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Rentenversicherung verlangt Mietzahlung zurück

AG Marl – Az.: 24 C 32/22 – Urteil vom 18.07.2022

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.370,83 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2022 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen den Beklagten Rückgriffsansprüche geltend, nachdem sie von der Deutschen Rentenversicherung auf Erstattung von eingegangenen Mietzinszahlungen in Anspruch genommen worden ist.

Die Mutter des Beklagten, pp., hatte von der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Wohnung im Hause pp. angemietet. Der monatliche Gesamtmietzins belief sich auf 500,34 Euro. In der Wohnung lebte auch der Beklagte, der nach einem Verlust seiner Arbeitsstelle Ende der 90er-Jahre keine eigenen Einkünfte hatte und auch keine Arbeits- bzw. Sozialhilfeleistungen bezog. Der Beklagte und dessen Mutter lebten vielmehr von deren Renteneinkünften, die die Deutsche Rentenversicherung, die F GmbH sowie der Q auf das Konto der Mutter des Beklagten zahlten. Von diesem Konto wurden im Wege des SEPA-Lastschriftverfahrens die Mietzinsen eingezogen. Der Beklagte besaß eine Kontovollmacht.

Die Mutter des Beklagten verstarb am 00.00.2018. Von ihrem Tod erzählte er niemandem und beschloss drei oder vier Tage später, diesen geheim zu halten, um weiterhin in den Genuss ihrer Rentenzahlungen zu gelangen. Er deponierte die Leiche in einem in dem Kinderzimmer der Wohnung stehenden Kühlschrank, wofür er diese unter Alkoholeinfluss teilweise zerstückelte. Bis zur Entdeckung der Tat durch einen von einem besorgten Nachbarn veranlassten behördlichen Einsatz am 10.07.2019 zahlte die Deutsche Rentenversicherung vom 01.05.2018 bis zum 31.07.2019 auf das Konto der Mutter 17.083,86 Euro, die F GmbH aus der betrieblichen Altersversorgung 4.326,41 Euro sowie der Q 153,07 Euro.

Die Klägerin buchte von Mai 2018 bis Juli 2019 im SEPA-Lastschriftverfahren von dem Konto Beträge in Höhe von insgesamt 7.370,83 Euro ab.

Der Beklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Marl vom 30.10.2020 wegen Betrugs zu Lasten der Rentenversicherung und Störung der Totenruhe zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Die Deutsche Rentenversicherung verlangte sodann im November 2021 von der Vermieterin die Rückzahlung der im Zeitraum von Mai 2018 bis Juli 2019 geleisteten Mietzinszahlungen in Höhe von 7.370,83 Euro nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI. Ob die Klägerin dieser Aufforderung nachkam, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin verlangt nunmehr von dem Beklagten die Zahlung eines Betrags in Höhe von 7.505,10 Euro als rückständige Mietzinsen aus der Zeit von Mai 2018 bis Juli 2019 in Höhe von insgesamt jeweils 500,34 Euro. Sie behauptet, sie habe den Betrag von 7.370,83 Euro an die Deutsche Rentenversicherung gezahlt.

Die Klägerin beantragt mit der am 11.02.2022 zugestellten Klageschrift, den Beklagten zu verurteilen, an sie 7.505,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er meint, eine Anspruchsgrundlage für die Forderung in Höhe von 7.370,83 Euro sei nicht vorhanden. Aufgrund der geleisteten Zahlungen im Lastschriftverfahren sei der vertragliche Anspruch auf Zahlung von Mietzinsen erfüllt worden. Die Klägerin könne sich zudem weder auf Ansprüche aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag, noch aus Bereicherungsrecht, Deliktsrecht oder aufgrund eines Gesamtschuldnerausgleichs berufen. Die Klägerin könne ebenfalls die weiterhin geltend gemachten 134,27 Euro nicht von ihm verlangen, nachdem sie im Lastschriftverfahren in den Monaten August 2018 bzw. Dezember 2018 jeweils 44,88 Euro bzw. 89,39 Euro weniger eingezogen, da ihm insoweit ein Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen zugestanden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 7.370,83 Euro gemäß § 535 Abs. 2 BGB.

Der Beklagte ist gemäß § 563 Abs. 2 BGB mit dem Tod seiner Mutter am 00.00.2018 in das streitgegenständliche Mietverhältnis eingetreten, da er mit dieser in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat.

Der Beklagte kann sich im Ergebnis nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Ansprüche auf Zahlung von Mietzinsen aus der Zeit von Mai 2018 bis Juli 2019 in Höhe von 7.370,83 Euro durch die im Wege des Lastschriftverfahrens erfolgten Zahlungen gemäß § 362 Abs. 1 BGB erfüllt worden sind.

Zwar kann sich der Beklagte auf die sehr ausführlich begründete Ansicht von Escher-Weingart und Scheel stützen. Hiernach erlischt die Mietforderung des Vermieters gegen den Mieter durch die Zahlung nach § 362 Abs. 1 BGB, auch wenn der Vermieter später von der Rentenversicherung nach § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI auf Rückzahlung der Mietzinszahlungen in Anspruch genommen werde. Eine Forderung könne nicht „vielleicht“ oder „vorläufig“ erfüllt sein. Eine Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB trete ein, wenn die geschuldete Leistung zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort auf die richtige Art und Weise zur richtigen Zeit erbracht werde und der Leistende das auch wolle. Bei einer Geldleistung, bei der eine Absprache nach § 364 BGB dahingehend bestehe, dass eine Tilgung per Überweisung (oder wie hier im Lastschriftverfahren) zulässig sei, trete die Erfüllung mit dem Eingang des Geldes auf dem Konto des Vermieters ein. Die tatsächlichen Merkmale einer tauglichen Erfüllung könnten dann auch nicht nachträglich entfallen. Weder könne der Ort noch die Art und Weise noch eine sonstige Voraussetzung im Nachhinein falsch werden. Die Erfüllungswirkung könne deshalb nur entfallen, wenn entweder die Leistung als solche (zum Beispiel wegen einer auflösenden Bedingung) oder das voluntative Element der Leistung nachträglich wegfalle. Beides sei dann, wenn der Vermieter nachträglich von der Rentenversicherung aufgrund von § 118 Abs. 4 S. 1 SBG VI in Anspruch genommen werde, nicht der Fall.

Es könne auch nicht unterstellt werden, dass der Vorbehalt, den das Gesetz in § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI bezüglich der Rentenzahlung enthalte, auch die Zahlung des Rentners an den Vermieter betreffe. Die Vorschrift des § 118 Abs. 3 SGB VI beziehe sich erkennbar nicht auf das Verhältnis des Rentners zum Empfänger von Leistungen aus dem Konto. Fraglich könne nur sein, ob die Norm das Verhältnis der Rentenkasse zum Erben des Rentners oder zur Bank regele. Mehr aber nicht. Insbesondere könne nicht entgegen der Gesetzessystematik unterstellt werden, dass der Vorbehalt im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung der Zahlung weiter „anhafte“ und dann auch das selbständig in § 118 Abs. 4 SGB VI geregelte Verhältnis zum Zahlungsempfänger umfasse. Kaum vertretbar erscheine schließlich eine Auslegung des § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI, wonach das gesamte Konto des Rentners durch die Rentenzahlungen quasi „infiziert“ würde. Dann wären alle Zahlungen mit einem Vorbehalt behaftet, sodass keine dauerhaft wirksamen Leistungen aus dem Konto mehr möglich wären. Alle Zahlungen aus dem Konto wären deshalb infiziert, weil eine Zuordnung des Renteneingangs zur Mietzahlung durch die Einstellung in das Kontokorrent gar nicht mehr möglich sei, sondern so automatisch das gesamte Kontoguthaben erfasse, auch wenn es aus anderen Quellen, wie zum Beispiel einer Rentenzahlung aus einer Lebensversicherung, resultiere. Wäre eine solche Auslegung zutreffend, könne man allen Vertragspartnern von Rentnern nur raten, mit diesen ausschließlich Barzahlungsgeschäfte zu tätigen und Dauerschuldverhältnisse am besten zu beenden oder – falls das nicht möglich ist – mindestens einmal im Quartal eine Lebensbescheinigung anzufordern, um das Risiko eines Zahlungsausfalls zu minimieren (Escher-Weingart/Scheel, Zur Verfassungwidrigkeit von § 118 Abs. 4 SGB VI – eine Folge mangelhaften Verständnisses zivilrechtlicher Zusammenhänge bei der Umsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche, in: Sander/Scheel/Esposito, Öffentliches Recht im Wandel, Festschrift Armin Dittmann, S. 113 ff.; siehe auch Escher-Weingart/Scheel, Die Verfassungswidrigkeit von § 118 Abs. 4 SGB VI – eine Triplik zu der Frage, ob der Vermieter verpflichtet ist, die überzahlte Rente seines verstorbenen Mieters an die Rentenversicherung zurückzuerstatten, WM 2016, 857 ff. und Escher-Weingart, § 118 Abs. 4 SGB VI – ein zivilrechtlicher Albtraum und eine rechtsstaatliche Bankrotterklärung, WM 2014, 293 ff.).

Diese Ansicht von Escher-Weingart und Scheel ist jedoch nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Frage der Erfüllungswirkung von Geldzahlungen in Einklang zu bringen, der sich das Gericht anschließt. Hiernach tritt eine Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB erst dann ein, wenn der Schuldner die geschuldete Leistung bewirkt hat. Das Bewirken der geschuldeten Leistung bestehe in der Herbeiführung des geschuldeten Leistungserfolges. Bei einer Geldschuld werde dieser Erfolg mangels anderer Vereinbarung nur dann erzielt, wenn der Gläubiger den Geldbetrag, den er beanspruchen könne, endgültig zur freien Verfügung übereignet oder überwiesen erhalte. Dürfe er den Betrag nicht behalten, so trete der Leistungserfolg nicht ein (BGH, Urteil vom 27.06.2008, V ZR 83/07; BGH, Beschluss vom 23.01.1996, XI ZR 75/95; so auch BAG, Urteil vom 25.05.2016, 5 AZR 135/16; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19.02.2010, 4 U 149/08; OLG Nürnberg, Urteil vom 30.03.2009, 14 U 1058/08; Staudinger/Kern (2022), BGB, § 362 Rn. 16). Hierbei spielt auch die Unwiderruflichkeit einer Banküberweisung (bzw. hier des Lastschrifteinzugs nach einer bestimmten Frist) keine Rolle (OLG Nürnberg).

Aus der vorgenannten Rechtsprechung, dass eine Leistung nach § 362 Abs. 1 BGB dann nicht bewirkt ist, wenn der Empfänger die Geldzahlung nicht behalten darf, muss für den vorliegenden Fall der Rückschluss gezogen werden, dass durch die Lastschrifteinzüge die Mietzinszahlungen nicht nach § 362 Abs. 1 BGB erfüllt worden sind, weil die Vermieterin die eingezogenen Beträge wegen § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI nicht endgültig behalten durfte. Den Lastschrifteinzügen von dem Konto der verstorbenen Mutter haftete daher „der Makel“ des § 118 Abs. 4 S. 1 BGB VI an bzw., wie es Escher-Weingart/Scheel formulieren, waren die Zahlungen durch die vorgenannte Vorschrift „infiziert“, so dass der Mietzinsanspruch der Klägerin aus § 535 Abs. 2 BGB nicht befriedigt werden konnte. Dies führt konsequenterweise in der Tat dazu, dass alle Zahlungen aus dem Konto „infiziert“ gewesen sind, weil eine Zuordnung des Renteneingangs zur Mietzahlung durch die Einstellung in das Kontokorrent gar nicht mehr möglich gewesen ist, auch wenn auf dieses weitere Rentenzahlungen, z.B. aus einer betrieblichen Altersvorsorge oder einer Lebensversicherung, eingegangen waren. Dies erscheint aber nur auf den ersten Blick unbefriedigend. Derjenige, den diese Rechtsfolge am meisten benachteiligt, nämlich der Beklagte, ist nicht schutzwürdig, weil er wusste, dass er keinen Anspruch auf die Rentenzahlungen hatte. Der Empfänger der Leistungen, hier die Klägerin, wird besser gestellt. Denn wegen § 118 Abs. 4 S. 1 SGB VI waren alle Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben, dem Träger der Rentenversicherung kenntnisunabhängig zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. Die Klägerin kann sich somit an den Beklagten wenden und die an die Rentenversicherung erstatteten Zahlungen (nochmals) einfordern, weil eine Erfüllungswirkung nach § 362 Abs. 1 BGB nicht eingetreten ist.

Dass die Klägerin die Zahlungen an die Deutsche Rentenversicherung abführen musste, ergibt sich aus dem Zahlungsbeleg vom 13.12.2021 (Bl. 95 d.A.) in Verbindung mit dem Schreiben der Rentenversicherung vom 24.11.2021 (Bl. 74 ff. d.A.).

II.

Die Klägerin kann demgegenüber die Zahlung von weiteren 134,27 Euro nicht verlangen. Der Beklagte hat – im Ergebnis unwidersprochen – behauptet, dass ihm im Hinblick auf die nicht eingezogenen Beträge aus den Monaten August 2018 bzw. Dezember 2018 in Höhe von 44,88 Euro bzw. 89,39 Euro ein Guthaben zugestanden habe.

III.

Der Anspruch auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beruht auf den §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen haben ihre Grundlage in den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 S. 2 ZPO.

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