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Unzumutbarkeit einer Räumungsfrist für den Vermieter

LG Tübingen, Az.: 1 T 38/15, Beschluss vom 07.05.2015

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des AG Tübingen vom 6.3.2015 (2 C 886/14) dahin abgeändert, dass Ziff. 2 des Tenors gestrichen wird und den Beklagten keine Räumungsfrist bewilligt wird.

2. Die Beklagten tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.043,61 € festgesetzt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Beklagten durch Urteil vom 6.3.2015 zur Räumung ihrer von der Klägerin angemieteten Wohnung verurteilt und eine Räumungsfrist bis 30.6.2015 gewährt.

Die Klägerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die bewilligte Räumungsfrist, die Beklagten halten die Entscheidung für zutreffend. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 27.4.2015).

II.

1. Die gegen die Bewilligung einer Räumungsfrist gerichtete sofortige Beschwerde ist statthaft gem. § 721 Abs. 6 Nr. 1 ZPO und auch im Übrigen zulässig.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Da im Beschwerdeverfahren neues Vorbringen zulässig und bei der Beschwerdeentscheidung zu berücksichtigen ist, hatte das Beschwerdegericht bei der Ermessensausübung im Rahmen von § 721 Abs. 1 S. 1 ZPO auch zu berücksichtigen, dass die Beklagten ihre Ankündigung, eine Zahlung zu leisten nicht eingehalten haben. Nachdem die Beklagten seit Monaten keine Miete mehr bezahlt haben, konnte ihnen beim jetzigen Stand unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Klägerin keine Räumungsfrist bewilligt werden.

Nach § 721 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt die Gewährung und die Länge der Räumungsfrist im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts („kann“), wobei Abs. 5 eine Höchstgrenze von einem Jahr setzt. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 11. A. 2013, § 721 ZPO Rn. 16; Musielak/Lackmann § 721 ZPO Rn. 4). Im Gegensatz zu § 765a ZPO setzt die Bewilligung einer Räumungsfrist gem. § 721 ZPO keine sittenwidrige Härte voraus.

§ 721 ZPO soll den Mieter davor schützen, durch die Räumung obdachlos zu werden oder unzumutbaren Ersatzwohnraum beziehen zu müssen. Dieses Interesse des Mieters ist gegen das Erlangungsinteresse des Vermieters abzuwägen.

a. Die Gewährung einer Räumungsfrist setzt daher jedenfalls voraus, dass keine zumutbare Umzugsmöglichkeit besteht, wobei allerdings die weitere Interessenabwägung auch in diesem Fall einer Räumungsfrist entgegenstehen kann. Die Unzumutbarkeit des Umzugs kann dabei auf zwei Faktoren beruhen: Entweder fehlt es bereits an einer zumutbaren Ersatzwohnung oder dem Schuldner ist der Umzug als solcher nicht zumutbar (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 11. A. 2013, § 721 ZPO Rn. 16). Das Fehlen zumutbaren Ersatzwohnraums muss der Schuldner darlegen und beweisen. Hierfür ist es erforderlich, dass der Schuldner nachweist, dass er sich hinreichend um Ersatzwohnraum bemüht hat. Für die Intensität der Ersatzraumsuche sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Entscheidend ist, wann ein vernünftiger Mieter im konkreten Fall mit der Suche begonnen hätte.  (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 11. A. 2013, § 721 ZPO Rn. 21f.; Musielak/Lackmann § 721 ZPO Rn. 16).

Die Beklagten haben zwar im Beschwerdeverfahren vorgebracht, dass sie aufgrund der Erkrankung des Bekl. Ziff. 2 auf eine Wohnung in der Nähe CRONA-Klinik angewiesen seien und auf den bekanntermaßen angespannten Wohnungsmarkt in Tübingen verwiesen; zu Bemühungen um Ersatzwohnraum, die spätestens nach Zustellung des Urteils vom 6.3.2015 an den Beklagtenvertreter am 13.3.2015 zu erwarten gewesen wären, haben sie jedoch nichts vorgetragen.

b. Dem steht das Erlangungsinteresse des Vermieters entgegen, das durch den bestehenden – hier mittlerweile rechtskräftigen – Räumungstitel verbrieft ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist, ob und in welchem Maße er auf die Rückgabe der Mietsache angewiesen ist und ob und in welchem Umfang ihm durch die Bewilligung einer Räumungsfrist ein Vermögensschaden droht. Die Gewährung einer Räumungsfrist ist für den Vermieter grundsätzlich unzumutbar, wenn die Zahlung der laufenden Miete/Nutzungsentschädigung für die Dauer der Räumungsfrist nicht gewährleistet ist (OLG Stuttgart NJW-RR 2007, 15; Musielak/Lackmann § 721 ZPO Rn. 4). Die Beklagten haben – abgesehen von den Rückständen, die zur Wirksamkeit der Kündigung geführt haben – seit Januar 2015 keine Miete/Nutzungsentschädigung mehr bezahlt. Sie haben zwar mit Schriftsatz vom 10.4.2015 vorgebracht, dass sie sich „intensiv“ um Zahlung der Nutzungsentschädigung durch eine öffentliche Stelle bemühten; das Gericht hat jedoch mangels anderweitigen Vorbringens der Beklagten davon auszugehen, dass diese Bemühungen bis heute nicht erfolgreich waren.

c. Unter Berücksichtigung der genannten Belange der Parteien konnte den Beklagten jedenfalls unter Berücksichtigung des vom Beschwerdegerichts zu Grunde zu legenden Sachverhalts keine Räumungsfrist bis 30.6.2015 bewilligt werden. Der Klägerin als Vermieterin ist die weitere Überlassung der Wohnung an die Beklagten nicht zuzumuten, nachdem sie seit Monaten keine Mietzahlungen erhält, zumal sie unter Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse der Beklagten, die noch nicht einmal die vertraglich vereinbarte Kaution bezahlt haben, auch nicht ohne weiteres damit rechnen kann, diese Rückstände noch realisieren zu können.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 100 Abs. 4 ZPO. Da den Beklagten für die Zeit ab Zustellung des Urteils (13.3.2015) bis 30.6.2015 eine Räumungsfrist bewilligt wurde, war der Streitwert auf die auf diesen Zeitraum entfallende Kaltmiete von 2.043,61 € festzusetzen.

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