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Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte

§ 90 Abs 2a SGB 9 – fristlose Kündigung

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 18 Sa 1073/18 – Urteil vom 21.02.2019

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom

16. Mai 2018 – 21 Ca 11385/17 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 16. März und 26. April 2016 wirksam aufgelöst worden ist.

Wegen des diesem Streit zugrunde liegenden unstreitigen Sachverhaltes und des streitigen Vorbringens der Parteien in der I. Instanz wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 250 – 254 d.A.) sowie auf die zwischen den Parteien in der Eingangsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Durch Urteil vom 16. Mai 2018 hat das Arbeitsgericht Berlin der auf Kündigungsschutz gerichteten Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom 16. März 2016 sei unwirksam, da diese trotz Feststellung, dass der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden sei. Die Kündigung vom 26. April 2016 sei unwirksam, weil die beklagte den Antrag auf Zustimmung des Integrationsamtes nicht unverzüglich nach Mitteilung der Klägerin von der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung der Entscheidung wird auf die dortigen Gründe (Bl. 254 – 259 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 12. Juni 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 10. Juli 2018 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. September 2018, mit am 12. September 2018 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung die ausgesprochene Kündigung vom 16. März 2016 sei bereits wirksam, denn die Ausnahme des § 90 Abs. 2 a 2. Alt. SGB IX greife ein, da Klägerin die Voraussetzungen für ihre ordnungsgemäße Mitwirkung nicht vorgetragen habe. Sie bestreite, dass die Klägerin mehr als drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung einen ordnungsgemäßen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft mit allen erforderlichen Angaben gestellt habe. Hinsichtlich der zur Begründung der Kündigung von der beklagten herangezogenen Gründe wird auf den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift Bezug genommen.

Jedenfalls sei die Kündigung vom 26. April 2016 wirksam, denn das Arbeitsgericht habe keine Prüfungskompetenz hinsichtlich der Einhaltung der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz vom 12. September 2018 und den Schriftsatz vom 15. Februar 2019 nebst Anlagen verwiesen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Mai 2018, 21 Ca 11385/17, teilweise abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als den Anträgen der Klägerin im Tenor zu I. und II. hinsichtlich der fristlosen Kündigungen vom 16. März 2018 und vom 26. April 2018 stattgegeben wurde.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt den Ausführungen der Beklagten in der Berufungsinstanz entgegen.

Sie verweist darauf, dass die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch rückwirkend auf ihre Antragstellung festgestellt worden sei, was den Rückschluss zulasse, dass ihr Antrag vollständig gewesen sei.

Hinsichtlich der Kündigung vom 26. April 2016 verweist sie darauf, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nur dann eingehalten sei, wenn der Antrag auf Zustimmung des Integrationsamtes unverzüglich nach Kenntniserlangung von der Schwerbehinderung gestellt worden sei, was vorliegend nicht der Fall sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbeantwortungsschriftsatz vom 12. November 2018 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß den §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 c ArbGG statthaft und frist- und formgerecht i.S.d. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist weder durch die Außerordentliche fristlose Kündigung vom 16. März 2016 noch durch die Außerordentliche firstlose Kündigung vom 26. April 2016 mit Zugang dieser Kündigungen wirksam beendet worden, denn diese Kündigungen sind unwirksam.

1) Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 16. März 2016 ist gemäß den §§ 91, 85 SGB IX, 134 BGB mangels Vorliegens der erforderlichen Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam.

Die Klägerin war zur Zeit der Kündigung schwerbehindert.

Dies ist durch Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vom 21. Dezember 2017 (Bl. 223 d.A.) rückwirkend auf den Tag der Antragstellung, dem 03. Februar 2016 festgestellt worden.

Infolgedessen war die Kündigung der Klägerin gemäß § 85 SGB IX nur mit Zustimmung des Integrationsamtes wirksam möglich.

Es liegt kein Ausnahmefall gemäß § 90 Abs. 2a 2.Alt SGB IX vor.

Grundsätzlich findet der Sonderkündigungsschutz danach keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bzw. Gleichgestellter nicht nachgewiesen ist (§ 90 Abs. 2a 1. Alt. SGB IX).

Dagegen bleibt nach § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX der Sonderkündigungsschutz trotz fehlenden Nachweises bestehen, wenn der Antrag so frühzeitig vor Kündigungszugang gestellt worden ist, dass eine Entscheidung vor Ausspruch der Kündigung – bei ordnungsgemäßer Mitwirkung des Antragstellers – binnen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX möglich gewesen wäre. Der Antrag muss also mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt sein. § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX erweist sich damit als Bestimmung einer Vorfrist.

Der Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft (bzw. Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen) muss also so frühzeitig – d.h. unter Einhaltung der Drei-Wochen-Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 2 SGB IX – und zudem ordnungsgemäß mit allen erforderlichen Angaben gestellt werden, dass eine positive Entscheidung vor Ausspruch der Kündigung bei ordnungsgemäßer Bearbeitung möglich gewesen wäre.

(BAG, Urteil vom 01. März 2007 – 2 AZR 217/06 –, zitiert nach juris)

Diese Voraussetzungen für den Erhalt des Sonderkündigungsschutzes sind vorliegend nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer gegeben.

Der Antrag ist unstreitig unter Einhaltung der Drei-Wochen-Frist, nämlich am 03. Februar 2016, gestellt worden.

Auch war davon auszugehen, dass dieser ordnungsgemäß mit allen erforderlichen Angaben gestellt worden ist, denn die Feststellung eines Grades der Behinderung von 50 erfolgte durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales rückwirkend auf den Tag der Antragstellung. Dies begründet nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer die Vermutung der Vollständigkeit und Ordnungsgemäßheit des Antrages, so dass das einfache Bestreiten der Vollständigkeit und Ordnungsgemäßheit des Antrages durch die Beklagte nicht (mehr) ausreichte.

2) Die Kündigung vom 26. April 2016 ist unwirksam, da die Beklagte insoweit nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten hat.

Zwar ist durch die Beklagte hinsichtlich der Kündigung vom 16. März 2016 die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zunächst eingehalten worden. In analoger Anwendung des § 91 Abs. 5 SGB IX ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB hinsichtlich einer weiteren Kündigung nach Kenntniserlangung von der Eigenschaft des zu Kündigenden als schwerbehinderter Mensch aber nur dann eingehalten, wenn alle notwendigen Schritte „unverzüglich“, also ohne schuldhaftes Zögern vom Arbeitgeber durchgeführt werden.

Hieran fehlt es vorliegend nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer.

Die Beklagte erhielt durch Schreiben der Klägerin vom 28. März 2016, zugegangen am Dienstag, dem 29. März 2016, Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft. Erst mit Schreiben vom Freitag, dem 08. April 2016, also 10 Tage später, beantragte sie die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer weiteren Kündigung, ohne dass ersichtlich oder von der Beklagten vorgetragen worden wäre, dass oder bzw. welche notwendigen Schritte diese Verzögerung als nicht schuldhaft rechtfertigen könnten.

Da zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Schwerbehinderteneigenschaft die Frist des § 626 Abs. 2 BGB bereits abgelaufen war, eröffnet § 91 Abs. 2 SGB IX dem Arbeitgeber keinen neuen Fristenlauf i.S.d. § 626 Abs. 2 BGB. Er hat vielmehr, um die Frist des §626 Abs.2 BGB zu wahren, alle weiteren notwendigen Schritte wie hier die Beantragung der Zustimmung des Integrationsamtes in analoger Anwendung des Rechtsgedanken des § 91 Abs. 5 SGB IX „unverzüglich“ durchzuführen.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

III.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG gegen die am Einzelfall orientierte und unter Beachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung ergangene Entscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung bestand kein rechtlich begründeter Anlass.

Die Beklagte wird auf die Möglichkeit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen.

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