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Verwertungskündigung – Wirksamkeit

Verwertungskündigung bei Geschäftsraummietvertrag: Wirksamkeit und Voraussetzungen

In einem Urteil des Amtsgerichts Köln (Az.: 205 C 215/21) wurde die Frage der Wirksamkeit einer Verwertungskündigung bei einem Geschäftsraummietvertrag geprüft. Dabei ging es um die Kündigung eines Mietverhältnisses für ein Kreativbüro, das in einem alten Fabrikkomplex untergebracht war. Die Klägerin, die Vermieterin, hatte das Grundstück an eine andere Gesellschaft verkauft und wollte das Mietverhältnis kündigen, um das Grundstück entmieten und eine Neubebauung ermöglichen zu können.

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Hintergrund und Streitpunkt

Die Klägerin vermietete Räumlichkeiten in einem alten Fabrikkomplex in Köln an den Beklagten, der dort ein Kreativbüro betrieb. Nachdem die Klägerin das Grundstück an eine andere Gesellschaft verkauft hatte, kündigte sie das Mietverhältnis gemäß § 573 BGB. Sie begründete dies damit, dass sie durch die Vermietung des Objekts keinen Gewinn erziele und das Objekt an einen Investor verkauft habe, der eine Neubebauung plane. Der Beklagte widersprach der Kündigung und brachte vor, dass die Kündigung unwirksam sei.

Urteil des Amtsgerichts Köln

Das Amtsgericht Köln wies die Klage ab und entschied, dass die Verwertungskündigung unwirksam sei. Im Urteil wurde festgestellt, dass eine Verwertungskündigung nach § 573 BGB nur dann wirksam ist, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung gehindert wäre und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.

Im vorliegenden Fall konnte die Klägerin jedoch nicht nachweisen, dass sie durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses erhebliche Nachteile erleiden würde. Zudem war nicht ersichtlich, dass die Klägerin aufgrund der Vermietung des Objekts keinen Gewinn erzielen könne.

Fazit und Relevanz für Mieter und Vermieter

Das Urteil des Amtsgerichts Köln zeigt, dass die Voraussetzungen für eine wirksame Verwertungskündigung bei Geschäftsraummietverträgen streng sind. Mieter können sich in solchen Fällen auf den Schutz des Mietrechts berufen, während Vermieter nachweisen müssen, dass sie erhebliche Nachteile durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses erleiden würden. Eine Verwertungskündigung sollte daher immer sorgfältig geprüft und begründet werden.

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Das vorliegende Urteil

AG Köln – Az.: 205 C 215/21 – Urteil vom 08.01.2022

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin vermietete dem Beklagten zu 1) mit einem als „Geschäftsraummietvertrag“ überschriebenen Vertrag vom 20.10.2017 Räumlichkeiten mit einer beheizbaren Gesamtfläche von 67,87 qm im Erdgeschoss der U.straße 56 in 00000 Köln, ein alter Fabrikkomplex, zum Betrieb eines Kreativbüros (Bl. 12 ff. d. A.).

Der Beklagte ist gewerblich mit der Entwicklung optischer Produkte wie Sonnenbrillen, Textilien und Accessoires befasst und Gründer und Geschäftsführer der D. GmbH, die unter der Marke „O.“ Accessoires aus dem Werkstoff Holz designt und Accessoires vertreibt. „O.“ gibt in seinem Internetauftritt als Sitz die Adresse „L.-S.-Straße“ an (Bl. 201 d. A.), Sitz der D.GmbH ist die E. Str. 246, 00000 Köln (Bl. 125 d. A.).

Nachdem der Beklagte und andere Mieter des Gebäudekomplexes von einem geplanten Verkauf des streitbefangenen Objekts erfuhren, wandten sie sich mit Schreiben vom 30.01.2020 an die Klägerin und fragten an, ob sie ihr und ihrem Lebensgefährten „ein Angebot zum Kauf des Geländes machen“ dürften (Bl. 239 d. A.).

Bereits zuvor jedoch, mit notariellem Vertrag vom 12.12.2019 (UR. Ziffer 0000/2019 des Notars M. H. in H. ), hatte die Klägerin das Grundstück an die G U.straße GmbH verkauft. Es war ein Kaufpreis von 3,8 Mio EUR vereinbart.

Ferner war vereinbart worden, in Höhe von 3,3 Mio EUR sei der Kaufpreis erst dann fällig, wenn die Entmietung des Kaufobjekts durch den Verkäufer erfolgt sei und die von dem Käufer zu beantragende Abrissgenehmigung vorliege. Geregelt war außerdem, dass sowohl Käufer als auch Verkäufer berechtigt seien, vor dem Kaufvertrag zurückzutreten, sofern die Abrissgenehmigung nicht bis zum 20.12.2022 positiv beschieden worden sei oder die Entmietung nicht bis zum diesem Zeitpunkt erfolgt sei. Wegen weiterer Einzelheiten des Kaufvertrags (nur fragmentarisch bei der Akte) wird auf Bl. 557 d. A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 26.08.2020 erklärte die Klägerin die Kündigung gemäß § 573 BGB (Bl. 232). Zur Begründung führte sie unter Darlegung der Einzelheiten aus, dass ihr nach Abzug der Steuern auf den mit der Vermietung des Objektes erzielten Gewinn nichts verbliebe und sie das Objekt daher an einen Investor verkauft habe, der den Abriss des Objektes und eine Neubebauung des Grundstücks plane. Für das vermietete Objekt habe sich kein Kaufinteressent finden lassen. Selbst wenn es einen solchen gegeben hätte, so wäre ohnehin nur ein Kaufpreis auf der Grundlage einer Ertragswertberechnung – schätzungsweise in Höhe von 1.700.00,00 EUR – in Betracht gekommen. Man habe nunmehr mit der F U.straße GmbH eine Käuferin gefunden. Der vereinbarte Kaufpreis betrage 3.800.000 EUR. Wegen des gesamten Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl.232 d. A. verwiesen.

Der Beklagte hat der Kündigung widersprochen.

Die Klägerin behauptet, sie habe bereits mit Schreiben vom 01.04.2020 die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses über Geschäftsräume zum 30.09.2020 gegenüber dem Beklagten ausgesprochen, die dem Beklagten auch zugegangen sei. Wegen des gesamten Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 139 d. A. verwiesen.

Die Klägerin behauptet, das Grundstück sei in dem aktuellen vermieteten Zustand „nicht marktfähig“, also unverkäuflich.

Sie ist ferner der Ansicht, der Mietvertrag vom 20.10.2017 sei als Gewerberaummietvertrag zu qualifizieren.

Die Klägerin hat ursprünglich in einem vor dem Landgericht Köln geführten Verfahren beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die streitbefangenen Räumlichkeiten bis zum 30.09.2020 geräumt an sie herauszugeben. Mit Schriftsatz vom 16.09.2020 (Bl. 224 d. A.) hat sie die Klage für den Fall der Klageabweisung wegen sachlicher Unzuständigkeit des Landgerichts um einen Hilfsantrag erweitert, demgemäß sie Räumung und Herausgabe zum 30.11.2021 beantragt hat. Das Landgericht Köln hat, nachdem ein Versäumnisurteil ergangen war, dieses aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen (Bl. 325 d. A.). Auf die Berufung der Klägerin hin hat das Oberlandesgericht Köln durch Urteil vom 30.04.2021 das Urteil des Landgerichts Köln vom 08.12.2020 insoweit aufgehoben, als durch dieses die Klage auch hinsichtlich des auf die Kündigung vom 26.08.2020 gestützten Hilfsantrages als unzulässig abgewiesen worden war und hat den Rechtsstreit an das sachlich zuständige Amtsgericht Köln verwiesen (Bl. 401 d. A.).

In der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2021 hat sich der Klägervertreter bei der Antragstellung auf den Antrag aus der Klageschrift vom 23.06.2020 bezogen und demgemäß beantragt, den Beklagten zu verurteilen, am 30.9.2020 den von ihm als Kreativbüro gebrauchten Raum nebst Toilette, Dusche und Empore in der zweiten Halle hinter dem Vorderhaus U.straße 56, 00000 Köln, dessen Eingang hinten links an einer Art von überdachtem Innenhof liegt, zu dem, durch ein Rolltor an seinem Ende, ein Durchgang rechts im Vorderhaus und vorbei an den beiden Hallen dahinter führt, geräumt an die Klägerin herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 18.11.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Zunächst ist es unschädlich, dass in mündlicher Verhandlung der Antrag aus Klageschrift gestellt wurde, über den – damals als Hauptantrag – bereits rechtskräftig durch das Landgericht Köln entschieden worden ist. Klageanträge sind im Zweifel so auszulegen, wie es dem Inhalt des mit der Klage verfolgten materiellen Anspruch entspricht und mit der Maßgabe, dass die Partei mit ihnen das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht, §§ 133, 157 BGB analog (vgl. nur BGH NJW-RR 1995, 1183, 1184; BGH NJW 2016, 863, 864; BGH NJW 2019, 372). Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Hilfsantrag gemäß dem klägerischen Schriftsatz vom 16.09.2020 gestellt werden sollte, wobei sich dieser dem Wortlaut nach von dem ursprünglichen Hauptantrag ohnehin nur hinsichtlich der Zeitangabe unterscheidet.

II.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 546 Abs. 1 BGB auf Räumung und Herausgabe der streitbefangenen Räumlichkeiten zu.

1.

Das Mietverhältnis ist durch die Kündigung der Klägerin vom 01.04.2020 nicht beendet worden. Die Kündigung ist unwirksam, da sie keine Begründung nach § 573 Abs. 3 BGB enthält. Es kann daher dahinstehen, ob die Kündigung dem Beklagten zugegangen ist.

Die Kündigung ist formell und materiell an den in § 573 BGB statuierten Anforderungen zu messen, da es sich um ein Mietverhältnis über Wohnraum und nicht über Geschäftsräume handelt, auch wenn der Mietvertrag als „Geschäftsraummietvertrag“ überschrieben ist.

Ein einheitliches Mietverhältnis über Wohnräume und Geschäftsräume ist zwingend entweder als Wohnraummietverhältnis oder als Mietverhältnis über andere Räume zu bewerten. Für die rechtliche Einordnung ist entscheidend, welche Nutzungsart nach den getroffenen Vereinbarungen überwiegt. Dabei ist maßgeblich auf den Vertragszweck abzustellen, der durch Auslegung zu ermitteln ist. Entscheidend ist der wahre, das Rechtsverhältnis prägende Vertragszweck, also die gemeinsamen und übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragsparteien über die Nutzung des Mietobjekts. Als Indizien kommen u.a. der Zuschnitt des verwendeten Mietvertragsformulars, die baulichen Gegebenheiten sowie vor- und nachvertragliche Umstände in Betracht. Sofern sich bei der Einzelfallprüfung ein Überwiegen des gewerblichen Zwecks nicht feststellen lässt, ist aufgrund des Schutzbedürfnisses des Mieters von Wohnraummiete auszugehen (BGH NJW 2014, 2864).

Gemessen an diesen Maßstäben ist vorliegend von einem Wohnraummietvertrag auszugehen. Es sind keine Tatsachen feststellbar, die auf eine überwiegend gewerbliche Nutzung der Räume hindeuten.

Zwar ist der Beklagte Gründer und Geschäftsführer der D. GmbH und entwickelt und vertreibt optische Produkte wie Sonnenbrillen, Brillen, Textilien und sonstige Accessoires unter der Marke „O.“. Allerdings ist aus dem klägerischen Vortrag nicht ersichtlich, dass er diese Tätigkeit auch in dem streitbefangenen Objekt entfaltet und dies bei Vertragsschluss so beabsichtigt war.

Vielmehr ist unstreitig, dass „O.“ unter der Adresse L.-E.-Straße im Internet zu finden ist und Firmensitz der D. GmbH die E.Straße in Köln ist. Dass der Beklagte auch Gewerbetreibender ist, ist für sich genommen kein Indiz für die rechtliche Einordnung des geschlossenen Mietvertrages als „Geschäftsraummietvertrag“.

Zwar ist der Mietvertrag als solcher überschrieben und in § 1 ist als Vertragszweck der Betrieb eines Kreativbüros genannt. Ob die Parteien in der Vertragsurkunde das Vertragsverhältnis als Wohn- oder Geschäftsraummietverhältnis bezeichnet haben, ist aber nur in eingeschränktem Maße berücksichtigungsfähig (BGH NZM 2014, 626; OLG Köln, BeckRS 2008, 20283). Aus der Auslegung des gesamten Inhalts des Mietvertrages und der übrigen zu berücksichtigenden Kriterien ergibt sich hier etwas anderes. Folgende vertraglichen Regelungen entsprechen jenen, die üblicherweise im Wohnraummietrecht zur Anwendung kommen: Der Mietvertrag ist gem. § 3 auf „auf unbestimmte Zeit“ geschlossen, die Miete wird gem. § 4 des Mietvertrages ohne Mehrwertsteuer geschuldet und § 6 enthält eine dem § 551 entsprechende Bestimmung, wonach die Kautionsleistung auf zwei Monatsmieten begrenzt ist (vgl. OLG Düsseldorf ZMR 2006, 685 Rn. 12). Schließlich ist von Beklagtenseite eine Wohnungsgeberbescheinigung für den Beklagten vorgelegt worden, die durch die Klägerin unterzeichnet worden ist. Auch wenn diese vorträgt, sie habe abgesehen von der Unterschrift die übrigen Eintragungen nicht vorgenommen, so kann daraus jedenfalls der Schluss gezogen werden, dass sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt als „Wohnungsgeberin“ veranlasst sah, das Dokument zu unterschreiben. Die Räume stellen überdies aus der Sicht der Klägerin selbst die „Unterkunft“ des Beklagten dar, wie sich aus dem Schreiben der Klägerin vom 04.05.2020 ergibt (Bl. 140 d. A.). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird „Unterkunft“ regelmäßig für jene Räumlichkeiten verwandt, die dem Aufenthalt von Wohnzwecken dienen; dafür, dass im vorliegenden Fall etwas anderes geltend sollte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

2.

Auch die Kündigung vom 26.08.2021 ist unwirksam.

a)

Nach Auffassung des Gerichts bestehen bereits Zweifel an der formellen Wirksamkeit der Kündigung vom 26.08.2020.

Im Fall einer Verwertungskündigung müssen die den erheblichen Nachteil begründenden Tatsachen ersichtlich sein. Erfolgslose bisherige Verkaufsbemühungen und deren Umfang sind nicht zwingend anzugeben (BVerfG NJW 1998, 2662, 2663), jedoch bedarf es mindestens konkreter Angaben über den zu erwartenden Mindererlös (BVerfG NJW 1992, 2411; LG Stuttgart ZMR 1995, 259, 260; Häublein, in: MüKo-BGB, 8. Aufl. 2020, § 573 Rn. 136).

Das Kündigungsschreiben der Klägerin vom 26.08.2020 enthält zwar den Hinweis, dass ein Kaufinteressent von dem Vertragsschluss Abstand genommen hätte. Es fehlt aber an in sog. Veräußerungsfällen notwendigen konkreten Angaben dazu, welcher Mindererlös bei einem Vergleich der beiden Verkaufsszenarien, also einmal im vermieteten und einmal im unvermieteten Zustand, zu erwarten ist. Das Kündigungsschreiben erschöpft sich dahingehend in einer vagen Schätzung von 1,7 Mio. EUR.

b)

Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, da die materiellen Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht vorliegen.

Gemäß § 573 Abs. 1 BGB kann der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Darunter fällt nach § 573 Abs. 1 Nr. 3 BGB der Fall, dass sich der Vermieter bei Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und erhebliche Nachteile erleiden würde.

aa)

Das streitbefangene Objekt war nach Auffassung des Gerichts bei Abgabe der Kündigungserklärung jedoch bereits einer Verwertung zugeführt, da ein Kaufvertrag über das Grundstück bereits abgeschlossen worden war. Eine Verwertungskündigung schied damit ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses aus.

In Rechtsprechung und Literatur findet sich eine eindeutige Definition des Begriffs „Verwertung“ nicht. Nach Abs. 2 Nr. 3 können grundsätzlich alle Verwertungsabsichten berücksichtigt werden, mit Ausnahme derer, die nach Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2-4 ausdrücklich ausgeschlossen sind (Blank/Börstinghaus/Blank/Börstinghaus, 6. Aufl. 2020, BGB § 573 Rn. 150). Es wird daher auf Fallgruppen zurückgegriffen, wonach unter „Verwertung“ u.a. falle: der Verkauf des Hauses oder der Wohnung (BVerfG DWW 1989, 77; OLG Koblenz WuM 1989, 164); der Abriss des Hauses um das Grundstück anderweitig zu verwerten (BGHZ 179, 289; BGH NJW 2011, 1135; LG Mannheim WuM 2004, 99; AG Düsseldorf WuM 1991, 168) sowie grundlegende Modernisierungs- und/oder Sanierungsmaßnahmen (BayObLG WuM 1984, 16; LG Karlsruhe WuM 1991, 168).

Grundsätzlich offen bleibt dabei, ob in den Veräußerungsfällen schon der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts zur Verwertung ausreicht oder ob „Verkauf“ impliziert, dass es zum Vollzug des Grundstückkaufvertrags, also zur Übereignung des Grundstücks und insbesondere zur vollständigen Kaufpreiszahlung kommt.

Nach Auffassung des Gerichts ist bei der „Verwertung“ auf das bloße Verpflichtungsgeschäft abzustellen. Denn der Umstand, dass sich ein Käufer überhaupt zur Zahlung eines Kaufpreises für das Grundstück verpflichtet hat – ungeachtet bestehender Mietverhältnisse, was für ihn ein Risiko darstellt – macht deutlich, dass der Vermieter an einer Verwertung, die seinen Vorstellungen entspricht (andernfalls hätte er den Kaufvertrag nicht geschlossen), nicht gehindert ist. Dafür spricht auch, dass der Vermieter dann, wenn die Wohnung nach dem Kündigungsausspruch verkauft wird, die Kündigung grundsätzlich nicht weiter verfolgen darf (LG Frankenthal WuM 1991, 350).

Dies muss überdies unabhängig von den in dem Kaufvertrag im Einzelnen vereinbarten Bedingungen gelten. Denn entsprechend dem Grundsatz der Vertragsfreiheit ist zunächst davon auszugehen, dass beide Parteien den im Vertrag festgehaltenen Regelungen freiwillig und in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände zugestimmt haben und sich daran festhalten lassen müssen. Stellt der Vermieter respektive Verkäufer im Nachgang fest, dass eine der von ihm selbst ausgehandelten Vertragsbedingungen einer Verwertung des Grundstücks in seinem Sinne entgegensteht, so kann dies nicht zum Eingreifen des gesetzlichen Kündigungsgrundes des § 573 Abs. 1 Nr. 3 BGB führen. Dann nämlich steht nicht die „Fortsetzung des Mietverhältnisses“ einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung im Wege, sondern der (einstige) eigene Wille des Verkäufers/Vermieters, der im Vertragstext Niederschlag gefunden hat – auch wenn er sich später, zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung, als Fehleinschätzung bzw. -entscheidung herausstellen mag. Hierfür spricht auch, dass in Literatur und Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, dass die Folgen einer fehlerhaften Kalkulation des Vermieters nicht zu Lasten des Mieters gehen sollen: Hat der Vermieter eine vermietete Eigentumswohnung zu einem überhöhten Preis erworben, so kann er nicht mit der Begründung kündigen, dass er das Objekt leerstehend verkaufen müsse um den Einkaufspreis zu erzielen (AG Hamburg WuM 1991; Blank/Börstinghaus in: Blank/Börstinghaus, 6. Aufl. 2020, BGB § 573 Rn. 157).

Vor diesem Hintergrund ist vorliegend von einer bereits durchgeführten Verwertung auszugehen, auch wenn die vollständige Kaufpreiszahlung von der Entmietung des Objekts abhängen mag.

Die Klägerin hat selbst den Kaufvertrag über das streitbefangene Objekt mit der F. U.straße GmbH abgeschlossen und der Käuferin ein Rücktrittsrecht für den Fall, dass das Objekt nicht vollständig entmietet werden könne, eingeräumt. Das bestehende Mietverhältnis steht damit nur noch der Erfüllung der vertraglichen Pflichten der Klägerin entgegen, nicht aber einer „angemessenen wirtschaftlichen Verwertung“ i.S.d. § 573 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Zu bedenken gilt es dabei auch, dass im Falle eines Rücktritts, zu dem die Klägerin im Übrigen selbst berechtigt ist, der Ursprungszustand wiederhergestellt wäre und der Klägerin die Möglichkeit eröffnen wäre, einen neuerlichen, aus ihrer Sicht rentablen Verwertungsversuch zu unternehmen.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass selbst im Falle einer erfolgreichen Entmietung des Objekts, der Fälligkeit des Kaufpreises immer noch die fehlende Abrissgenehmigung entgegenstünde. Ob eine Abrissgenehmigung erteilt wird und ob ein Abriss des Gebäudes überhaupt genehmigungsfähig ist, ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag nicht.

bb)

Doch selbst wenn man davon ausginge, eine Verwertung sei noch nicht eingetreten, so ist die Kündigung vom 26.08.2020 gleichwohl unwirksam, da die Klägerin nicht ausreichend dargetan hat, dass ihr aus dem Verkauf des Grundstücks in vermietetem Zustand ein „erheblicher Nachteil“ i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB entsteht.

Für eine wirksame Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist Voraussetzung, dass die Durchführung der Verwertung von der Beendigung des Mietverhältnisses abhängt. Eine bloße Erschwerung der Verwertung genügt nicht. Bei einem geplanten Haus- oder Wohnungsverkauf liegt dieses Tatbestandsmerkmal vor, wenn der Vermieter das Haus oder die Wohnung in vermietetem Zustand entweder überhaupt nicht oder nur zu wirtschaftlich unzumutbaren Bedingungen verkaufen könnte (BVerfGE 79, 283, 290 f.; BGH NZM 2008, 281).

Der Umstand, dass für eine mietfreie Wohnung ein höherer Verkaufspreis erzielt werden kann als für ein vermietetes Objekt dürfte i.d.R. offenkundig sein; dieser Umstand kann für sich allein keine Kündigung rechtfertigen, weil andererseits die Tatbestandsmerkmale des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB, also die Angemessenheit der Verwertung und die Erheblichkeit des Nachteils, für die Verkaufsfälle bedeutungslos wären (Blank/Börstinghaus in: Blank/Börstinghaus, 6. Aufl. 2020, § 573 Rn. 165). Es gilt der Grundsatz, dass die reine Gewinnoptimierung hinter dem durch den Kündigungstatbestand bezweckten Schutz des Mieters am Erhalt der Wohnung nachrangig ist (LG Berlin WuM 2016, 178).

Die jeweilige Erheblichkeitsgrenze ist im Einzelfall durch einen Vergleich des möglichen Verkaufserlöses im vermieteten und im freistehenden Zustand zu ermitteln (LG Stuttgart ZMR 1995, 259; LG Freiburg WuM 1991, 592; LG Duisburg WuM 1991, 497).

In prozessualer Hinsicht sei in Bezug auf Darlegung des Tatbestandsmerkmals des „erheblichen Nachteils“ auf die zutreffenden Ausführungen des OLG Stuttgart (BeckRS 2005, 12823) verwiesen:

„Der Vermieter muss abhängig vom Einzelfall im Prozess ggf. nachweisen, dass ein bestimmter Kaufinteressent zum Ankauf zu dem verlangten Preis deshalb Abstand genommen hat, weil das Haus vermietet ist; zumindest sind entsprechende Verkaufsbemühungen und Gründe für deren Scheitern konkret vorzutragen. Ein Beweisantritt mit Sachverständigengutachten, z.B. durch einen Makler, für die Behauptung eines bestimmten Mehrerlöses in Euro in unvermietetem Zustand, reicht prozessual nicht aus. Denn Vermutungen und allgemeine Unterstellungen und die pauschale Behauptung, das Grundstück sei im vermieteten Zustand zwar nicht unverkäuflich, aber nur zu einem geringeren Kaufpreis, reichen nicht aus. Der Vermieter kann sich nicht auf einen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend berufen, dass Wohnungen, auch wenn sie als Renditeobjekt praktisch ungeeignet sind, nur im unvermieteten Zustand verkauft werden können, zumal der Erwerber seinerseits in der Lage ist, das Objekt wegen Eigenbedarfs zu kündigen; es kann nicht von einer generellen Unverkäuflichkeit vermieteter Wohnungen ausgegangen werden.“ (OLG Stuttgart, Urt. v. 26.09.2005 – 5 U 73/05, BeckRS 2005, 12823 mit Verweis auf LG Stuttgart ZMR 1995, 259 und BVerfG NJW 1992, 2411).

Gemessen an diesen Maßstäben ist der Vortrag der Klägerin unzureichend.

Nicht nur nicht im Kündigungsschreiben, auch im Prozess selbst hat sie keine belastbaren Angaben dazu gemacht, welcher bestimmte Mehrerlös in Euro bei einem Verkauf des Objekts in unvermietetem Zustand im Vergleich zu einem Verkauf in vermietetem Zustand zu erwarten wäre. Insbesondere konnte der Vortrag, das Objekt sein „nicht marktfähig“, also „unverkäuflich“ nicht zur Substantiierung es Vortrags beitragen. Diese Aussage steht nämlich in klarem Widerspruch zu dem von dem von Klägerseite selbst vorgelegten Gutachten des Privatgutachters W (Bl. 515 ff. d. A.), der einen Marktwert des Grundstücks (in vermietetem Zustand) in Höhe von 3,52 Mio. EUR (bzw. einen Ertragswert in Höhe von 3.518.162,00 EUR) ermittelt hat, dem dann der nur unwesentlich geringere vereinbarte Verkaufspreis in Höhe von 3,8 Mio. EUR gegenüber steht.

Im Übrigen erschöpft sich das Fazit des Gutachters G., die derzeitige „bauliche Ausnutzung [sei] unterhalb der baurechtlichen Möglichkeiten“ letztlich in der Aussage, Abriss und Neubau seien wirtschaftlich interessanter als der Fortbestand des Objekts mit den laufenden Mietverhältnissen. Eine solche Aussage vermag, wie oben dargelegt, die Angemessenheit der geplanten Verwertung, nicht aber einen „erheblichen Nachteil“ in Veräußerungsfällen zu begründen. Der Argumentation, der Erhalt des bestehenden Gebäudes sei unrentabel, kann sich lediglich jener bedienen, dessen Verwertungsabsicht in Abriss und Neubau besteht, nicht jedoch jener, wie hier die Klägerin, der lediglich die Veräußerung anstrebt.

Darüber hinaus konnte die Klägerseite mit der Argumentation, das Grundstück sei „unverkäuflich“ schon deshalb nicht durchdringen, weil dies bedeutete, dass sich überhaupt kein Verkäufer zu keinem noch so niedrigen Preis fände. Dem steht schon der Umstand entgegen, dass der Beklagte gemeinsam mit weiteren Bewohnern des streitbefangenen Objekts bereits im Januar 2020 ihren Erwerbswillen äußerten. Widersprüchlich ist er auch deshalb, weil im Kündigungsschreiben vom 26.08.2020 von einem möglichen Verkaufspreis von „schätzungsweise 1,7 Mio. EUR die Rede ist.

Schließlich kann der Vortrag der „Unverkäuflichkeit“ auch deshalb keine Berücksichtigung finden, weil das Objekt unstreitig verkauft ist und zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung keine der Parteien von dem Kaufvertrag zurückgetreten war.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 9.319,20 EUR festgesetzt.

 

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