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Teilnahme an WEG-Eigentümerversammlung beim Feind

LG Frankfurt/Main – Az.: 2-13 S 80/22 – Urteil vom 02.02.2023

In dem Rechtsstreit hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2022 für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Darmstadt vom 04.08.2022, Az. 304 C 20/22, abgeändert und sämtliche auf der Eigentümerversammlung vom 12.07.2021 gefassten Beschlüsse werden für ungültig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz und des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die erste Instanz wird auf bis 13.000,00 Euro, für die Berufungsinstanz auf bis 6.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Mit ihrer gegen die beklagte WEG gerichteten Anfechtungsklage begehren die Kläger als Mitglieder der WEG die Ungültigerklärung sämtlicher auf der Eigentümerversammlung vom 12.07.2021 gefassten Beschlüsse. Die Gemeinschaft besteht außer den Klägern nur noch aus einer weiteren Eigentümerin.

Das Amtsgericht hat allein die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten (TOP) 4 und 9 insgesamt sowie den Beschluss zu TOP 5 teilweise „aufgehoben“ und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der Begründung der Entscheidung sowie der tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass der Verwalter als Ort der Versammlung eine Terrasse bestimmte, die zwar auf Gemeinschaftseigentum liegt, aber faktisch von der einzig weiteren Eigentümerin allein genutzt wird, und die Kläger und die einzig weitere Eigentümerin seit Jahren zerstritten sind und in der WEG mehrere Rechtsstreitigkeiten geführt wurden und werden.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr ursprüngliches Begehren auf Ungültigerklärung sämtlicher Beschlüsse weiter. Über spezifische Rügen betreffend die einzelnen Beschlüsse hinaus sind die Kläger der Ansicht, sämtliche Beschlüsse seien schon deshalb für ungültig zu erklären, weil zu der Versammlung, an der sie selbst nicht teilnahmen, ein Verwalter eingeladen habe, der zum Zeitpunkt der Einladung nicht mehr im Amt gewesen sei. Ferner gewähre der Ort der Versammlung nicht die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit, weil Nachbarn hätten lauschen können. Aber auch schon wegen der Streitigkeiten mit der weiteren Eigentümerin sei es ihnen, den Klägern, nicht zuzumuten, sich auf der Terrasse der weiteren Eigentümerin einzufinden.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung hat Erfolg. Zwar erfolgte die Einladung entgegen der Ansicht der Kläger nicht durch einen Nichtberechtigten; es lud zu der Versammlung der noch amtierende Verwalter ein (1.). Allerdings war der Versammlungsort für die Kläger unzumutbar, was hier zur Ungültigerklärung sämtlicher Beschlüsse führt (2.).

1. Zum Zeitpunkt der Einladung vom 14.06.2021 zur Versammlung am 12.07.2021 war der Verwalter im Amt, weshalb auch ihm gemäß § 24 Abs. 1 WEG die Einberufung oblag.

Der Verwalter war hier zunächst bis zum 31.10.2020 bestellt worden.

Vorzeitig abberufen wurde er nicht. Seine Amtszeit verlängerte sich über den 31.10.2020 hinaus gemäß § 6 Abs. 1 COVMG; die gesetzlich angeordnete Verlängerung hindernde Beschlüsse fassten die Wohnungseigentümer nicht. Im Einzelnen:

Nach dem am 28.03.2020 in Kraft getretenen und nach Verlängerung über den 31.12.2021 hinaus bis 31.08.2022 gültigen § 6 Abs. 1 COVMG galt: „Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt.“ In Anwendung dieser Ausnahmevorschrift blieb der Verwalter hier auch nach dem Ende seiner Bestellungszeit am 31.10.2020 weiter im Amt. Abberufen wurde er danach nicht; ein neuer Verwalter wurde nicht bestellt.

Auch die beiden noch vor dem Ende des Bestellungszeitraums bis zum 31.10.2020 abgehaltenen Versammlungen stehen der gesetzlich angeordneten Verlängerung nach § 6 Abs. 1 COVMG nicht entgegen.

Dabei kann die diskussionswürdige Frage, ob eine nach § 6 Abs. 1 COVMG verlängerte Amtszeit bereits mit Ablauf einer zwischenzeitlich erfolgten Wohnungseigentümerversammlung endet, auch wenn der Verwalter dort nicht abberufen bzw. ein neuer bestellt wird, dahinstehen (dagegen MüKoBGB/Scheller, 8. Aufl. 2021, COVMG § 6 Rn. 3). Denn die Versammlungen vom 22.06.2020 und 10.08.2020 fielen noch in die Zeit vor den Ablauf seiner regulären Bestellungszeit am 31.10.2020.

In jenen Versammlungen haben die Wohnungseigentümer auch keine Regelung getroffen, welcher der nachfolgenden Verlängerung nach § 6 Abs. 1 COVMG entgegenstünden. Dabei kann die Frage dahinstehen, ob die Wohnungseigentümer vorgreiflich eine Nichtanwendung von § 6 Abs. 1 COVMG hätten beschließen können, etwa indem sie den Verwalter für einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt abberufen. Denn einen derartigen Beschluss haben die Wohnungseigentümer hier nicht gefasst. So es im Protokoll der Versammlung vom 22.06.2020 unter TOP 4 heißt, „[e]s bestand Einigkeit, dass die Bestellung der derzeitigen Hausverwaltung […] zum 31.10.2020 endet. […]“, handelt es sich schon nicht um einen Beschluss. Bereits nach dem Wortlaut trafen die Wohnungseigentümer allein eine Feststellung. Es fand auch weder eine Abstimmung statt noch wurde ein Beschluss verkündet. Auch in der Versammlung vom 10.08.2020 kam es weder zu einer Abberufung noch zu einer Neubestellung. Der Beschlussantrag zu TOP 7 („Für die Zeit ab dem 01.11.2020 wurde die Wiederbestellung der Hausverwaltung verweigert.“) fand keine Mehrheit. In dieser Situation der Nichtentscheidungen galt die Verlängerung nach § 6 Abs. 1 COVMG, dessen Anliegen es gerade war, eine Verwalterlosigkeit zu vermeiden (vgl. MüKoBGB/Scheller, 8. Aufl. 2021, COVMG § 6 Rn. 1).

2. Hingegen sind sämtliche Beschlüsse für ungültig zu erklären, weil die Wahl auf einen Versammlungsort fiel, der für die Kläger unzumutbar war und dies jedenfalls auch kausal für die Abstimmungsergebnisse war.

Dies folgt allerdings nicht bereits aus einer Verletzung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit. Allein die entfernte Möglichkeit, dass ein Dritter die Wohnungseigentümer belauschen könnte, reicht für die Annahme eines Verstoßes nicht aus.

Unzumutbar ist der Versammlungsort für die Kläger aber deshalb, weil zwischen ihnen und der einzig weiteren Eigentümerin weitgehende Zwistigkeiten bestehen. Das Erscheinen am Versammlungsort muss objektiv betrachtet unter Berücksichtigung der Interessen den Eigentümern zumutbar und für diese akzeptabel sein, was bei zerstrittenen Gemeinschaften einen neutralen Ort erfordert (BGH NZM 2002, 450; BeckOGK/Hermann WEG § 24 Rn. 101; BeckOK BGB/Hügel WEG § 24 Rn. 9; Jennißen/Schultzky WEG § 24 Rn. 96; Müller/Fichtner Wohnungseigentum, § 10 Rn. 149). Einem Wohnungseigentümer kann etwa nicht zugemutet werden, einer Einladung zur Versammlung in der Wohnung eines verfeindeten Wohnungseigentümers zu folgen (überzeugend AG Hamburg-St.-Georg NJOZ 2022, 1518 unter Verweis auf BGH NZG 2016, 552 Rn. 25 zum Gesellschaftsrecht). Ebenso war es den Klägern auch hier unzumutbar, zur Versammlung auf der Terrasse der verfeindeten Eigentümerin zu erscheinen, zumal auch kein Grund ersichtlich ist, warum man sich nicht an einem neutralen Ort hätte treffen können. Dabei ist unerheblich, dass sich die Terrasse auf Gemeinschaftseigentum befindet. Dadurch, dass sie von der weiteren Eigentümerin jedenfalls faktisch allein genutzt wird, die Kammer im Übrigen im Verfahren 2-13 S 61/21 auch entschieden hat, dass die Kläger und die weitere Eigentümerin zum jeweils anderen Garten, einschließlich der Terrassen, keinen unbegrenzten Zutrittsanspruch genießen, können sich die Kläger im Gegensatz zur weiteren Eigentümerin am Versammlungsort nicht vertraut bewegen (vgl. BGH NZG 2016, 552 Rn. 25).

Ob die Wahl eines unzumutbaren Versammlungsorts hier bereits zu einer derart gravierenden Beeinträchtigung der Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Wohnungseigentümer führt, dass die Beschlüsse sogar ohne Prüfung der Kausalität für ungültig zu erklären wären (vgl. hierzu ausf. Kammer ZWE 2022, 454; s. a. Kammer WuM 2022, 695), kann dahinstehen. Denn jedenfalls war die Wahl des Versammlungsorts für die Abstimmungsergebnisse kausal. Unbestritten hätten die Kläger auf eine Einladung zu einem zumutbaren Ort an der Versammlung teilgenommen. Dies hätte auch Auswirkungen auf die Abstimmungsergebnisse gezeitigt, da beiden Einheiten, den Klägern einerseits und der weiteren Eigentümerin andererseits, jeweils eine Stimme zusteht.

Da nach alledem die Beschlüsse bereits auf Grund der Wahl des Versammlungsorts für ungültig zu erklären waren, kommt es auf die die einzelnen Beschlüsse betreffenden Rügen nicht mehr an.

Hinsichtlich TOP 3 erlaubt sich die Kammer für die Folgeversammlung den Hinweis, dass es für die Gültigkeit des Beschlusses über die Nachschüsse oder die Anpassung der Vorschüsse nicht darauf ankommt, ob ein Vermögensbericht, auf dessen Zurverfügungstellung ein gesonderter und von der Jahresabrechnung unabhängiger Anspruch nach § 28 Abs. 4 WEG besteht, vorgelegt wird (BeckOK BGB/Hügel, 63. Ed. 1.8.2022, WEG § 28 Rn. 22).

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Gründe die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Basis gefestigter Rechtsprechung.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 49 GKG. Dabei entspricht es der Rechtsprechung der Kammer, weiterhin den vollen Nennbetrag der Abrechnung oder des Wirtschaftsplans als Streitwert heranzuziehen (Kammer ZMR 2022, 914; LG Frankfurt ZMR 2022, 398; ebenso LG Köln ZMR 2022, 739). Auf die einzelnen Beschlüsse entfallen folgende Werte:

  • TOP 3 (Jahresabrechnung 2020): 2.441,74 Euro;
  • TOP 4 (Entlastung der Hausverwaltung): 1.000,00 Euro;
  • TOP 5 (Wirtschaftsplan 2021 und Sonderumlage): 2.642,00 Euro + 2.600,00 Euro;
  • TOP 6 (Nichtabberufung der Hausverwaltung): derselbe Gegenstand wie TOP 7;
  • TOP 7 (Wiederbestellung der Hausverwaltung): 900,00 Euro;
  • TOP 9 (Baumschnitt): 500,00 Euro.

Die Kammer macht für den Streitwert erster Instanz von der Abänderungsmöglichkeit nach § 63 Abs. 2 Nr. 3 GKG Gebrauch und setzt ihn auf bis 13.000,00 Euro fest. Wegen des nur teilweisen Anfalls in der Berufungsinstanz beträgt der Streitwert für diese bis 6.000,00 Euro.

Rechtsmittelbelehrung für die Streitwertfestsetzung

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache rechtskräftig geworden ist oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Frankfurt am Main, 60313 Frankfurt am Main, Gerichtsstraße 2 eingeht.

Wird der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung der Festsetzung bei dem Gericht eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde in diesem Beschluss zugelassen hat.

Beschwerdeberechtigt ist, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

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