1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Heilbronn vom 16.06.2023, Az. 3 M 1182/23, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Schuldner wendet sich mit seiner am 23. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Juni 2023, durch welchen sein Antrag vom 3. Februar 2023 auf Räumungsschutz zurückgewiesen wurde.
Der Schuldner wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 1. April 2022 zur Räumung und Herausgabe der von ihm alleine bewohnten Zweizimmermietwohnung im 2. OG links des Gebäudes K. Straße … in H. verurteilt.
Einen Antrag des Schuldners auf Räumungsschutz gemäß § 765a ZPO wies das Amtsgericht Heilbronn (Az. 3 M 3625/22) mit Beschluss vom 9. Juni 2022 zurück.
Am 3. Februar 2023 stellte der Schuldner einen weiteren Räumungsschutzantrag (Az. 3 M 1182/23). Der Gläubiger beantragte die Zurückweisung des Antrags. Das Amtsgericht stellte daraufhin mit Beschluss vom 15. Februar 2023 die Zwangsvollstreckung einstweilen bis zum 15. Mai 2023 ein. Mit Beweisbeschluss vom 2. März 2023 ordnete es die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Behauptung, die weitere Durchführung des Zwangsvollstreckungsverfahrens bedeute für den Schuldner eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für Leib und Leben, also sogar die Möglichkeit des Todes, es bestehe die Möglichkeit einer suizidalen Handlung, an. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde mit Beschluss vom 3. Mai 2023 verlängert bis 31. Juli 2023.
Vom 15. Juni 2023 datiert das schriftliche Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. A.
Sogleich nach dessen Eingang beim Amtsgericht hob das Amtsgericht mit Beschluss vom 16. Juni 2023 die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auf und wies, ohne den Parteien die Möglichkeit einer Stellungnahme zu dem Gutachten einzuräumen, den Antrag des Schuldners vom 3. Februar 2023 auf Räumungsschutz zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Amtsgericht aus, nach dem Gutachten habe keine akute Suizidalität festgestellt werden können. Laut Gutachter bestünden derzeit keine suizidalen Neigungen. Durch das Gutachten sei somit gerade nicht festgestellt, dass im Fall einer Räumung akute Suizidgefahr bestehe. Eine akute Gefahr für Leib und Leben sei nicht nachgewiesen. Der Schuldner befinde sich derzeit nicht in psychiatrischer Behandlung, vielmehr lehne er diese offensichtlich ab. Grundsätzlich erscheine eine psychiatrische Behandlung und die Gabe von Antidepressiva jedoch sinnvoll. Eine entsprechende Therapie könne innerhalb einiger Monate durchaus zu einer Besserung der depressiven Symptomatik führen.
Es seien somit keine Gründe ersichtlich, die eine sittenwidrige Härte darstellen. Es überwögen die schutzwürdigen Interessen der Gläubigerpartei. Mit den Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringe, müsse sich der Schuldner grundsätzlich abfinden, also auch mit der übergangsweisen Unterbringung in einer Notunterkunft, sofern er bis zur Räumung keinen Ersatzwohnraum finden oder bei Freunden unterkommen könne.
Der Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Juni 2023 wurde dem Schuldner am 20. Juni 2023 zugestellt. Mit am 23. Juni 2023 eingegangenen Schriftsatz vom 21. Juni 2023 legte der Schuldner Beschwerde gegen den Beschluss vom 16. Juni 2023 ein. Zur Begründung führt er aus, der Gutachter habe nur knapp 30 Minuten eine „löchrige“ Anamnese durchgeführt. Es lägen Abschiedsbriefe an die Presse und andere Personen vor. Das Tötungsmittel Natrium-Pentobarbital 15 Gramm liege griffbereit. Dem Vermieter sei die ausstehende Summe von ca. 1.500,00 € in bar angeboten worden. Dieser habe aber abgelehnt. Er – der Schuldner – sei der am längsten in dem Haus wohnende Mieter und habe bis zum heutigen Tag jeden Monat die Miete überpünktlich bezahlt. Der Vermieter, der sich nicht im Geringsten um sein Anwesen kümmere, sei offensichtlich „machttechnisch höher eingestuft“.
Sollte das Gericht das Verfahren nicht in Gänze einstellen, werde er, der Schuldner, sich das Leben nehmen. Das Gericht werde in vollem Umfang für den Tod eines Menschen verantwortlich gemacht. Abschiedsbriefe an die entsprechenden Stellen seien vorbereitet. Der akut suizidgefährdete Schuldner habe Pflegegrad 1, derzeit Diarrhoe und sei zum Tragen von Erwachsenenwindeln gezwungen. Wegen der Nebenwirkungen stärkster Schmerzmittel (Fentanyl) sei er fast den ganzen Tag an und in seinem Pflegebett gebunden. Er sei Diabetiker, Rentner und habe einen GdB von mittlerweile „90“ mit dem Merkzeichen „G“. Beantragt seien die Merkzeichen „B“ und „aG“. Der „im Schlabberlook“ auftretende Sachverständige, der ihm erstmal befohlen habe, die Fenster zu öffnen und den Fernseher auszuschalten, habe keinen Anstand, keinen Charakter und schon gar keinen Respekt.
Der Schuldner trägt weiter vor, sein Leben habe durch seine sehr schwere Krankheit sowieso keinen Sinn mehr, er habe keine Freude mehr am Leben, und die Räumung wäre der Gipfel und der letzte Tropfen, der seinen Entschluss nicht mehr umkehren lasse.
Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2023 an das Amtsgericht führt der Schuldner aus, im Übrigen ergebe sich aus dem Gutachten, dass eine Suizidgefahr tatsächlich doch vorliege. Der Gutachter formuliere auch, dass seine Absicht, Suizid zu begehen, durchaus ernst zu nehmen sei. Bei einer drohenden Räumung werde der Gerichtsvollzieher ihn tot in seiner Wohnung auffinden. Menschen wie er, der Schuldner, seien früher im KZ Sachsenhausen zu Tode gebracht worden.
Mit weiteren Schriftsätzen legte der Schuldner diverse ärztliche und pflegerische Unterlagen vor.
Für den Schuldner legitimierte sich mit Schriftsatz vom 14. Juli 2023 Rechtsanwalt C. aus H., der mit Schriftsatz vom 10. August 2023 unter anderem ausführte, der Gutachter widerspreche in seinem Gutachten selbst seiner Einschätzung, dass derzeit keine suizidalen Neigungen bestünden. Verwiesen wird zudem auf ein Schreiben des Gerichtsvollziehers Z. vom 17. Juli 2023 und dessen Aktenvermerk vom 21. Februar 2023, die die Suizidgefahr belegten.
In der Folgezeit hat der Schuldner auch persönlich noch mit mehreren weiteren Schriftsätzen Stellung genommen.
Der Gläubiger beantragt mit Anwaltsschriftsatz vom 28. Juni 2023 die Zurückweisung der Beschwerde. Mit Schriftsätzen vom 12. Juli 2023 und vom 19. Juli 2023 nahm er zu dem Sachverständigengutachten und den vom Schuldner vorgelegten ärztlichen Unterlagen Stellung.
Auf die genannten sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien wird wegen der Einzelheiten verwiesen.
Das Amtsgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 30. Juni 2023 nicht ab.
Im Beschwerdeverfahren wurde mit Beschluss vom 28. August 2023 die Einholung eines ergänzenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. A. angeordnet. Der Sachverständige legte seine ergänzende psychiatrische gutachterliche Stellungnahme mit Datum vom 18. September 2023 vor. Das Beschwerdeverfahren wurde mit Beschluss vom 13. Oktober 2023 auf die Kammer übertragen. Auf Antrag des Schuldnervertreters wurde der Sachverständige mündlich angehört. Insoweit wird auf das Protokoll vom 7. Dezember 2023 verwiesen nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
1.
Das als „Beschwerde“ bezeichnete Rechtsmittel des Schuldners ist als sofortige Beschwerde gemäß §§ 793, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft.
Sie wurde fristgerecht innerhalb der Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 569 Abs. 1 S. 1 u. 2 ZPO beim Amtsgericht eingelegt.
Das Rechtsmittel wurde formgerecht eingelegt. Die Einlegung der sofortigen Beschwerde unterliegt nicht dem Anwaltszwang, vgl. §§ 569 Abs. 3 Nr. 1, 78, 79 ZPO.
2.
Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung von weiterem einstweiligen oder dauerhaften Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO liegen nicht vor.
a)
Das Vollstreckungsgericht kann gemäß § 765a ZPO auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Vollstreckungsschutz kommt also nur in Betracht, wenn die konkrete Zwangsvollstreckungsmaßnahme für den Schuldner eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Dabei ist § 765a ZPO als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach dieser Norm setzt voraus, dass im Einzelfall das Vorgehen unter Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich der Schuldner abfinden. Daher begründet der Umstand, dass die Zwangsvollstreckung überhaupt durchgeführt wird und die Maßnahme einen erheblichen Eingriff in den Lebenskreis des Schuldners bewirkt, noch keine Härte im Sinne des § 765a ZPO.
Zugunsten des Schuldners zu berücksichtigende Umstände können sich aus dessen Person ergeben, beispielsweise eine konkrete Suizidgefahr, hohes Alter, Krankheit, körperliche oder psychische Gebrechen. Die Frage, ob die Umstände auf ein schuldhaftes Verhalten zurückzuführen sind, sind grundsätzlich nicht zu prüfen. Allerdings kann dies bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen. Umstände, die der Schuldner bewusst herbeigeführt hat, um die Vollstreckung zu vereiteln, haben kaum noch Gewicht (so Ulrici in BeckOK ZPO, Stand: 1.7.2023, § 765a Rn. 12) oder sind bei Abwägung nicht zu berücksichtigen (so Heßler in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., § 765a Rn. 26; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., § 765a Rn. 6).
Bei der gebotenen Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Schuldners und des Gläubigers kommt den Interessen des Gläubigers, wie schon der Wortlaut des § 765a ZPO zum Ausdruck bringt, ein vorrangiges Gewicht zu, denn das Gläubigerrecht ist im Erkenntnisverfahren vollstreckbar festgestellt und als gerechtfertigt anerkannt worden. Das Bedürfnis, den Schuldner vor der Härte einer Vollstreckungsmaßnahme zu schützen, muss daher eindeutig und wesentlich stärker als das Interesse der Gläubigerseite an der grundsätzlich berechtigten Durchsetzung ihres Rechts sein (vgl. LG Stuttgart, Beschluss vom 5. Dezember 2017 – 19 T 460/17). Voraussetzung für die Anwendung des § 765a ZPO ist deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde, dass die Zwangsvollstreckungsmaßnahme des Gläubigers nach Abwägung der Belange von Gläubiger und Schuldner zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 1965 – V ZR 269/62, BGHZ 44, 138, juris Rn. 33; Beschluss vom 25. Juni 2004 – IXa ZB 267/03, juris Rn. 12; Beschluss vom 21. Dezember 2004 – IXa ZB 228/03, BGHZ 161, 371, juris Rn. 7; Beschluss vom 4. Mai 2005 – I ZB 10/05, BGHZ 163, 66, juris Rn. 16; Beschluss vom 22. März 2007 – V ZB 152/06 Rn. 23; Beschluss vom 14. Januar 2010 – I ZB 34/09 Rn. 7; Beschluss vom 20. Januar 2011 – I ZB 27/10 Rn. 6; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Mai 2015 – 1 BvR 163/15 Rn. 21).
In Zweifelsfällen gebührt den Interessen des Gläubigers der Vorrang. Dieser hat gemäß Art. 19 Abs. 4 GG einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2010 – V ZB 1/10 Rn. 10). Dazu gehört auch der Anspruch auf Durchsetzung titulierter Entscheidungen im Wege der Zwangsvollstreckung.
Allerdings haben die Vollstreckungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung der vollstreckungsrechtlichen Verfahrensvorschriften den Wertentscheidungen des Grundgesetzes Rechnung zu tragen und die einem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen, also auch das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und – in absoluten Ausnahmefällen – auf unbestimmte Zeit einzustellen ist. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. September 1997 – 1 BvR 1147/97, juris Rn. 6; Kammerbeschluss vom 16. August 2001 – 1 BvR 1002/01, juris Rn. 18; Kammerbeschluss vom 25. Februar 2014 – 2 BvR 2457/13 Rn. 9; BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – I ZB 11/23 Rn. 14).
Deshalb kommt eine Schutzmaßnahme nach § 765a ZPO in Betracht, wenn ein Suizid des Schuldners (oder – was vorliegend nicht zur Debatte steht – einer seiner mit ihm wohnenden Angehörigen) für den Fall der Räumung droht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG konkret zu besorgen ist und eine an dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientierte Abwägung zwischen den widerstreitenden, grundrechtlich geschützten Interessen der an der Vollstreckung Beteiligten zu einem Vorrang der Belange des Schuldners führt.
Zu beachten ist dabei, dass die Frage, ob eine Zwangsräumung zum Suizid des Schuldners führen kann, unabhängig davon beantwortet werden muss, ob die Suizidalität auf einer – psychischen oder sonstigen – Erkrankung oder auf anderen – persönlichkeitsbedingten – Ursachen beruht. Die Unfähigkeit, aus eigener Kraft oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation situationsangemessen zu bewältigen, verdient auch dann Beachtung, wenn ihr kein Krankheitswert zukommt. Die Einstufung eines drohenden Suizids als „Bilanzselbstmord“ ändert nichts daran, dass das Leben des Schuldners durch die bevorstehende Vollstreckungsmaßnahme konkret in Gefahr ist und diese Gefahr bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen Berücksichtigung finden muss (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. August 2001 – 1 BvR 1002/01, juris Rn. 21; s.a. Kammerbeschluss vom 2. Mai 1994 – 1 BvR 549/94, juris Rn. 15).
b)
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine zeitlich begrenzte oder – wie primär beantragt – dauerhafte Anordnung von Räumungsschutz gemäß § 765a ZPO nicht vor. Zwar bemängelt der Schuldner zu Recht die Verfahrensführung des Amtsgerichts. Dieser Verfahrensverstoß ist aber im Beschwerdeverfahren behoben worden (dazu sogleich unter aa). Für den Gläubiger streitet vor allem sein grundrechtlich geschütztes Eigentumsrecht sowie sein ebenfalls grundrechtlich geschütztes Vollstreckungsinteresse (dazu unter bb). Zugunsten des Schuldners sind vor allem dessen erhebliche krankheitsbedingte Einschränkungen zu berücksichtigen (dazu unter cc). Im Ergebnis sind die zugunsten des Schuldners zu berücksichtigenden Interessen nicht eindeutig und wesentlich stärker zu gewichten als die Interessen des Gläubigers (dazu unter dd).
aa)
Der Schuldner bemängelt zu Recht die Verfahrensweise des Amtsgerichts. Zwar hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten zur Frage eingeholt, ob die weitere Durchführung des Zwangsvollstreckungsverfahrens für den Schuldner eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für Leib und Leben darstellt. Es hat aber unmittelbar nach Eingang des Gutachtens den Räumungsschutzantrag des Schuldners zurückgewiesen, ohne den Parteien zuvor Möglichkeit zu geben, zu dem Gutachten Stellung zu nehmen. Damit wurde der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör missachtet.
Dieser Verfahrensverstoß genügt als solcher aber nicht, um die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Der Schuldner hatte – ebenso wie der Gläubiger – im Beschwerdeverfahren die Möglichkeit, zu dem Gutachten Stellung zu nehmen. Aufgrund des Vorbringens des Schuldners und seines Verfahrensbevollmächtigten wurde eine ergänzende schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen eingeholt. Zudem wurde der Sachverständige auf den Antrag der Schuldnerseite mündlich angehört.
Im Beschwerdeverfahren ist nunmehr unter Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstands über das Rechtsmittel zu entscheiden.
bb)
Zugunsten des Gläubigers ist dessen grundrechtlich geschütztes Eigentumsrecht an der streitgegenständlichen Mietwohnung und sein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz in Verbindung mit dem allgemeinen Vollstreckungsinteresse, also das Interesse an der Durchsetzung der titulierten Verpflichtung des Schuldners zur Räumung und Herausgabe der Mietwohnung, zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Räumungsanspruch des Gläubigers bereits am 1. April 2022 vom Amtsgericht tituliert wurde. Der Prozesskostenhilfeantrag des Schuldners zur Durchführung einer Berufung gegen dieses Urteil wurde am 26. Oktober 2022 zurückgewiesen. Auf den vom Schuldner Anfang Februar 2023 gestellten Räumungsschutzantrag wurde die Zwangsvollstreckung einstweilen bis zum 15. Mai 2023 eingestellt. Die einstweilige Einstellung wurde später bis zum 31. Juli 2023 verlängert.
cc)
Bei der Abwägung nach § 765a ZPO ist zugunsten des Schuldners zu berücksichtigen, dass dieser krank und gesundheitlich erheblich beeinträchtigt ist.
(1)
In dem – nicht datierten – Schreiben von Dr. B., dem Hausarzt des Schuldners, das dieser mit seinem Schriftsatz vom 8. Juli 2023 vorgelegt hat, werden die bereits bei Beginn der Behandlung durch Dr. B. im Oktober 2013 bestehenden Diagnosen wie folgt bezeichnet:
– Lumbal-Spinalkanalstenose ICD10 48.06
– PsoriasisI CD10 L40.9
– Obesitas (Adipositas) ICD10 E 66.99
– Cholecystolithiasis ICD10 K80.20
– reaktive Depression ICD10 F32.9
– arterielle Hypertonie ICD10 I10.00.
Hinzu kamen im Laufe der Jahre noch folgende Diagnosen:
– Multisegmentale Bandscheibenprotrusion L3/4/5 ICD10 M51.1
– Unterschenkelödeme ICD10 R60.0
– Pathologisches Nagelwachstum ICD10 L60.3
– Fettleberhepatitis ICD10 K75.8
– Chronisch unbeeinflussbarer Schmerz ICD10 R52.2
– Diabetische Polyneuropathie bei Diabetes mellitus Typ II ICD10 E10-14,G63.2
– Sonstige näher bezeichnete Polyneuropathie auf dem Boden des Diabetes mellitus ICD10 G62.88G
Teilweise finden sich diese Diagnosen auch in dem – ebenfalls nur auszugsweise vorgelegten – vorläufigen Entlassungsbrief des -Klinikums vom 29. Juni 2020.
Der Schuldner hat mit seinem Schriftsatz vom 8. Juli 2023 ferner ein ärztliches Attest von Dr. B. vom 3. März 2015 zur Vorlage beim Landessozialgericht vorgelegt. Darin ist unter anderem von einer reaktiven Depression die Rede, wobei auf der vorgelegten Kopie der diesbezügliche Zusatz „zur Zeit gering“ mit einem dicken Filzschreiber durchgestrichen wurde, aber gleichwohl erkennbar ist. In dem ärztlichen Attest vom 3. März 2014 zur Vorlage beim Sozialgericht H. findet sich diese Einschränkung nicht.
In dem mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2023 vorgelegten Arztschreiben der …klinik H. – dessen Datum allerdings nicht leserlich ist – finden sich folgende Diagnosen:
– Spinalkanalstenose ICD10 M48.09G mit Gangunsicherheit, auf UAGS angewiesen ICD10 G99.2G
– Innenmeniskusläsion rechts ICD10 M23.33RG
Der 196x geborene, sich also in einem mittleren Alter befindende Schuldner ist nach seinem eigenen Vorbringen in Pflegegrad 1 eingestuft. Dies ist der niedrigste Pflegegrad (vgl. § 61a Abs. 1 SGB XII) und deutet darauf hin, dass lediglich geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten des Schuldners vorliegen. Die Einstufung in Pflegegrad 1 ist in dem Pflegegutachten des MDK vom x. Mai 2023, das vom Schuldner mit Schriftsatz vom 8. Juli 2023 allerdings nur auszugsweise vorgelegt wurde, soweit ersichtlich nochmals bestätigt worden (in dem MDK-Gutachten vom x. Oktober 2019 war offensichtlich noch keine Pflegestufe empfohlen worden). Allerdings ist der Schuldner schwerbehindert. Seit dem y. Mai 2023 beträgt der Grad der Behinderung (GdB) 90. Im Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen G angegeben. Dies bedeutet „erhebliche Gehbehinderung“.
(2)
Einer besonderen Beachtung bedürfen die psychischen Erkrankungen.
Nach den Feststellungen des dem Gericht aus zahlreichen Verfahren als erfahren, kompetent und zuverlässig bekannten Sachverständigen Dr. A., der als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und forensische Psychiatrie zweifelsohne die fachlichen Voraussetzungen für eine sachverständige Beurteilung besitzt, leidet der Schuldner unter einer rezidivierenden depressiven Störung, wobei von einer leichten depressiven Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode auszugehen ist (ICD 10 F33.00). Dies ergibt sich aus seinem schriftlichen Gutachten vom 15. Juni 2023, der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme vom 18. September 2023 und seinen ergänzenden mündlichen Ausführungen vom 7. Dezember 2023. Die Kriterien für das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode wurden nicht in vollem Umfang erfüllt. Eine schwere depressive Episode lag, wie der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, nicht vor. Andere psychiatrische Erkrankungen ließen sich nicht feststellen.
Ungeachtet der depressiven Erkrankung haben sich – so der Sachverständige in dem Gutachten vom 15. Juni 2023 – beim Schuldner keine Anhaltspunkte für eine akute Suizidalität ergeben. Allerdings entstand beim Sachverständigen der Eindruck, wie ebenfalls im Gutachten vom 15. Juni 2023 ausgeführt wird, dass die vom Schuldner geschilderte Absicht, sich im Falle einer bevorstehenden und feststehenden Räumung das Leben nehmen zu wollen, durchaus ernst gemeint war.
In der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen vom 18. September 2023 hat dieser die Ausführungen bestätigt und den von Schuldnerseite erhobenen Vorwurf eines Widerspruchs zurückgewiesen. Die Aussagen stehen, wie der Sachverständige nochmals bei seiner Anhörung am 7. Dezember 2023 erläutert hat, nicht im Widerspruch zueinander.
Die im Beschwerdeverfahren vom Schuldner vorgelegten Unterlagen (sozialmed. Gutachten, Pflegegutachten, Schreiben von Dr. B. vom 23. Februar 2023 und weitere medizinische Unterlagen, Gutachten DRV) lieferten, so der Sachverständige, keine relevanten zusätzlichen Informationen.
(3)
Die Kammer geht somit nach eigener Überzeugungsbildung aufgrund der sachverständigen Begutachtung davon aus, dass beim Schuldner neben den dargelegten körperlichen Erkrankungen und Beeinträchtigungen eine rezidivierende depressive Störung vorliegt, wobei allenfalls eine leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode, vorlag. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen war eine akute Suizidalität nicht erkennbar. Dies steht nicht im Widerspruch zu der Feststellung des Sachverständigen, dass die auch ihm gegenüber vom Schuldner geschilderte Absicht, sich im Falle einer bevorstehenden Räumung das Leben nehmen zu wollen, durchaus ernst gemeint sei.
Die vom Schuldner in seinen persönlich verfassten Schriftsätzen geäußerte, teilweise unsachlich gehaltene Kritik an dem Sachverständigen, verbunden mit Angriffen ad personam (z.B. „Schlabberlook“, „kein Anstand, kein Charakter und schon gar kein Respekt“, „höchst diskriminierend und verachtend sowie herablassend“) vermag die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen nicht in Frage zu stellen.
(4)
Die Ausführungen des Schuldners im Schriftsatz vom 27. Dezember 2023 machen nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich.
Das mit dem Schriftsatz vorgelegte ärztliche Attest des Hausarztes Dr. B. vom 21. Dezember 2023 enthält keine neuen Erkenntnisse gegenüber denjenigen Tatsachen, die bereits den Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung am 7. Dezember 2023 zugrunde lagen. In dem neuerlichen Attest vom 21. Dezember 2023 wird ausgeführt, beim Schuldner liege „mit Sicherheit eine leichte bis mittelgradige depressive Episode ICD 10 F33.00“ vor. Dies entspricht der Bewertung des Sachverständigen Dr. A. im schriftlichen Gutachten vom 15. Juni 2023. Ebenfalls bereits bekannt ist, dass der Hausarzt Dr. B. dem Schuldner am 12. Oktober 2023 eine Überweisung für eine psychiatrische/psychotherapeutische Mit- und Weiterbehandlung ausgestellt hat. Dies war bereits mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2023 vorgetragen worden. Der Überweisungsschein war mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2023 vorgelegt worden. Soweit Dr. B. in dem Attest vom 21. Dezember 2023 ausführt, er könne nicht sagen, ob diese Behandlung stattgefunden habe, ein fachärztlicher Befund liege ihm nicht vor, ergeben sich daraus keine weitergehenden Informationen, die die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich machen würden. Dem Attest ist im Übrigen nicht zu entnehmen, dass Dr. B. den Schuldner nach der Erstellung des Attests vom 5. Dezember 2023, vorgelegt mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2023, untersucht und dabei neue oder weitergehenden Feststellungen getroffen hat. Soweit in dem Attest ausgeführt wird, es sei in den letzten Monaten aufgrund des drohenden Verlusts seiner Wohnung zu einer Verschlechterung der depressiven Stimmungslage gekommen, sodass eine fachärztliche/psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung als indiziert schien, gibt dies ersichtlich den Befund wieder, der zur Ausstellung der Überweisung am 12. Oktober 2023 geführt hat.
Ob sich der Schuldner zwischenzeitlich in psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlung begeben hat, ist nicht bekannt. Der Schuldner hat nicht vorgetragen, dass er sich bereits in eine entsprechende Behandlung begeben hätte, oder dass er sich zwar um einen Termin bemüht, einen solchen bislang aber nicht erhalten habe. Fest steht allerdings, dass der Schuldner in der Vergangenheit eine psychiatrische Behandlung abgelehnt hatte. Dies hat der Schuldner selbst auch so gegenüber dem Sachverständigen angegeben (vgl. S. 7 des Gutachtens vom 15. Juni 2023). Auch soweit der Schuldnervertreter den Schuldner im Termin am 7. Dezember 2023 suggestiv fragte, ob er der Ansicht sei, dass sich sein psychiatrischer Zustand seit der Untersuchung durch Dr. A. im Sommer verschlechtert habe, was der Schuldner lapidar mit „Bestimmt“ beantwortete, ergibt sich daraus keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten einzuholen. Es gibt keine konkreten Anknüpfungstatsachen, die über die bereits erfolgte ausführliche Begutachtung hinaus eine erneute psychiatrische Begutachtung veranlassen könnten.
Soweit im Schriftsatz vom 27. Dezember 2023 ein Arztschreiben der …klinik aus H. vorgelegt, in welchen vom einem kernspintomographischen Nachweis einer Innenmeniskusläsion mit Ergussbildung die Rede ist, wird nicht vorgetragen, von wann dieses Arztschreiben datiert. Die Datumsangabe in dem Schreiben ist nicht vollständig leserlich. Ersichtlich ist aus der nicht vollständig erkennbaren Datumsangabe lediglich, dass es sich um kein Schreiben handelt, das erst kurz vor oder erst nach dem Verhandlungstermin vom 7. Dezember 2023 angefertigt worden ist.
Die Ausführungen des Schuldnervertreters im Schriftsatz vom 19. Januar 2024 geben ebenfalls keine Veranlassung zu einer weiteren Beweiserhebung.
Es besteht auch keine Veranlassung zur Einholung eines kardiologischen Sachverständigengutachtens. Zwar hat der Sachverständige Dr. A. bei seiner Anhörung zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beantwortung der Frage, ob im Hinblick auf das Vorhofflimmern im Zusammenhang mit der Stresssituation, die eine Räumung für den Schuldner bedeuten würde, mit einer Verschlimmerung des bisherigen Krankheitsbildes zu rechnen sei, nicht in sein Fachgebiet falle. Es kann jedoch bereits nicht davon ausgegangen werden, dass der Schuldner unter einem Vorhofflimmern leidet. In den Attesten und Schreiben des Hausarztes Dr. B. ist von einem Vorhofflimmern nicht die Rede. Der Schuldner stützt sich insofern auf ein Gutachten der Deutschen Rentenversicherung. Dieses Gutachten, das wohl vom 11. September 2019 datiert, ist aber nicht vollständig vorgelegt worden. Vorgelegt wurde vielmehr nur die Seite 7 von insgesamt wohl 12 Seiten. Es ist daher bereits nicht nachvollziehbar, auf welchen Informationen die dortige Angabe „Vorhofflimmern“ unter „Weitere Diagnosen“ stammt. Wenn das Gutachten bereits aus dem Jahr 2019 stammt, wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Schuldner in der Folgezeit deswegen in haus- oder fachärztliche Behandlung begeben hat, und dass die Diagnose auch in den Attesten seines Hausarztes Dr. B. angegeben wird. Dies ist aber nicht der Fall. Die Einholung eines kardiologischen Gutachtens ist daher nicht veranlasst.
(5)
Soweit der Schuldner Ausführungen zu dem Mietverhältnis macht, insbesondere zur Dauer des Mietverhältnisses, seinen pünktlichen Mietzahlungen oder zur angeblichen Vernachlässigung des Mietshauses durch den Gläubiger, handelt es sich um Gesichtspunkte, die im vorliegenden Zwangsvollstreckungsverfahren überwiegend nicht zu berücksichtigen sind und insbesondere nicht geeignet sind, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu rechtfertigen.
Lediglich die Dauer des Mietverhältnisses kann bei der Frage der Schutzbedürftigkeit des Mieters eine Rolle spielen. Das Mietverhältnis des Schuldners hat, wie aus dem Erkenntnisverfahren gerichtsbekannt ist, am 1. November 2007 begonnen, auch wenn damals noch nicht der Gläubiger der Vermieter war. Der Schuldner wohnt also seit mittlerweile gut 16 Jahren in der verfahrensgegenständlichen Wohnung. Allerdings hat der Schuldner keine Umstände vorgetragen, die auf seine besondere Verwurzelung im Umfeld des Mietobjekts schließen lassen könnten.
dd)
Die Abwägung der widerstreitenden Interessen des Schuldners und des Gläubigers führt zu dem Ergebnis, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, insbesondere auch die der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners zwar erheblich sind, aber nicht ersichtlich schwerer wiegen als die Belange des Gläubigers.
(1)
Der Schuldner leidet, wie sich aus den Ausführungen unter cc) ergibt und wie die Kammer nicht verkennt, unter diversen Krankheiten, die mit erheblichen Beschwerden einhergehen und die Einnahme von verschiedenen Medikamenten erforderlich machen. Verwiesen wird insoweit auf den vom Schuldner vorgelegten Medikationsplan, der allerdings vom 2. Juni 2022 stammt und somit bereits 18 Monate alt ist. Hervorzuheben ist die Notwendigkeit der Behandlung des Diabetes mit Insulin sowie die Gabe des starken Schmerzmittels Fentanyl in Pflasterform. Wegen dieser Beeinträchtigungen ist der Schuldner in Pflegegrad 1 eingestuft. Er ist ferner schwerbehindert mit einem GdB von 90 sowie dem Merkzeichen G.
Neben den verschiedenen körperlichen Erkrankungen leidet der Schuldner unter einer rezidivierenden depressiven Störung. Allerdings kann beim Schuldner weder von einer schweren depressiven Episode noch von einer akuten Suizidalität ausgegangen werden.
(2)
Bezüglich der körperlichen Erkrankungen ist nicht ersichtlich, dass sich diese infolge der Zwangsvollstreckung, konkret der Räumung der Mietwohnung, verschlechtern würden.
Soweit nach den Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen ist, dass die vom Schuldner sowohl dem Sachverständigen gegenüber als auch in Schriftsätzen an das Vollstreckungsgericht sowie an das Beschwerdegericht mehrfach geäußerte Absicht, sich im Falle einer bevorstehenden und feststehenden Räumung das Leben nehmen zu wollen, durchaus ernst gemeint ist, kann die Kammer aber bereits nicht die Überzeugung gewinnen, dass dies ursächlich auf der depressiven Störung des Schuldners beruht. Der Sachverständige hat dies nicht bestätigen können.
Richtig ist zwar, wie oben unter a) dargelegt worden ist, dass eine Suizidalität des Schuldners ungeachtet der Frage, ob diese auf einer psychischen oder sonstigen Erkrankung oder auf anderen Ursachen beruht, wegen der damit einhergehenden Gefahr für das Leben des Schuldners bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen ist. Dies bedeutet indes nicht, dass eine Suizidalität des Schuldners gleichsam zwangsläufig zu einer – zeitweisen oder dauerhaften – Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 765a ZPO führen muss (vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – I ZB 11/23 Rn. 19). Zu berücksichtigen ist dabei auch, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen der Schuldner ergriffen hat, um dieser Gefahr für sein Leben zu begegnen. Wenn ein Schuldner zumutbare Maßnahmen nicht ergreift, ist dies durchaus bei der Abwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen.
Vorliegend ist daher von wesentlicher Bedeutung bei der vorzunehmenden Abwägungsentscheidung, dass der Schuldner einerseits seine Suizidabsichten als wesentliches Argument für die von ihm begehrte vollständige Einstellung der Zwangsvollstreckung ins Feld führt, andererseits aber eine Behandlung gegen die Depression über lange Zeit ausdrücklich abgelehnt hat. Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2023 führte er aus, er habe „eine Depression- und Psychobehandlung schon im Jahre 2011“ hinter sich gebracht. Konkret führt er aus, eine vierwöchige Teilnahme an einem Seminar mit Gruppengesprächen etc. habe keinen Erfolg bei ihm gehabt. Deswegen, so der Schuldner in dem Schriftsatz weiter, lehne er eine Medikation gegen seine Depression bis heute ab. Im Gutachten des Sachverständigen vom 15. Juni 2023 heißt es im Rahmen der Angaben des Schuldners auf Seite 7 unten:
„In psychiatrischer Behandlung sei er nicht und auch nie gewesen. Dies wolle er nicht. Da gehe er nicht hin, auch nicht in ein Krankenhaus.“
Erstmals im Schriftsatz des Schuldnervertreters vom 11. Oktober 2023 wird ausgeführt, der Schuldner habe am 12. Oktober 2023 einen Termin bei seinem Hausarzt für eine Besprechung und eine Überweisung zu einem Psychologen wegen einer Therapie zur Minimierung der Suizidgefahr. Ein Überweisungsschein an Psychiatrie/Psychotherapie wurde mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2023 vorgelegt. Darin ist als Diagnose/Verdachtsdiagnose angegeben:
„(R45.8) Suizidgedanken“
Bei der Abwägung im Rahmen des § 765a ZPO ist das Verhalten des Schuldners zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Eine mehr als ein Jahrzehnt zurückliegende, angeblich erfolglose Behandlung wegen Depression rechtfertigt nicht, eine Behandlung gegen die auch vom Gerichtssachverständigen festgestellte Depression abzulehnen. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten ausdrücklich aus, dass eine psychiatrische Behandlung und die Gabe von Antidepressiva sinnvoll erscheinen. Bei einer entsprechenden Therapie kann es, so der Sachverständige, innerhalb einiger Monate durchaus zu einer Besserung der depressiven Symptomatik kommen. Es hätte also eine Verbesserung der depressiven Symptomatik des Schuldners herbeigeführt werden können, wenn dieser sich bereits früher in entsprechende fachärztliche Behandlung geben hätte. Wie dargelegt wurde, lag diese Diagnose bereits bei Beginn der Behandlung durch den Hausarzt im Jahr 2013 vor. Im vorläufigen Entlassungsbrief des Klinikums Y. vom 29. Juni 2020 wird eine Depression nach psychiatrischer Vorstellung ebenfalls unter den Diagnosen aufgeführt. Gleichwohl hat sich der Schuldner erst im Oktober 2023 bei seinem Hausarzt um eine Überweisung zu einem Facharzt bemüht.
Widerlegt ist die Behauptung des Schuldners in seinem Schriftsatz vom 21. Juli 2023, weil er schon zu viele und zu starke Medikamente einnehme, wären Medikamente gegen die Depression kontraindiziert und die Nebenwirkungen schädlicher. Bei seiner mündlichen Anhörung bestätigte der Sachverständige, dass es im Bereich der Antidepressiva diverse Medikamente, auch mit unterschiedlichen Wirkstoffen gibt. So kommt es beispielsweise in der Gerontopsychiatrie häufig vor, dass neben psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen zahlreiche andere körperliche Erkrankungen vorliegen, so dass zahlreiche Medikamente eingenommen werden müssen. Ein Psychiater könnte daher durchaus unter Berücksichtigung der körperlichen Erkrankungen des Schuldners und der Medikamente, die er deswegen einnehmen muss, eine geeignete Therapie und Medikation wegen der Depression des Schuldners ausarbeiten und verordnen. Insbesondere die Einnahme von Fentanyl steht einer auch medikamentösen Behandlung der Depression des Schuldners nicht entgegen.
Soweit die Suizidgedanken auf der rezidivierenden depressiven Störung des Schuldners beruhen, hätte dieser sich deswegen in fachärztliche und psychotherapeutische Behandlung begeben können. Eine solche Behandlung wäre auch zumutbar. Insbesondere kann der Schuldner eine Behandlung nicht unter Hinweis auf eine angeblich erfolglose Behandlung im Jahr 2011 oder auch angebliche erhebliche negative Wechselwirkungen von Antidepressiva mit anderen Medikamenten, die er einnehmen muss, als unzumutbar darstellen. Wenn der Schuldner gleichwohl von einer Behandlung absieht, ist dies zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die fehlende Behandlungseinsicht des Schuldners selbst eine Folge der depressiven Störung ist.
Es ist anerkannt, dass ein Vollstreckungsschuldner selbst dazu beizutragen hat, dass die Gefahren für Leben und Gesundheit, deren grundrechtlicher Schutz im Rahmen der Abwägung nach § 765a ZPO zu beachten ist, gemindert oder beseitigt werden (vgl. z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Januar 1992 – 1 BvR 1466/91, juris Rn. 16; Kammerbeschluss vom 12. Februar 1993 – 2 BvR 2077/92, juris Rn. 22; Kammerbeschluss vom 25. September 2003 – 1 BvR 1920/03, juris Rn. 15; s.a. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – I ZB 11/23 Rn. 20 und aus der Instanzrechtsprechung LG München I, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 14 T 16334/18, juris Rn. 27). Vom Schuldner kann und muss verlangt werden, daran mitzuwirken, dass sich das geltend gemachte Risiko nicht erhöht.
Diese Mitwirkung hat der Schuldner in der Vergangenheit ausdrücklich verweigert. Stattdessen instrumentalisiert er den für den Fall der drohenden Räumung angekündigten Suizid und will damit eine dauerhafte Einstellung der Zwangsvollstreckung erzwingen. Ein solches Verhalten ist rechtsmissbräuchlich. Der Schuldner versucht auf diese Weise, das Gericht zur Bejahung eines Härtegrunds im Sinne des § 765a ZPO zu zwingen, anstatt Maßnahmen zu ergreifen, um den von ihm angekündigten Suizid zu verhindern. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt grundlegend von demjenigen, welcher der von der Schuldnerseite zitierten Entscheidung des LG München I zugrunde lag (Beschluss vom 13. Februar 2019 – 14 T 16334/18, juris Rn. 27). Dort befand sich die Schuldnerin seit 40 Jahren wegen ihrer depressiven Symptomatik in Behandlung. Weitergehende ambulante oder stationäre Behandlungsmöglichkeiten standen dort – anders als hier – nicht mehr zur Verfügung. Die Instrumentalisierung ergibt sich aus den schriftsätzlichen Ausführungen des Schuldners. So verweist der Schuldner in der Beschwerdeschrift vom 21. Juni 2023 auf das angebliche „Vorhandensein von Abschiedsbriefen an Presse und andere Personen“ und betont, das „Tötungsmittel Natrium-Pentobarbital 15 Gramm“ sei „griffbereit“. Der Schuldner, der sich in der Beschwerdeschrift als „der akut suizidgefährdete O. X.“ (Hervorhebung im Original) bezeichnet, hält daran fest,
„daß der Antragsteller, O. X., sollte das Gericht dieses Verfahren nicht in Gänze einstellen, sich das Leben nehmen wird und das Gericht in vollem Umfang für den Tot eines Menschen für 1500,- € (Streitwert) verantwortlich gemacht werden wird! Abschiedsbriefe sind an die dementsprechende Stellen, mit den notwendigen Kopien von Gerichtsbeschlüssen etc., vorbereitet.“
Im Schriftsatz vom 8. Juli 2023 verweist er auf ein angeblich bereits vorbereitetes „Schreiben an das BVfG“. Bei der Exploration durch den Sachverständigen gab er an, nach seinem Suizid würden von einer Bekannten, die er einbestellen werde, zwei Briefe an eine regionale und eine überregionale Pressestelle weitergegeben (Gutachten vom 15. Juni 2023, Seite 9). Im Termin am 7. Dezember 2023 wurde von der Schuldnerseite ein Foto vorgelegt, das ihn mit einem Fläschchen Pentobarbital in der Hand zeigt.
Dieses vom Schuldner über einen Zeitraum von mehreren Monaten praktizierte Verhalten zeigt die Instrumentalisierung seiner Suizidabsicht. Der Schuldner lässt bis auf den Vortrag, bei seinem Hausarzt eine „Überweisung zu einem „Psychologen wegen einer Therapie zur Minimierung der Suizidgefahr“ besorgt zu haben, keine Anstalten erkennen, Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahren für sein Leben zu reduzieren. Über viele Jahre lang hat der Schuldner keine Maßnahmen ergriffen, um die rezidivierende depressive Störung behandeln zu lassen. Eine psychiatrische Behandlung und die Einnahme von Antidepressiva lehnte er zunächst ab. Dabei kann er sich, wie bereits dargelegt wurde, nicht darauf berufen, dass auch eine psychiatrische Behandlung und die Einnahme von Antidepressiva nichts an seinen Suizidabsichten ändern würden, zumal auch der Sachverständige ausführt, es entstehe der Eindruck, dass es sich insoweit eher um ein Bilanzieren handelt und nicht um das Korrelat einer schweren depressiven Episode, die mit Suizidalität einhergeht.
Ob sich der Schuldner nach Erhalt des Überweisungsscheins vom 12. Oktober 2023 um einen Termin bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten bemüht hat, ist unbekannt. Diesbezüglich hat der Schuldner nichts vorgetragen. Vielmehr hat er in dem Termin am 7. Dezember 2023 auf Frage hinsichtlich des von ihm vorgelegten Fotos, das ihn mit einem Fläschchen Pentobarbital-Natrium zeigt, erklärt, er habe sich dieses im August oder September 2023 besorgt. Nachdem aus dem Gutachten des Sachverständigen hervorging, dass der Schuldner bereits bei dem Explorationstermin am 12. Juni 2023 mitgeteilt hat, er habe sich Natrium-Pentobarbital besorgt, erklärte der Schuldner aus entsprechenden Vorhalt, das Medikament laufe ja ab, deshalb habe er es sich nochmals besorgt.
Dies zeigt, dass der Schuldner nicht daran interessiert ist, die Gefahren für sein Leben zu minimieren, sondern aus eigenem Antrieb und bewusst dieses Risiko perpetuiert, um Vollstreckungsschutz zu erreichen. Obwohl der Schuldner somit selbst die Gefahr für sein Leben aufrechterhält, versucht er ausweislich seiner zitierten schriftsätzlichen Ausführungen, die Verantwortung für seinen angekündigten Tod durch Suizid dem Gläubiger sowie dem Gericht zuzuschreiben. Auch mit der Behauptung in seinem Schriftsatz vom 6. Juli 2023 an das Amtsgericht, Menschen wie er („Menschen meiner Klasse“) seien „früher im KZ Sachsenhausen zu Tode gebracht“ worden, versucht der Schuldner, moralischen Druck auf den Gläubiger und das Gericht auszuüben. Lediglich am Rande ist klarzustellen, dass diese Äußerung des Schuldners eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus darstellt.
(3)
Angesichts dieses Verhaltens des Schuldners überwiegen die Interessen des Schuldners ungeachtet der Härte, die die Räumung für ihn im Hinblick auf die bei ihm zweifelsohne vorliegenden Beeinträchtigungen darstellen würde, auch im Hinblick auf die beschriebene Gefahr für das Leben des Schuldners, nicht die berechtigten Interessen des Gläubigers an der Räumung und Herausgabe der Mietwohnung.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Schuldner nicht dargelegt hat, hinreichende Anstrengungen unternommen zu haben, um Ersatzwohnraum zu finden. Mit seinem an das Amtsgericht gerichteten Schreiben vom 6. Juli 2023 führt er aus, das Gericht könne sicher nicht beurteilen, in welchem Umfang und ob er in den vergangenen vier Monaten versucht habe, Ersatzwohnraum zu bekommen. Nachweise seien vom Gericht nicht verlangt worden. Er, der Schuldner, sei weiterhin bei der S. wegen Wohnungssuche barrierefrei gelistet. Es sei für einen Schuldner mit seinem gesundheitlichen Zustand nur sehr schwer, eher unmöglich, Ersatzwohnraum zu finden. Zwar hat der Schuldner eine E-Mail an „wohnungslosenhilfe@a .de“ vorgelegt. In dieser E-Mail fragt der Schuldner, ob ihm geholfen werden könnte, falls er wohnungslos werden sollte. Ferner weist er in der E-Mail darauf hin, er habe sich bei der S H. als wohnungssuchend angemeldet. Allerdings datiert diese E-Mail bereits vom 11. Mai 2022. Weitere konkrete Bemühungen, eine neue Wohnung zu finden, sind nicht dargelegt worden. Im seinem Schriftsatz vom 21. Juli 2023 berichtet der Schuldner lediglich, eine Mitarbeiterin der A habe sich bei ihm gemeldet und im Februar 2023 den Gläubiger angerufen.
Es ist offensichtlich, dass der Schuldner seiner Obliegenheit, sich um Ersatzwohnraum zu bemühen, mit einer E-Mail im Mai 2022 und einer gleichzeitig oder zeitlich davorliegenden Meldung bei der S. H., nicht in hinreichendem Maße nachgekommen ist. Stattdessen hat der Schuldner in seinem Schreiben vom 6. Juli 2023 an das Amtsgericht erklärt,
„daß eine Ersatzwohnung für den Schuldner, der sich in diesem beschriebenen gesundheitlichen Zustand befindet, nur sehr schwer, eher sogar gar nicht zu beschaffen ist, es sei denn man hat Beziehungen oder Bekanntschaften, die einem einen adäquaten Wohnraum zur Verfügung stellen, was nicht der Fall ist.“
Ungeachtet seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Einschränkungen wäre es dem Schuldner, der auch intensiv mit den Gerichten kommuniziert, ohne weiteres möglich gewesen, sich mit Wohnungsmaklern sowie privatwirtschaftlichen, kommunalen und sozialen Wohnungsvermietern in Verbindung zu setzen, auf Wohnungsangebote in Zeitungs- oder Internetanzeigen zu reagieren oder selbst Suchanzeigen in Print- oder Onlinemedien zu schalten. Derartige Bemühungen sind nicht vorgetragen, obwohl gläubigerseits ausdrücklich beanstandet wurde, dass der Schuldner keine Anstrengungen unternommen habe, Ersatzwohnraum zu finden (Schriftsätze des Gläubigervertreters vom 2. August 2023, 9. November 2023 und 30. November 2023). Zwar hat der Schuldner mit Schriftsatz vom „05.05.2023“ an das Landgericht, hier eingegangen am 8. August 2023, ausgeführt, er habe „etliche Wohnungen per E-MAIL angerufen“. Näher konkretisiert wurde dies nicht. Ferner trug der Schuldner vor, es sei nicht nur die S und die A informiert, sondern auch mit der Diakonie Kontakt aufgenommen und das Rote Kreuz angerufen und „permanent auch sogar fremde Menschen gefragt“ worden. Die A ist ein zur Diakonie gehörendes Sozialunternehmen. Das Rote Kreuz ist weder ein Wohnungsvermittler noch ein Wohnungsvermieter. Die Behauptung, permanent fremde Menschen gefragt zu haben, ist gänzlich unsubstantiiert. Dies gilt auch für den Vortrag im Schriftsatz vom 19. Januar 2024, die Bemühungen „in Sachen Wohnungssuche“ seien „ungebrochen intensiv, aber leider erfolglos“.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben. In der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind die Voraussetzungen für die Anordnung von Vollstreckungsschutz wegen Suizidgefahr geklärt. Die Entscheidung beruht auf der Anwendung dieser Grundsätze unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls nach Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten.