LG Berlin – Az.: 67 S 21/19 – Beschluss vom 23.05.2019
Die Anhörungsrüge der Beklagten gegen das am 11. April 2019 verkündete Urteil der Kammer wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Die unter Wahrung der Frist des § 321 a Abs. 2 ZPO erhobene Rüge ist gemäß § 321 a Abs. 1 Satz 1, Absatz 4 Satz 2 ZPO unbegründet. Danach ist das Verfahren auf Rüge der durch eine mit ordentlichem Rechtsmittel unanfechtbaren Entscheidung beschwerten Partei fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Diese Voraussetzungen zeigt die Anhörungsrüge nicht auf.
Das Vorliegen einer Gehörsverletzung bestimmt sich nach denselben Maßstäben wie der verfassungsrechtliche Begriff des Art. 103 Abs. 1 GG. Dieser erschöpft sich in einem Mindestschutz. Die vermeintliche Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung wird davon unabhängig ebensowenig erfasst wie die vermeintliche Verletzung anderer Verfahrensrechte (vgl. Musielak, in: Musielak/Voit/ZPO, 16. Aufl. 2019, § 321a Rz. 6 m.w.N.). Eine der Rüge zugängliche Gehörsverletzung liegt davon ausgehend nur dann vor, wenn das Gericht vor oder bei seiner Entscheidung Vortrag der Partei aus Versehen nicht zur Kenntnis nimmt, es durch verfehlte Anwendung der einschlägigen Vorschriften das Äußerungsrecht einer Partei ausschließt oder verkürzt, durch Unterlassen gebotener Hinweise eine Partei benachteiligt oder das Vorbringen einer Partei nicht erfasst oder grob missversteht (vgl. KG, Beschl. v. 20. September 2011 – 19 U 88/11, BeckRS 2011, 25664; Musielak, a.a.O.).
Eine derartige Verkürzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann die Klägerin aber nicht geltend machen. Die Kammer hat in der angefochtenen Entscheidung sämtlichen Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen. Er trägt den von ihr geltend gemachten Zustimmungsanspruch allerdings nicht. Das hat sie als eine ihr ungünstige Rechtsauffassung hinzunehmen, ohne dass dadurch ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wird.
Soweit die Klägerin rügt, der Kammer sei es bereits im Ausgangspunkt verwehrt gewesen, die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete unter Zugrundelegung des Berliner Mietspiegels 2017 im Wege der Schätzung gemäß §§ 287 Abs. 1, Abs. 2 ZPO zu bestimmen, beruht das auf einem vollständigen Fehlverständnis der richterlichen Schätzungsbefugnis im Zivilprozess. Es sind nicht die Parteien, die darüber zu befinden haben, ob und in welchem Umfang ein Gericht von seiner Schätzungsbefugnis Gebrauch zu machen hat, sondern allein das Gericht selbst. Das gilt insbesondere im hier gegebenen Fall, in dem sich die beweispflichtige Partei auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen hat. Denn gemäß § 287 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO bleibt es dem Ermessen des Gerichts überlassen, ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei. Diese Schätzungsbefugnis hat die Kammer mit dem aus dem angefochtenen Urteil ersichtlichen Ergebnis ausgeübt.
Der Kammer war es insoweit auch nicht verwehrt, ihrer Schätzung den Berliner Mietspiegel 2017 zu Grund zu legen, selbst wenn dieser nicht den Anforderungen eines qualifizierten Mietspiegels i.S.d. §§ 558d Abs. 2 und 3 BGB entspricht. Die Klägerin verkennt insoweit das unterschiedliche Beweismaß bei Verwendung eines Strengbeweismittels und dem bei einer richterlichen Schätzung. Während bei der Verwendung eines Strengbeweismittels grundsätzlich erst der sog. Vollbeweis für die richterliche Überzeugungsbildung genügt, reicht es bei der richterlichen Schätzung nach § 287 ZPO bereits aus, dass das Gericht von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer zwischen den Parteien streitigen Tatsache ausgeht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Januar 2014 – VI ZR 340/13, NJW-RR 2014, 1147, beckonline Tz. 5 m.w.N.; Prütting, Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287 Rz. 17). In einem solchen Falle hat die beweispflichtige Partei nach der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des BVerfG und des BGH auch keinen Anspruch auf Einholung eines Sachverständigengutachtens (st. Rspr., vgl. nur VerfGH Berlin, Beschluss vom 19. Dezember 2018 – VerfGH 141/16 – BeckRS 2016, 141/16, BeckRS 2016, 134800 Tz. 10 m.w.N.; BGH, Urteil vom 13. Februar 2019 – VIII ZR 245/17, NJW-RR 2019, 458, juris Tz. 18). Denn es geht der Rechtsauffassung der Klägerin zuwider nicht darum, den „Beweis der Richtigkeit der Schätzgrundlage“ zu führen; es reicht für eine Beweisführung nach § 287 ZPO vielmehr aus, dass die Schätzgrundlage die Wirklichkeit nach der berechtigten Auffassung des Gerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zutreffend abbildet.
Die Klägerin verkennt zudem, dass die von ihr an die Beweisführung angelegten Maßstäben zur Abweisung ihrer Zustimmungsklagen führen dürfte, wenn die Gerichte in Berlin nicht befugt wären, den Berliner Mietspiegel – in diesem Fall den des Jahres 2017 – bei der Beweiserhebung heranzuziehen. Denn die Qualität und Überzeugungskraft von Sachverständigengutachten, die sich im Regelfall und auch hier auf die Schätzung eines bloßen Näherungswertes beschränken, bleiben häufig und aus den Gründen des angefochtenen Urteils auch hier hinter der eines Mietspiegels zurück, wenn sie nicht sogar vollständig unverwertbar sind (vgl. zu exemplarischen Mängeln eines Sachverständigengutachtens BGH, Urteil vom 24. April 2019 – VIII ZR 82/18, BeckRS 2019, 8394, beckonline Tz. 40 ff.).
Gemessen daran musste die Kammer zur verfahrensfehlerfreien Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht zu einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit gelangen, dass der Berliner Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete für die streitgegenständliche Wohnung zutreffend wiedergibt. Es reichte schon aus, dass die Kammer aus den Gründen des angefochtenen Urteils weit unterhalb einer solchen nur für den Vollbeweis erforderlichen Gewissheit zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Berliner Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zutreffend ermittelt. An der von ihr in zahlreichen anderen und auch in diesem Verfahren erneut bestätigten Überzeugung hält die Kammer auch vor dem Hintergrund der in der Anhörungsrüge wiederholten Beweiseinreden der Klägerin ohne Einschränkung fest.
Schließlich geht die Klägerin fehl, wenn sie der Kammer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen unterlassener Zulassung der Revision vorhält. Denn es stellt keine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar, wenn ein Gericht bei der unterlassenen Zulassung eines Rechtsmittels eine andere Rechtsauffassung einnimmt, als die Klägerin es sich wünscht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 – III ZR 195/18, BeckRS 2019, 442 Tz. 1 m.w.N.). Die Kammer hat den Vortrag der Klägerin zu der von ihr gewünschten Revisionszulassung vor Verkündung des Urteils in vollem Umfang zur Kenntnis genommen und daraufhin geprüft, ob er einen Revisionszulassungsgrund ergibt. Sie hat ihn allerdings für nicht durchgreifend erachtet, da es aus den Gründen des angefochtenen Urteils an einem Grund für die Zulassung der Revision – offensichtlich – fehlt. Auch daran hält sie uneingeschränkt fest.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, a.a.O., § 321 a Rz. 13).