgericht habe sich mit nicht überzeugenden Erwägungen dem Gutachten des Sachverständigen F. angeschlossen und sei dabei nicht auf das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten eingegangen. Objekte für die Logistikbranche könnten nicht mit Objekten für die Entsorgungsbranche verglichen werden.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 03.09.2021 – 11 O 23/19 – die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Die Beklagte sei – in welcher Höhe die Miete auch immer geschuldet sei (monatlich 500 Euro oder 2.900 Euro) – zweimal nicht gezahlt worden, so dass die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB zweifelsfrei vorlägen. Die Ansicht der Beklagten, es handele sich bei dem vereinbarten Mietzins von 500 Euro um einen symbolischen Betrag, sei abwegig. Träfe diese Argumentation zu, könne die Beklagte die Mietzahlung vollständig einstellen, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Dem stehe im Übrigen die eindeutige Mietzinsvereinbarung im schriftlichen Mietvertrag vom 28.02.2009 i. V. m. den beiden Nachträgen vom 08.10.2009 und 17.10.2011 entgegen. Die bestrittene Behauptung der Beklagten, ab November 2017 für die Mietzahlung einen Dauerauftrag versehentlich nur für die Dauer eines Jahres eingerichtet zu haben, entlaste sie nicht. Denn die Beklagte habe als vollkaufmännisches, mit 2000 Mitarbeitern bundesweit an über 50 Standorten tätiges Entsorgungsunternehmen mit handelsrechtlichen Bilanzierungspflichten ihre ausbleibenden Mietzahlungen bemerken müssen. Offenbar habe sie die Mietzahlungen vergessen, was ein erhebliches Verschulden am Zahlungsverzug begründe. Die Vorleistungen und Investitionen der Beklagten in das Grundstück seien schon deshalb nicht in die Abwägung einzubeziehen, weil diese bereits durch die sehr niedrige Miete kompensiert seien. Überdies sei im Rahmen des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB ohnehin keine weitere Abwägung erforderlich. Es gebe auch keinen Grund, hier ausnahmsweise eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Kündigung anzunehmen. Irgendwelche vermeintlichen Gespräche zwischen der Beklagten und dem Erblasser vor langer Zeit seien ohne Belang, hätten sie doch weder Vereinbarungsqualität, noch seien sie realisiert worden. Auch bestehe kein Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien. Die Beklagte, die den Wunsch der Kläger nach Beendigung des Mietverhältnisses angesichts der seit Sommer 2018 laufenden gerichtlichen Auseinandersetzungen kenne, habe nicht mit einem Entgegenkommen der Kläger rechnen können. Das Landgericht habe die Beklagte auch zu Recht zur Zahlung der Nutzungsentschädigung auf Grundlage des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen F. verurteilt.

II.

Die Berufung ist begründet.

1. Die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs ist treuwidrig.

a) Die fristlose Kündigung ist wirksam durch die klagende Erbengemeinschaft erklärt worden und die Voraussetzungen der fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB sind erfüllt, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat.

Kündigt der Vermieter nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB, findet eine Berücksichtigung von persönlichen Umständen und Zumutbarkeitserwägungen grundsätzlich nicht statt. Vielmehr sind die nach dieser Vorschrift allein auf den Umstand des Zahlungsverzugs abstellenden Kündigungsgründe vom Gesetzgeber so konzipiert worden, dass bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB bereits ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gegeben ist und die in § 543 Abs. 1 BGB genannten Abwägungsvoraussetzungen nicht noch zusätzlich erfüllt sein müssen. Denn nach der Gesetzessystematik und den ihr zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen handelt es sich bei den in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 BGB aufgeführten, die (objektive) Verletzung bestimmter mietrechtlicher (Kardinal-) Pflichten von erheblichem Gewicht betreffenden Kündigungsgründen um gesetzlich typisierte Fälle der Unzumutbarkeit einer weiteren Fortsetzung des Mietverhältnisses. Soweit deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind, ist danach grundsätzlich auch ein wichtiger Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung gegeben (BGH, Urteil vom 04.02.2015 – VIII ZR 175/14; jurisPK/Münch, BGB, 9. Aufl., Stand: 17.04.2020, § 543 Rn. 119).

b) Trotzdem kann im Einzelfall die Berufung auf die fristlose Kündigung treuwidrig sein. Der Bundesgerichtshof weist in ständiger Rechtsprechung darauf hin, dass zu prüfen ist, ob der Ausgleich der Mietrückstände unmittelbar nach Zugang des Kündigungsschreibens bei tatrichterlicher Würdigung der konkreten Einzelfallumstände die Berufung auf die ordentliche Kündigung ausnahmsweise als treuwidrig (§ 242 BGB) erscheinen lässt (BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20; NZM 2018, 941 Rn. 43; NZM 2018, 1017 Rn. 51).

Dies kommt vor allem in Betracht, wenn das Verhalten des Vermieters widersprüchlich, überraschend oder arglistig ist (Staudinger/V Emmerich, BGB, 2021, Stand: 06.03.2022, § 543 Rn. 92, 94). Der Bundesgerichtshof hat aber auch die tatrichterliche Würdigung in einem Fall nicht beanstandet, in dem die Mieter unmittelbar nach Erhalt der ersten Kündigung kurzfristig die Rückführung der Mietrückstände herbeigeführt haben, es in der Vergangenheit keine Zahlungsrückstände gegeben hat und keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass es in der Zukunft noch einmal zu Zahlungsrückständen kommen würde, und die Mieter in der Vergangenheit keine sonstigen mietvertraglichen Pflichten verletzt noch Anhaltspunkte für künftige (Fehl-)Verhaltensweisen vorlagen, die das Vertrauen der Vermieterin in eine gedeihliche Fortsetzung des Mietverhältnisses in Frage stellen könnten (BGH, BeckRS 2016, 5095 Rn. 9, 10; so auch Staudinger/ V Emmerich, a. a. O., Rn. 94 für den Fall, dass der Mieter offenkundig jederzeit bereit und in der Lage ist, die Miete zu zahlen, sodass es sich bei der Zahlungsverzögerung um ein offenkundiges Versehen handelt).

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht der Kläger ist die vorgenannte Rechtsprechung auch nicht nur im Wohnungsmietrecht relevant. § 242 BGB gilt für das gesamte Privatrecht innerhalb und außerhalb des BGB (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 242 Rn. 3 m. w. N.). Der Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht die gesamte Rechtsordnung, Rechtsgebiete, in denen er generell ausgeschlossen wäre, gibt es nicht (Jauernig/Mansel, BGB, 18. Aufl. 2021, § 242 Rn. 10). Die vorgenannte Rechtsprechung des BGH ist Ausdruck des aus § 242 BGB abgeleiteten Übermaßverbots. Danach ist eine Rechtsverfolgung unzulässig, die geringfügige, dem Berechtigten im Einzelfall unschädlich gebliebene Verfehlungen oder Mängel zum Anlass nimmt, weitreichende Rechtsfolgen geltend zu machen. Allgemein darf sich die Rechtsausübung nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des anderen Teils darstellen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das aus ihm folgende Übermaßverbot wirken auch in den Privatrechtsbereich hinein (Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 242 Rn. 40). Deshalb kommt eine Treuwidrigkeit auch bei der Kündigung wegen eines Zahlungsrückstands in Betracht, wenn dieser geringfügig oder inzwischen ausgeglichen ist (BeckOGK/Kähler, BGB, Stand: 15.09.2022, § 242 Rn. 1547; Jauernig/Mausel, a. a. O.).

Nach den vorgenannten Kriterien ist die Berufung der Kläger auf die fristlose Kündigung treuwidrig. Die Beklagte hat unmittelbar nach Erhalt der Kündigung den Rückstand ausgeglichen.

Es hat in der Vergangenheit auch keinerlei Zahlungsrückstände gegeben. Soweit sich die Kläger in diesem Zusammenhang auf das landgerichtliche Urteil vom 05.04.2019 – 11 O 28/18 – berufen, mit dem die Beklagte zur Zahlung vermeintlicher Mietrückstände verurteilt wurde, hat der Senat dieses Urteil abgeändert und die Klage wegen Unschlüssigkeit abgewiesen (Senatsurteil vom 06.10.2020 – 3 U 52/19). Es fehlt jegliche Begründung in dem angefochtenen Urteil, weshalb das Senatsurteil für die vorliegende Frage ohne Belang sein soll. Für die Beurteilung der Treuwidrigkeit der streitgegenständlichen Kündigung ist sehr wohl maßgeblich, dass das Mietverhältnis seitens der Beklagten jahrelang beanstandungsfrei durchgeführt wurde, sieht man von dem geringfügigen und inzwischen ausgeglichenen Zahlungsrückstand ab, der die Kündigung veranlasst hat.

Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es in Zukunft noch einmal zu Zahlungsrückständen kommen wird, die das Vertrauen der Vermieter in eine gedeihliche Fortsetzung des Mietverhältnisses in Frage stellen könnten. Denn der Zahlungsverzug der Beklagten beruhte auf einem Versehen. Zwar bestreiten die Kläger, dass die Beklagte den Dauerauftrag nach Wiedereinsetzen der Zahlungspflicht versehentlich nur auf ein Jahr begrenzt habe. Die Kläger gehen vielmehr von einem schlichten Vergessen der Zahlung aus. Das macht aber keinen Unterschied, weil in beiden Fällen ein Versehen und damit nur einfache Fahrlässigkeit vorliegt. Denn auch die Kläger gehen jedenfalls nicht von einer vorsätzlichen Aussetzung der Zahlung aus. Auch ist unstreitig, dass die Beklagte wirtschaftlich in der Lage ist, die Miete zu entrichten.

Dass die Kläger eine unberechtigte Mietzahlungsklage erhoben, eine unberechtigte ordentliche Kündigung unter dem 24.08.2018 erklärt haben sowie das streitgegenständliche Mietverhältnis gerne vorzeitig – offenbar zur besseren wirtschaftlichen Verwertung – beenden wollen, kann nicht als Begründung dafür dienen, dass die Kläger kein Vertrauen mehr in eine gedeihliche Fortsetzung des Mietverhältnisses haben.

Hinzu kommt, dass die Beklagte in der Vergangenheit auf Bitten des Erblassers die Miete gemäß dem 2. Nachtrag vom 17.10.2011 für den Zeitraum 11/2011 bis 10/2017 abgezinst im Voraus in Höhe von 31.485,88 Euro gezahlt hat, offenbar um dem Erblasser in einer finanziell schwierigen Situation zu helfen. Diese Vereinbarung müssen sich die Kläger, die als Rechtsnachfolger des Erblassers in den streitgegenständlichen Mietvertrag eingetreten sind, zurechnen lassen. Diese Tatsache lässt die fristlose Kündigung erst Recht als unverhältnismäßig erscheinen, da sich die Beklagte mehr als nur vertragstreu gegenüber der Vermieterseite verhalten hat.

2. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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