AG Köln – Az.: 215 C 48/22 – Urteil vom 17.01.2023
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft.
In der Eigentümerversammlung vom 20.06.2022 wurden unter anderem die folgenden Beschlüsse gefasst:
Zu Tagesordnungspunkt 1 beschlossen die Eigentümer nach § 28 Abs. 2 S. 1 WEGüber die Anpassung der Vorschüsse bzw. die Einforderung von Nachschüssen für das Wirtschaftsjahr 2021. Dem Beschluss lag unter anderem die Heizkostenabrechnung 2021 (Anl. K5, Bl. 44 f. GA) zugrunde. Diese ging von einem Heizöl-Altbestand zum Schluss der vorherigen Abrechnungsperiode von 14.000 l aus. Als erster Zufluss im Abrechnungszeitraum ist eine Lieferung von 30.000 l Heizöl zum Preis von 14.598,60 Euro brutto unter dem Datum 08.01.2021 aufgeführt. Tatsächlich handelte es sich insoweit um das Zahlungsdatum; die Lieferung war vielmehr am 17.12.2020 erfolgt (Anl. K6, Bl. 46 GA).
Zu Tagesordnungspunkt 3 wurde wie folgt beschlossen:
„Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschließt die Bildung einer Liquiditätsrücklage in Höhe von 200.000,00 Euro p.a. zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft im Fall von finanziellen Engpässen auf dem gemeinschaftlichen Girokonto. Die Verwaltung ist demnach ermächtigt, im Fall von Liquiditätsengpässen auf diesen Rücklagenbetrag zuzugreifen. Um diese Summe aufzubringen, wird die bestehende Erhaltungsrücklage um den Betrag von max. 200.000,00 Euro aufgelöst und dieser Betrag der Liquiditätsrücklage zugeführt. Dieser Betrag verbleibt dauerhaft auf dem Girokonto. Die Beiratsmitglieder werden vor diesen Umbuchungen von der Verwaltung informiert.“
Die Erhaltungsrücklage betrug vor dem Beschluss 1.889.000 Euro. Jährlich zugeführt werden 233.000 Euro. In dem Objekt müssen unter anderem die Balkon aufwendig saniert werden, wofür schon in der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung ein Kostenrahmen von 3,6 Millionen bis 5 Millionen Euro veranschlagt wurde.
Durch Beschluss zu Tagesordnungspunkt 4 wurde der Verwaltungsbeirat für die Tätigkeit im Jahr 2021 entlastet.
Zu Tagesordnungspunkt 5 wurde der Verwaltungsbeirat ermächtigt, einen neuen Verwaltervertrag (Anl. K9, Bl. 56 ff. GA) mit der Hausverwaltung abzuschließen. Dieser enthielt unter anderem folgende Regelungen:
Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.
Weiter waren diverse Leistungen nicht Bestandteil der Grundvergütung, sondern sollten nach Stundenaufwand vergütet werden. Zudem sah der Vertrag vor, dass die Verwaltung nunmehr berechtigt sein sollte, Erhaltungs-Aufträge bis zu 10.000,00 Euro statt zuvor 7.500,00 Euro selbstständig zu vergeben.
Mit Schriftsatz vom 26.08.2022 bot die Beklagte der Klägerin an, einen Termin zur Belegeinsicht zu vereinbaren.
Die Klägerin behauptet, die ihr vor der Eigentümerversammlung – unstreitig – auf einem USB-Stick übergebenen Belege seien nicht vollständig gewesen. Zudem hätten sich manche Dokumente nicht öffnen lassen. Ordnungsgemäße Belegeinsicht sei ihr bis zur Klagebegründung nicht gewährt worden.
Die Klägerin hat zunächst behauptet, durch das fasch angegebene Lieferdatum beim Heizöl sei der Anfangsbestand für das Jahr 2021 unzutreffend. Nunmehr behauptet sie, der Anfangsbestand sei zutreffend, das am 17.12.2020 gelieferte Heizöl sei aber zu erheblichen Teilen bereits im Kalenderjahr 2020 verbraucht worden. Im Übrigen seien die Heizkostenverteiler der Küchen-Heizkörper in ca. 30 % der Wohnungen nicht abgelesen worden. Sie meint weiter, der Beschluss über die Abrechnungsspitzen sei deshalb falsch, weil – was unstreitig ist – im Lohnjournal des Steuerberaters der Beklagten für das Jahr 2021 ein um 361,62 Euro niedrigerer Betrag als in der Jahresabrechnung enthalten sei.
In Bezug auf die Liquiditätsumlage behauptet sie, es sei schon eine Million Euro aus der Erhaltungsrücklage fix für die Balkonsanierung eingeplant.
Die Klägerin meint, die Entlastung des Verwaltungsbeirates widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung. Dies zunächst deshalb, weil der Verwaltervertrag, dessen Abschluss der Beirat – unstreitig – vorgeschlagen habe – die genannten zusätzlichen Vergütungen vorsehe. Dies sei aber rechtlich unzulässig. Weiter behauptet sie, der Beirat verfolge die Einziehung offener Versicherungsforderungen aus Wasserschäden und doppelt bezahlter Rechnungen in Höhe von über 100.000 Euro nicht hinreichend. Sie meint weiter, die Ermächtigung zum Abschluss des Verwaltervertrages (TOP 5) habe aufgrund der genannten Punkte sowie aufgrund der Haftungsprivilegierungen in § 5 des Vertragsentwurfes ordnungsgemäßer Verwaltung widersprochen.
Die Klägerin hat sämtliche der vorstehenden Beschlüsse mit der am 20.07.2022 eingereichten Klage angefochten. Nachdem ein neuer Verwalter bestellt worden ist und der beschlussgegenständliche Vertrag nicht zustande gekommen ist, haben die Parteien den Rechtsstreit in Bezug auf den unter TOP 5 gefassten Beschluss übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Klägerin beantragt, die in der Eigentümerversammlung vom 20.06.2022 gefassten Beschlüsse unter
- Tagesordnungspunkt 1, Wohngeldabrechnung 2021,
- Tagesordnungspunkt 3, Entnahme aus der Erhaltungsrücklage zur Bildung einer „Liquiditätsrücklage“,
- Tagesordnungspunkt 4, Entlastung des Verwaltungsbeirats,
für ungültig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet – unwidersprochen – die Differenz der Hausmeisterkosten ergebe sich daraus, dass die Lohnsteuer für Dezember 2020 in Höhe von 361,62 Euro erst im Januar 2021 abgebucht worden sei.
Die Beklagte behauptet weiter, ebenfalls unwidersprochen, dass es 37 Apartments und 7 weitere kleine Wohnungen ohne eigene Küche und damit auch ohne Küchenheizkörper gebe. In anderen Wohnungen habe es zudem Veränderungen des Zuschnitts gegeben. Deshalb gebe es für eine nennenswerte Anzahl von Wohnungen in der Küche keine Heizkörper und somit keine Heizkostenverteiler, die hätten abgelesen werden können.
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz hat die Klägerin zu den Kosten der geplanten Balkonsanierung ergänzend vorgetragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
Die angefochtenen Beschlüsse sind aufrechtzuerhalten, weil sie ordnungsgemäßer Verwaltung, auf die nach § 18 Abs. 2 WEG jeder Eigentümer Anspruch hat, entsprechen.
I.
Der Beschluss über die Anforderung von Nachschüssen bzw. die Anpassung von Vorschüssen im Sinne des § 28 Abs. 2 S. 1 WEG entsprach ordnungsgemäßer Verwaltung.
1. Der Klägerin als anfechtender Partei obliegt nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der angefochtene Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht (BGH, Urteil vom 24. September 2015 – IX ZR 206/14 -).
2. Dass der Beschluss über die Anpassung der Vorschüsse bzw. die Einforderung von Nachschüssen ordnungsgemäßer Verwaltung widerspräche, hat die Klägerin nicht dargetan. Im Einzelnen:
a) Soweit sie rügt, dass ihr im Vorfeld der Versammlung keine hinreichende Einsicht in die Belege gewährt worden sei, dringt sie hiermit nicht durch.
Soweit teilweise vertreten wird, dass die Verweigerung der vollständigen Belegeinsicht im Vorfeld der Versammlung die Anfechtungsklage unmittelbar begründe (BeckOGK/G. Hermann, 1.12.2022, WEG § 28 Rn. 237; ähnlich: BeckOK WEG/Bartholome, 50. Ed. 30.9.2022, WEG § 28 Rn. 126), kann dem nicht gefolgt werden. Beschlussgegenstand sind nach § 28 Abs. 2 S. 1 WEG allein die Zahlungspflichten. Ziel der Reform des Wohnungseigentumsrechts war es unter anderem, Streitigkeiten über die Jahresabrechnungen zu verringern (BT-Drs. 19/18791, S. 76). Fehler von Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung sollen deshalb unbeachtlich sein, wenn sie sich nicht auf die Zahlungspflichten auswirken (ebd.). Durch die Regelungstechnik in § 28 Abs. 2 WEG, der in Satz 1 den Beschlussgegenstand und in Satz 2 die Beschlussvorbereitung behandelt, wird dies deutlich (BT-Drs. 19/18791, S. 76 f.; so im Ergebnis auch: MüKoBGB/Skauradszun, 8. Aufl. 2021, WEG § 28 Rn. 18 und Rn. 74). Hiernach wäre es nicht nachvollziehbar, einen auf Grundlage der gesetzlichen Vorgaben sowie der Vereinbarungen und Beschlüsse der Wohnungseigentümer richtigen Beschluss nach § 28 Abs. 2 S. 1 WEG für unwirksam zu erklären, nur weil im Vorfeld mangels Belegeinsicht eine nicht hinreichende Prüfung der Abrechnungsspitzen möglich war; ein entsprechender Beschluss aber, weil sachlich zutreffend, erneut gefasst werden müsste.
Der anfechtende Wohnungseigentümer wird hierdurch auch nicht unangemessen benachteiligt, denn er kann auch ohne Belegeinsicht Anfechtungsklage erheben und zunächst die Richtigkeit der Abrechnungsspitze nur pauschal bestreiten. In diesem Fall ist es an der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft, die Richtigkeit der Abrechnungsspitze darzulegen und zu beweisen (so auch MüKoBGB/Skauradszun, 8. Aufl. 2021, WEG § 28 Rn. 18), wobei dahinstehen kann, ob dies damit begründet werden kann, dass es einen formellen Fehler gebe, dessen Auswirkung auf das Beschlussergebnis vermutet werde (MüKoBGB/Skauradszun, a. a. O.), oder ob man bloß die Anforderungen an die Substantiierung der Unrichtigkeit herabsetzt und der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft, die Belegeinsicht rechtswidrig nicht gewährt, eine sekundäre Darlegungslast auferlegt. Wird dem Anfechtenden doch noch Belegeinsicht gewährt, oder legt die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits die Richtigkeit substantiiert dar, kann der anfechtende Wohnungseigentümer im Wege der Klageänderung einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch geltend machen (Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 28 Rn. 81).
Nach diesen Maßstäben kann die Anfechtung nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass die Beklagte der Klägerin Belegeinsicht verweigert habe: Die Klägerin ist auf das Angebot der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 19.09.2022, etwaige fehlende Belege vor Ort einzusehen, nicht eingegangen. Im Übrigen bestreitet die Klägerin auch in der Sache nicht, dass etwa die von ihr nicht geprüften Zahlungen nicht erfolgt seien, sondern beschränkt sich nunmehr auf einzelne konkrete Einwendungen.
b) Auch in materieller Hinsicht ist der Beschluss nicht zu beanstanden.
aa) Er ist nicht etwa für unwirksam zu erklären, weil er gegen die Heizkostenverordnung verstieße. Die Klägerin hat nämlich nicht dargetan, dass die Abrechnung im Ergebnis gegen das nach § 7 Abs. 2, § 8 Abs. 2 HeizkV angeordnete Leistungsprinzip verstieße.
(1) Nach neuem Recht ist – wie zuvor dargelegt – einer Anfechtungsklage betreffend einen Beschluss nach § 28 Abs. 2 S. 1 WEG nur bei einem ergebnisrelevanten Fehler Erfolg beschieden. Das bedeutet, dass die Klägerin darlegen und beweisen muss, dass bei einer korrekten Abrechnung eine Veränderung der Abrechnungsspitze zu ihren Gunsten (hierzu: AG Köln, Urteil vom 26. Juli 2022 – 215 C 57/21 – Berufung hiergegen durch einstimmigen Beschluss des Landgerichts Köln vom 28.11.2022, 29 S 135/22, zurückgewiesen) erfolgen würde.
(2) Das hat die Klägerin nicht dargetan.
(a) Es genügt insoweit nicht, dass die Heizöllieferung von 30.000 l fälschlich mit dem Zahlungsdatum 08.01.2021 statt mit dem Lieferdatum 17.12.2020 in der Heizkostenabrechnung eingestellt worden ist. Nach dem maßgeblichen Leistungsprinzip wäre die Abrechnung für das Jahr 2020 nur dann falsch, wenn die Lieferung von 30.000 Litern Heizöl jedenfalls teilweise bereits im Abrechnungszeitraum 2020 (oder erst 2022, was aber offensichtlich ausgeschlossen ist) verbraucht worden wäre, wobei das Prinzip „first in – first out“ gölte (vgl. Blank/Börstinghaus/Blank/Börstinghaus, 6. Aufl. 2020, BGB § 556 Rn. 30).
Dass dies der Fall ist, ist nicht hinreichend dargetan, jedenfalls nicht unter Beweis gestellt. Es wäre an der Klägerin gewesen, nach Einsicht in die Abrechnungs- und Ablesebelege im Einzelnen dazu vorzutragen, dass von einem (Teil-)Verbrauch in der Abrechnungsperiode 2020 auszugehen ist. Die bloß pauschale und nicht unter Beweis gestellte erstmalige Behauptung dessen in der mündlichen Verhandlung genügt insoweit nicht.
Hierbei ist zu beachten, dass die Abrechnungsperiode (hier das Kalenderjahr) mit der Ableseperiode nicht zwingend vollständig identisch sein muss. Gewisse Abweichungen sind insoweit hinzunehmen, was in der mietrechtlichen Rechtsprechung seit vielen Jahren anerkannt ist (vgl. etwa OLG Schleswig, Beschluß vom 04-10-1990 – 4 REMiet 1/88). Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass eine Ermittlung des Restbestandes möglichst zeitgleich mit der Ablesung der Heizkostenverteiler zu erfolgen hat und schon aus praktischen Gründen nicht sämtliche Ablesungen am 1. Januar um 0 Uhr erfolgen können.
Denkbar ist vor diesem Hintergrund, dass der Restbestand von 14.000 l vor der Lieferung am 17.12.2020 als Schluss des Abrechnungsjahres 2020 festgehalten wurde, was das Gericht noch als zulässig ansieht. Diesen Sachverhalt legt im Übrigen auch die Reihenfolge in der Auflistung in der Heizkostenabrechnung nahe. Davon, dass der angegebene Restbestand die Lieferung vom 17.12.2020 noch nicht enthielt, ist im Übrigen auch die Klägerin ausgegangen, als sie in der Klageschrift gerügt hat, dass der angegebene Restbestand falsch sei, weil er die Lieferung der 30.000l nicht enthalte. Das Gegenteil hat sie erstmals durch ihren Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung behauptet, aber weder substantiiert noch unter Beweis gestellt.
Das Gericht verkennt bei alledem nicht, dass eine Unrichtigkeit mit Ergebnisrelevanz ernsthaft in Betracht kommt; es wäre aber an der Klägerin gewesen, nach Belegeinsicht hierzu substantiiert vorzutragen.
(b) Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang weiter beanstandet, dass in ca. 30 % der Wohnungen die Küchenheizkörper nicht abgelesen worden seien und ihr insoweit die Einsicht in sämtliche Heizkostenabrechnungen der 189 Wohnungen verweigert worden sei, gelten in Bezug auf die Belegeinsicht die obigen Ausführungen. Im Übrigen hat sie auf das Vorbringen der Beklagten, dass insgesamt 44 Wohnungen überhaupt nicht über eine gesonderte Küche verfügten und in anderen Wohnungen Küche und Wohnräume zusammengelegt worden seien, sodass keine Heizkörper in der Küche existierten, die hätten abgelesen werden können, nicht mehr reagiert. Die Ausführungen der Beklagten sind insoweit daher als unstreitig zu behandeln. Eine hierauf beruhende Unrichtigkeit der Abrechnungsspitze zulasten der Klägerin ist zu verneinen.
bb) Soweit die Klägerin beanstandet, dass Hausmeisterkosten aus dem Jahr 2020 berücksichtigt worden seien, ist die Berücksichtigung in der Jahresabrechnung 2021 zutreffend. Die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass insoweit ein Abfluss erst 2021 erfolgt sei. Dem ist die Klägerin nicht mehr entgegengetreten.
II.
Auch der Beschluss, einen Betrag von 200.000 Euro aus der Instandhaltungsrücklage als Liquiditätsreserve umzuwidmen, ist nicht zu beanstanden.
1. Die Wohnungseigentümer sind nach in der älteren obergerichtlichen und der aktuellen instanzgerichtlichen Rechtsprechung verbreiteten Auffassung berechtigt, die Mittel der Erhaltungsrücklage umzuwidmen und sie als Betriebs- und Verwaltungsmittel zu verwenden, sofern nicht eine „eiserne Reserve“ angegriffen wird (OLG München, Beschluss vom 20. Dezember 2007 – 34 Wx 76/07 -; LG Frankfurt, Beschluss vom 27. März 2020 – 2-13 S 56/19 -; LG Düsseldorf, Urteil vom 23. September 2015 – 25 S 18/15 -; LG München I, Urteil vom 14. Juli 2016 – 36 S 3310/16 – vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 20. Juli 1998 – 5 W 110/98 – 35 -). Wie hoch eine „eiserne Reserve“ zu sein hat, soll sich dabei nicht abstrakt festlegen lassen, sondern von den Umständen des Einzelfalles abhängen. Für die Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses komme es deshalb zum einen auf die Höhe der vorhandenen Instandhaltungsrücklage und auf die absehbaren Instandsetzungsmaßnahmen an (z. B. OLG München, a. a. O.; LG München I, a. a. O.).
Dabei wird teilweise angenommen, dass die „eiserne Reserve“ und die angemessene Höhe der Erhaltungsrücklage im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG (bzw. § 21 Abs. 5 Nr. 4 WEG a. F.) identisch seien (eindeutig: LG München, a. a. O.; so wohl auch OLG München, a. a. O.; LG Düsseldorf, a. a. O.; LG Frankfurt, a. a. O.). Teilweise wird aber auch die Auffassung vertreten, dass insoweit Identität nicht anzunehmen sei und eine angemessene Rücklage eine „eiserne Reserve“ übersteigen könne (Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 19 Rn. 145; wohl auch: Dötsch, jurisPR-MietR 18/2022 Anm. 1 zu AG Lübeck, Urteil vom 18. März 2022 – 35 C 52/21WEG -). Von den Befürwortern dieser Ansicht wird dann aber wiederum vertreten, dass die angemessene Höhe teilweise unterschritten werden könne, wenn notwendige Betriebs- und Verwaltungsmittel kurzfristig nicht auf andere Weise erlangt werden können).
2. Es kann dahinstehen, welche der jedenfalls scheinbar im Detail divergierenden Auffassungen zutrifft, denn nach dem Dafürhalten des Gerichts wird durch die geplante Entnahme weder eine „eiserne Reserve“ angetastet, noch ist die Höhe der verbleibenden Instandhaltungsrücklage unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sonst nicht mehr angemessen
a) Bei der Frage, wie hoch eine angemessene Rücklage ist, steht den Eigentümern ein weiter Ermessensspielraum zu (BGH, Urteil vom 1. April 2011 – V ZR 96/10 -).
b) Davon, dass dieser vorliegend überschritten worden sei, ist nicht auszugehen:
aa) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Betrag, der zur Liquiditätsrücklage umgewidmet werden soll, nur ca. 11 % der vorhandenen Instandhaltungsrücklage ausmacht und von der jährlichen Zuführung zur Rücklage um 14 % überstiegen wird. Auch wenn dies nicht alleine maßgeblich sein kann, sind Umwidmungen in dieser Größenordnung von den Instanzgerichten nicht beanstandet worden (AG Lübeck, Urteil vom 18. März 2022 – 35 C 52/21WEG -; LG Frankfurt, Beschluss vom 27. März 2020 – 2-13 S 56/19 -).
bb) Weiter ist festzuhalten, dass zwar – vorbehaltlich anderslautender künftiger Beschlüsse – eine dauerhafte Umwidmung des Betrages von 200.000 Euro erfolgen soll (vgl. Dötsch, jurisPR-MietR 18/2022 Anm. 1 unter „D“), dieser Betrag aber nicht verloren ist. Die Liquiditätsrücklage ist keine gesonderte Kasse, aus der dauerhaft Kosten getragen werden sollen, sondern dient dazu, kurzfristig auftretende Liquiditätsengpässe zu überbrücken, um sie im Anschluss wieder aufzufüllen (zu Alternativen: Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 19 Rn. 252). Dies sieht der Beschluss auch so vor. Alternativ könnten hierzu gesonderte Liquiditätsumlagen beschlossen oder – mit erheblichen Kosten verbunden – Dispositionskredite aufgenommen werden (siehe auch: AG Lübeck, a. a. O. Rn. 24). Dies ist aber wirtschaftlich wenig sinnvoll, wenn die Wohnungseigentümergemeinschaft an sich über ausreichende Mittel verfügt, die zur Überbrückung genutzt werden könnten, was aber ohne gesonderten Beschluss unzulässig wäre (AG Lübeck, A. a. O. Rn. 25 m. w. N). Hieraus folgt, dass die Eigentümer die Möglichkeit haben, auf sich verändernde Umstände – insbesondere teure Erhaltungsmaßnahmen – zu reagieren, indem sie im Rahmen ihres Ermessens die Liquiditätsrücklage wieder auflösen und die Mittel zur Erhaltung nutzen. Dass dies künftig erforderlich werden mag, spricht aber nicht dagegen, dass vorhandene Kapital in der Zwischenzeit im Sinne der Gemeinschaft zu verwenden.
cc) Den vorstehenden Ausführungen kommt im Hinblick auf die derzeitige Energiekrise, die zu erheblich verringerten Planungssicherheit, insbesondere was die Heizkosten angeht, besondere Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der historischen Ausnahmesituation erscheint es in besonderem Maße geboten, den Eigentümern zur Bewältigung der Unwägbarkeiten angemessene Vorkehrungen zu ermöglichen; hierzu kann eine von der Beklagten beschlossene Liquiditätsrücklage auch trotz anstehender Investitionen dienen.
dd) Letztlich folgt auch nichts anderes daraus, dass in den kommenden Jahren unstreitig Kosten in Höhe mehrerer Millionen Euro auf die Beklagte zukommen werden, ca. 3,6 – ca. 5 Millionen Eur (Stand auf der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung) alleine für die erforderliche Sanierung der Balkone. Insoweit wird eine Finanzierung alleine aus der vorhandenen Erhaltungsrücklage erkennbar nicht erfolgen können. Die Eigentümer werden also ohnehin über alternative Finanzierungen beschließen müssen; hierbei werden sie dann auf die Liquiditätsrücklage in Höhe von 0,2 Millionen Euro zurückgreifen können, wenn deren Auflösung in Zukunft gewünscht sein sollte. Anderenfalls mögen Sonderumlagen höher ausfallen müssen. Auch dies spricht aber nicht gegen die Bildung einer Liquiditätsrücklage aus Beständen der Erhaltungsrücklage – eine Liquiditätsrücklage hätte nach dem Dafürhalten des Gerichts genauso durch eine Liquiditätsumlage gebildet werden können. Wirtschaftlich hätte das für die Wohnungseigentümer keinen Unterschied gemacht.
III.
Auch der Beschluss über die Entlastung des Beirats ist nicht zu beanstanden, denn Ansprüche der Gemeinschaft gegen den Verwaltungsbeirat kommen nicht ernsthaft in Betracht.
1. Der getroffene Beschluss über die Einforderung von Nachschüssen und/oder die Anpassung von Vorschüssen ist nicht zu beanstanden.
2. Auch die übrigen Vorwürfe der Klägerin gegen den Beirat tragen die Anfechtungsklage insoweit nicht. Sie sind zum einen durch die Beklagte bestritten und von der Klägerin nicht unter Beweis gestellt, zum anderen auch nicht hinreichend substantiiert. Schließlich ist auch die Empfehlung des Beirates, den Verwaltervertrag abzuschließen, rechtlich nicht zu beanstanden (s. u.).
B.
Die Kostenentscheidung folgt, soweit über den Rechtsstreit streitig zu entscheiden ist, aus § 91 Abs. 1 ZPO. Im Übrigen ergibt sie sich aus § 91a ZPO, nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Auch insoweit waren der Klägerin die Kosten nach billigem Ermessen aufzuerlegen, weil sie voraussichtlich unterlegen hätte. Soweit die Klägerin eine Aufteilung der Verwaltervergütung in eine Grundvergütung und Sondervergütungen nach dem Baukastenprinzip beanstandet, bestehen gegen diese Praxis keine Bedenken, auch soweit typische Verwalterleistungen betroffen sind, (BGH, Versäumnisurteil vom 5. Juli 2019 – V ZR 278/17 -). Dass eine gleichwohl erforderliche klare Abgrenzung zwischen den in der Grundvergütung enthaltenen und der getrennt zu vergütenden Leistungen (BGH, a. a. O., Rn. 35) nicht vorhanden gewesen wäre, hat die Klägerin nicht dargetan. Soweit die Klägerin weiter gerügt hat, dass der Vertrag nicht unerhebliche Haftungsbeschränkungen enthalten hat, muss das Gericht nicht prüfen, ob diese mit den §§ 305 ff. BGB in Einklang stehen (BGH, Versäumnisurteil vom 5. Juli 2019 – V ZR 278/17 -); täten sie dies nicht, wären sie unwirksam. Dass sie im Falle der Wirksamkeit ordnungsgemäßer Verwaltung widersprächen, hat die Klägerin wiederum nicht dargetan. Ebenso wenig dargetan hat die Klägerin, dass und warum die Erhöhung des Auftragsvolumens, bis zu dem die Verwaltung ohne vorherige Beschlussfassung Erhaltungsmaßnahmen selbstständig beauftragen kann, ordnungsgemäßer Verwaltung widerspreche.
C.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf 36.878,00 EUR festgesetzt.
Der maßgebliche Gegenstandswert für die anwaltliche Terminsgebühr dürfte demgegenüber nur 31.878 Euro betragen haben.