Klagefrist verpasst: Anfechtung von Beschlüssen einer Eigentümerversammlung erfolglos.
Klägerin und Beklagte streiten vor Gericht um die Gültigkeit eines Beschlusses einer Eigentümerversammlung. Die Klägerin ist Eigentümerin von zwei Wohnungen im Objekt und behauptet, dass die Heizkosten in der Abrechnung nicht ordnungsgemäß erfasst worden seien. Die Beklagte hält dagegen, dass die Verbräuche aufgrund manipulierter oder demontierter Erfassungsgeräte nicht ermittelt werden konnten und daher eine Schätzung notwendig war. Der Beschluss über die Nachzahlungen bzw. Guthaben wurde von einer Mehrheit der Eigentümer angenommen. Die Klägerin hat zwar die Klagefrist eingehalten, jedoch nicht die Klagebegründungsfrist, weswegen ihre Klage abgewiesen wurde. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Einwendungen der Klägerin materiell-rechtlich präkludiert seien. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde der Klägerin nicht gewährt, da sie die Fristversäumnis nicht unverschuldet zu verantworten hatte. Das Gericht setzte den Streitwert auf 32.201,33 Euro fest. In einem Nachtrag teilte die Klägerin mit, dass das gegen sie geführte Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden sei.
AG Hamburg-St. Georg – Az.: 980b C 30/21 – Urteil vom 17.06.2022
1. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Klagebegründungsfrist wird abgelehnt.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Gültigkeit eines Beschlusses einer Eigentümerversammlung.
Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten und Eigentümerin von zwei Wohnungen im Objekt, von der sie eine selbst bewohnt und die andere von ihrer Schwester bewohnt wird. Die Frage der ordnungsgemäßen Erfassung der Heizungsverbräuche in den Wohnungen der Beklagten war bereits Gegenstand zivilgerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Parteien (vgl. Beschluss v. 09.07.2021 – 980b C 36/20 WEG, ZMR 2021, 848; Urteil v. 24.09.2021 – 980b C 37/20 WEG) und eines gegen die Klägerin geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft H..
Auf der Eigentümerversammlung vom 20.09.2021 wurden zu TOP 5 „WEG-Abrechnung 2020 (Gesamt- und Einzelabrechnungen)“ mehrheitlich – mit 20 Ja-Stimmen, 4 Nein-Stimmen (der Klägerin) und keiner Enthaltung – „die Nachschüsse (Nachzahlungen) bzw. die Anpassungen der beschlossenen Vorschüsse (Guthaben) aus den Einzelabrechnungen / Abrechnungsspitzen für das Jahr 2020 (…) mit Fälligkeit zum 27. September 2021 beschlossen.“ Wegen der weiteren Einzelheiten der Versammlung wird auf das Protokoll gem. Anlage zur Klageschrift Bezug genommen.
Die Klägerin macht mit ihrer am 20.10.2021 bei Gericht eingegangenen und mit Schriftsatz vom 03.12.2021 – bei Gericht per Telefax am selben Tag eingegangen – begründeten Anfechtungsklage geltend, dass die Beschlüsse zu TOP 5 vom 20.00.2021 für ungültig zu erklären seien, weil diese nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen würden. Die Heizkosten, die für ihre Wohnungen in die Abrechnungen eingestellt worden seien, beruhten nicht auf ordnungsgemäßen Abrechnungen, sondern auf rechtswidrigen und unzutreffenden Schätzungen. Sie und ihre Schwester würden seit Jahren extrem wenig Heizenergie aus den Heizkörpern benötigen, weil sie die Ventile an diesen Heizkörpern fast ununterbrochen geschossen halten würden. Falls sie Wärme benötigen würden, würden sie hierfür strombetriebene Ersatzgeräte benutzen, was der Verwaltung bekannt sei. Die Heizkosten für die 17 Wohnungen im Objekt seien extrem unterschiedlich. Eine Schätzung ihrer Kosten bzw. deren Art und Weise sei nicht zulässig, weil keine passende Vergleichswohnung herangezogen worden sei. Die Beklagte habe ihre Rechnungsmethode nicht offen gelegt, weswegen sie, die Klägerin, auch zu den Werten für 2020 noch nichts sagen könne.
Die Klägerin beantragt,
1. ihr vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, falls das Gericht der Auffassung sein sollte, dass entsprechender Vortrag zu einem früheren Zeitpunkt erforderlich gewesen wäre;
2. die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 20.09.2021 zu TOP 5 hinsichtlich der Gesamt- und Einzelabrechnungen Wohngeld 2020 für ungültig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, dass die Klägerin die Klagebegründungsfrist nicht eingehalten habe und dass auch ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unbegründet sei. Über „Gesamt- und Einzelabrechnungen“ sei kein Beschluss gefasst worden. Die Schätzung der Heizkosten in den Wohnungen der Klägerin sei zulässig gewesen, weil die Verbräuche dort auch im Jahr 2020 nicht ordnungsgemäß hätten erfasst werden können.
Es stehe fest, dass die Erfassungsgeräte in den Wohnungen bzw. dort jeweils im Wohn- und Schlafzimmer manipuliert und komplett demontiert worden sei, weswegen eine Verbrauchserfassung nicht möglich gewesen sei. Die Schätzung anhand der Wohnungen 03 und 06 sei wegen der unterschiedlichen Ausstattung richtig gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien im Verlauf des Rechtsstreits zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
In der Klageschrift hatte die Klägerin einen vorläufigen Streitwert von 3.000,00 Euro angegeben, woraufhin mit Verfügung der Geschäftsstelle vom 21.10.2021 ein entsprechender Gerichtskostenvorschuss von ihr abgefordert worden ist, der am 28.10.2021 bei der Gerichtskasse eingegangen ist. Mit Verfügung vom 04.11.2021, der Klägerin zugestellt am 05.11.2021, ist dieser aufgegeben worden, zwecks Festsetzung des Streitwertes die Abrechnung 2020 vorzulegen, hilfsweise zu ihren Miteigentumsanteilen vorzutragen. Mit Schriftsatz vom 18.11.2021, Eingang bei Gericht per Telefax am 19.11.2021, hat die Klägerin eine – bewilligte – Verlängerung der Frist um zwei Wochen bis zum 03.12.2021 beantragt. Am 03.12.2021 ist der Schriftsatz vom selben Tag bei Gericht eingegangen. Mit Beschluss vom 09.12.2021, der Klägerin zugestellt am 13.12.2021, ist der Streitwert vorläufig auf 32.201,33 Euro festgesetzt worden. Am 29.12.2021 ist ein weiterer Vorschuss bei der Gerichtskasse eingegangen. Mit Verfügung vom 10.01.2022 ist das schriftliche Vorverfahren angeordnet worden; deren Zustellung nebst Klageschrift an die Beklagte ist am 14.01.2022 erfolgt.
Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin noch einen ihr nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 27.05.2022, bei Gericht eingegangen am selben Tag, zur Akte gereicht, mit dem sie geltend macht, dass die Staatsanwaltschaft H. das gegen sie geführte Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts am 06.04.2022 eingestellt worden sei.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Anfechtung des Beschlusses der Eigentümerversammlung 20.09.2021 zu TOP 5 hat in der Sache keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die Einwendungen der Klägerin gegen die Richtigkeit der in den Beschluss über die „WEG-Abrechnung 2020 (Gesamt- und Einzelabrechnungen)“ eingestellten Heizkostenabrechnung durchgreifen oder nicht. Die Klägerin ist mit sämtlichen Einwendungen materiell-rechtlich präkludiert.
Sie hat zwar – gerade noch – die Klagefrist nach Maßgabe von § 45 S. 1 Alt. 1 WEG eingehalten, nicht aber die Klagebegründungsfrist nach § 45 S. 1 Alt. 2 WEG. Insoweit ist ihr hier auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Nach § 45 S. 1 WEG muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben und innerhalb zweier Monate nach der Beschlussfassung begründet werden. Die am 19.10.2021 bei Gericht eingegangene Anfechtungsklage ist rechtzeitig erhoben worden. Sie ist der Beklagten zwar erst am 14.01.2022 und damit weit nach Ablauf der o.g. Monatsfrist zugestellt worden. Diese Zustellung erfolgte allerdings noch „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO. Etwaige Verzögerungen bei der Zustellung der Klage sind, sofern sie den Zeitraum bis zur Zustellung des Beschlusses über die vorläufige Festsetzung des Streitwertes vom 09.12.2021 betreffen (die am 13.12.2021 bewirkt worden ist), der Sphäre des Gerichts zuzuordnen. Der Eingang des angeforderten Kostenvorschusses am 29.12.2021 erfolgte – auch unter Berücksichtigung der dazwischenliegenden Weihnachtsfeiertage – innerhalb einer angemessenen, von der Rechtsprechung tolerierten Frist von etwa zwei Wochen (s. BGH, NJW-RR 2018, 970, 973, Rn. 36). Die nachfolgende Verzögerung im Hinblick auf die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens nebst Zustellung der Klage an die Beklagte ist dann wiederum der Sphäre des Gerichts zuzuschreiben.
Die Klägerin hat aber die Klagebegründungsfrist versäumt. Diese ist am Montag, d. 22.11.2021 abgelaufen, der (auch) eine materielle Klagebegründung enthaltene Schriftsatz der Klägerin ist aber erst am 03.12.2021 bei Gericht eingegangen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Frist nach Maßgabe des seit dem 01.12.2020 geltenden (Verfahrens-)Rechts bzw. des § 45 WEG n.F. nicht mehr als materiell-rechtliche Ausschlussfrist zu verstehen ist, sind – abweichend von der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsmeinung der Klägerin bzw. ihres Prozessbevollmächtigten – nicht ersichtlich (vgl. dazu etwa nur Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 45, Rn. 38).
Der Klägerin ist auf ihren (Hilfs-)Antrag hin auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß den §§ 45 S. 2 WEG, 233 ff. ZPO zu gewähren. Die Klägerin, die sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (s. § 85 Abs. 2 ZPO), hat die Klagebegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Ihrem Vorbringen lässt sich nichts dafür entnehmen, weswegen sie schuldlos daran gehindert war, die am 22.11.2021 abgelaufene Frist einzuhalten. Sie hat dazu in ihrem Schriftsatz vom 03.12.2021 – also wenige Tage nach Fristablauf – lediglich geltend gemacht, dass ihr für die übrigen Wohnungen im Objekt noch keinerlei Vergleichswerte für das Jahr 2020 vorliegen würden, weswegen sie die von der Beklagten vorgenommene Schätzung der Verbräuche für ihre Wohnungen nicht überprüfen könne.
Seinem tatsächlichen Kern nach hätte die Klägerin aber auch schon bis zum 22.11.2021 den Einwand geltend machen können, dass die dem Beschluss zugrunde liegende Abrechnung der Heizkosten fehlerhaft sei, weil -so ihr späterer Vortrag – die Heizkostenerfassungsgeräte mangels Manipulation ordnungsgemäß funktioniert hätten, sie und ihre Schwester ihren Wärmebedarf anderweitig gedeckt hätten und damit die Grundlagen für eine Schätzung nicht vorlegen hätten und die Vergleichsmaßstäbe für die Schätzung, die sie nicht kenne, nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen würden.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Klägerin – auf eigenen Antrag hin – gestattet worden ist, zur vorläufigen Festsetzung des Streitwertes bis zum 03.12.2021 vorzutragen. Darin konnte weder die Klägerin noch ihr Prozessbevollmächtigter bei wohlverstandener Auslegung eine Verlängerung der Klagebegründungsfrist bis zu diesem Zeitpunkt erblicken. Es ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt und geklärt, dass es sich sowohl bei der Klagefrist als auch bei der Klagebegründungsfrist um nicht verlängerbare Fristen handelt (vgl. BGH, NJW 2009, 3655, 3656, Rn. 8 f. = ZMR 2010, 126). Das kann auch dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin, einem Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, nicht entgangen sein.
Auf den Inhalt des nicht nachgelassenen Schriftsatzes vom 27.05.2022 kommt es nicht mehr an.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.