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Mietwohnung – Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache

LG Halle – Az.: 1 S 91/21 – Urteil vom 03.02.2023

In dem Rechtsstreit hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle auf die mündliche Verhandlung vom 18.01.2023 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Teilurteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 27.05.2021 – Az.: 96 C 1358/19 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Amtsgericht Halle (Saale) zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem beendeten Mietverhältnis.

Die Kläger mieteten vom Beklagten mit Vertrag vom 10.04.2015 eine Wohnung in der ### in Halle. Das Mietverhältnis begann am 01.08.2015 und endete am 31.12.2016. Die Rückgabe der Wohnung erfolgte am 20.12.2018. Es wurde ein Protokoll gefertigt, das die Kläger nicht unterzeichneten. Der Kläger hat die Wohnung zwischenzeitlich verkauft.

Die Kläger begehren die Feststellung, dass ein Zahlungsanspruch des Beklagten in Höhe von 18.376,94 EUR, dessen sich der Beklagte außergerichtlich mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 03.05.2019 berühmt hat, nicht besteht. Widerklagend begehrt der Beklagte nach teilweiser Rücknahme und Erweiterung der Widerklage sowie teilweiser einseitiger Erledigungserklärung, von den Beklagten als Gesamtschuldner die Zahlung von insgesamt 14.916,73 EUR sowie die Feststellung, dass sich die Widerklage insoweit erledigt hat, als er ursprünglich begehrt hat, festzustellen, dass die Kläger als Gesamtschuldner für die weiteren vorhandenen Substanzschäden einstandspflichtig sind.

Mit Teilurteil vom 27.05.2021 hat das Amtsgericht die Widerklage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen und ansonsten von der weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 543 Abs. 1, 544 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat in der Sache insoweit Erfolg, als dass es bei der Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche durch den Beklagten im Rahmen der Widerklage nicht darauf ankommt, ob der Geschädigte erst fiktiven Schadensersatz geltend macht und die beschädigte Sache dann verkauft oder umgekehrt (1.). Die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung liegen vor (2.).

1.

a) Die Kammer hält die Geltendmachung von fiktivem Schadensersatz im Mietrecht grundsätzlich für möglich.

Der Beklagte macht im Wege der Widerklage fiktive Schadensersatzansprüche wegen Substanzschäden an den Fenstern, an der Natursteinplatte des Kamins, den Wandfliesen im Kinderbad im 2. OG und der Dusche im Hauptbad im 1. OG geltend. Das Amtsgericht hat die Widerklage mit der Begründung abgelehnt, dass kein fiktiver Schadensersatzanspruch bestehe. Der Beklagte habe keinen Schaden im Vermögen dargetan. Er habe die Schäden an der Mietwohnung nicht beseitigt und daher keinen Vermögensverlust erlitten. Vielmehr habe der Beklagte die Wohnung veräußert. Ein Mindererlös sei nicht geltend gemacht worden. Dem folgt die Kammer nicht.

Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung von Obhutspflichten des Mieters entstanden sind, hat dieser – auch nach Beendigung des Mietverhältnisses – nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB als Schadensersatz neben der Leistung nach Wahl des Vermieters durch Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder durch Geldzahlung (§ 249 Abs. 2 BGB) zu ersetzen.

Denn bei der Verpflichtung des Mieters, die ihm überlassenen Mieträume in einem dem vertragsgemäßen Gebrauch nach Maßgabe von § 538 BGB entsprechenden Zustand zu halten, insbesondere die Räume aufgrund der aus der Besitzübertragung folgenden Obhutspflicht schonend und pfleglich zu behandeln sowie alles zu unterlassen, was zu einer von § 538 BGB nicht mehr gedeckten Verschlechterung führen kann, handelt es sich um eine nicht leistungsbezogene Nebenpflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB, deren Verletzung allein nach den in § 280 Abs. 1 BGB geregelten Voraussetzungen eine Schadensersatzpflicht begründet (BGH, Urteil vom 27, Juni 2018 – XII ZR 79/17).

Ob der Geschädigte für die erlittenen Vermögensschäden fiktiven Schadensersatz verlangen kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Teile der Literatur vertreten die Auffassung, dass eine fiktive Schadensberechnung sowohl bei Beschädigungen einer Sache als auch bei sonstigen Vermögensschäden möglich sein müsse (Flume, in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 64. Edition Stand: 01.05.2022, § 249 Rn. 213; MüKoBGB/Oetker, 9. Auflage 2022, § 249 Rn. 377 ff.; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Auflage 2020, § 249 BGB Rn. 14 jeweils m.w.N.). Andere lehnen eine fiktive Schadensberechnung ab (vgl. Lehmann-Richter, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, 538 Rn. 136; Staudinger/Höpfner (2021) BGB § 249, Rn. 228 ff. m.w.N.).

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, der sich die Kammer anschließt, räumt die bei einem Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB uneingeschränkt anwendbare Bestimmung des § 249 BGB dem Geschädigten die Wahlmöglichkeit ein zwischen der in Absatz 1 vorgesehenen Naturalrestitution und dem in Absatz 2 Satz 1 geregelten Zahlungsanspruch auf den zur (Wieder-)Herstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag. Denn die Ersetzungsbefugnis sichert dem Geschädigten gerade auch das ihm zustehende Recht, sich bei Ausführung der Schadensbeseitigung ausschließlich an seinen eigenen Wiederherstellungsinteressen zu orientieren und sich nicht auf ein gegenläufiges Interesse des Schädigers etwa an einer möglichst kostengünstigen und deshalb in ihrer Tauglichkeit nicht ohne Weiteres zweifelsfreien Wiederherstellung einlassen zu müssen. Dementsprechend kann der Geschädigte seine Ersetzungsbefugnis grundsätzlich auch ohne Angabe von Gründen ausüben, muss sich für die getroffene Wahl also nicht rechtfertigen und sich auch sonst zu ihrer Umsetzung nicht mit dem Schädiger ins Benehmen setzen (vgl. BGH, Urteil vom 28.02.2018 – VIII ZR 157/17).

Dies gilt auch dann, wenn der der Beklagte die Kläger für die aufgeführten Schäden wegen Instandsetzung oder -haltung oder für den Rückbau der Mietsache auf Schadenersatz statt der Leistung gemäß § 280, 281 Abs. 1 BGB in Anspruch nimmt. Bei einem Schadensersatzanspruch statt der Leistung kommt eine Naturalrestitution nicht in Betracht, weil die Erfüllung der vertraglichen Leistung gem. § 281 Abs. 4 BGB gerade nicht mehr verlangt werden kann. Dieser Anspruch ist deshalb von Anfang an nur auf Geld gerichtet. In der Rechtsprechung, der auch die Kammer folgt, ist indes anerkannt, dass Ansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung im Mietrecht auch mit den für die Instandsetzung oder -haltung oder für den Rückbau der Mietsache erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Kosten bemessen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 26.04.2022 – VIII ZR 364/20 Rn. 8 m.w.N.).

Soweit der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in dem Urteil vom 22. Februar 2018 (Az.: VII ZR 48/17) einer Bemessung des Schadens anhand von fiktiven Mängelbeseitigungskosten im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 Abs. 1 BGB eine Absage erteilt hat, hat er klargestellt, dass die Ablehnung einer solchen Bemessung allein auf den Besonderheiten des Werkvertragsrechts, insbesondere dem Vorschussanspruch des Bestellers gemäß § 637 Abs. 3 BGB, beruht. Auf andere Vertragstypen sind diese Erwägungen nicht übertragbar (vgl. hierzu BGH, Urteil vorn 31.03.2021 – XII ZR 421/20).

Zwar kann der Vermieter auch die Zahlung eines Vorschusses in Höhe der erforderlichen Renovierungskosten verlangen, wenn der Mieter mit seiner vertraglichen Verpflichtung zur Durchführung von Schönheitsreparaturen im laufenden Mietverhältnis in Verzug gerät (BGH, Urteil vorn 15.03.2006 – VIII ZR 123/05 -, Rn. 12). Vorliegend macht der Beklagte jedoch Schadensersatzansprüche aus dem beendeten Mietverhältnis geltend.

b) Der Geltendmachung eines fiktiven Schadensersatzanspruchs durch den Beklagten steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte die geltend gemachten Beschädigungen an der Mietwohnung nicht beseitigt und die Wohnung zwischenzeitlich veräußert hat.

Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht gehindert, auch dann einen fiktiven Anspruch abzurechnen, wenn er tatsächlich nicht repariert, sondern zwischenzeitlich weiterveräußert. Der Geschädigte kann sich die Instandsetzungskosten auszahlen lassen. Es kommt nicht darauf an, ob der Geschädigte vor Veräußerung wenigstens schon eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis verlangt hat. Auch wenn dies nicht der Fall ist, bleibt die Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 S. 1 bestehen (vgl. BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 125; MüKoBGB/Oetker, 9. Auflage 2022, § 249 Rn. 369 m.w.N.). Der Schadensersatzanspruch beschränkt sich deshalb nicht auf einen durch Schäden bedingten Mindererlös.

Dass der Beklagte die Wohnung veräußert hat, schließt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch eine fiktive Bemessung des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung nicht aus. Wollte man den Geschädigten lediglich auf den Minderwert verweisen, ließe man außer Acht, dass der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach dem Konzept der Schuldrechtsreform den ausgebliebenen Erfüllungserfolg und nicht nur den Minderwert der Sache ausgleichen soll; durch die Ersatzfähigkeit der hierfür erforderlichen Kosten wird unabhängig von deren Aufwendung der Vorrang des Erfüllungsanspruchs schadensrechtlich umgesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 26.04.2022 – V111 ZR 364/20 -, Rn. 12 ff.).

2. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Sache gem. § 538 Abs. 1 Nr. 4 ZPO liegen vor.

a) Die Ansprüche des Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz sind nach Grund und Höhe streitig. Das Amtsgericht hat die Widerklage durch Teilurteilung abgewiesen mit der Begründung, dass Schadensersatzansprüche dem Grunde nach nicht bestehen.

b) Der Streit zwischen den Parteien über den Betrag der Ansprüche ist noch nicht zur Entscheidung reif. Der Anspruch des Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz ist weder als unzulässig abzuweisen noch kann über ihn bereits jetzt positiv entschieden werden.

c) Der Beklagte hat die Zurückverweisung des Rechtsstreits mit Schriftsatz vom 01.07.2022 beantragt.

d) Die Zurückverweisung an das Amtsgericht steht gem. § 538 Abs. 2 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts. Die Kammer hat hierbei berücksichtigt, dass eine Zurückverweisung der Sache in aller Regel zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führt, was den schützenswerten Interessen der Parteien entgegenstehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 05.07.2011 – II ZR 188/09). Für eine Zurückverweisung spricht aber im vorliegenden Fall ganz wesentlich der Umstand, dass noch eine Beweiserhebung durch Einholung von Sachverständigengutachten erforderlich sein wird. Mit Beweisbeschluss vom 27.05.2021 hat das Amtsgericht Halle (Saale) beschlossen, dass zu den Behauptungen der Kläger (Schäden am Parkett, Kratzer am Flur, Arbeitsplatte in der Küche, Abplatzung am Spülbecken) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben werden. Es ist sachdienlich, die erforderliche Beweisaufnahme zu den im Rahmen der Widerklage geltend gemachten Substanzschäden mit der beim Amtsgericht durchzuführenden Beweisaufnahme zu verbinden.

3. Wird von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch gemacht, kann über die Kosten des Berufungsverfahrens nicht entschieden werden, weil der Ausgang des Rechtsstreits noch offen Ist. Die Kostenentscheidung ist dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten (Zöller/Heßler, ZPO, 20. Auflage 2020, § 538 Rn. 58).

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.

 

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