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Vollstreckungsschutz – Fehlen einer Ersatzwohnung stellt keine Härte dar

LG Stuttgart, Az.: 19 T 460/17, Urteil vom 05.12.2017

1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgericht Waiblingen vom 29.11.2017, Az. 40 M 2869/17, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf 4.200,00 € festgesetzt

Gründe

I.

Vollstreckungsschutz - Fehlen einer Ersatzwohnung stellt keine Härte dar
Foto: nuoil830/Bigstock

Die Gläubigerin betreibt im Wege der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner die Räumung der 2 Zimmer Wohnung im Untergeschoss links des Gebäudes in … .
Am 19.06.2017 schlossen die Parteien vor dem Amtsgericht Waiblingen einen Vergleich. In Z. 1 des Vergleichs verpflichtete sich der Schuldner die verfahrensgegenständliche Wohnung zu räumen und an die Schuldnerin herauszugeben. In Z. 6 des Vergleichs vereinbarten die Parteien, dass die Verpflichtung des Schuldners zur Räumung entfällt, wenn dieser den im Vergleich vereinbarten Zahlungsverpflichtungen, insbesondere der Begleichung eines Mietrückstands i.H.v. 2.560,00 € bis zum 31.08.2017 und der regelmäßigen Mietzinszahlung, nachkommt. Der Vergleich wurde dem Schuldner am 03.07.2017 zugestellt.
Mit Schreiben vom 19.10.2017 erteilte die Gläubigerin Vollstreckungsauftrag zur Räumung aus dem Vergleich vom 19.06.2017. Mit Schreiben vom 25.10.2017 teilte die Gerichtsvollzieherin der Gläubigerin ihre Zuständigkeit mit und setzte einen Kostenvorschuss an. Mit Schreiben vom 08.11.2017 setzte die Gerichtsvollzieherin den Räumungstermin gegenüber dem Schuldner auf den 08.12.2017 um 07:30 Uhr fest. In dem Schreiben wurde der Schuldner über die Möglichkeit eines Räumungsschutzantrags und dessen Voraussetzungen informiert. Das Schreiben wurde dem Schuldner durch persönliche Übergabe am 09.11.2017 um 07:45 Uhr zugestellt. Mit Schreiben vom selben Tag informierte die Gerichtsvollzieherin das Ordnungsamt der Stadt W über die Räumung.
Mit Schreiben vom 13.11.2017 beantragte der Schuldner beim Amtsgericht Waiblingen die Räumung aufzuschieben. Nach Rückfrage des Amtsgerichts Waiblingen vom 20.11.2017 (Bl. 2 der Akte) teilte der Schuldner am 21.11.2017 (Bl. 4 der Akte) mit, dass er einen Antrag nach § 765a ZPO stellt. Zur Begründung führte der Schuldner aus, dass zuerst rechtlich geklärt werden müsse, wie es weitergeht oder weitergehen soll. Es würden – außer zwei – aktuell keine Wohnungen zur Auswahl vorliegen und sein ALG 2 Bezug sei gesperrt. Weiter führt der Schuldner aus, dass die Gläubigerin alles rückgängig gemacht habe und ihm die normale Zeit von 9 Monaten eingeräumt werden müsse.
Mit Schreiben vom 23.11.2017 (Bl. 9 der Akte) nahm die Gläubigerin Stellung zum Antrag des Schuldners und beantragte diesen zurückzuweisen. Zur Begründung führte die Gläubigerin aus, dass der Schuldner seinen Verpflichtungen aus dem Vergleich vom 19.06.2007 (Bl. 12 der Akte) nicht nach gekommen sei und er deshalb zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verpflichtet sei. Weiter bezahle der Schuldner auch aktuell keine Miete mehr, weswegen sich der Schaden der Gläubigerin weiter vergrößere.
Mit Beschluss vom 29.11.2017 (Bl. 20 ff. der Akte) hat das Amtsgericht Waiblingen den Antrag des Schuldners zurückgewiesen und diesem die Kosten des Verfahrens auferlegt. Mit Schreiben vom 30.11.2017 (Bl. 25 der Akte) hat der Schuldner ein „Eilverfahren und Übergabe an das Landgericht Stuttgart“ beantragt. Zur Begründung führt der Schuldner aus, dass sich das Amtsgericht eines Betrugs strafbar machen würde und er kein Geld habe um eine neue Wohnung zu suchen, da die Gläubigerin dafür gesorgt habe, dass ihm das ALG 2 gestrichen wurde. Weiter habe er bereits Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft eingereicht, weswegen die Zwangsvollstreckung bis zum Abschluss dieser Verfahren ausgesetzt werden müsse.
Mit Beschluss vom 01.12.2017 (Bl. 29 ff. der Akte) hat das Amtsgericht Waiblingen das Schreiben vom 30.11.2017 als sofortige Beschwerde ausgelegt und dieser nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 30.11.2017 ist zulässig, insbesondere wurde vom Schuldner die Frist zur Einlegung eingehalten. Weiter ist die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO) der richtige Rechtsbehelf gegen Entscheidungen nach § 765a ZPO.
Die Antragstellung nach § 765a ZPO unterliegt im Grundsatz keiner Befristung. Ausnahmsweise unterliegt die Antragstellung einschließlich der Antragsbegründung nach § 765a Abs. 3 ZPO in Räumungssachen jedoch einer Frist. Erfasst wird die Vollstreckung aus Titeln, die auf Räumung, Herausgabe oder Überlassung von Räumen gleich welcher (Nutzungs-) Art oder Grundstücken lauten. In diesen Fällen muss der Antrag spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin gestellt werden, d.h. beim Gericht eingegangen sein. Ein verspätet gestellter Antrag ist als unzulässig abzuweisen. Vorliegend wurde der Antrag durch den Schuldner mehr als 2 Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin am 08.12.2017 – und somit fristgerecht – gestellt.
Der Antrag des Schuldners vom 13.11.2017 war – zu Gunsten des Schuldners – auch nicht als Antrag gemäß § 794a ZPO auszulegen, denn ein solcher wäre bereits unzulässig – weil verfristet – gewesen. Der Antrag nach § 794a ZPO ist gegenüber dem Amtsgericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle spätestens zwei Wochen vor dem Tag, an dem nach dem Vergleich zu räumen ist, zu stellen. Ist nach dem Prozessvergleich – wie vorliegend – innerhalb einer kürzeren Frist als zwei Wochen zu räumen oder ist keine Frist bestimmt, so kann der Antrag angesichts der ausdrücklich für anwendbar erklärten Wiedereinsetzungsvorschriften dennoch bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Vergleichsschluss gestellt werden(MüKoZPO/Wolfsteiner, 5. Aufl. 2016, ZPO § § 794a Rn. 8). Vorliegend wurde der Vergleich am 19.06.2017 geschlossen, die Antragstellung im November 2017 wäre daher eindeutig verfristet gewesen und der Antrag bereits unzulässig. Aus diesem Grund hat das Amtsgericht den Antrag zu Recht als solchen nach § 765a ZPO ausgelegt.
2.
Jedoch ist die sofortige Beschwerde des Schuldners in der Sache unbegründet. Trotz Hinweis hat der Schuldner weder eine unbillige Härte der Zwangsvollstreckung vorgebracht, noch entsprechende Belege vorgelegt. Hieran vermag auch die Beschwerdebegründung des Schuldners vom 30.11.2017 nichts zu ändern.
Mit dem Antrag nach § 765a ZPO kann gegenüber einer bestimmten Vollstreckungsmaßnahme eingewandt werden, dass diese für den Schuldner eine besondere Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist (OLG München BeckRS 2012, 03768). Mit dieser Angriffsrichtung steht § 765a ZPO allen Schuldnern in Bezug auf alle Vollstreckungsmaßnahmen, unabhängig vom handelnden Vollstreckungsorgan und unabhängig von der Art des Vollstreckungstitels zur Verfügung (BVerfG BeckRS 2016, 47264 Rn. 3). Der Antrag auf Vollstreckungsschutz darf sich nicht gegen die Zwangsvollstreckung an sich richten, sondern muss eine bestimmte Vollstreckungsmaßnahme betreffen. Nur die hiervon ausgehenden Härten können beanstandet werden. Dementsprechend kann auch nur eine bestimmte Maßnahme aufgehoben, untersagt oder eingestellt werden (BeckOK ZPO/Ulrici, 26. Ed. 15.9.2017, ZPO § 765a Rn. 1-1.4). Gegenstand des Angriffs müssen die vollstreckungsbedingten Folgen einer Maßnahme sein. Einwendungen gegen den vollstreckbaren Anspruch (OLG München BeckRS 2012, 02099; LG München BeckRS 2013, 13119), den Titel oder die Zulässigkeit des Vollstreckungsverfahrens (BGH DGVZ 2011, 209; LG München BeckRS 2013, 13119) können nicht geltend gemacht werden. Erst Recht berechtigt die Norm nicht zu Billigkeitsentscheidungen im Erkenntnisverfahren (BVerfG NJW 2015, 3083). Dieser Prüfungsmaßstab entspricht auch dem Prüfungsmaßstab im Rahmen der vom Schuldner erhobenen sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss nach § 765a ZPO.
Soweit der Schuldner im Rahmen seiner Beschwerde vorträgt, dass hinsichtlich des amtsgerichtlichen Zivilverfahrens noch geklärt werden müsse „wie dieses weitergehe“ bzw. das der Räumungstitel – der zwischen den Parteien am 19.06.2017 abgeschlossene Vergleich vor dem Amtsgericht Waiblingen – nicht bestünde, sind diese Einwendungen im Rahmen der hier vorliegenden sofortigen Beschwerde unbeachtlich. Darüber hinaus geht der Schuldner mit seiner rechtlichen Wertung, dass das amtsgerichtliche Zivilverfahren noch laufe, fehl, da dieses mit Abschluss des Vergleichs vom 19.06.2017 beendet wurde.
Die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO steht hierbei nicht im Belieben des Gerichts (BGH NJW 1965, 2107). Dies gebietet bereits die auf Gewährleistung eines angemessenen Grundrechtsschutzes zielende Funktion der Regelung. Vielmehr muss das Gericht geeignete und erforderliche Schutzanordnungen treffen, wenn eine Vollstreckungsmaßnahme unter Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeutet und deshalb gegen die guten Sitten verstößt (BeckOK ZPO/Ulrici, 26. Ed. 15.9.2017, ZPO § 765a Rn. 11).
Eine konkrete Vollstreckungsmaßregel, nicht die Vollstreckung an sich, muss für den Schuldner eine Belastung bewirken. Die Berücksichtigung von den Schuldner treffenden Nachteilen wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass dieser sie schuldhaft zu verantworten hat. Allerdings verringert dies das Gewicht der Nachteile, was Bedeutung im Rahmen der Abwägung erlangt. So kommt Nachteilen, welche für den Schuldner absehbar und im Vorfeld vermeidbar waren, kaum noch Gewicht zu (LG Heilbronn BeckRS 2012, 20053; AG Bielefeld BeckRS 2012, 20012).
Vorliegend stützt der Schuldner seine Beschwerde unter anderem darauf, dass ihm – aufgrund der ALG 2-Sperrung – die Anmietung einer Ersatzwohnung unmöglich sei und die Gläubigerin hieran Schuld trage. Anhand der vom Schuldner selbst vorgelegten Unterlagen, namentlich dem Schreiben des Jobcenters vom 12.10.2017 (Bl. 16 der Akte), entspricht dies jedoch nicht der Wahrheit. So wurden dem Schuldner die Leistungen ab 01.10.2017 deshalb nicht weiter bewilligt, weil er die mit Schreiben vom 05.09.2017 angeforderten Kontoauszüge nicht vorgelegt hat. Welche Schuld die Gläubigerin hieran tragen soll ist dem Gericht nicht ersichtlich und vom Schuldner auch nicht weiter vorgetragen.

Ebenso verhält es sich mit dem Umstand, dass der Schuldner bislang keine neue Wohnung gefunden hat. Die Wohnungssuche und ein Umzug sind einer Zwangsräumung immanent und damit hinzunehmende Härten. Das Fehlen einer Ersatzwohnung stellt dabei keine Härte dar, die eine Maßnahme nach § 765a ZPO begründen könnte. Denn nach Ablauf der gemäß dem materiellen Mietrecht einzuräumenden Zeit für die Ersatzbeschaffung ist es Sache der Ordnungsbehörden, die Obdachlosigkeit des Schuldners zu beseitigen, und die Lasten der Obdachlosenfürsorge können nicht dem Gläubiger auferlegt werden (OLG Oldenburg NJW 1961, 2119; OLG Frankfurt a. M. Rpfleger 1981, 24; OLG Frankfurt a. M. OLGZ 1981, 250; LG Göttingen MDR 1967, 847; LG Kempten MDR 1969, 1015; LG Itzehoe WuM 1965, 209; LG Köln WuM 1965, 210; LG Kiel WuM 1970, 50; LG Münster WuM 2000, 314; MüKoZPO/Heßler, 5. Aufl. 2016, ZPO § 765a Rn. 58). Hinzu kommt, dass der Schuldner – trotz entsprechender Aufforderung – durch die von ihm eingereichten Nachweise nicht belegen konnte, dass er sich intensiv um eine neue Wohnung bemüht hat.
Auf Seiten des Schuldners muss weiter berücksichtigt werden, dass dieser es aufgrund der Regelungen im Vergleich vom 19.06.2017 selbst in der Hand hatte, eine zwangsweise Räumung seiner Wohnung zu verhindern. Da der Schuldner jedoch unbestritten weder die Mietrückstände beglichen – oder auch nur zurückgeführt – oder die laufende Miete bezahlt hat, lag das Wirksamwerden der Räumungsverpflichtung letztendlich in seiner Sphäre.
Für die Gläubigerin ist in die Abwägung zunächst Ihr allgemeines Vollstreckungsinteresse einzustellen. Dieses ergibt sich daraus, dass ihr ein durch Art. 14 GG geschützter titulierter Anspruch zusteht, zu dessen Durchsetzung sie aufgrund des allg. Gewaltverbots auf die Zwangsvollstreckung angewiesen ist. Dieses generell und unabhängig von der Art des Titels oder des titulierten Anspruchs bestehende Interesse kann im Einzelfall durch besondere Umstände auf Gläubigerseite zusätzlich erhöht sein. Beispielsweise kann ein Gläubiger seinerseits auf eine Leistung in besonderem Maße angewiesen sein (z.B. Unterhaltsansprüche, vgl. § 850d ZPO). Auch kann sich aus der Art der titulierten Ansprüche ein gesteigertes Gläubigerinteresse ergeben (z.B. deliktische Ansprüche, vgl. § 302 Nr. 1 InsO).
Vorliegend ist auf Seiten der Gläubigerin zu berücksichtigen, dass dieser ein allgemeines Vollstreckungsinteresse zusteht und der bei der Gläubigerin bereits eingetretene materielle Schaden sich durch das Verhalten des Schuldners – die andauernde Nichtzahlung des laufenden Mietzins – fortlaufend erhöht.
Sodann sind Schuldner- und Gläubigerinteressen umfassend zu würdigen und unter Berücksichtigung der verfassungs- und einfachrechtlichen Wertungen miteinander abzuwägen (BGH NZM 2016, 654). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Schuldners und des Gläubigers kommt den Interessen des Gläubigers, wie schon der Wortlaut des § 765a ZPO zum Ausdruck bringt, ein vorrangiges Gewicht zu, denn das Gläubigerrecht ist im Erkenntnisverfahren vollstreckbar festgestellt und als gerechtfertigt anerkannt worden (LG Mannheim WuM 1962, 12; AG Hameln ZMR 1972, 285; MüKoZPO/Heßler, 5. Aufl. 2016, ZPO § 765a Rn. 42). Das Bedürfnis, den Schuldner trotz der dem Gläubiger in der Vollstreckung gebührenden „Vormachtstellung“ vor der Härte einer Vollstreckungsmaßregel zu schützen, muss eindeutig und wesentlich stärker als das Interesse des Gläubigers an der grundsätzlich berechtigten Durchsetzung seines Rechts sein.
Nur soweit nach umfassender Abwägung die Interessen des Schuldners die des Gläubigers ganz erheblich überwiegen, kommt eine Schutzanordnung nach § 765a ZPO in Betracht (MüKoZPO/Heßler, 5. Aufl. 2016, ZPO § 765a Rn. 42). Ein bloßes Überwiegen genügt hierbei nicht. Vielmehr bedeutet die gesetzliche Wendung „mit den guten Sitten nicht vereinbar“, dass die den Schuldner im Einzelfall konkret treffenden Nachteile auch unter Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen des Gläubigers von einem Gewicht sein müssen, welches von der jeweiligen vollstreckungsrechtlichen Eingriffsermächtigung zwar noch nach ihrem Wortlaut, nicht aber nach dem – verfassungsrechtlich zulässigen – Regelungswillen des Gesetzgebers abgedeckt wird (BGH NJW 2013, 3312; MDR 2011, 195; LG Hannover NZM 2015, 170). Eine noch vom Willen des Gesetzgebers gedeckte Belastung kann hierbei per se nicht gegen die guten Sitten verstoßen (Boemke/Ulrici BGB-AT, 2. Aufl. 2013, § 11 Rn. 42 ff.).
Ausgangspunkt der Abwägung ist, dass das allg. Vollstreckungsinteresse des Gläubigers nach der dem Vollstreckungsrecht zugrunde liegenden Wertung bereits die regelmäßigen vollstreckungsmaßnahmenbedingten Belastungen des Schuldners aufwiegt. Dies folgt auch aus dem Umstand, dass Sozialschutz dem Staat und nicht dem Gläubiger obliegt (BGH NJW 2008, 1742). Das ein Schuldner ggf. Sozialleistungen beantragen muss, genügt folglich nicht (BGH MDR 2011, 195). Deshalb können von vornherein nur erheblich über den durchschnittlichen Nachteilen liegende Belastungen eine Schutzanordnung rechtfertigen. Die mit einer Zwangsvollstreckung bzw. einer bestimmten Vollstreckungsmaßnahme regelmäßig verbundenen Nachteile genügen dementsprechend nicht (OLG Frankfurt a. M. OLGZ 1981, 250). Vielmehr muss der Schuldner aufgrund in seiner Person oder seiner Lebenssituation liegender Umstände durch die konkret in Aussicht genommene Vollstreckungsmaßnahme in einem Ausmaß betroffen werden, welches erheblich über den üblichen Nachteilen liegt.
Aufschluss hierüber geben vor allem vom Gesetzgeber für einzelne Vollstreckungsmaßnahmen speziell ausgestaltete Schutzmechanismen. Ihre materiellen und verfahrensmäßigen Grenzen dürfen nicht über § 765a ZPO verschoben werden, da § 765a ZPO nur der Schließung planwidrig verbleibender Lücken dient. Dementsprechend scheidet eine Schutzanordnung nach § 765a ZPO auch aus, soweit der Schuldner ausreichend durch spezielle Mechanismen geschützt ist oder werden kann (BGH NJW 2007, 2703). Neben speziellen Schutzmechanismen sind die die gesamte Rechtsordnung prägenden Wertungen der Grundrechte einschließlich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Gewichtung der beiderseitigen Interessen zu berücksichtigen.
Bei der Herausgabe- und Räumungsvollstreckung von Wohnraum ist zu beachten, dass eine hierdurch etwaig ausgelöste Obdachlosigkeit ebenso wenig wie die Notwendigkeit, mehrmals innerhalb kurzer Zeit umzuziehen, genügt. Zwar zählt eine Wohnung zu den zentralen Lebensbedürfnissen, jedoch wird diesem Umstand bereits an verschiedenen Stellen auf der Ebene des materiellen Rechts (Kündigungs- und Befristungsschutz) sowie auf der Ebene des Verfahrensrechts Rechnung getragen. Die gleichwohl entstehende Gefahr der Obdachlosigkeit wird in der geltenden Rechtsordnung mit den Mitteln des Sozial- und Ordnungsrechts bekämpft (BGH NJW-RR 2016, 583; MDR 2010, 1215).
Vorliegend sind schutzwürdige Interessen des Schuldners, die die schutzwürdigen Interessen der Gläubigerin in einem erheblichen Maße übersteigen nicht ersichtlich. So beschränkt sich der Schuldner – trotz entsprechender Aufforderung zum Vortrag durch das Amtsgericht – im Rahmen seines Antrags nach § 765a ZPO wie auch in seiner Beschwerdebegründung darin, den Vergleich vom 19.06.2017 anzugehen, auf eine nicht vorhandene Ersatzwohnung hinzuweisen und den Abschluss staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen die Gläubigerin – und ggf. das Amtsgericht Waiblingen – abzuwarten. Sofern sich der Schuldner gegen den Titel an sich wendet ist dies – ebenso wie die Einwände gegen die Zwangsvollstreckung an sich – vorliegend vom Beschwerdegericht nicht zu prüfen, da sich der Prüfungsgegenstand allein auf unbillige Härten einer konkreten Zwangsvollstreckungsmaßnahme beschränkt. Sofern der Schuldner vorträgt, dass staatsanwaltschaftliche Ermittlungen abzuwarten seien, vermag er auch hiermit kein schutzwürdiges Interesse darzulegen. Die Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen stellen keinen Grund für eine Anordnung nach § 765a ZPO dar und sind somit auch im Rahmen der sofortigen Beschwerde nicht zu Gunsten des Schuldners zu werten. Ebenso verhält es sich – wie oben bereits ausgeführt – mit dem Umstand, dass der Schuldner bislang keine neue Wohnung gefunden hat.
Aus diesem Grund liegt kein schutzwürdiges Interesse des Schuldners vor, dass das berechtigte Interesse der Gläubigerin überwiegen würde. Die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 30.11.2017 war daher zurückzuweisen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, da die zur Entscheidung stehende Frage keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert (§§ 793, 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).

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