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Verhaltensbedingte Kündigung psychisch erkrankter Mieter

AG Neukölln – Az.: 13 C 397/18 – Urteil vom 16.10.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist eine … die Angebote für psychisch erkrankte Menschen außerhalb von psychiatrischen Kliniken schafft und betreut.

Die Klägerin vermietete als Hauptmieterin einer Wohnung im Hause … Berlin, davon an die Beklagte gemäß „Mietvertrag“ vom 15.09.2016 bzw. 27.09.2016 (Blatt 12-23 / Band 1) nebst „Informationsblatt“ sowie diversen Anlagen (Blatt 24-30/Band 1) ein Zimmer mit Balkon. Die Beklagte nutzt danach ferner die Küche, das Bad und den Flur. Wie die Klägerin unstreitig vorträgt, waren vom Mietvertrag auch Betreuungsleistungen der Klägerin gegenüber der Beklagten umfasst. Die Beklagte verweist hierzu auf einen von ihr auszugsweise als Anlage B 2 eingereichten Betreuungsvertrag mit der Klägerin vom 23.08.2016 (Blatt 131,132/Band 1). Die Betreuung endete am 30.04.2018 mangels weiterer Kostenübernahme durch das Bezirksamt. Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten ist gemäß Beschluss des Amtsgerichts Neukölln vom 14.07.2016 (Blatt 31-32/Band 1) zu deren Betreuerin bestellt.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe mehrfach bereits entsorgten Müll in das Ladenlokal „…“ zurückgebracht, sowie die von ihr, der Klägerin, durchgeführten WG-Frühstücke und WG Sitzungen gestört, indem sie das Gespräch an sich gerissen und lange Monologe geführt habe und ferner bei ca. jeder zweiten Sitzung laut und aggressiv gewesen sei. Die Beklagte habe ferner in der Nacht auf den 15.06.2017 private Informationen über ihre damalige Mitbewohnerin aus dem Fenster der Wohnung geschrien und durch den Lärm andere Hausbewohner gestört, am selben Tage eine Gruppe des Arbeitstrainings, die mit der Gartenpflege beschäftigt gewesen sei, an ihrer Arbeit gehindert und bedrängt, eine Mitarbeiterin der Klägerin belästigt und danach am 16.07.2017 ihre damalige Mitbewohnerin im Badezimmer bedrängt und genötigt.

Unstreitig erklärte die Klägerin daraufhin nach einer bereits mit Schreiben vom 16.06.2017 (Blatt 36/Band 1) an die Beklagte ausgesprochenen Abmahnung mit Schreiben vom 24.07.2017 (Blatt 45,46/Band 1) an die Beklagte wegen des darin beanstandeten Verhaltens der Beklagten die fristlose sowie hilfsweise fristgerechte Kündigung des Mietverhältnisses.

Die Klägerin behauptet weiter, die Beklagte habe danach in der Zeit vom 01.08. 2017 bis zum 13.04 2018 auf dem Grundstücksgelände und unter anderem auch in ihrem, der Klägerin Büro, ihre Mitarbeiter sowie andere WG-Bewohner oder Hausbewohner beschimpft und beleidigt oder herumgeschrien (im Einzelnen Schriftsatz der Klägerin vom 31.08.2018, Seite 4 bis 8, Blatt 81 bis 85/Band 1).

Die Beklagte habe schließlich am 18.05.2018 ihr, der Klägerin, Büro in der … unangemeldet aufgesucht und versucht, die Zeugin … in ein weiteres Gespräch zu verwickeln, sich trotz Aufforderung geweigert, zu gehen und stattdessen begonnen zu schreien. Als die Zeugin … versucht habe, per Mobiltelefon die Polizei herbeizurufen, habe die Beklagte danach geschlagen, und die Zeugin … schließlich am Handgelenk festgehalten, um das Telefonat zu verhindern. Die Zeugin … habe sich schließlich dem Griff der Beklagten entwinden können.

Unstreitig ließ die Klägerin danach mit Anwaltsschreiben vom 04.06.2018 an die Beklagte (Blatt 56-60/Band 1) sowie an die Betreuerin der Beklagten (Blatt 61-66/Band 1) erneut die fristlose sowie hilfsweise ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen des darin beanstandeten Verhaltens der Beklagten erklären.

Die Klägerin behauptet weiter, die Beklagte habe danach am 24.07.2018 in ihrer Wohnung mehrere Stunden lang geschrien. Hierüber hätten sich mehrere Nachbarn beschwert.

Als die Zeugin … gemeinsam mit einem Handwerker am 25.07.2018 die Wohnung der Beklagten aufgesucht habe, um die Gastherme reparieren zu lassen, habe die Beklagte sie beide angeschrien, beleidigt und sich aggressiv verhalten sowie einige wirre Gedanken geäußert mit der Folge, dass die Zeugin … und der Handwerker die Wohnung verlassen hätten, ohne dass zuvor die Reparatur durchgeführt worden wäre. Die Beklagte habe am 20.08.2018 und am 21.08.2018 erneut mehrere Stunden auf dem Hausgelände geschrien. Es hätten deshalb mindestens drei Polizeieinsätze stattgefunden.

Als eine Mitarbeiterin der Klägerin sowie weitere Klienten der Klägerin am 22.08. 2018 Gartenarbeiten auf dem Hausgrundstück verrichtet hätten, habe die Beklagte versucht, einem der Klienten der Klägerin den Spaten aus der Hand zu nehmen. Als eine Mitarbeiterin der Klägerin dazwischen gegangen sei, habe die Beklagte ihr zweimal auf den Arm geschlagen, um ihr den Spaten wegzunehmen. Als die Mitarbeiterin ihr daraufhin den Spaten übergeben habe, habe die Beklagte diesen auf den Rasen geworfen und die Mitarbeiterin beschimpft. Die Gruppe habe schließlich den Garten verlassen müssen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Die Beklagte habe bei Beginn des Mietverhältnisses noch Medikamente genommen, diese allerdings eigenmächtig danach abgesetzt mit der Folge, dass die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Klägerin nicht mehr länger möglich gewesen sei.

Die Klägerin hat deshalb mit Schriftsatz vom 31.08.2018 wegen der weiteren von ihr beanstandeten Vorfälle nach der Kündigung mit Anwaltsschreiben vom 04.06.2018 erneut die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses erklärt.

Die Klägerin behauptet weiter, die Eigentümerin der Wohnung sei nicht länger gewillt, die Belästigungen anderen Mieter durch die Beklagte hinzunehmen und erwäge deshalb das Hauptmietverhältnis zu kündigen.

In diesem Falle würde das von ihr, der Klägerin, verfolgte Betreuungskonzept nachhaltig gefährdet, da sie sich den Verlust von 5 Wohnplätzen nicht leisten könne.

Es sei „auch nach der letzten mündlichen Verhandlung…zu…Störungen gekommen“. Ein Nachbar habe sich über extremen Lärm beschwert. Die Klägerin verweist hierzu auf ein von ihr als Anlage K 18 eingereichtes und so bezeichnetes anonymisierte Schreiben vom 22.11.2018 (Blatt 17/Band 2). Ferner sei die Wohnung aufgrund des Verhaltens der Beklagten nur zur Hälfte nutzbar, da sie, die Klägerin, das zweite Zimmer nicht vermieten könne. So habe die Beklagte die gesamte Wohnung mit Kartons und ihren persönlichen Gegenständen vollgestellt. Danach sei eine Nutzung der Sanitär- und Kochgelegenheit nicht mehr möglich, das leer stehende Zimmer könne nicht betreten werden, da die Beklagte vor der Tür Kisten aufgestapelt habe.

Die Klägerin hat deshalb nochmals mit Schriftsatz vom 14.03.2019 die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses erklärt, Blatt 16/Band 2.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, in der Wohnung … Berlin, …, …, bestehend aus zwei Zimmern, davon eins mit Balkon, einem Badezimmer, einer Küche und einem Flur, das Zimmer mit dem Balkon sowie das Badezimmer, die Küche und den Flur zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, sie sei aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands schuldunfähig.

„Den Beteiligten“ sei schließlich das bei ihr diagnostizierte Krankheitsbild einer paranoiden Schizophrenie bekannt gewesen.

Die Beklagte verweist hierzu auf den von ihr als Anlage B1 auszugsweise eingereichten und so bezeichneten Behandlungs- und Rehabilitationsplan vom 28.09.2016 (Blatt 129,130/Band 1) und trägt hierzu vor, auf dieser Grundlage sei der Betreuungsvertrag mit der Klägerin vom 23.08.2016 (Blatt 131,132/Band 1) zustande gekommen. Danach sei der Klägerin klar gewesen, dass die zukünftige Zusammenarbeit nicht unproblematisch sei und auch Konflikte entstehen könnten. Eben dies sei ein wesentlicher Inhalt des Betreuungsvertrags gewesen. Danach sei ferner das Zusammenleben mit anderen Bewohnern bei fachlicher Unterstützung möglich. Die Beklagte verweist hierzu ergänzend auf den von ihr als Anlage B 3 auszugsweise eingereichten und so bezeichneten Behandlungs- und Rehabilitationsplan vom 28.09.2016 (Blatt 133/Band 1).

Sie habe die Medikamentation bereits vor Vertragsschluss abgesetzt. Hierüber seien die Vertreter der Klägerin vor Vertragsabschluss informiert gewesen. Im Übrigen nehme sie seit dem letzten stationären Aufenthalt ihre Medikamente ein. Es zu keinen weiteren Vorfällen gekommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitig eingereichten Schriftsätze verwiesen.

Das Gericht hat über die Behauptung der Beklagten, wonach im Falle der von der Klägerin behaupteten Vorfälle jedenfalls aufgrund dauernder krankhafter Störung ihrer Geistestätigkeit ihre freie Willensbestimmung ausgeschlossen gewesen wäre, gemäß Beschluss vom 27.03.2019 (Blatt 23-25/Bd. 2) dadurch Beweis erhoben, dass es den Sachverständigen … … damit beauftragt hat, hierzu ein schriftliches Gutachten zu erstellen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Psychiatrische Gutachten vom 11.06.2019 (Blatt 38-43/Bd. 2) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig.

Das Amtsgericht ist gemäß § 23 Nr. 2 a) GVG unabhängig von der Höhe des Streitwerts zuständig, da der zwischen den Parteien zustande gekommene Mietvertrag in Anbetracht des zwischen den Parteien gesondert abgeschlossenen Betreuungsvertrags ausschließlich auf die Überlassung von Wohnraum gerichtet ist, also keine zumal überwiegenden Elemente eines auf Erbringung von Betreuungsleistungen gerichteten Dienstverhältnisses enthält (vgl. LG Kleve ZMR 2016, 959-961). Dem steht nicht entgegen, dass nach der „Präambel“ zum Mietvertrag „die Bereitstellung des Wohnraums durch diesen Vertrag… ausschließlich der Sicherstellung des in Betreuungsvertrag formulierten Betreuungszwecks“ dienen soll und demgegenüber „in den Hintergrund tritt“. Wie die Klägerin selbst vorträgt, bietet sie keine Rundumbetreuung an. Ihr Konzept bestehe darin, dass die betreuten Personen grundsätzlich selbstständig leben und nur bezüglich einzelner Aspekte Unterstützung benötigen, (so Seite 10 des Schriftsatzes vom 17.10.2018, Blatt 153/Bd. 1). Damit liegt jedenfalls der Schwerpunkt beider zwischen den Parteien zustande gekommenen Vereinbarungen auch in der Gesamtbetrachtung in der Wohnraumüberlassung.

II. Die Klage ist allerdings unbegründet.

1. Der Klägerin steht der von ihr geltend gemachte und auf § 546 Abs. 1 BGB gestützte Anspruch auf Räumung der von der Beklagten genutzten Räumlichkeiten innerhalb der Wohnung … Berlin nicht zu.

a. Auf den zwischen den Parteien zustande gekommenen Mietvertrag findet gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 WBVG das WBVG entsprechend Anwendung, da die Parteien über die Überlassung von Wohnraum sowie die Erbringung von Betreuungsleistungen getrennte Verträge abgeschlossen haben, mithin die von der Klägerin als Unternehmerin geschuldeten Leistungen Gegenstand verschiedener Verträge sind und der Bestand des Mietvertrags von dem Bestand des gesondert abgeschlossenen Betreuungsvertrags abhängig ist.

b. Es kann dahinstehen, dass nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin die Betreuung am 30.04.2018 endete. Soweit hierzu in der Präambel zum Mietvertrag unter Verweis auf § 549 Abs. 2 Satz 3 BGB bestimmt ist, dass „Das Recht zur Nutzung der überlassen Räumlichkeiten … mit der Beendigung des Betreuungsverhältnisses“ ende, steht dies bereits im Widerspruch zu § 2 Abs. 2 des Mietvertrags, wonach „das Vertragsverhältnis … in beiderseitigem Einvernehmen (Auflösungsvertrag), durch Kündigung (§ § 3,4) oder durch den Tod des Klienten (§ 5)“ endet, also gerade nicht durch die bloße Beendigung des in der Präambel so bezeichneten Betreuungsverhältnisses. Ferner ist in § 4 Satz 4 a) des Mietvertrags bestimmt, dass die Klägerin danach das Vertragsverhältnis „bei Vorliegen eines wichtigen Grundes“ kündigen kann, wenn sie „eine fachgerechte Betreuungsleistung nicht erbringen kann, weil der Klient eine… angebotene Anpassung der Leistungen nach § 8 Abs. 1 WBVG nicht annimmt und… deshalb ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar ist“. Auch dies ist dahin auszulegen, dass bei einer – etwa von der Klägerin gesondert betriebenen – Beendigung des Betreuungsverhältnisses nicht zugleich auch das Mietverhältnis ohne dessen ausdrückliche Kündigung unter den hierzu im Mietvertrag geregelten Voraussetzungen beendet sein soll. Sämtliche dieser Vertragsklauseln stellen schließlich Allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 305 BGB dar. Dies ergibt sich aus der Erscheinungsform des Textes des streitgegenständlichen Mietvertrags, als auch aus dessen Inhalt. Danach spricht zumindest ein erster Anschein für das Vorliegen Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Da hiernach zumindest im Sinne von 305c Abs. 2 BGB unklar ist, ob es der Klägerin als Vermieterin tatsächlich möglich sein soll, das Mietverhältnis ohne dessen Kündigung unter den hierzu im Mietvertrag selbst im Einzelnen geregelten Voraussetzungen zu beenden, gehen die danach verbleibenden Zweifel bei der Auslegung nach der Vorschrift des § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Klauselverwenders (BGH NJW-RR 2019, 625-627) mit der Folge, dass hiernach die bloße Beendigung des Betreuungsverhältnisses nicht bereits zur Beendigung des Mietverhältnisses führen soll. Deshalb kann auch dahinstehen, dass nach § 16 WBVG der im WBVG geregelte Kündigungsschutz nicht durch Vereinbarung zum Nachteil des Verbrauchers ausgeschlossen werden kann.

c. Die Klägerin kann als Vermieterin und Heimbetreuerin nach § 4 Satz 4 b) des Mietvertrages – in Übereinstimmung mit § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) – die Kündigung aus wichtigem Grund erklären, wenn „der Klient seine vertraglichen Pflichten schuldhaft so gröblich verletzt, dass die… (Klägerin) die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr länger zugemutet werden kann“ (vgl. OLG Frankfurt NJWRR 2016, 1394-1396).

d. Soweit der Verbraucher danach seine vertraglichen Pflichten verletzen muss, fallen hierunter unter anderem häufige Belästigungen anderer Verbraucher und des Personals, das Beschädigen des Unternehmereigentums oder aber auch erheblich betriebsschädigende Äußerungen, des Weiteren sonstige dauernde oder schwere Verstöße gegen die Hausordnung sowie Gefährdungen des Wohnraumes (Bregger in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, juris PK-BGB, 8. Aufl. 2017, Rn 28 zu § 12 WBVG).

Eine danach auf § 12 Abs. 1 Satz 1 WBVG gestützte Kündigung aus wichtigem Grund soll auch verschuldensunabhängig wirksam sein, wenn sich etwa im Falle der wiederholten Bedrohung und Verletzung der körperlichen Integrität der Mitarbeiter und -bewohner die objektive Gefährlichkeit des Mieters in einem Umfang gezeigt hat, die dem Vermieter ein Festhalten am Vertrag unzumutbar macht (OLG Hamm, Beschluss vom 25. August 2017 – I-30 U 34/17 –, juris). Demgegenüber muss für eine auf § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3. WBVG gestützte Kündigung das vertragswidrige Verhalten des Verbrauchers zusätzlich schuldhaft sein. Der Verbraucher muss also entweder vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Handelt der Verbraucher nicht schuldhaft, weil er sein Verhalten infolge einer Krankheit nicht steuern kann, kann die Kündigung nicht auf § 12 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 WBVG gestützt werden. (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 07. Oktober 2014 – 5 W 37/14 –, juris). Schließlich muss das vertragsverletzende Verhalten so gröblich sein, dass dem Unternehmer keine Fortsetzung des Vertrages zugemutet werden kann. Dies ist anzunehmen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher irreparabel geschädigt ist (Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, Rn 30 zu § 12 WBVG).

e. Die fristlose sowie hilfsweise fristgerechte Kündigung mit Schreiben vom 24.07.2017 (Blatt 45,46/Band 1) an die Beklagte führte danach zu keiner Beendigung des Mietverhältnisses.

Die von der Klägerin als Grundlage dieser Kündigung behaupteten Vorfälle rechtfertigen weder eine fristlose noch eine ordentliche Kündigung. Soweit danach nicht näher erläuterte „lautstarke Beschimpfungen anderer Bewohnerinnen durch das Fenster zum Hof hin“ sowie ferner beanstandet ist, dass die Beklagte am 16.07.2017 ihre damalige Mitbewohnerin im Badezimmer bedrängt und genötigt haben soll, ohne dass auch hierzu Ausmaß und Umfang dieser Auseinandersetzung erläutert ist, genügt dies nicht.

Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass die Klägerin neben der Überlassung von Wohnraum auch gemäß dem von der Beklagten auszugsweise als Anlage B2 eingereichten Betreuungsvertrag (Blatt 131,132/Band 1) Betreuungsleistungen für die Beklagte als Psychiatriepatientin schuldete, nach dem weiteren Vortrag der Beklagten unter Bezugnahme auf einen von ihr als Anlage B1 eingereichten und so bezeichneten „Behandlungs- und Rehabilitationsplan vom 28.09.2016 (Blatt 129,130/Band 1) auch davon wusste, dass nach dem bei der Beklagten diagnostizierten Krankheitsbild eine paranoide Schizophrenie bestand und infolgedessen mit Verhaltensauffälligkeiten, Schwierigkeiten und Problemen im Umgang mit der Beklagten und den damit verbundenen Betreuungsleistungen rechnen musste. Die von der Klägerin hierzu behaupteten Vorfälle halten sich noch im Rahmen dessen, womit die Klägerin im Rahmen der von ihr ferner übernommen Betreuungsleistungen rechnen musste und stellen deshalb keinen Kündigungsgrund dar.

f. Die fristlose sowie hilfsweise fristgerechte Kündigung mit Anwaltsschreiben vom 04.06.2018 an die Beklagte (Blatt 56-60/Band 1) sowie an die Betreuerin der Beklagten (Blatt 61-66/Band 1) führte ebenfalls zu keiner Beendigung des Mietverhältnisses.

Die hierzu behaupteten Vorfälle am 15.Juni 2017, am 16.Juli 2017 und am 18.Mai 2018 rechtfertigen in ihrer Gesamtheit allenfalls eine auf § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr 3. WBVG gestützte Kündigung. Dies setzte also voraus, dass die Beklagte dabei schuldhaft gehandelt haben müsste.

Die danach beanstandete Lärmbelästigung sowie das ferner als körperliche Belästigung beschriebene, allerdings nicht näher erläuterte Verhalten gegenüber einer „Gruppe des Arbeitstrainings“ jeweils am 15.06.2017, das bereits in der Kündigung mit Schreiben vom 24.07.2017 (Blatt 45,46/Band 1) beanstandete Verhalten gegenüber der Mitbewohnerin am 16.07.2017 und schließlich diverse beanstandete, allerdings nicht näher beschriebene Störungen der WG Sitzungen und des WG Frühstücks rechtfertigen bereits aus den oben zu II.1.e. ausgeführten Gründen unabhängig von einem etwaigen Verschulden keine Kündigung. Soweit die Beklagte ferner am 18.05.2018 die Zeugin … bei ihrem Versuch, per Mobiltelefon die Polizei herbeizurufen, danach geschlagen, und die Zeugen … schließlich am Handgelenk festgehalten haben soll, um das Telefonat zu verhindern, kann eine solche Tätlichkeit die fristlose Kündigung allenfalls rechtfertigen, wenn die Beklagte dabei schuldhaft gehandelt hätte. Eine solche nach dem eigenen Vortrag der Klägerin bis dahin beispiellose Tätlichkeit rechtfertigt nicht die Annahme einer derart schwerwiegenden objektiven Gefährlichkeit der Beklagten, dass es der Klägerin allein deshalb nicht mehr zumutbar wäre, am Vertrag festzuhalten.

Nach dem Ergebnis des hierzu eingeholten Psychiatrischen Gutachtens vom 11.06.2019 (Blatt 38-43/Band. 2) hätte die Beklagte allerdings im Falle einer solchen Tätlichkeit, die zwischen den Parteien streitig ist, im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt, im Übrigen auch im Falle der von der Klägerin ferner beanstanden Belästigung der Mitbewohnerin bereits am 16.07.2017.

Der Sachverständige hat unter Hinweis auf von ihm bereits für die Beklagte erstellte „Vorgutachten (Betreuung- und Unterbringungsgutachten)“ ausgeführt, die Beklagte sei in Form einer paranoiden schizophrenen Psychose psychisch erkrankt und habe mit akuten psychotischen Schüben bereits mehrfach auf einer geschlossen zu führenden Station im Krankenhaus … untergebracht werden müssen. Die Beklagte zeige bei solchen Schüben formale Denkstörungen in Form einer Denkzerfahrenheit und Ideenflüchtigkeit. Daneben hätten sich inhaltliche Denkstörungen in Form wahnhafter Ideen gefunden. Darunter sei es zu einer erheblichen psychomotorischen Unruhe mit Anspannung und Erregung sowie fremdaggressivem Verhalten (Anheben der Arme und beide Hände zu Fäusten) gekommen, allerdings nicht zu direkten körperlichen Verletzungen.

Das Amtsgericht … habe deshalb bereits mit Beschlüssen vom 03.06.2016 sowie vom 07.02.2019 eine vorläufige Betreuung für diverse und nachträglich erweiterte Bereiche eingerichtet (im einzelnen Seite 2 und 3 des Gutachtens, Blatt 39,40/Band. 2). Da die Beklagte krankheitsuneinsichtig sei und die verordnete neuroleptische Medikation immer wieder abgelehnt sowie auch die vorgeschlagene ambulante psychiatrische Behandlung nicht wahrgenommen habe, habe dies „zu einer Chronifizierung der Psychose“ geführt (Seite 3 des Gutachtens, Blatt 40 rechtlich Band. 2).

Die Beklagte habe bei einer von ihm vorgenommenen Begutachtung am 17.12.2018 zur Betreuungsverlängerung ein „gemischtes Residualsyndrom mit sprunghaftem beschleunigtem Denkablauf, einer deutlichen Antriebssteigerung mit passagerer dranghafter Enthemmung“ gezeigt. Es hätten „unterschwellig… weiterhin wahnhafte Denkinhalte… mit dem Gefühl“ angeklungen, „sich ständig unter Druck zu fühlen der von außen auf sie ausgeübt“ werde. Sie habe das Gefühl gehabt, „von anderen Menschen gemieden zu werden“. Die Beklagte habe bereits am 22.01.2018 mit einem erneuten psychotischen Schub stationär untergebracht werden müssen. Es sei davon auszugehen, „dass in der Residualsymptomatik geringe Anlässe wie ein Gedanke, Gesten oder ein Wort immer wieder akutes psychotisches Geschehen auslösen“ könnten (Seite 3 des Gutachtens, Blatt 39/Band. 2).

Die Beklagte, die auch weiterhin völlig krankheitsuneinsichtig sei, nehme nach stationären Entlassungen die verordnete neuroleptische Medikation nicht weiter ein und verweigere auch ambulante psychiatrische Mitbehandlungen.

In Anbetracht der „Chronifizierung der Erkrankung“ bestünden bei der Beklagten weiterhin unterschwellig wahnhafte Denkinhalte neben sprunghaftem und beschleunigtem Denkablauf und eine Antriebssteigerung mit Enthemmung und erhöhter Erregbarkeit. Geringe Anlässe reichten aus, um erneut einen akuten Schub der Psychose auszulösen. Im Rahmen solcher akuter Schübe sei die Geschäftsfähigkeit bei der Beklagten aufgehoben. Im Rahmen von Residualsyndromen zwischen akuten Schüben bleibe die freie Willensbestimmung ebenfalls aufgehoben, die Geschäftsfähigkeit sei als erheblich eingeschränkt anzusehen. Die Beklagte sei danach bei erheblicher Beeinträchtigung der Urteils- und Kritikfähigkeit und völliger Krankheitsuneinsichtigkeit schließlich krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihr Verhalten einzuschätzen und infolgedessen „bei der Schwere der Erkrankung für die ihr vorgeworfenen Fehlverhaltensweisen nicht verantwortlich zu machen“. Diese seien „eindeutig als krankheitsbedingt anzusehen“. Danach sei „aus fachärztlicher Sicht… eine Schuldfähigkeit der“ Beklagten nicht zu erkennen (Seite 4 des Gutachtens, Blatt 41/Band. 2.

g. Die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses mit Schriftsatz vom 31.08.2018 (Blatt 78 ff/Band. 1) führte ebenfalls zu keiner Beendigung des Mietverhältnisses.

Die danach behaupteten diversen Lärmbelästigungen bzw. Wutausbrüche der Beklagten in der Zeit vom 01.08.2017 bis zum 24.07.2018 rechtfertigen bereits aus den oben zu II.1.e. ausgeführten Gründen unabhängig von einem etwaigen Verschulden keine Kündigung. Der danach erneut beanstandete Vorfall am 18.05.2018, das als aggressiv beanstandete Verhalten am 25.07.2018, die ferner beanstandeten Polizeieinsätze am 20.08.2018 sowie am 21.08.2018 und schließlich der weiter beanstandete Vorfall am 22.08.2018, wonach die Beklagte neben diversen Beschimpfungen versucht haben soll, einem der Klienten der Klägerin den Sparten aus der Hand zu nehmen und schließlich einer Mitarbeiterin der Klägerin zweimal auf den Arm geschlagen haben soll, rechtfertigen auch in ihrer Gesamtheit nach dem oben zu II.1. f. Ausgeführten allenfalls eine auf § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr 3. WBVG gestützte Kündigung, eine solche ist infolgedessen nach dem dort ebenfalls Ausgeführten mangels Schuldfähigkeit unwirksam.

h. Die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses mit Schriftsatz vom 14.03.2019, Blatt 12 ff/Band. 2) führte ebenfalls zu keiner Beendigung des Mietverhältnisses.

Soweit darin im Wesentlichen unter Bezugnahme auf ein als Anlage K 18 eingereichtes und so bezeichnetes anonymisierte Schreiben (Blatt 17,18/Band 2) weitere darin aufgeführte Störungen bzw. Belästigungen der Beklagten beanstandet sind, kann dahinstehen, ob die schlichte Bezugnahme hierauf bereits einen hinreichenden und damit einer Beweisaufnahme zugänglichen Sachvortrag darstellt. Abgesehen davon hätte die Klägerin auf das Bestreiten der Beklagten hin hierfür keinen weiteren Beweis angetreten.

Soweit darin ferner beanstandet ist, dass die Beklagte das andere unbelegte Zimmer der von ihr angemieteten Wohnung mit Kartons vollgestellt habe und damit sowie durch ihr ganzes Verhalten eine Vermietung dieses Zimmer an eine andere Person unmöglich mache, rechtfertigt Ersteres bereits aus den oben zu II.1.e. ausgeführten Gründen nicht auch nur die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses, zumal die Klägerin auch nicht näher darlegt, weshalb es ihr nicht möglich bzw. nicht zumutbar sein soll, diese Kartons schlicht aus diesem Raum zu entfernen.

Auch das insgesamt beanstandete Verhalten der Beklagten kann als geltend gemachter Hinderungsgrund für die Vermietung dieses anderen Raums an eine weitere Person schon deshalb kein eigenständiger Kündigungsgrund sein, weil nach dem oben zu II.1.e. Ausgeführten das Verhalten der Beklagten an sich bereits keinen entsprechenden Kündigungsgrund darstellt, da hiernach das Verhalten der Beklagten für die Klägerin grundsätzlich hinnehmbar ist, infolgedessen auch die von der Klägerin als damit verbunden beanstandete eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit der übrigen Räume dieser Wohnung. Weitere hinreichend konkrete Kündigungsgründe sind in diesem Schriftsatz nicht aufgeführt.

II. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den § § 91 Absatz 1, 708 Nr. 7, 711 ZPO.

 

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