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Selbständiges Beweisverfahren zwischen Wohnungseigentümern zulässig?

LG Frankfurt – Az.: 2-13 T 74/21 – Beschluss vom 09.12.2021

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des AG Wiesbaden vom 12.08.2021 teilweise wie folgt abgeändert:

Es soll über folgende Behauptungen und Fragen des Antragstellers Beweis erhoben werden:

….

durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.

….

2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien sind Wohnungseigentümer. Die Antragsgegner sind Sondereigentümer der Wohnung, die über der Wohnung der Antragsteller gelegen ist. Im 1. Halbjahr 2020 nahmen die Antragsgegner bauliche Veränderungen in ihrer Sondereigentumseinheit vor. Die Antragsteller tragen vor, dass es nach den Arbeiten zu erheblichen Wassereintritten in ihrem Sondereigentumsbereich gekommen ist.

Mit Antrag vom 22. Juni 2020 begehrten die Antragsteller die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens, mit dem unter anderem Feststellungen dazu getroffen werden sollen, ob durch bauliche Veränderungen im Bereich der Sondereigentumseinheit der Antragsgegner (Austausch von Fenstern) eine Beschädigung der Abdichtungsschichten des Gemeinschaftseigentums hervorgerufen worden ist, wodurch es in der Wohnung der Antragsteller zu Feuchtigkeitsschäden gekommen ist.

Das Amtsgericht hatte zunächst durch Beschluss vom 25. August 2020 eine entsprechende Beweiserhebung angeordnet. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2020 ist der Beweisbeschluss – soweit für das Beschwerdeverfahren relevant – erweitert worden um Fragen hinsichtlich des Belages und der Abdichtung des Balkons der Antragsgegner und der Dämmung im Spitzbodenbereich. Die Antragsteller sind hinsichtlich des Spitzbodens der Auffassung, dass aufgrund der dort durchgeführten umfangreichen Baumaßnahmen gegebenenfalls feuerpolizeiliche Anforderungen nicht eingehalten worden seien, hinsichtlich der Arbeiten am Balkon sind sie der Auffassung, dass hier keine ordnungsgemäße Dämmung erfolgt ist, was zu Wärmebrücken führen kann, welche zur Schimmelbildung in der Wohnung der Antragsteller führen könne.

Mit Beschluss vom 4. März 2021 hat das Amtsgericht den Beweisbeschluss, soweit Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, von Amts wegen aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, ein rechtliches Interesse an den Feststellungen bestehe nicht mehr, da durch die Änderung des WEG durch die WEG Reform die Antragsteller nicht mehr berechtigt seien, Beseitigungsansprüche im Hinblick auf das Gemeinschaftseigentum geltend zu machen.

Die Antragsteller haben unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes V ZR 299/19 sodann den erneuten Erlass eines Beweisbeschlusses in der ursprünglichen Form beantragt, dies hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Parteien zwar ein bereits vor dem 1.12.2020 anhängiges Streitverfahren verbinde, für welche die Fragen des selbständigen Beweisverfahrens Bedeutung hätten haben können, dieses Verfahren sei allerdings übereinstimmend für erledigt erklärt worden, so dass für dieses Verfahren die Feststellung des Beweisverfahrens ohne Relevanz seien. Soweit die Antragsteller nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens ein neues Verfahren in der Hauptsache anstreben würden, würde es sich um ein Verfahren handelt, für welches die Übergangsvorschrift § 48 Abs. 5 WEG nicht gelten würde, so dass insoweit das neue Recht maßgeblich sei, insoweit bestehen allerdings keine Prozessführungsbefugnis mehr für Mängel am Gemeinschaftseigentum.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsteller, die sich maßgeblich darauf stützt, dass es den Antragstellern auch offenstehen müsse, nach Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens im Rahmen einer Beschlussersetzungsklage gegen die Gemeinschaft vorzugehen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsteller ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 569, 568 ZPO). Nachdem das Amtsgericht den Beweisbeschluss aufgehoben hatte, lag in der Ablehnung des erneuten Antrages auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens eine anfechtbare Ablehnung des Antrages der Antragsteller (§ 490 ZPO).

Die sofortige Beschwerde hat in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang überwiegend Erfolg. Im Übrigen ist die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

1. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegen für die Fragen bezüglich der Feuchtigkeitsschäden, betreffend die Fassade und den Balkon die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO vor. Ein rechtliches Interesse iSd § 485 Abs. 2 liegt schon dann vor, wenn die Beweistatsache zur Begründung eines materiell-rechtlichen Anspruchs des Antragstellers dienen könnte, unzulässig ist es nur dann, wenn evident ist, dass ein Anspruch des Antragstellers unter gar keinen Umständen bestehen kann (BGH MDR 2005, 162; BeckOK ZPO/Kratz, 42. Ed. 1.9.2021, ZPO § 485 Rn. 30 f.). Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist der Antrag überwiegend begründet.

a) Zutreffend ist allerdings, dass nach dem geänderten WEG durch das WEMoG zum 1.12.2020 keine Ansprüche bezogen auf das Gemeinschaftseigentum mehr von den Eigentümern individuell geltend gemacht werden können (§ 9a Abs. 2 WEG).

Soweit insoweit bereits Prozesse anhängig sind, entspricht es allerdings der Rechtsprechung des BGH, dass bezüglich der Ansprüche aus § 1004 BGB in entsprechender Anwendung des § 48 Abs. 5 WEG diese Prozesse von den Eigentümern zu Ende geführt werden können, wenn die GdWE dem nicht widerspricht oder den Prozess übernimmt (BGH WuM 2021, 521; Urteil vom 1.10.2021 – V ZR 48/21). Eine derartige Konstellation liegt hier aber nicht vor, denn nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts ist das Klageverfahren zwischen den Parteien, bei welchem die Beweisfragen eine Rolle spielen könnten, übereinstimmend für erledigt erklärt worden. Damit ist die Rechtshängigkeit in diesem Verfahren entfallen (MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 91a Rn. 36). Ob eine erneute Klage zulässig ist (dazu MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 91a Rn. 39 mwN), kann dahinstehen, denn jedenfalls wäre insoweit der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 5 WEG nicht eröffnet, da das neue Verfahren erst in der Zukunft anhängig wird. Etwas anders gilt auch nicht deshalb, weil zuvor ein selbständiges Beweisverfahren anhängig war. Denn das selbständige Beweisverfahren ist nicht Teil des Verfahrens iSv § 48 Abs. 5 WEG, zumal damit der Anspruch nicht rechtshängig wird (LG Duisburg NJW-RR 2011, 302; BeckOK BGB/Zschieschack/Orthmann, 60. Ed. 1.11.2021, WEG § 48 Rn. 26).

b) Dies betrifft vorliegend allerdings nur die Fragen, die den Ausbau des Dachgeschosses betreffen. Insoweit befürchten die Antragsteller lediglich, dass die Brandschutzvorgaben nicht eingehalten sind. Daher sind hier alleine Frage der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums betroffen. Ansprüche die hieraus resultieren, können nach der neuen Struktur des WEG (§ 18 Abs. 1 WEG) alleine von der Gemeinschaft geltend gemacht werden (§§ 9a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG). Ein Anspruch der Antragsteller ist damit offensichtlich ausgeschlossen, so dass das Amtsgericht insoweit den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat.

Soweit die Antragsteller meinen, ein selbständiges Beweisverfahren sei auch insoweit nicht nutzlos, da dieses im Rahmen eines Beschlussanfechtungsverfahrens oder einer Beschlussersetzungsklage Relevanz haben kann, beachten sie nicht, dass Beschlussklagen sich nunmehr gegen den Verband richten (§ 44 Abs. 2 S.1 WEG). Damit müssten sich auch selbständige Beweisverfahren wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum insoweit gegen die Gemeinschaft richten (vgl. jüngst LG Baden-Baden ZWE 2021, 409).

c) Im Hinblick auf die übrigen Beweisfragen kann aber ein rechtliches Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nicht verneint werden, denn insoweit ist das Bestehen des Anspruchs nicht ausgeschlossen, so dass die Beweiserhebung durchzuführen ist (vgl. BGH NJW 2004, 3488).

Denn auch nach neuem Recht bleibt ein Wohnungseigentümer insoweit prozessführungsbefugt, als eine Klage auf eine Störung im räumlichen Bereich des Sondereigentums gestützt wird. Diese Klagebefugnis ist unabhängig davon, ob zugleich (auch) das Gemeinschaftseigentum betroffen ist (BGH NZM 2021, 613 Rn. 13; Urteil vom 1.10.2021 – V ZR 48/21 Rn. 8). Ansprüche, die durch das Eindringen von Wasser im Sondereigentum der Antragsteller entstanden sind, dürften den Antragstellern daher weiter gegen die Antragsgegner zustehen, wenn diese hierfür verantwortlich sind, denn derartige Beeinträchtigungen muss ein Wohnungseigentümer nicht hinnehmen (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG). Gleiches gilt für Schimmelgefahren, wie sie hier durch den Balkonanbau behauptet werden. Ob und in welchem Umfang derartige Ansprüche begründet sind, bedarf im selbständigen Beweisverfahren allerdings keiner Prüfung, sondern ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Vorliegend geht der Klägervortrag dahin, dass durch Baumaßnahmen der Antragsgegner Wassereinbrüche bei ihm verursacht sind und Schimmelgefahren drohen, damit verbundene Beweiserhebungen können im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens auch weiter zwischen den Wohnungseigentümern durchgeführt werden. Denn das Bestehen von Ansprüchen insoweit ist nicht offensichtlich ausgeschlossen. Dies betrifft hier die Fragen, die den Einbau eines Fensters und den Balkonanbau betreffen.

2. Nach alledem, war der angefochtene Beschluss teilweise abzuändern, im Übrigen war die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Eine Entscheidung über die Kosten eines Beschwerdeverfahrens im selbständigen Beweisverfahren unterbleibt, wenn die Beschwerde auch nur teilweise Erfolg hat (vgl. OLG Celle MDR 2015, 791; OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2017, 138271; Kratz; in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), BeckOK ZPO § 490 ZPO, Rdnr. 6).

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 und 3 ZPO nicht vorliegen. Soweit die sofortige Beschwerde der Antragstellerin Erfolg hat, ist eine Rechtsbeschwerde ohnehin unstatthaft. Gemäß § 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist ein Beschluss, durch den dem Antrag im selbständigen Beweisverfahren stattgegeben wird, nicht anfechtbar. Gibt das Beschwerdegericht – wie hier – dem in erster Instanz zurückgewiesenen Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens (teilweise) statt, ist eine dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde daher (insoweit) unstatthaft (vgl. etwa BGH NJW 2011, 3371, 3372), soweit der Antrag zurückgewiesen wurde, liegen die Voraussetzungen der Zulassung nicht vor.

 

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