LG Berlin – Az.: 38 O 124/21 – Urteil vom 23.11.2021
1. Die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Notars Professor Dr. … vom 14.06.2012, Ur-Nr.: …, wird für unzulässig erklärt, soweit die Zwangsvollstreckung auf einer Kündigungserklärung des Beklagten mit Schreiben vom 12.02.2021 beruht.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich der Kostenentscheidung jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 125.147,06 (12 x 10.428,92 € = Nettokaltmiete zzgl. MwSt.) festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wege der Vollstreckungsgegenklage über die Verpflichtung des Klägers zur Räumung der angemieteten Gewerberäume.
Der Beklagte – seinerseits Hauptmieter – vermietete mit schriftlichem Untermietvertrag vom 14.06.2012 die möblierten Gewerberäume in der …x 33-34, xxx Berlin, Erdgeschoss links, an den Kläger als Untermieter zum Zwecke des Betriebes eines italienischen Restaurants (§ 1.4 MV). Vereinbart war ein monatlicher Mietzins von zuletzt 12.624,79 €, zahlbar zum dritten Werktag eines jeden Monats (§ 3.1 MV). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf die als Anlage K 1 in Kopie eingereichte Vertragsurkunde Bezug.
Der Kläger unterwarf sich durch notarielle Erklärung vom selben Tage der sofortigen Zwangsvollstreckung bezüglich einer Räumungsverpflichtung der Mieträume bei Beendigung des Mietverhältnisses. In diesem Zusammenhang haben die Parteien Folgendes vereinbart:
„Mit lediglich schuldrechtlicher Wirkung wird vereinbart, dass der Vermieter wegen der Räumung aus dieser Urkunde erst vollstrecken darf, wenn ich, Herr …, mit zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug befinde oder ich für einen Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug bin, der die Miete für zwei Monate erreicht.“
Der Kläger betreibt das Mietobjekt seitdem als gehobenes Café mit einem breiten und auch preislich gehobenen Angebot, das sich ausschließlich an Präsenzgäste richtete.
Ab dem 02.11.2020 musste der Kläger aufgrund einer pandemiebedingten Verfügung des Senats von Berlin gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung wie alle anderen Restaurants, Bars und Cafés den Betrieb schließen.
Mit Schreiben vom 14.12.2020 (Anlage K 4) teilte der Kläger dem Beklagten mit, die Mietzahlungen ab Januar 2021 derzeit nicht leisten zu können. Der Kläger bat daher um Stundung der Mietzinsverpflichtung für Januar 2021 bis zum Erhalt der staatlichen Förderungen und Zuschüsse zum 21.02.2021. Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.12.2020 (Anlage K 5) wiederholte der Kläger seine Bitte und bat zugleich um Mitteilung, ob eine Stundung möglich sei. Zugleich stellte er dem Beklagten anheim, einen entsprechenden Antrag beim Hauptvermieter zu stellen.
Der Beklagte wies die Bitte mit der Begründung zurück, dass er seinerseits zur vollen Mietzinszahlung gegenüber dem Hauptvermieter verpflichtet sei (Anlage A 2). Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.02.2021 (Anlage K 8) kündigte der Beklagte das Mietverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und fristlos wegen Zahlungsverzugs sowie hilfsweise ordentlich und forderte den Kläger zugleich auf, die Mieträume bis zum 28.02.2021 geräumt an ihn zu übergeben.
Am 15.02.2021 leistete der Kläger die vereinbarte Miete für die Monate Januar und Februar 2021 unter „Vorbehalt der Rückforderung“ (Anlage A 3).
Am 16.04.2021 stellte der Beklagte dem Kläger die streitgegenständliche notarielle Urkunde zum Zwecke der Zwangsvollstreckung der angeblichen Räumungsverpflichtung zu.
Der Kläger behauptet, aufgrund der pandemiebedingten behördlichen Schließung von Gastronomiebetriebe ab dem 02.11.2020 habe er keinen Umsatz mehr erzielen können. Seit Dezember 2021 habe sich ein finanzieller Engpass bei ihm ergeben. Die sogenannten November- und Dezemberhilfen des Bundes hätten ihn erst verspätet am 15.02.2021 erreicht. Auch das Kündigungsschreiben vom 12.02.2021 habe er erst am 15.02.2021 erhalten.
Er ist der Auffassung, er sei zu Räumung nicht verpflichtet. Die Voraussetzung für eine Vollstreckung aus der notariellen Urkunde lägen schon nicht vor. Das Mietverhältnis sei durch die Kündigung nicht beendet worden. Es habe zu keinem Zeitpunkt ein Zahlungsverzug des Klägers vorgelegen. Die außerordentliche Kündigung sei auch wegen Art. 240 § 7 EGBGB unwirksam. Ihm sei aufgrund seines Stundungsbegehrens im Dezember 2020 ein Anspruch auf entsprechende Anpassung des Vertrages in Ansehung der Fälligkeit der Mietzinsverpflichtung für Januar und Februar 2021 zuzugestehen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Notars Professor Dr. … vom 14.06.2012, Ur-Nr.: …, für unzulässig zu erklären, soweit die Zwangsvollstreckung auf einer Kündigungserklärung des Beklagten mit Schreiben vom 12.02.2021 beruht.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, die Kündigung sei dem Kläger bereits am 12.02.2021 sowohl an seine Geschäfts- als auch an seine Privatadresse zugestellt worden.
Er ist der Auffassung, der Kläger müsse zunächst darlegen, ob und wenn ja, für welchen Zeitraum, er wann, welche Hilfen beantragt und bewilligt erhalten habe. Eine Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB setze im Übrigen ein Verlangen des Klägers voraus, welches bislang nicht vorliege. Im Übrigen hätten die Zahlungen von Mitte Februar keine Erfüllungswirkung gehabt, da sie ausdrücklich unter qualifiziertem Vorbehalt einer rechtlichen Klärung erfolgt seien.
Wegen des weitergehenden Vortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
1. Eine Vollstreckungsgegenklage in Ansehung einer sofort vollstreckbaren notariellen Urkunde ist gemäß §§ 767 Abs. 1, 794 Abs. 1 Nr. 5, 795 ZPO begründet, wenn bei gegebener Sachbefugnis des Klägers eine Einwendung durchgreift, die den vollstreckbaren titulierten Anspruch selbst betrifft.
Vorliegend ist die Bedingung, unter der sich der Kläger einer sofort vollstreckbaren Räumungsverpflichtung gemäß § 546 Abs. 1 BGB unterworfen hat, nicht eingetreten.
Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob der titulierte Räumungsanspruch des Beklagten, dessen materielle Voraussetzungen in Ziffer I. der notariellen Urkunde hinter der Überschrift „Räumungsverpflichtung“ geregelt ist, davon abhängig ist, dass zum Zeitpunkt der Zwangsvollstreckung ein Zahlungsverzug weiterhin vorliegt. Denn jedenfalls wurde das Mietverhältnis durch die Kündigungserklärung des Beklagten vom 12.02.2021 (Anlage K 8) nicht beendet.
Dabei kann es weiterhin dahingestellt bleiben, ob die Kündigungserklärung dem Kläger nach oder vor Zahlung der Mieten für Januar und Februar 2021 zugegangen ist. Denn ein Zahlungsrückstand i.S. von § 543 Abs. 2 Nr. 3 lit a) und b) BGB ist jedenfalls zu verneinen.
Dem Kläger stand hier pandemiebedingt wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages in der Form zu, dass die Mietzinsverpflichtung für die Monate Januar und Februar 2021 bis zum 22.02.2021 gestundet waren, Art. 240 § 7 EGBGB, § 313 Abs. 1 BGB.
Gemäß Art. 240 § 7 EGBGB wird dann, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind, vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.
Unstreitig war der Betrieb des Klägers von der Schließungsanordnung für gastronomische Betriebe gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 der SARC-CoV- 2-Infektionsschutzverordnung betroffen. Insofern kann der Kläger hier in den Grenzen der Zumutbarkeit eine Anpassung des Vertrages verlangen. Als eine gebotene Anpassung des Vertrages kommt grundsätzlich auch eine Stundung der vertraglichen Verpflichtungen in Betracht (vgl. Grüneberg, in, Palandt, BGB, 76. Aufl. § 313 Rn. 40). Es bedarf aber stets einer umfassenden Interessenabwägung (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 76. Aufl. § 313 Rn. 40).
Die Interessenabwägung fällt zugunsten des Klägers aus.
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Kammergerichts Berlin (vgl. Beschluss vom 11. März 2021 – 8 U 1106/20 –, Rn. 38, juris) kann der Mieter dem Anspruch des Vermieters auf Mietzahlung einen solchen auf Anpassung der Miete an die grundlegend veränderten Verhältnisse infolge der Pandemie nach § 313 BGB einredeweise entgegenhalten. Im konkreten Fall hat das Kammergericht unter Bezugnahme auf weitere obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 24.02.21, 5 U 1782/20 – juris Rn 37, 44; LG Mönchengladbach, Urt. v. 02.11.2020 – 12 O 154/20) wegen des Verbots touristischer Beherbergung und daraus folgenden Wegfalls der wesentlichen Umsätze eine Mietreduzierung in Höhe von 50 % der vereinbarten Miete für möglich erachtet. Maßgeblich ist dabei, ob und inwieweit sich aus staatlichen Unterstützungsleistungen an den Mieter etwas Anderes ergibt und in welchem Umfang solche Zahlungen an die Beklagte erfolgt sind. Denn der Gesetzgeber stellt darauf ab, dass im Rahmen der Zumutbarkeit zu prüfen ist, wie erheblich die Umsätze zurückgegangen sind und auch, ob der Mieter öffentliche oder sonstige Zuschüsse erhalten hat, mit denen er die Umsatzausfälle infolge staatlicher Beschränkung jedenfalls teilweise kompensieren kann, und ob er Aufwendungen erspart hat (z.B. wegen Kurzarbeitergeld oder weggefallenem Wareneinkauf). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Die Vorschrift des § 313 BGB soll keine Überkompensation gewähren (vgl. BT-Drucks. 19/25322 S. 21; OLG Karlsruhe, Urteil vom 24. Februar 2021 – 7 U 109/20 –, Rn. 22 – 23, juris).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend festzustellen, dass es dem Kläger unter Abwägung aller Umstände nicht zuzumuten war, den Mietzins für die Monate Januar und Februar 2021 pünktlich zu zahlen. Der Kläger konnte seinen schließungsbedingten Umsatzverlust zunächst auch nicht kompensieren, weil staatliche Unterstützungsleistungen erst im Februar 2021 gezahlt worden waren. Dass die staatlichen Hilfeleistungen größtenteils mit erheblicher Verspätung erst im Februar 2021 ausgezahlt worden sind, ist gerichtsbekannt (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/corona-dezemberhilfen-103.html). Dass es der Kläger versäumt hatte, rechtzeitig einen Antrag auf Unterstützungsleistungen zu stellen und insofern die verzögerte Gewährung verschuldet hätte, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Für die im Rahmen des § 313 BGB zutreffende Abwägungsentscheidung war des Weiteren von Bedeutung, dass es nur zu einer geringfügigen Verzögerung der Mietzinszahlungen gekommen war. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass der Beklagte hier als Zwischenmieter seinerseits zur pünktlichen Zahlung der Miete an den Hauptvermieter verpflichtet gewesen ist. Dem Beklagten hätte es aber obliegen, sich zur Vermeidung eigener Nachteile erforderlichenfalls an den Hauptvermieter zu wenden, um seinerseits eine Stundung der Mietzinszahlungen zu erreichen. Dass dies erforderlich war oder dass er dies erfolglos versucht habe, hat der Beklagte nicht dargetan.
Der Kläger zahlte dann auch wie angekündigt sogar bereits am 15.02.2021. Die Zahlungen erfolgten auch mit Erfüllungswirkung (§ 362 BGB). Der Kläger hat hier lediglich einen sog. „schlichten Vorbehalt“ erklärt (vgl. Anlage A 3), der nur dem Ausschluss der Rückforderungssperre des § 814 BGB und damit der eventuellen Geltendmachung bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsansprüche dient. Dieser lässt die Erfüllungswirkung nicht entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 11.07.2012 – VIII ZR 138/11 –, Rn. 20, juris; Tiedemann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 569 BGB (Stand: 25.05.2021), Rn. 159). Einen sog. „qualifizierten Vorbehalt“ hat der insofern darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht konkret dargetan.
Der Kläger hatte sich entgegen der Auffassung des Beklagten mit den Schreiben vom 14.12. und vom 18.12.2020 (Anlagen K 4 und 5) auch hinreichend um eine einvernehmliche Anpassung des Vertrages bei dem Beklagten bemüht (vgl. zum Erfordernis vorrangiger Verhandlungen Grüneberg, in: Palandt, BGB, 76. Aufl. § 313 Rn. 41). Der Kläger hat darin unter Berufung auf die pandemiebedingte Schließung sowie Verzögerungen von staatlichen Hilfsleistungen eine Stundung der Mieten von Januar und Februar 2021 bis Mitte Februar 2021 bei dem Beklagten ersucht. Dieses Anpassungsbegehren hat der Beklagte uneingeschränkt zurückgewiesen, so dass die Anpassung nunmehr gerichtlich durchsetzbar ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf 709 ZPO.