AG Potsdam – Az.: 31 C 43/22 – Urteil vom 20.10.2022
1. Der Beschluss der Beklagten aus der Eigentümerversammlung vom 25.04.2022 zu Tagesordnungspunkt 4.1 „Beschluss über die Änderung der Kostenverteilung bei Erhaltungsmaßnahmen an den Außenfenstern, inklusive Anstrich“ wird für ungültig erklärt.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
4. Der Streitwert wird auf 250.000,00 EUR festgesetzt.
Zusammenfassung
Das Urteil beschreibt ein Gerichtsverfahren, das von Mitgliedern einer Eigentümergemeinschaft gegen die Entscheidung angestrengt wurde, die Art und Weise zu ändern, wie die Kosten für die Reparatur von Außenfenstern auf die Mitglieder umgelegt werden. Die Vereinigung hatte beschlossen, die Kosten auf der Grundlage der Anzahl und der Art der Fenster in jeder Einheit umzulegen, anstatt sie gleichmäßig auf alle Einheiten zu verteilen, was für einige Mitglieder zu einem erheblichen Anstieg der Kosten geführt hätte. Die Kläger machten geltend, dass diese Entscheidung gegen die Grundsätze der guten Verwaltungspraxis verstoße und die Interessen von Minderheiten in der Vereinigung verletze. Das Gericht stimmte dem zu und entschied, dass die Entscheidung nicht angemessen, gerecht oder rechtmäßig war und dass die Klage der Kläger berechtigt war. Das Gericht stellte außerdem fest, dass die Kläger ihre Klage rechtzeitig und in angemessener Weise eingereicht hatten.
Die getroffene Regelung verstößt somit gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung und ist demnach unwirksam. Die Klage der Kläger zu 1) und 2) sowie des Klägers zu 3) ist begründet.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlegen ist. Gemäß § 49 Abs. 2 WEG ist eine Kostenentscheidung im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander vorzunehmen. Die Kläger haben demnach die Kosten des Rechtsstreits insgesamt zu tragen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft durch ihren Beschluss über die Änderung der Kostenverteilung bei Erhaltungsmaßnahmen an den Außenfenstern gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen hat. Die Kläger haben daher erfolgreich geklagt und die Beklagte muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.
Tatbestand:
Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft, welche aus 57 Einheiten besteht.
Nach der Gemeinschaftsordnung sollen Instandsetzungskosten nach der Fläche der jeweiligen Sondereigentumseinheiten umgelegt werden. Seit mindestens 2018 ist bekannt, dass die Fenster sanierungsbedürftig sind. Für den Anstrich der Fenster werden nun Kosten von 250.000,00 EUR erwartet. Die Gesamtfläche aller Sondereigentumseinheiten beträgt 5.911,73 m².
Die Kläger zu 1.) und zu 2.) haben eine Sondereigentumsfläche von 74,54 m². Die Kläger zu 1.) bis 3.) machen geltend, dass hiernach auf die Kläger bei einer Sanierung entsprechend der in der Teilungserklärung vorgesehenen Regelung 3.152,21 EUR entfallen würden. Die Einheit der Kläger zu 1.) und 2.) verfügt über 8 Fenster und zwar 4 Doppelfenster, 2 Gauben- und 2 Dachflächenfenster.
Aufgrund des Alters und des maroden Zustandes der Außenfenster werden die Kosten der beabsichtigten Instandsetzung für die Doppel- und Gaubenfenster auf je 4.000,00 EUR geschätzt, für die Dachflächenfenster auf je 5.000,00 EUR, für ein einfaches Fenster auf 1.000,00 EUR, eine Fensterfront auf 10.000,00 EUR.
Bei einer Umlage danach, wieviele und welche Fenster sich in ihrer Einheit befinden, hätten die Kläger zu 1.) und 2.) 22.000,00 EUR zu zahlen.
In der Wohnung des Klägers zu 3.) befinden sich 1 Doppelfenster, ein einfaches Fenster, 1 Fensterfront zur Terrasse und jeweils 2 Gauben- und 2 Dachflächenfenster.
Die Kläger sind der Auffassung, die Änderung des Umlageschlüssels widerspreche dem Grundsatz ordnungsgemäßer Verwaltung, wofür ein ausreichender sachlicher Grund fehle. So sei es unbillig, wenn seit mindestens 2018 der sanierungsbedürftige Zustand der Fenster bekannt sei, und nun die soit Jahren „verschleppten Kosten“ auf die jeweiligen Sondereigentümer umgelegt würden. Durch den Beschluss würden schutzwürdige Belange der Minderheiten (Eigentümer mit vielen bzw. großen Fenstern und kleiner Sondernutzungsfläche) gegenüber dem früheren Zustand verletzt.
Die Kläger beantragen sinngemäß, den Beschluss der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft vom 25.04.2022 zu Tagesordnungspunkt 4.1 „Beschluss über die Änderung der Kostenverteilung bei Erhaltungsmaßnahmen an den Außenfenstern, inclusive Anstrich“ für unwirksam zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, der Beschluss entspreche ordnungsgemäßer Verwaltung. Insbesondere halte er sich in dem den Wohnungseigentümern zustehenden Ermessensspielraum. Da den Wohnungseigentümern ein weiter Ermessensspielraum zustehe und sie nicht die „beste“ Entscheidung treffen müssten, habe das Gericht lediglich zu überprüfen, ob die Mehrheit eine vertretbare, nicht willkürliche Entscheidung getroffen habe.
Der Gesetzgeber habe bewusst von der Formulierung des § 16 Abs. 4 WEG a.F. Abstand genommen und nunmehr alle Kosten der Regelungsbefugnis der Eigentümer überlassen. Dabei habe der Gesetzgeber ausweislich der Bundestags-Drucksache 168/20, S. 60, explizit eine Regelung ermöglichen, wie hier, wollen, nach der jeder Wohnungseigentümer Kosten eines Fensteraustausches für die Fenster im räumlichen Bereich seines Sondereigentums zu tragen habe.
Hinsichtlich des Klägers zu 3.) fehle eine individualisierte Anfechtungsbegründung. Denn das in seiner Klagebegründung verwendete Datenmaterial sei offensichtlich lediglich aus der Klagebegründung der Kläger zu 1.) und zu 2.) kopiert. Es genüge nicht, dass er individuell die Zahl und Art der vorhandenen Fenster genannt habe, wenn er – zum damaligen Prozesszeitpunktalleiniger Kläger – z.B. ausgeführt habe, „die Kläger“ seien Sondereigentümer 74,57 Quadratmetern.
Die Klage der Kläger zu 1.) und 2.) ist bei Gericht eingegangen am 17.05.2022, ihre Begründung am 23.06.2022. Nach Anforderung des Gerichtskostenvorschusses, eingegangen bei den Klägern zu 1.) und 2.) am 16.06.2022, sind die Gerichtskosten eingegangen bei Gericht am 22.06.2022.
Die Klage des Klägers zu 3.) ist bei Gericht eingegangen am 25.05.2022, seine Begründung am 23.06.2022. Nach Anforderung des Gerichtskostenvorschusses, eingegangen bei dem Kläger zu 3.) am 16.06.2022, sind die Gerichtskosten eingegangen bei Gericht am 21.06.2022.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Denn die Beschlussfassung widerspricht ordnungsgemäßer Verwaltung gemäß §§ 19 Abs. 1, 18 Abs. 2 WEG. So haben die Wohnungseigentümer durch die getroffene Regelung das ihnen insoweit gemäß §§ 16 Abs. 2, 18 Abs. 2 WEG zustehende Ermessen überschritten, in Beug auf Kosten konkretisiert § 16 Abs. 2 WEG, der seit dem 1.12.2020 gilt, dass jeder Wohnungseigentümer die Kosten der Gemeinschaft nach dem Verhältnis seines Wohnungseigentumsanteils zu tragen hat, wobei die Wohnungseigentümer für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine hiervon abweichende Verteilung beschließen können.
Da es sich bei der Möglichkeit, abweichende Kostenregelungen zu beschließen, um eine Kann-Regelung handelt, obliegt es den Wohnungseigentümern, im Rahmen ihrer Beschlussfassung eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu fällen und eine Interessenabwägung durchzuführen. Maßstab für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung sind dabei die Möglichkeit des Gebrauchs, Verteilungsgerechtigkeit, aber auch die Berücksichtigung schutzwürdigen Vertrauens (vgl. Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap 7 Rn. 66, Rn. 68 S. 212). Ferner ist der Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen, der durch die geänderte Gesetzgebung einen Ermessenspielraum für eine veränderte Kostentragung schaffen wollte, die im Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer liegt, und durch Sachgründe gerechtfertigt ist (s. Lehmann-Richter, Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 700, S. 183). Diese sollte insbesondere eine Verteilungsgerechtigkeit erhöhen und das Gebot der Maßstabskontinuität beachten (a.a.O.).
In diesem Rahmen hält sich die getroffene Regelung nicht.
Ohne Beschluss der Wohnungseigentümer wären für die Kläger zu 1.) und 2.) bei der zu erwartenden Fenstersanierung umgelegt nach Quadratmetern Kosten von ca. 3.150,00 EUR zu erwarten gewesen – durch die neu getroffene Regelung ca. 22.000,00 EUR, mithin ca. das Siebenfache, zugleich einen fünfstelligen Betrag. Das Gebot der Verteilungsgerechtigkeit ist damit nicht gewahrt. Zwar findet sich in der Gesetzesbegründung explizit, dass eine veränderte Kostenregelung für die Sanierung von Fenstern durch die Gesetzesänderung ermöglicht werden soll (BT-Drucks. 268/20, S. 60). Nicht berücksichtigt im konkreten Fall ist jedoch, dass bis zur Gesetzesänderung entstandener Sanierungsstau, welcher bis dahin nach Quadratmetern umzulegen gewesen wäre, einseitig und massiv zu Lasten solcher Eigentümer, in deren Einheiten sich deutlich mehr Fenster befinden als in anderen, verschoben würde. Eine verfassungsgemäße Auslegung von § 16 Abs. 2 WEG gebietet es, das Grundrecht der Vertragsfreiheit nach Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz in eine Abwägung mit einzubeziehen. Hiernach war zu berücksichtigen, dass die Miteigentümer in der Teilungserklärung eine Regelung getroffen hatten. Dabei sind grundsätzlich Verträge, so wie sie geschlossen sind, zu erhalten (pacta sunt servanda). Ein Eingriff des Staates durch abweichende, Änderungen ermöglichende Regelungen sind nur insoweit zulässig, als eine Abwägung unter Berücksichtigung öffentlicher Interessen dies rechtfertigt. Anders als bei der Mietpreisbremse, wo durch Eingriff des Gesetzgebers in bestehende Mietverträge bezahlbarer Wohnraum, der eine Durchmischung der Wohnbevölkerung und Belange der Wohnungssuchenden stärken sollte, geschaffen werden sollte (Beschluss des BverfG vom 18.07.2019, 1 BvL 1/18), beabsichtigte der Gesetzgeber mit der Neuregelung nach § 16 Abs. 2 WEG, größere Verteilungsgerechtigkeit für Kosten, die in einer Wohnungseigentümergemeinschaft anfallen, zu ermöglichen. Zu berücksichtigen ist insoweit zugleich, dass ein Rückwirkungsverbot für Gesetze gilt (vgl. in diesem Zusammenhang Dötsch/Schultzky/Zschieschack, a.a.O., Kapitel 7, Rn. 65).
Dies führt dazu, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 16 Abs. 2 WEG Wohnungseigentümer bei einer Beschlussfassung über einen veränderten Kostenverteilungsschlüssel zu Sanierungskosten insbesondere berücksichtigen müssen, welche Kosten bis zur Beschlussfassung, mindestens aber bis zur Gesetzesänderung, für welchen Wohnungseigentümer angefallen wären. Sofern eine beabsichtigte Neuregelung der Kostenverteilung massiv hiervon abweicht, ist zu prüfen, ob es sachliche Gründe für diese Regelung gibt, dennoch den Kostenschlüssel, wie beabsichtigt, zu ändern. Nur hierdurch wäre den Grundsätzen der Vertragsfreiheit, der Maßstabskontinuität und Verteilungsgerechtigkeit Rechnung getragen. Ausreichende Gründe für den beschlossenen Verteilungsmaßstab sind im Vorliegenden nicht ersichtlich. Die Fenster waren unstreitig 2018 bereits instandsetzungsbedürftig. Dass ein Großteil des Sanierungsbedarfs erst nach der Novelle entstanden sei, behauptet auch die Beklagte nicht. Inwieweit aufgrund der Gesetzesnovelle eine Kostensplittung z.B. prozentual nach Zahl der Fenster und nach Quadratmetern der Sondernutzungsfläche zulässig ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die getroffene Regelung enthält keine Kostensplittung und ist offensichtlich ermessensfehlerhaft.
Dabei ist die Klage auch rechtzeitig erhoben gemäß § 45 WEG und begründet worden. Dies gilt auch für den Kläger zu 3.). Im Gesamtzusammenhang genügte seine Anfechtungsbegründung den hieran zu erfüllenden, individualisierten Anforderungen. Nicht entscheidend ist, dass der Kläger zu 3.) es unterlassen hat, eine Abweichung der Kosten, die sich für ihn durch den Beschluss verändern würden. Denn aufgrund der Angaben zu seinen Fenstern, vermochte das Gericht selbst zu borochncn, dass sich die Kosten durch den Beschluss auf 32.000,00 EUR belaufen würden, mithin knapp 15 % der zu erwartenden Kosten bei 57 Wohneinheiten. Abgesehen davon, dass der Klägervertreter nach Stollen der Anträge noch darauf hingewiesen hat, dass die Einheit des Klägers zu 3.) über dieselbe Fläche verfügt wie die der Kläger zu 1.) und 2.), hat auch der Kläger zu 3.) eine unbillige, besonders belastende Kostenverteilung auf Grundlage des Beschlusses geltend gemacht. Dies genügte.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen auf §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 2 ZPO.