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WEG-Beschlüsse bei Ein-Personen-Versammlung sind anfechtbar

LG Frankfurt/Main – Az.: 2-13 S 60/22 – Urteil vom 02.02.2023

In dem Rechtsstreit hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2022 für Recht erkannt:

1. Die Berufung der Beklagten und Widerklägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Langen vom 31.05.2022, Az. 56 C 156/21 (10), wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten und Widerkläger.

3. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis 13.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die klagende WEG verlangt mit ihrer Klage von den beklagten zwei Wohnungseigentümern die Zahlung von Hausgeld. Widerklagend begehren diese die Feststellung der Nichtigkeit der auf der Versammlung vom 23.07.2020 zu den TOP 3 bis 6 gefassten Beschlüsse, wobei mit dem Beschluss zu TOP 5 eben jener Wirtschaftsplan (Gesamt- und Einzelwirtschaftspläne 2020) beschlossen wurde, auf welchen die Klägerin ihre Hausgeldforderung stützt.

Wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass die Verwalterin der Klägerin im Vorfeld der Einladung zur Versammlung vom 23.07.2020 mit Email an die Wohnungseigentümer vom 24.04.2020 auf das einer Zusammenkunft innewohnende unkalkulierbare Infektionsrisiko mit dem Corona-Virus hinwies, u.a. die Möglichkeit einer „Ein-Mann-Versammlung“ mit „abgespeckter“ Tagesordnung vorstellte, wobei vom persönlichen Erscheinen dringend abgeraten werde, und schließlich abfragte, ob sich die Eigentümer „für eine Ein-Mann-Versammlung (es kommt niemand) entscheiden“ könnten oder abwarten wollten, bis das Infektionsrisiko wieder kalkulierbar sei. … Mit Schreiben vom 03.10.2020 erfolgte die Einladung zu Versammlung am 23.07.2020, 11:15 Uhr, in den Büroräumen der Verwalterin, wobei im Betreff u.a. angegeben war: „1-Mann-Versammlung wegen Corona-Pandemie“, der Einladung lag eine Vollmacht für die Verwalterin bei. …

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Nach Auffassung des Amtsgerichts liege zwar ein Einladungsmangel vor. Dieser führe allerdings nicht zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Anfechtbar seien die Beschlüsse nicht mehr, da die Frist zur Anfechtung längstens abgelaufen sei, nachdem die Widerklage erst mit Schriftsatz vom 13.10.2021 erhoben worden ist. Die mit der Klage geltend gemachte Zahlungsverpflichtung ergebe sich aus dem Beschluss zum Wirtschaftsplan.

Mit der Berufung verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungs- sowie ihren Widerklageantrag weiter. Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Zahlungspflicht der Beklagten besteht, denn der einzig erhobene Einwand, der u.a. Gegenstand der Widerklage ist, dass der Beschluss über den Wirtschaftsplan nichtig sei, trägt nicht. Da auch die anderen Beschlüsse nicht nichtig sind, war die Widerklage abzuweisen.

Obschon die Wirksamkeit von Beschlüssen aus einer Versammlung vor der Reform infrage steht, findet auf die Widerklage das neue Verfahrensrecht Anwendung, denn sie wurde – wie auch schon die Klage – erst weit nach Inkrafttreten der Reform am 13.10.2021 anhängig gemacht (vgl. § 48 Abs. 5 WEG).

Wie sich aus Widerklage- und Berufungsbegründung ohne Weiteres ergibt, begehren die Beklagten trotz anderslautender Antragstellung nicht die Ungültigerklärung der gefassten Beschlüsse, sondern die Feststellung der Nichtigkeit (§ 44 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 WEG, weshalb der Antrag entsprechend auszulegen ist.

Die so zu verstehende Berufung hat jedoch keinen Erfolg. Die auf der Versammlung gefassten Beschlüsse sind nicht nichtig.

Ob wegen der Bezeichnung „1-Mann-Versammlung wegen Corona-Pandemie“, verbunden mit der Wahl des Büros der Hausverwaltung als Versammlungsort und der vorangegangenen Mail, die Einladung zur Wohnungseigentümerversammlung vom 23.06.2020 einer Ausladung gleichkommt, wofür einiges spricht, kann dahinstehen, denn dies führt nicht zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls können Beschlüsse wegen Ladungsmängeln zwar im Rahmen einer Anfechtungsklage für ungültig zu erklären sein, in schwerwiegenden Fällen nach der Relevanztheorie sogar unabhängig von der Frage der Kausalität (Kammer, Urt. v. 15.9.2022 – 2-13 S 38/21, ZWE 2022, 454 mAnm Emmerich), hierauf kam es aber nicht an, da eine fristgerechte Anfechtungsklage nicht erhoben wurde.

Beschlüsse wegen eines Ladungsmangels sind aber regelmäßig nicht nichtig; vielmehr sind sie nach zutreffender Auffassung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nur anfechtbar (vgl. BGH NJW 2012, 3571 Rn. 5; NJW 2013, 3098 Rn. 18; NJW 2011, 3237 Rn. 33; s.a. Kammer ZWE 2022, 287 Rn. 17; LG München I ZWE 2022, 170 Rn. 48; BeckOK WEG/Bartholome, 50. Ed. 30.9.2022, WEG § 24 Rn. 96, 97; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 24 Rn. 12; zum Gesellschaftsrecht BGH NZG 2016, 552). Nur in ganz besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen führt nach der Rechtsprechung des BGH eine unterbliebene Ladung zur Nichtigkeit der in der Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse, etwa wenn der Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden soll (BGH NJW 2012, 3571 Rn. 8; vgl. auch OLG Köln NZM 2004, 793). Eine derartige Ausnahme liegt hier jedoch nicht vor. Zwar hat der Verwalter es hier darauf angelegt, eine so bezeichnete „1-Mann-Versammlung“ zu veranstalten. Zweifellos sollten die Eigentümer bewegt werden, auf eine Teilnahme zu verzichten. Dieser auf alle Eigentümer gleichsam wirkende Druck allein führt entgegen der unter einigen Amtsgerichten verbreiteten Ansicht jedoch noch nicht zur Nichtigkeit der auf einer „Ein-Personen-Versammlung“ gefassten Beschlüsse (aA AG Hamburg St. Georg IMR 2022, 366; ebenso für die Nichtigkeit AG Hannover IMR 2021, 473 und AG Bad Schwalbach IMR 2021, 250 m. Anm. Abramenko; für Nichtigkeit bei angedrohter Absage bei Überschreiten der Saalkapazität AG Kassel, Urteil vom 27.8.2020 – 800 C 2563/20 = BeckRS2020, 22007, zust. Drasdo NJW-Spezial 2020, 675, abl. Letzner ZWE 2021, 136, abl. Häublein ZfIR 2020, 787; abl. Kammer ZWE 2021, 134; für Nichtigkeit bei Einladung zu einer Versammlung „im Vollmachtsverfahren“ AG Lemgo ZWE 2020, 480 m abl Anm. Greiner). Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Verwalter in böswilliger Absicht einzelne Eigentümer von der Teilnahme gezielt ausschließen wollte. Der Landungsmangel liegt insoweit noch unterhalb der Schwelle in den vom BGH entschiedenen Fällen, in denen ein Eigentümer bewusst nicht zur Versammlung geladen wurde und in denen der BGH gleichwohl lediglich von einer Anfechtbarkeit der Beschlüsse ausging (BGH NJW 2012, 3571 – Garageneigentümer, ZWE 2020, 267 – werdender Wohnungseigentümer), denn anders als bei einer Nichtladung einzelner Eigentümer, hatten hier trotz des erheblichen Verstoßes gegen das Recht zur persönlichen Teilnahme an der Versammlung, die Eigentümer immerhin die Möglichkeit über Vollmachtserteilung ihr Stimmrecht auszuüben.

Die Ablehnung der Nichtigkeitsfolge ist auch sachgerecht. Zu Gunsten von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hat die Nichtigkeitsfolge die Ausnahme zu bleiben. Der Eigentümer ist hinreichend durch die Möglichkeit der Anfechtbarkeit geschützt. Überdies hätte eine Nichtigkeit den praktisch nicht zu unterschätzenden Nachteil, dass auch weit nach Ablauf der Anfechtungsfrist ein Eigentümer, ohne dass es sachlicher Einwände gegen den Beschluss selbst bedürfte, sich noch auf die Nichtigkeit eines Beschlusses berufen könnte.

Da damit ein wirksamer Beschluss über den Wirtschaftsplan gefasst wurde, hat die Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung des eingeklagten Betrages keinen Erfolg.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Gründe die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Abweichende Entscheidungen von Gerichten gleichen Ranges sind nicht ersichtlich, so dass es trotz abweichender amtsgerichtlicher Entscheidungen keiner Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bedarf (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Entscheidung stützt sich im Übrigen auf gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und entspricht der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum, so dass der Thematik auch keine Grundsatzbedeutung iSv § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zukommt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 49 GKG, wobei die Kammer sich der nicht angegriffenen Festsetzung des Amtsgerichts anschließt.

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