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Nutzungsentschädigung nach Wohnraumkündigung – Verwirkung des Anspruchs

LG Berlin – Az.: 66 S 7/19 – Urteil vom 10.07.2019

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. November 2018 verkündete Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg – 23 C 322/17 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Dieses Urteil und das Urteil des Amtsgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Nutzungsentschädigung (§ 546 a Abs. 1 BGB) für eine 155,52 qm große Mietwohnung, die die Beklagten zum 28.02.2017 geräumt herausgegeben haben. Die im streitgegenständlichen Zeitraum geschuldete und gezahlte Monatsmiete belief sich (netto/kalt) auf 773,86 €. Die Klägerin berechnet die ihr zustehende Entschädigung auf 2.021,89 €. Den Differenzbetrag von monatlich 1.248,03 € macht sie seit einer am 11.07.2014 ausgesprochenen Kündigung geltend. Bis einschließlich 28.02.2017 beziffert sie ihre auch mit der Berufung verfolgte Klageforderung in Höhe von 39.494,11 €.

Das Amtsgericht hat die Zahlungsklage nach Durchführung einer Beweisaufnahme (Einnahme des Augenscheins) mit Urteil vom 15. November 2018 abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch aus § 546 a Abs. 1 2. Alternative BGB nicht zu, weil sie den Anspruch erst nach Rückgabe der Wohnung geltend gemacht habe. Zwar sei zugunsten des Vermieters von vornherein ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung in Höhe der vereinbarten oder, sofern diese höher ist, in Höhe der ortsüblichen Miete gegeben, welcher auch ohne vorherige Ankündigung rückwirkend geltend gemacht werden könne. Diesen habe die Klägerin aber bis zur Rückgabe der Wohnung laufend mit der Vereinnahmung der Vertragsmiete geltend gemacht und realisiert. Soweit ein Vermieter darüber hinaus die den Neuvermietungspreis (Marktmiete) geltend machen wolle, sei dies aus verfassungsrechtlichen Gründen von einer vorherigen Ankündigung abhängig.

Der Anspruch oberhalb des sich aus § 546 a Abs. 1 1. Alternative BGB ergebenden Betrages sei auch ausgeschlossen, wenn der Vermieter die Mietsache nach der Rückgabe längere Zeit keiner weiteren Nutzung zuführe, sondern sie dem Markt vorenthalte. Dies sei vorliegend nach den getroffenen Feststellungen der Fall. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme sei das Gericht im übrigen davon überzeugt, dass eine über die Vertragsmiete von 4,98 €/qm hinausgehende Marktmiete für die streitgegenständliche Wohnung ohne durchgreifende Maßnahmen zur Sanierung und Modernisierung während der streitigen Zeit nicht erzielbar gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 19. November 2018 zugestellte Urteil am 19. Dezember 2018 Berufung eingelegt und diese am 21. Januar 2019 (Montag) begründet. Sie meint, das Amtsgericht habe den Regelungsgehalt des § 546 a BGB verkannt. Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung bemesse sich nach der Höhe der marktüblichen Miete auch dann, wenn er erst im Nachhinein geltend gemacht werde. Die ortsübliche Vergleichsmiete im Sinne von § 558 BGB sei nicht als Maßstab des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung heranzuziehen. Das Amtsgericht habe daher schon grundsätzlich falsch eine Beurteilung anhand der Kriterien des Berliner Mietspiegels 2015 vorgenommen (welche zudem nach den Kriterien des Mietspiegels auch inhaltlich fehlerhaft sei).

Eine vorherige Ankündigung des Vermieters hinsichtlich der Höhe des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung sei auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes erforderlich. Ebenso verstoße die nachträgliche Geltendmachung einer erhöhten Nutzungsentschädigung nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Der Umstand, dass die Mietsache nach der Rückgabe vorerst nicht weitervermietet werde, stelle auch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB dar. Die Klägerin ist der Auffassung, dass Amtsgericht sei gehalten gewesen, über die Höhe der ortsüblichen Miete Beweis zu erheben.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 15.11.2018 – 23 C 322/17 – abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 39.494,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Kammer hat die schon vom Amtsgericht berücksichtigte Akte des Vorprozesses der Parteien (LG Berlin 65 S 43/16 = 65 T 4/16) beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. In dem Vorprozess waren die Beklagten mit Urteil des Amtsgerichts vom 8.12.2015 zur Räumung und Herausgabe der auch hier streitgegenständlichen Wohnung verurteilt worden; das Amtsgericht hatte im Urteil eine Räumungsfrist bis 30.4.2016 gewährt.

Gegenstand des darauf zunächst folgenden Beschwerdeverfahrens war das Begehren der Klägerin, die bewilligte Räumungsfrist zu beseitigen. Nachdem das Amtsgericht der Beschwerde um einen Monat abgeholfen hatte, sodass gemäß Beschluss vom 4.1.2016 die Räumungsfrist nun am 31.3.2016 endete, wies das Landgericht die weitergehende Beschwerde durch Beschluss vom 8.1.2016 zurück. In dem Beschluss heißt es auszugsweise, es seien Gründe gegeben, dass Rückerlangungsinteresse der Klägerin zeitlich beschränkt zurücktreten zu lassen, insbesondere nämlich

„… der Umstand, dass aktuell weder Anhaltspunkte dafür ersichtlich, vorgetragen oder geltend gemacht sind, dass der Beklagte zu 1 die laufende Nutzungsentschädigung in Höhe der bisherigen Miete nicht oder nicht vollständig zahlt…“.

In der Berufungsbegründung vom 15.3.2016 (Seite 7) führten die Beklagten sodann zur Begründung ihrer Anfechtung des Räumungsurteils unter anderem aus, zum Zeitpunkt der „…Kündigung am 11.7.2014 bestanden weder Mietrückstände noch befanden sich die Beklagten in Zahlungsverzug…“. Im Übrigen widerlege die Klägerin ihre Behauptung, das Vertrauensverhältnis zu den Beklagten sei zerstört, auch dadurch, dass sie unmittelbar nach Ausspruch der Kündigung einen neuen Mietvertrag angeboten habe, „… sofern die Beklagten einen um ca. 80 % höheren Mietzins akzeptieren würden…“.

Die Klägerin reichte im Vorprozess eine auf 5 Seiten abgefasste Berufungserwiderung vom 24.8.2016 ein, in der sie (Seite 4) zu den zitierten Passagen darauf verwies, die Verhandlungen der Klägerin über einen neuen Vertrag nach der Kündigung seien auf Wunsch der Beklagten erfolgt. „… Diese handeln aber treuwidrig, wenn sie sich nun auf die auf ihren Wunsch hin unternommenen Verhandlungen berufen…“.

Schließlich kam es am 21.9.2016 zur Berufungsverhandlung. Nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage, nach Unterbrechung der Sitzung und weiteren Hinweisen des Gerichts wurde der Räumungsrechtsstreit dadurch beendet, dass die Beklagten ihr Rechtsmittel zurücknahmen, und ihnen eine (weitere) Räumungsfrist bis zum 28.2.2017 gewährt wurde. Mit dieser Räumungsfrist zeigte die Klägerin sich ausdrücklich dadurch einverstanden, dass sie sogleich zu Protokoll auf die Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Bewilligung verzichtete.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist aber unbegründet; die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.

1.

Die Klägerin stützt ihre Klage auf die Vorschrift in § 546 a BGB. Diese Norm beinhaltet nach ihrem Wortlaut dann eine Undeutlichkeit, wenn der Vermieter eine höhere Nutzungsentschädigung verlangt, als sie der zuletzt vereinbarten Miete entspricht. Mit der Formulierung in § 546a Abs. 1 2. Alt. BGB, wonach die Miete verlangt werden kann, „…die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist…“ bleibt unbeantwortet, für welche Zeitpunkte und aus welchen Werten der letztlich geschuldete Betrag ermittelt werden muss.

Zuzugeben ist der Klägerin, dass der Bundesgerichtshof in der Entscheidung VIII ZR 17/16 vom 18.1.2017 (NJW 2017, 1022 ff.) ausgesprochen hat, maßgeblich sei nicht die aus dem Recht der Mieterhöhung bekannte „ortsübliche Vergleichsmiete“, sondern eine Marktmiete verstanden als die bei Neuabschluss eines Mietvertrages ortsübliche Miete.

Zu dieser Einschätzung gelangt die Entscheidung, obwohl in der Gesetzesbegründung (BT-Drs 14/4553) ausführlich angesprochen wird, dem Vermieter solle anstelle der (niedrigeren) vereinbarten Miete ohne weitere Umschweife der Rückgriff auf eine ortsüblich höhere Miete eröffnet werden, und dabei in der Gesetzesbegründung durchgehend explizit der Begriff der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ verwendet wird. Es ließe sich daher ebenso erwägen, dass eine noch weit oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete angesiedelte Marktmiete (nur) auf der Grundlage einer konkreten Schadensfeststellung als ersatzfähige Position des Vermieters nach Maßgabe von § 546 a Abs. 2 BGB anzuerkennen ist, also als ggf. eingetretener „weiterer Schaden“, der einen entsprechend konkreten Nachweis für die Haftung nach Grund und Höhe voraussetzt.

Auch die dagegen stehende Annahme, mit § 546a BGB wolle der Gesetzgeber zusätzlichen Druck auf den früheren Mieter ausüben, die geschuldete Rückgabe zu vollziehen (BGH a.a.O.) kommt gerade im Wohnraummietrecht nur mit den erheblichen Einschränkungen aus § 571 BGB zum Ausdruck. Diese Norm kann als starker Hinweis auf den Wunsch des Gesetzgebers erscheinen, bei einem Streit über die Wirksamkeit von Kündigungen und das Bestehen von Räumungsansprüchen nur ein begrenztes Risiko für den Wohnraummieter entstehen zu lassen, um sicherzustellen, dass der Mieter von seinen Schutzrechten Gebrauch machen kann (z.B. §§ 574 BGB, 721, 794a ZPO). Sowohl auf materieller Ebene (also bei Kündigungsvoraussetzungen) wie auch im Bereich der prozessualen Begründung von weiterem zeitlichen Aufschub (z.B. Räumungsfristen) erscheint eine hinreichend sichere Prognose über die gerichtliche Entscheidung wegen der Vielzahl der zu berücksichtigenden Faktoren regelmäßig nicht möglich, weshalb der Gesetzgeber das Haftungsrisiko in diesem Kontext absichtsvoll vermindert hat (vgl. Blank/Börstinghaus; Rz. 1 zu § 571 BGB m.w.N.).

§ 571 BGB ist anlässlich der Neufassung im Zuge der Mietrechtsreform aus den früher einheitlich formulierten Regelungen in § 557 BGB a.F. hervorgegangen, der auch die Regelung des heutigen § 546a BGB im Kern einschloss. Gerade in Konstellationen, wie der hier vorliegenden, in der nämlich keine vom Mieter erklärte Kündigung, sondern stattdessen ihm mehrfach gewährte Räumungsfristen (vgl. § 571 Abs. 2 BGB) zu beurteilen sind, ist dem Gesetz jedenfalls die Absicht einer gewissen Limitierung der mit einem Räumungsprozess verbundenen wirtschaftlichen Risiken zu entnehmen. Dies dürfte eine genaue und inhaltlich überzeugende Abgrenzung erforderlich machen zwischen einerseits den von § 546 a Abs. 1 BGB erfassten Ansprüchen, gegenüber andererseits den (nur) nach Maßgabe des § 546a Abs. 2 BGB in Verbindung mit den limitierenden Regelungen in § 571 BGB geschuldeten Positionen. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber mit der mehrfachen Verwendung des Begriffs der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ in der Gesetzesbegründung genau diese zum Maßstab einer quasi voraussetzungslosen Fortschreibung der vertraglichen Verhältnisse machen wollte. Diese tritt schließlich im Falle einer Vorenthaltung der Mietsache abstrakt und ohne weitere tatsächliche Voraussetzungen ein; § 546a Abs. 1 BGB ließe sich also möglicherweise als Fortschreibung dessen verstehen, wovon das (gekündigte) Mietverhältnis ohnehin wirtschaftlich geprägt war, nämlich die vereinbarte Miete ggf. maßvoll verschärft durch die aus § 558 BGB herzuleitenden Vergleichsbeträge. Alle darüber hinausgehenden Positionen könnten demgegenüber als Gegenstand (allein) einer vertraglichen Haftung auffassen, die eben zu Erzielung der mit § 571 BGB intendierten Effekte den Wohnraummieter womöglich nicht einschränkungslos treffen soll.

Eine anderslautende Grenzziehung zwischen den verschuldensunabhängig nach § 546a Abs. 1 BGB auflaufenden Beträgen und den nur bei Vorliegen eines Schadensersatzanspruchs drohenden weiteren Schäden enthält auch die vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung bisher nicht.

Der in § 571 BGB gerade für Wohnraummietverhältnisse zu beachtende Schutz würde jedenfalls bei einer einschränkungslosen Berücksichtigung des Neuvermietungspreises gerade in dem wichtigsten und häufigsten Fall einer Anwendung von § 546a BGB leerlaufen, nämlich bei einer drastisch gestiegenen Miethöhe, die über mehrere Jahre eines Räumungsrechtsstreits hinweg zu einer wirtschaftlich bedrohlichen Gesamthöhe anwächst.

Im hier vorliegenden Einzelfall bedarf es aber keiner abschließenden Entscheidung, ob die von der Klägerin begehrte Entschädigung nur auf der (von der Klägerin nicht konkret dargelegten) Grundlage eines Schadensersatzanspruchs und damit zugleich unter Anwendung der §§ 546a Abs. 2, 571 BGB begründet wäre, oder ob sie – wie die Klägerin meint – schon von § 546 a Abs. 1 BGB erfasst ist. Auch im letzteren Falle ist die Klage unbegründet, weil der Anspruch der Klägerin angesichts ihrer Vorgehensweise besonders in dem Vorprozess der Parteien als verwirkt anzusehen ist.

2.

Auch wenn die Kammer der Klägerin darin folgen würde, ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung in Höhe einer Marktmiete (also der geltend gemachten 13 €/qm) könne – entgegen den Annahmen des Amtsgerichts – grundsätzlich ohne eine vorherige Ankündigung geltend gemacht werden, wäre die Klägerin vorliegend gehindert, einen solchen Anspruch durchzusetzen. Denn in dem hier zu beurteilenden Fall liegen Umstände sowohl auf zeitlicher als auch inhaltlicher Ebene vor, welche eine Berufung der Klägerin auf einen etwaigen Anspruch auf erhöhte Nutzungsentschädigung wegen Verwirkung (§ 242 BGB) ausgeschlossen erscheinen lassen.

Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung (BGH, Urteil vom 16.2.2005, IV ZR 18/04, NJW-RR 2005,619). Der Verstoß gegen dieses Prinzip ist im Verfahren von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 25.5.2011, IV ZR 191/09, NJW 2011,3149 m.w.N.). Welche Anforderungen sich aus diesem im Einzelfall ergeben, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 12.7.2016, XI ZR 501/15, NJW 2016, 3518). Die danach hier vorgenommene Gesamtschau ergibt vorliegend einen Ausschluss der Klägerin mit der Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche. Im einzelnen:

Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteil vom 7.5.2014, IV ZR 76/11, NJW 2014, 2646). Der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung auf Grund widersprüchlichen Verhaltens. Die Annahme einer Verwirkung setzt neben einem Zeitmoment das Vorliegen besonderer, ein Vertrauen des Verpflichteten in die Nichtgeltendmachung des Rechtes begründender Umstände voraus (BGH, Urteil vom 12.7.2016, a.a.O.). Beides ist vorliegend gegeben.

Der Anspruch auf (erhöhte) Nutzungsentschädigung nach § 546 a Abs. 1 BGB stand der Klägerin grundsätzlich für die Dauer der Vorenthaltung der Mietsache ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses zu. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg im Vorprozess (Urteil vom 8.12.2015 – 4 C 317/14 -) ist das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis „jedenfalls“ durch fristgemäße Kündigung vom 08. Mai 2014 gemäß §§ 573 Abs. 1, 2 Nr. 1, 573 c BGB zum 31. Januar 2015 beendet worden. Nachdem die Klägerin sich auf die noch davor liegende fristlose Kündigung vom 11.07.2014 beruft, ist der Zeitpunkt Ende Januar 2015 bereits der späteste Zeitpunkt, an welchen für die Beurteilung des Zeitmomentes anzuknüpfen ist (vgl. Mansel, in: Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018, § 242 Rn. 59). Ihren jetzt verfolgten Zahlungsanspruch wegen einer erhöhten Nutzungsentschädigung hat die Klägerin erstmals mit der hier streitgegenständlichen Klage vom 29. Dezember 2017 geltend gemacht. Seit dem (spätest gelegenen) Ende des Mietverhältnisses waren zu dieser Zeit bereits annähernd drei volle Jahre verstrichen.

In dieser Zeit seit Januar 2015 hatten die Parteien vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg den genannten Vorprozess geführt. Die Räumungsfrist des Amtsgerichts hatte (wie eingangs festgestellt) zu den Ausführungen der Beschwerdekammer im Beschluss vom 8. Januar 2016 – 65 T 4/16 – geführt, wonach insbesondere die Zahlung der laufenden Nutzungsentschädigung einen tragenden Grund für die beibehaltene Räumungsfrist darstellte. Bereits diese Erwägung hätte der Klägerin Anlass bieten können, im Rahmen des sich anschließenden Berufungsverfahrens zum Geschäftszeichen 65 S 43/16 deutlich zu machen, dass mit den laufend von den Beklagten erbrachten Zahlungen in Höhe der vereinbarten Miete die Ansprüche der Klägerin nach ihrer eigenen Ansicht keineswegs vollständig, ja nicht einmal zur Hälfte erfüllt wurden. Da sie selbst sich in dem Verfahren auf ihre fristlos erklärte Kündigung vom 11.07.2014 berief, wären nach ihrer (Jahre später erstmals bekannt gegebenen) Auffassung zur Zeit des Beschlusses des Landgerichts im Januar 2016 für den Zeitraum von Juli 2014 bis Dezember 2015 schon Rückstände in Höhe von 22.021,69 € (1248,03 € × 17 Monate + anteilig 805,18) als (vermeintliche) Nutzungsentschädigung nach § 546 a Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB aufgelaufen gewesen.

Derartige Ansprüche wurden aber nach Grund und Höhe zu keinem Zeitpunkt thematisiert, obgleich sich die Beklagten in der Berufungsbegründung vom 15. März 2016 gegen das Räumungsbegehren der Klägerin (auch) mit der Behauptung wehrten, sie befänden sich in keiner Hinsicht im Zahlungsverzug. Die Gelegenheit, diesen Angriff der Beklagten auf das Räumungsurteil des Amtsgerichts durch den Verweis darauf zu kontern, der Klägerin entstehe in jedem einzelnen Monat ein ungedeckter Forderungsausfall in Höhe von nahezu 2/3 des monatlich mit mehr als 2.000 € von ihr zu beanspruchenden Betrages, ließ die Klägerin ungenutzt verstreichen.

Darüber hinaus machten die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung geltend, die Klägerin habe ihnen einen neuen Mietvertrag mit einem gegenüber der bisherigen Miete (von 773 €) um 80 % erhöhten Mietzins (also ca. 1.400 €) angeboten, und dadurch die behauptete Störung des Vertrauensverhältnisses selbst widerlegt. Wenn die Klägerin tatsächlich der Auffassung war, ihr stehe der jetzt mit der Klage beanspruchte Mietzins von ca. 2.021 €/Monat (entsprechend einer Anhebung um ca. 160 %) zu, so wäre jedenfalls an dieser Stelle zu erwarten gewesen, dass die Klägerin ein daraus abgeleitetes Argument gegen den Standpunkt der Beklagten mindestens andeutete. Sie beschränkte sich stattdessen auf den Hinweis, die Beklagten verhielten sich treuwidrig, indem sie sich auf Verhandlungen beriefen, die sie selbst erbeten hätten.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 21. September 2016 verständigten sich die Parteien dann auf eine weitere Räumungsfrist bis zum 28. Februar 2017. Das Einverständnis (auch) der Klägerin mit diesem Vorgehen, kommt unmissverständlich darin zum Ausdruck, dass sie auf jede neuerliche Überprüfung dieser weiteren Verlängerung der Nutzung durch die Beklagten um mehr als 5 Monate verbindlich verzichtete.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde zugunsten der Beklagten ein Rechtsschein dahingehend gesetzt, dass in dem zu dieser Zeit schon seit mehr als 3 Jahren praktizierten Streit- bzw. Abwicklungsverhältnis gänzlich andere (bedeutend höhere) Nutzungsentgelte, als sie laufend gezahlt wurden, nicht geltend gemacht werden sollten. Die aus heutiger Sicht von der Klägerin in den Raum gestellte Behauptung, dass nur wenig mehr als 1/3 der ihr vermeintlich zustehenden Nutzungsentschädigung über Jahre hinweg laufend gezahlt würde, wäre erkennbar von so erheblicher Bedeutung für die mehrfach thematisierte Frage einer Räumungsfrist gewesen, dass zur Vermeidung des oben genannten Rechtsscheins eine entsprechende Äußerung geboten gewesen wäre.

Selbst wenn – wie die Klägerin meint – das Interesse der Beklagten maßgeblich auf die Vermeidung von Wohnungslosigkeit gerichtet gewesen wäre, erscheint es evident, dass solche Absichten nicht losgelöst von den finanziellen Folgen gesehen und kalkuliert werden konnten. Dass die Beklagten an einem Verbleib in der streitgegenständlichen Wohnung festgehalten hätten, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass sich dadurch ihre monatlichen Zahlungsverpflichtungen nahezu verdreifachen und letztlich auf eine Höhe von (im hier geführten Verfahren verlangten) fast 40.000 € summieren würden, erscheint angesichts der mitgeteilten finanziellen Verhältnisse der Beklagten zu 1 und 2 gänzlich lebensfremd. Diese verfügten nämlich im maßgeblichen Zeitraum lediglich über durchschnittliche monatliche Einkünfte von weniger als 2.000 €. Die allein durch die im Berufungstermin ausgehandelte Räumungsfrist bis 28.02.2017 bedeutete neben der Weiterzahlung der Nutzungsentgelte in unveränderter Höhe eine nicht erkennbare Mehrbelastung von über 6.000 €.

Auf den von der Klägerin selbst gesetzten Rechtsschein durften die Beklagten vertrauen. Der Hinweis der Klägerin, sie habe bereits vorprozessual klargestellt, dass von den Beklagten eine Nutzungsentschädigung „in Höhe mindestens der bisherigen Vertragsmiete zu zahlen“ sei, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. In den von der Klägerin eingereichten Schriftsätzen zum Vorprozess erfolgten keinerlei Ausführungen, denen sich Art und Höhe von weitergehenden – erheblichen – Ansprüchen der Klägerin auch nur ansatzweise entnehmen ließ. Der allgemeine Vorbehalt „weiterer Ansprüche“, wie er beispielsweise im Kündigungsschreiben vom 11.7.2014 enthalten war, ließ 2014 den heute von der Klägerin vertretenen Standpunkt nicht deutlich werden, zumal bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.1.2017 (VIII ZR 17/16) noch Jahre vergingen. Dass die Klägerin es im Sinn haben könnte, einen nahezu verdreifachten Monatsbetrag als Neuvermietungspreis zu beanspruchen, war auch deshalb nicht einmal zu erahnen, weil die laufenden Zahlungen der Beklagten in Höhe der (viel geringeren) vertraglich vereinbarten Miete schon mehrfach als wesentliches Argument dem Rückerlangungsbegehren der Klägerin entgegengehalten worden war. Dies hatten – jeweils ohne eine aussagekräftige Erwiderung der Klägerin – sowohl die Beklagten getan, als auch die Beschwerdekammer des Landgerichts. Wenn die Klägerin dagegen schon nichts vortrug, als es noch „um alles“ (nämlich den Räumungsanspruch) ging, begründete dies eine berechtigte Erwartung der Beklagten, über nahezu verdreifachte Zahlungen erst recht später nicht mehr streiten zu müssen.

Keine Bedeutung für die Voraussetzungen von § 242 BGB hat vorliegend der Umstand, dass das Räumungsverfahren beim Amtsgericht ab dem 1. September 2014 gemäß § 251 ZPO 6 Monate geruht hat. Den Inhalt der in dieser Zeit geführten Verhandlungen und deren möglichen Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Anspruch trägt die Klägerin nicht vor. Auswirkungen auf den soeben erläuterten Rechtsschein, den die Klägerin zugunsten der Beklagten im späteren Verlauf des Verfahrens begründet hat, sind also nicht ersichtlich.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Die Beurteilung der Frage, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten einer Partei vorliegt, orientiert sich allein an den jeweiligen Umständen des Einzelfalles.

 

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