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Pflichtverletzung eines von WEG-Gemeinschaft beauftragten Bauhandwerkers

LG Stuttgart – Az.: 10 S 2/16 WEG – Urteil vom 01.06.2016

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23.11.2015, Az. 64 C 3431/15 WEG, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Weiter trägt die Klägerin die Kosten der Streithelferin in beiden Instanzen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Stuttgart ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des nach dem Urteil für die Beklagten vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin bildet mit den erstinstanzlich als Beklagte Ziff. 2 in Anspruch genommenen weiteren Wohnungseigentümern die Wohnungseigentümergemeinschaft in dem Objekt O. Weg … in 70567 Stuttgart, die als Beklagte Ziff. 1 in Anspruch genommen wird.

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Erstattung von beabsichtigten Aufwendungen zur Beseitigung von Schäden, die in ihrem Sondereigentum im Zusammenhang mit den von der Streithelferin übernommenen Arbeiten an der Fassade des Objekts entstanden sind sowie die Erstattung vorgerichtlicher Gutachterkosten.

Im Sommer 2014 führte die Streithelferin im Auftrag der Beklagten Ziff. 1 Sanierungsarbeiten durch, in deren Verlauf die Fenster ausgetauscht, die Balkone saniert und die Fassade erneuert wurden. Im Zuge der Arbeiten kam es zum Eintritt von Wasser und dadurch verursachten Schäden an Tapeten und Fußböden in der im Sondereigentum der Klägerin stehenden Wohnung Nr. 102. Der Umfang der Schäden und des zur beabsichtigten Beseitigung erforderlichen Aufwands ist streitig.

Die Klägerin hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, dass die Beklagte Ziff. 1 als Auftraggeberin der Sanierungsarbeiten den Schaden nach § 280 BGB zu ersetzen habe. Die Haftung der Beklagten Ziff. 2 ergebe sich aus § 10 Abs. 8 S. 1 WEG.

Unter Bezifferung der für die notwendigen Arbeiten entstehenden Kosten mit dem Betrag von 6.300,00 € und unter Geltendmachung der entstandenen Gutachterkosten betreffend die Feststellung des Schadens in Höhe von 849,22 € hat die Klägerin in erster Instanz beantragt:

1.

Die Beklagten werden wie Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin € 7.149,22 zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2015 zu bezahlen.

2.

Die Beklagten werden wie Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. € 729,23 zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die gegen die Beklagten Ziff. 2 gerichtete Klage sei unschlüssig, da die weiteren Wohnungseigentümer selbst nicht passiv legitimiert seien. Für den gegenüber der Beklagten Ziff. 1 geltend gemachten Anspruch fehle es an einer schlüssigen Darlegung zum Schaden und zur Schadenshöhe. Die Klägerin müsse sich einen Abzug neu für alt gefallen lassen. Auch habe die Klägerin gegen ihre Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. BGB verstoßen, weil sie einen von der Streithelferin beauftragten Malermeister nicht zur Behebung der Schäden in ihre Wohnung gelassen habe. Aufgrund ihrer Treuepflicht gegenüber der Wohnungseigentümergemeinschaft und den übrigen Wohnungseigentümern sei die Klägerin verpflichtet gewesen, das Angebot der Streithelferin auf Beseitigung des Schadens anzunehmen. Die Treuepflicht gebiete es, dass ein Wohnungseigentümer zunächst Dritte in Anspruch nehme, bevor er die Forderung gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft oder die übrigen Wohnungseigentümer erhebe (Bl. 36 ff., Bl. 88 ff. d.A.).

Aufgrund der Streitverkündung der Beklagten mit Schriftsatz vom 02.09.2015 trat die Streithelferin mit Schriftsatz vom 30.09.2015 – unter weiterer Streitverkündung gegenüber ihrer Subunternehmerin – dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten bei (Bl. 83 f d.A.).

Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.11.2015 abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Klägerin möglicherweise ein Anspruch gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft (Beklagte Ziff. 1) aus § 280 BGB zustehe. Die Klägerin habe aber zur Schadenshöhe nicht substantiiert vorgetragen, sondern lediglich pauschal behauptet, die Schadensbeseitigung erfordere einen Aufwand von 6.300,00 €. Dieser Vortrag sei nicht schlüssig und insbesondere einer Beweisaufnahme nicht zugänglich, weshalb die Klage abzuweisen sei. (Bl. 122 ff. d.A.).

Das Urteil wurde dem Klägervertreter am 07.12.2015 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 05.01.2016, der am selben Tag beim Landgericht Stuttgart einging, legte der Klägervertreter gegen das Urteil Berufung ein (Bl. 144 f. d.A.), die mit weiterem, am 05.02.2016 eingegangenem, Schriftsatz begründet wurde (Bl. 152 ff. d.A.).

Die Klägerin erstrebt die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils. Mit der Berufungsbegründung führte sie aus, dass sie die Anträge aus der Klageschrift vom 30.06.2016 weiter verfolge, soweit die Klage gegen die Beklagte Ziff. 1 abgewiesen wurde. Der gegen die Beklagten Ziff. 2 erstinstanzlich gestellte Klageantrag werde nicht mehr weiter verfolgt (Bl. 154 d.A.).

Die Klägerin bringt vor, dass sie ihrer Darlegungslast auch ohne Vortrag weiterer Einzeltatsachen betreffend die Zusammensetzung des als Schadenersatz geltend gemachten Betrages von 6.300,00 € genügt habe. Insbesondere sei der eingetretene Schaden nach seiner Art – Schäden an Tapeten und Teppichboden – und nach seinem Ort – Tapetenschäden im Wohn/Essbereich, Kinderzimmer und Schlafzimmer, Teppichbodenschäden im Wohnzimmer – dargelegt worden. Auch seien die zur Schadensbeseitigung notwendigen Maßnahmen – Austausch der Tapeten, Streichen der Räume, Austausch des Teppichbodens, Auslagerung der Möbel – vorgetragen worden. Die Abweisung der Klage sei verfahrensfehlerhaft erfolgt. Das Amtsgericht hätte gegebenenfalls auf einen nicht hinreichende Substantiierung im Vortrag der Klägerin hinweisen müssen und der Klägerin Gelegenheit zur Reaktion bieten müssen. Selbst wenn die Klägerin ihrer Substantiierungslast nicht genügt hätte, hätte das Amtsgericht im Wege der Schätzung in jedem Fall einen entstandenen Mindestschaden feststellen müssen und hierzu gegebenenfalls zur Klärung der Schätzungsgrundlage konkret nachfragen müssen.

Die Klägerin beantragt nunmehr (Bl. 153 d.A.):

Das am 23.11.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Stuttgart, Az. 64 C 3431/5 WEG, wird abgeändert:

1.

Die Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt, an die Klägerin € 7.149,22 € zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.04.2015 zu bezahlen.

2.

Die Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 729,23 € zzgl. Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen (Bl. 186 d.A.):

1.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

2.

Bezüglich der Beklagten Ziff. 2 ist die Klägerin des Rechtsmittels der Berufung verlustig.

Die Beklagte Ziff. 1 verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Zudem sei die Klage schon deshalb unbegründet, weil den Beklagten in Höhe der Klageforderung ein Schadensersatzanspruch zustehe, den sie der Klageforderung nach § 242 BGB entgegenhalten könne. Ein geschädigter Wohnungseigentümer sei verpflichtet, nicht die schädigenden Miteigentümer oder die Wohnungseigentümergemeinschaft auf Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen, wenn ein anderer Schadensersatzverpflichteter vorhanden sei, dieser die Wohnungseigentümergemeinschaft nicht in Regress nehmen könne und keine besonderen Umstände vorlägen, die ausnahmsweise eine Inanspruchnahme der Wohnungseigentümergemeinschaft rechtfertigten (Bl. 186 ff. d.A.).

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Wenngleich das erstinstanzliche Urteil unter Verletzung der Hinweispflicht nach § 139 ZPO ergangen ist (1.), hat das Amtsgericht im Ergebnis richtig entschieden (2.).

1.) Dem Amtsgericht kann schon nicht darin gefolgt werden, dass der Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Schadenshöhe unsubstantiiert gewesen sei. Die Klägerin hat im Einzelnen vorgetragen, in welchen Bereichen ihrer Wohnung welche Schäden entstanden seien. Durch Sachverständigengutachten hätte ohne weiteres überprüft werden können, ob zur Beseitigung dieser Schäden der von der Klägerin behauptete Aufwand 6.300,00 € erforderlich ist. Weiterer Anknüpfungstatsachen bedurfte es insoweit nicht. Insbesondere war die Klägerin nicht gehalten, sämtliche einzelnen Arbeitsschritte aufzulisten, die ihrer Auffassung nach notwendig sind. Unabhängig davon hätte die erste Instanz der Klägerin Gelegenheit geben müssen, auf den in der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2015 erteilten richterlichen Hinweis betreffend eine fehlende Substantiierung der Schadenshöhe (Bl. 115 d.A.) weiter vortragen zu können. Allein der Umstand, dass die Beklagtenseite mit Schriftsatz vom 24.08.2015 ausgeführt hatte, es fehle an einer schlüssigen Darlegung zum Schaden und zur Schadenshöhe, machte einen richterlichen Hinweis nicht entbehrlich. Zwar kann die gerichtliche Hinweispflicht entfallen, wenn die Partei von der Gegenseite die gebotene Unterrichtung erhalten hat. Dies setzt aber voraus, dass sie erkennbar das Vorbringen der Gegenseite richtig verstanden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2007 – IX ZR 207/05). Vorliegend ist gerade nicht ersichtlich, dass die Klägerin vor dem im Termin erteilten Hinweis von weiterem Vortrag zur Schadenshöhe bewusst abgesehen hätte. Soweit ein richterlicher Hinweis erfolgt, hat das Gericht auch Gelegenheit zur Reaktion zu geben, andernfalls das rechtliche Gehör verletzt wird (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 31. Aufl., § 139 Rn 14 m.w.N.). Dem noch im Termin gestellten Antrag des Klägervertreters auf Gewährung eines Schriftsatzrechts zur Stellungnahme auf den richterlichen Hinweis hätte mithin stattgegeben werden müssen.

2.)

Im Ergebnis erweist sich die Abweisung der Klage jedoch als richtig. Die Kammer folgt der Auffassung der Beklagtenseite, dass es einem Wohnungseigentümer im Hinblick auf die schuldrechtliche Sonderverbindung zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft verwehrt sein kann, die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband in Anspruch zu nehmen, wenn für den geltend gemachten Schaden ein Dritter – hier die Streithelferin – in Anspruch genommen werden kann. So ist bei bestehendem Versicherungsschutz durch eine Gebäudeversicherung ein geschädigter Miteigentümer verpflichtet, nicht den schädigenden Miteigentümer auf Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen, wenn der geltend gemachte Schaden Bestandteil des versicherten Interesses ist, der Gebäudeversicherer nicht Regress nehmen könnte und nicht besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise eine Inanspruchnahme des Schädigers durch den Geschädigten rechtfertigen. Hierfür ist ausschlaggebend, dass der Geschädigte bei dieser Sachlage im Regelfall kein vernünftiges Interesse daran hat, sich an den Schädiger zu halten und dass durch eine Inanspruchnahme des Miteigentümers das Miteinander der Wohnungseigentümer ernsthaft beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2006 – V ZR 62/06 m.w.N.). Diese Grundsätze sind nach Auffassung der Kammer auf den vorliegenden Fall übertragbar. Auch bei der Inanspruchnahme der Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband wird das Miteinander der Wohnungseigentümer ernsthaft belastet. Die Klägerin kann auch kein besonderes Interesse daran haben, statt der Streithelferin die Wohnungseigentümergemeinschaft in Anspruch zu nehmen, zumal sie bei einer etwaigen Verurteilung der Wohnungseigentümergemeinschaft den daraus auf sie selbst entfallenden anteiligen Betrag mit zu tragen hätte. Der Klägerin musste bekannt sein, an wen der Auftrag durch die Wohnungseigentümergemeinschaft erteilt wurde, da der Auftragserteilung eine Beschlussfassung der Wohnungseigentümergemeinschaft vorausgegangen war. Soweit ihr Namen und Anschrift der Streithelferin nicht von vornherein bekannt gewesen sein sollten, hätte sie dies durch einfache Nachfrage bei der Hausverwaltung klären können. Die Überlegung, dass – wie mit Schriftsatz vom 23.05.2016 ausgeführt wurde – der Klägerin gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft ein vertraglicher Anspruch, gegen die Streithelferin indes lediglich ein deliktischer Anspruch zustehe, trifft nicht zu. Das Vertragsverhältnis zwischen der Wohnungseigentümergemeinschaft und der Streithelferin ist als Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter anzusehen und entfaltet Schutzwirkung für die Klägerin. Den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen der Streithelferin ist die Klägerin bestimmungsgemäß in gleicher Weise ausgesetzt wie die Wohnungseigentümergemeinschaft als Gläubigerin selbst. Bei dieser Sachlage wird der Dritte in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten in der Weise einbezogen, dass er selbst einen eigenen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner hat, der sich auch auf Sach- und Vermögensschäden erstrecken kann (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 328 Rn 13 ff. m.w.N.).

Unter diesen Umständen konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.

Ein Ausspruch, dass die Klägerin des eingelegten Rechtsmittels der Berufung hinsichtlich der Beklagten Ziff. 2 ist gem. § 516 Abs. 3 ZPO verlustig ist, ist nicht veranlasst. Zwar legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.01.2016 gegen das Urteil insgesamt Berufung ein, wobei sie auch die Beklagten Ziff. 2 als Berufungsbeklagte bezeichnete. Antragstellung und Begründung blieben aber einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Mit der Berufungsbegründung vom 03.02.2016 führte die Klägerin aus, dass der gegen die Beklagte Ziff. 2 erstinstanzlich gestellte Klageantrag nicht mehr weiter verfolgt werde. In der Beschränkung der antragslos eingelegten Berufung liegt jedoch noch keine Teilrücknahme, sondern die erstmalige Bestimmung des Rechtsmittelumfangs (vgl. Münchener Kommentar/Rimmelspacher, ZPO, 4. Aufl., § 516 Rn. 17 m.w.N.).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO war die Revision zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob ein Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft unter bestimmten Umständen für eine Schadensersatzklage vor dem Verband zunächst einen außenstehenden Dritten in Anspruch nehmen muss, höchstrichterlich nicht geklärt ist. Die Frage kann sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen und berührt das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts.

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