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Räumungsklage bei unpünktlichen Mietzinszahlungen

LG Berlin – Az.: 67 S 329/16 – Urteil vom 29.11.2016

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21. September 2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte – 9 C 148/16 – mit der Maßgabe abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird, soweit sie auf die Kündigungen vom 10. Juli 2015 und 30. November 2015 gestützt wird. Nach dieser Maßgabe wir das angefochtene Urteil im Übrigen aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatbestandlichen Feststellungen wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO.

II.

Die Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Sie ist begründet, soweit die Klägerin die Räumungsklage auf die Kündigungen vom 10. Juli und 30. November 2015 stützt. Ihr steht insoweit kein Räumungsanspruch gemäß §§ 985, 546 Abs. 1 BGB zu, da keine der beiden Kündigungen zu einer Beendigung des Mietverhältnisses geführt hat.

Die auf unpünktliche Mietzahlungen der Beklagten gestützte Kündigung vom 10. Juli 2015 hat weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung gemäß §§ 543 Abs. 1, 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB das Mietverhältnis beendet. Zwar hat die Beklagte die Mieten in den Monaten März, April und Mai 2015 und – nach erfolgter Abmahnung – auch die Miete für Juni und Juli 2015 jeweils geringfügig verspätet gezahlt. Damit hätte sie – vorbehaltlich der von ihr behaupteten abweichenden Fälligkeitsabrede für die Zeit nach Erteilung der Abmahnung – auch pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt (vgl. BGH, Urt. v. 14. 9. 2011 – VIII ZR 301/10, NJW-RR 2012, 13 Tz. 15). Ihre Pflichtverletzung war jedoch nicht hinreichend erheblich, um den Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Beide Kündigungsformen erfordern eine hinreichend erhebliche Pflichtverletzung des Mieters (vgl. BGH, Urt. v. 29. Juni 2016 – VIII ZR 173/15, NJW 2016, 2805 Tz. 18; Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016 – 67 S 125/16, ZMR 2016, 695, juris Tz. 15 f.; Beschl. v. 20. Oktober 2016 – 67 S 214/16, juris Tz. 5 f.). An einer solchen fehlt es hier.

Die Erheblichkeit der Pflichtverletzung ist im Rahmen einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu klären. Dazu zählen vor allem die beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Mietverhältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr und der dem Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens (vgl. BGH a.a.O.; Kammer, a.a.O.). Gemessen daran fehlte der Pflichtverletzung der Beklagten das für eine Beendigung des Mietverhältnisses erforderliche Gewicht bereits deshalb, weil die Zahlungen jeweils nur mit geringer zeitlicher Verzögerung erfolgten und das störende Zahlungsverhalten nur einen kurzfristigen Zeitraum von wenigen Monaten betraf. Es kommt hinzu, dass die verspätet entrichteten Beträge nicht geeignet waren, die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin – bei der gebotenen absoluten Betrachtung – hinreichend spürbar zu gefährden (vgl. Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016 – 67 S 125/16, ZMR 2016, 695, juris Tz. 20) oder die Verwaltung der Zahlungseingänge nachhaltig zu erschweren. Schließlich war zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis bis zum Ausspruch der Kündigung über nahezu zwölf Jahre unbeanstandet währte. Soweit die Klägerin den Vortrag der Beklagten zum bisherigen Verlauf des Mietverhältnisses pauschal bestritten hat, vermochte sie damit als insoweit darlegungs- und beweisbelastete Partei nicht durchzudringen, da sie konkrete Pflichtverletzungen der Beklagten in der Vergangenheit weder behauptet noch unter Beweis gestellt hat (vgl. Kammer, a.a.O. Tz. 25). Davon ausgehend konnte dahinstehen, ob die Behauptung nicht auch bereits deshalb unerheblich war, da der – nach dem Vortrag der Klägerin – nicht störungsfreie sonstige Verlauf des Mietverhältnisses in der Kündigungserklärung entgegen § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB keine Erwähnung gefunden hat.

Auch die Schriftsatzkündigung vom 30. November 2015 vermochte das Mietverhältnis nicht zu beenden. Sie ist der Beklagten nicht zugegangen. Zwar hat die Klägerin deren Zugang behauptet, doch ist sie auf das erhebliche Bestreiten der Beklagten auch insoweit darlegungs- und beweisfällig geblieben. Die Berufung rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Zugang der Kündigung im Rahmen eines obiter dictum “nach Aktenlage” als bewirkt erachtet hat. Diese tatsächlichen Feststellungen tragen nicht, da ausweislich des maschinenschriftlichen Zustellvermerks der Geschäftsstellenbeamtin des Amtsgerichts vom 16. Februar 2016 allein eine förmliche Zustellung der beglaubigte Abschrift der Klageschrift (vom 31. Juli 2015) nebst fristgebundener richterlicher Auflagen veranlasst wurde. Beweiskräftige Anhalte hinsichtlich der förmlichen Zustellung des Schriftsatzes vom 30. November 2015 und der darin enthaltenden Kündigung lassen sich daraus zu Gunsten der Klägerin nicht ableiten, zumal die Zustellung dieses Schriftsatzes allein mit gesondertem – und einfachem – Ab-Vermerk vom 16. Februar 2016 in den Akten dokumentiert wurde. Das aber reicht weder zum Beweis der (förmlichen) Zustellung aus noch rechtfertigt es die Anwendung der Grundsätze des prima-facie-Beweises zu Lasten der Beklagten. Es konnte dahinstehen, ob gemäß § 418 Abs. 1 ZPO etwas anderes gegolten hätte, wenn die Geschäftsstelle auf die Zustellungsurkunde Angaben zum Inhalt der zuzustellenden Schriftstücke gesetzt hätte (vgl. VerfGH Berlin, Beschl. v. 17. Mai 2011 – 158/10, 158 A/10 -, juris Tz. 10). Denn die Zustellungsurkunde enthält lediglich den Zusatz “08.12.2015 MI”; diese Angabe indes erlaubt keinen beweiskräftigen Rückschluss auf die Zustellung des Schriftsatzes vom 30. November 2015, da die Datumsangabe lediglich mit dem Zeitpunkt der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens, nicht aber mit dem des Ausspruchs der Schriftsatzkündigung oder dem der Anordnung der Zustellung korrespondiert. Allenfalls eine derartige Übereinstimmung hätte Beweiserleichterungen zu Gunsten der Klägerin gerechtfertigt.

Im Übrigen war das Urteil gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Antrag der Beklagten aufzuheben und der Rechtsstreit an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Danach darf das Berufungsgericht die Sache unter Aufhebung des Urteils zurückzuverweisen, soweit das Verfahren des ersten Rechtszugs an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieser Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Das angefochtene Urteil beruht hinsichtlich der noch allein in Frage stehenden Kündigung vom 26. April 2016 in mehrfacher Hinsicht auf einer fehlerhaften Behandlung des Parteivorbringens durch das Amtsgericht, da es zwischen den Parteien streitige Tatsachen als unstreitig behandelt und eindeutiges Parteivorbringen offensichtlich sachwidrig und damit objektiv fehlerhaft gewürdigt hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7. April 1981 – 2 BvR 911/80, BVerfGE 57, 42; Heßler, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 538 Rz. 18 m. w. N.):

Das Amtsgericht hat die Räumungsverurteilung der Beklagten – auch ausweislich der Gliederung der Entscheidungsgründe – unmissverständlich auf die Kündigung vom 10. Juli 2015 gestützt; soweit die Entscheidungsgründe auch Ausführungen zu den übrigen Kündigungen enthalten, handelt es sich um hypothetische Erwägungen und damit um bloße obiter dicta. Das gilt insbesondere für die Kündigung vom 26. April 2016, hinsichtlich derer die Entscheidungsgründe lediglich Ausführungen zum Zahlungsverhalten der Beklagten, nicht jedoch zur Wirksamkeit der Kündigung und einer daraus folgenden Beendigung des Mietverhältnisses enthalten. Das beruht auf einem Verfahrensfehler, da das Amtsgericht bereits die Kündigung vom 10. Juli 2016 für begründet erachtet hat, ohne den Vortrag der Beklagten zur beanstandungsfreien Dauer des bisherigen Mietverhältnisses und zu einer nachträglichen Fälligkeitsabrede nach Zugang der Abmahnung vom 12. Mai 2015 zu berücksichtigen. Das indes wäre zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beklagten geboten gewesen. Denn die Beklagte hatte den für die Wirksamkeit der Kündigung erheblichen bisherigen störungsfreien Verlauf des Mietverhältnisses sowie die nachträgliche Fälligkeitsabrede mit Schriftsatz vom 17. März 2016 nicht nur hinreichend substantiiert, sondern – hinsichtlich der Fälligkeitsabrede – mit Schriftsatz vom 18. Mai 2016 auch unter Beweis gestellt. Das hätte mangels erheblichen Gegenvorbringens nicht nur die Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten zum bisherigen Verlauf des Mietverhältnisses, sondern für den Fall, dass das Amtsgericht diesen Vortrag für rechtlich unerheblich erachtet hätte, auch eine Beweiserhebung über die zwischen den Parteien streitige Fälligkeitsabrede erfordert. Die Beklagte hätte wegen ihrer nicht anders zu beseitigenden Beweisnot – ihrem Antrag entsprechend – entweder gemäß § 448 ZPO vernommen oder gemäß § 141 Abs. 1 ZPO angehört werden müssen (vgl. BAG, Beschl. v. 22. Mai 2007 – 3 AZN 1155/06, NJW 2007, 2427 Tz. 17). Ob etwas anderes gegolten hätte, wenn der Beklagten zumindest ein “gegnerischer Zeuge” für die behauptete Abrede zur Verfügung gestanden hätte (vgl. BAG, a.a.O.), bedurfte keiner Entscheidung. Denn der Beklagten stand – und steht – bislang weder ein eigener noch ein gegnerischer Zeuge für die von ihr behauptete Abrede zur Verfügung.

Diese Verfahrensmängel sind angesichts der auch für die Kündigung vom 26. April 2016 erheblichen Beweisantritte der Beklagten erheblich, da der insoweit schlüssige Kündigungsvorwurf anhaltender unpünktlicher Mietzahlung trotz vorangegangener Abmahnung und einschlägiger, aber unwirksamer Kündigung nur durchgreifen kann, wenn die Parteien die von der Beklagten behauptete Abrede nicht getroffen hätten. Darüber ist nunmehr umfänglich Beweis – und womöglich Gegenbeweis – zu erheben. Die Kammer hat das ihr insoweit gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO eingeräumte Ermessen hinsichtlich einer eigenen Sachentscheidung oder einer Aufhebung und Zurückverweisung (vgl. BGH, Urt. v. 5. Juli 2011 – II ZR 188/09, NJW-RR 2011, 1365 Tz. 7) mit dem sich aus dem Tenor ersichtlichen Ergebnis ausgeübt. Eine Aufhebung und Zurückverweisung war hier wegen des Aufwands und Umfangs der durchzuführenden Beweisaufnahme nicht nur gerechtfertigt, sondern trotz der mit einer Aufhebung und Zurückverweisung für die Parteien verbundenen Nachteile geboten (vgl. BGH, a. a. O.). Die Beweise werden nunmehr im ersten Rechtszug durch das Amtsgericht zu erheben sein.

Für den Fall, dass der Beklagten der Beweis der behaupteten Abrede nicht gelingen sollte, wird das Amtsgericht bei der zu treffenden Gesamtabwägung zu berücksichtigen haben, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Prozessvortrag der Klägerin und der Inhalt der Kündigungserklärung vom 26. April 2016, soweit beide einen angeblichen mehrmonatigen Zahlungsausfall und -verzug der Beklagten zum Gegenstand haben, aufgrund eines womöglich vorsätzlich oder fahrlässig nachlässigen Prozessverhaltens der Klägerin dem tatsächlichen Geschehensverlauf nicht entsprachen. Das wäre – gegebenenfalls im Rahmen einer weiteren Beweiserhebung – aufzuklären, da ein unredliches Prozessverhalten der Klägerin vor und bei Ausspruch der Kündigung vom 26. April 2016 die aus der bloßen Unpünktlichkeit der Mietzahlung resultierende Pflichtverletzung der Beklagten als derart geringfügig erscheinen ließe, dass sie ohne das Hinzutreten weiterer – und hier nicht gegebener – gewichtiger Umstände nicht geeignet wäre, ihrem unpünktlichen Zahlungen das für die Kündigung des Mietverhältnisses hinreichend erhebliche Gewicht zu verleihen (vgl. Kammer, Urt. v. 6. Oktober 2016 – 67 S 203/16, juris Tz. 18). Soweit die Kündigung vom 26. April 2016 auf einen anhaltenden Zahlungsverzug in Höhe von drei Monatsmieten gestützt ist, hat das Amtsgericht davon auszugehen, dass ein entsprechender Zahlungsrückstand weder bei Ausspruch noch bei Zugang der Kündigung bestand, nachdem die Klägerin ihren bisherigen Sachvortrag auf Befragen der Kammer fallen gelassen und erklärt hat, dass ihr die streitgegenständlichen Zahlungen bereits vor Ablauf des Jahres 2015 zugeflossen seien.

Die auch im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung zu treffende Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 713 ZPO (vgl. Heßler, a. a. O., § 538 Rz. 59)

Gründe, die Revision zuzulassen, bestanden gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht.

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