LG Stuttgart – Az.: 10 S 41/21 – Urteil vom 20.07.2022
In dem Rechtsstreit wegen Beschlussanfechtung und Beschlussersetzung hat das Landgericht Stuttgart – 10. Zivilkammer – am 20.07.2022 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2022 für Recht erkannt:
1. Die Berufungen der Kläger und der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürtingen vom 21.10.2021, Az. 18 C 2469/21 WEG, werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Das Urteil sowie das Urteil des Amtsgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger und die Beklagte können jeweils die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Kläger gehören der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft an. In der Eigentümerversammlung vom 13.07.2021 beschlossen die Eigentümer unter TOP 15 die Erneuerung der defekten Wohnungseingangstür der Kläger mit folgendem Wortlaut:
„Die Gemeinschaft der Eigentümer beschließt, den Verwalter zu ermächtigen, namens und im Auftrag der Wohnungseigentümer die ausgewählte Wohnungstüre von ### zu beauftragen. Die Kosten hierfür trägt ###“.
Die Kläger haben mit ihrer am 13.08.2021 eingereichten Klage beantragt, den Beschluss für ungültig zu erklären, und darüber hinaus die Ersetzung des Beschlusses zu TOP durch den folgenden Beschluss beantragt:
„Die Gemeinschaft der Eigentümer beschließt, den Verwalter zu ermächtigen, namens und im Auftrag der Wohnungseigentümer eine neue Wohnungseingangstür in der Ral Farbe 9010 weiß mit glatter Front, wie ausgewählt, zu beauftragen. Die Kosten dieser Wohnungseingangstüren sowie sämtlicher weiteren Eingangstüren sowie die Kosten zur Erhaltung, der zu einer Wohnungseingangstüre erforderlichen Maßnahmen einschließlich derjenigen für einen kompletten Austausch, tragen die Eigentümer jeweils selbst.“
Zur Begründung haben sie sich auf den Grundsatz der Maßstabskontinuität berufen. Sie sind der Meinung, dieser gebiete eine allgemein gefasste Regelung. Andernfalls sei zu befürchten, dass in Fällen anderer Wohnungseigentümer die Wohnungseigentümergemeinschaft die Kosten tragen werde. Die Kläger könnten nicht auf die Anfechtung späterer Beschlüsse verwiesen werden.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie ist der Meinung, ihr Vorgehen sei von § 16 Abs. 2 S. 2 WEG gedeckt. Die Vorschrift erlaube ausdrücklich eine Einzelfallregelung.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens in erster Instanz einschließlich der Antragstellung wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
2. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 21.10.2021 den angefochtenen Beschluss für ungültig erklärt und den Beschlussersetzungsantrag abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Fassung eines Beschlusses, wonach die Kläger die Kosten ihrer Wohnungseingangstür zu tragen hätten, verstoße gegen den Grundsatz der Maßstabskontinuität, solange die Kostenverteilung bezüglich der Wohnungseingangstüren der übrigen Eigentümer offengelassen werde. Der Beschlussersetzungsantrag sei abzuweisen, weil es offen sei, ob die Wohnungseigentümergemeinschaft mehrheitlich beschließen wolle, die Wohnungseigentümer jeweils mit den Kosten der Erneuerung ihrer eigenen Wohnungseingangstüren zu belasten oder es bei der Umlegung nach Miteigentumsanteilen belassen wolle.
3. Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit ihren Berufungen.
Die Kläger bringen vor, nachdem der Beschlusstext gelautet habe, den Verwalter zu ermächtigen, eine Ersetzung der Tür zu beauftragen, die Verwalterin ### aber bereits seit 30.06.2021 nicht mehr Verwalterin sei, sei der angefochtene Beschluss schon wegen Unbestimmtheit nichtig.
Die Kläger vertreten weiter die Auffassung, es liege eine einseitige Kostenbelastung eines einzelnen Eigentümers ohne sachlichen Grund und ohne ausreichende Beschlusskompetenz vor. Es sei nur ein Einzelfall zum Nachteil der Klägerin statuiert worden. Damit werde das Gebot der Maßstabskontinuität verletzt. Es sei zu befürchten, dass es in der Praxis zu einer ständigen Änderung zum Nachteil einzelner Eigentümer kommen werde. Die Beklagte habe zu erkennen gegeben, dass sie keinen kontinuierlichen Maßstab pflegen wolle, sondern sich im Einzelfall einen Richtungswechsel offen lassen wolle.
Die Kläger beantragen:
1. Das Urteil des Amtsgerichtes Nürtingen vom 21.10.2021 (Az. 18 C 2469/21 WEG, wird hinsichtlich Nr. 2 des Rubrums dahin abgeändert, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung TOP 15 vom 13.07.2021 Eigentümergemeinschaft wie folgt ersetzt wird:
Die Gemeinschaft der Eigentümer beschließt, den Verwalter zu ermächtigen, namens und im Auftrag der Wohnungseigentümer eine neue Wohnungseingangstüre in der RAL-Farbe 9010 weiß mit glatter Front, wie ausgewählt zu beauftragen. Die Kosten dieser Wohnungseingangstüre sowie sämtlicher weiterer Eingangstüren sowie die Kosten zur Erhaltung der zu einer Wohnungseingangstüre erforderlichen Maßnahmen, einschließlich derjenigen für einen kompletten Austausch, tragen die Eigentümer jeweils selbst.
2. Hilfsweise zum Antrag unter 2., S. 2 beantragen sie:
Der Verteilerschlüssel für Erhaltungsmaßnahmen an den Wohnungseingangstüren wird dahin abgeändert, dass künftig jeder Sondereigentümer, in dessen Bereich sie sich befindet die Erhaltungsmaßnahmen, einschließlich der Neuherstellung, auf jeweils eigene Kosten vornimmt.
3. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte beantragt:
1. Das Urteil des Amtsgerichts Nürtingen vom 21.10.2021 (Az.: 18 C 2469/21 WEG) wird hinsichtlich seiner Nr. 1 abgeändert und die Klage vollständig abgewiesen (also auch in Bezug auf die Anfechtung des Beschlusses zu TOP 15).
2. Die Berufung der Kläger wird zurückgewiesen.
Sie räumt ein, dass es ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen würde, künftige Reparaturen wiederum allein den jeweiligen Wohnungseigentümern zu belasten. Die Kläger könnten jedoch nicht der Beklagten schon jetzt eine allgemeine Regelung aufzwingen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
1. Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht den von der Beklagten in der Versammlung vom 13.07.2021 unter TOP 15 gefassten Beschluss für ungültig erklärt.
a) Der Beschluss betrifft die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums. Bei der Wohnungseingangstür der Kläger handelt es sich um gemeinschaftliches Eigentum (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2013 – V ZR 212/12). Zur Verwaltung zählen alle Aufwendungen, die den ursprünglichen oder bestehenden Zustand im Sinne einer Pflege erhalten oder einen mangelhaften Zustand beseitigen, also insbesondere Reparaturmaßnahmen am Gebäude bei Beschädigung (BeckOK BGB/Hügel, 62. Ed. 1.5.2022, WEG § 16 Rn. 11).
b) Ein Beschluss über die von § 16 Abs. 2 S. 1 WEG abweichende Verteilung der Kosten einer Instandsetzungsmaßnahme nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG muss den nach § 19 Abs. 1 WEG das Handeln der Wohnungseigentümergemeinschaft insgesamt bestimmenden Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen (BGH, Urt. v. 18.06.2010 – V ZR 164/09, Rn. 17, für § 16 Abs. 4 S. 1 WEG a.F.). Das ist hier nicht der Fall.
Würde der angefochtene Beschluss bestandskräftig, so müssten die Kläger die Kosten der Ersetzung ihrer Wohnungseingangstür alleine tragen. Soweit die Türen anderer Wohnungseigentümer betroffen sind, verbliebe es aber bei der gesetzlichen Kostenverteilung nach Miteigentumsanteilen gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 WEG. Die Kläger müssten sich also an allen anderen Maßnahmen, die die Instandsetzung der Eingangstüren anderer Wohnungseigentümer betreffen, in Höhe ihres Miteigentumsanteils beteiligen, sofern die Wohnungseigentümergemeinschaft dann keine andere Regelung trifft.
Ein sachlicher Grund, weshalb die Kläger die Kosten der Ersetzung ihrer Tür abweichend von § 16 Abs. 2 S. 1 WEG alleine tragen zu haben, nachdem es hinsichtlich der Türen der übrigen Wohnungseigentümer bei der Regelung des § 16 Abs. 2 S. 1 WEG verbleibt, ist von der Beklagten nicht dargetan. Daher werden die Interessen der Kläger durch den angefochtenen Beschluss ohne sachlichen Grund und willkürlich gegenüber denen der übrigen Eigentümer zurückgesetzt. Darin liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung (BGH, Urteil vom 18.06.2020 -V ZR 164/09, Rn. 18).
Eine abweichende Kostenverteilung, wie sie unter TOP 15 beschlossen wurde, entspricht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung nur, wenn in dem Beschluss für alle gleich gelagerten Instandsetzungsmaßnahmen eine entsprechende abweichende Kostenverteilung beschlossen wird (BGH a.a.O; BeckOK WEG/Bartholome, 48. Ed. 1.3.2022, WEG § 16 Rn. 114).
Nach der jetzigen Fassung des § 16 Abs. 2 WEG besteht, anders als im Zeitpunkt der Entscheidung des BGH von 18.06.2010, Az. V ZR 164/09, die Möglichkeit, die einseitige Zurücksetzung der Interessen einzelner Eigentümer durch eine allgemein gefasste Regelung zu verhindern. Nach § 16 Abs. 4 S. 1 WEG a.F. war eine von der Kostentragung nach Miteigentumsanteilen abweichende Regelung nur „im Einzelfall“ möglich. Nach der damaligen Gesetzeslage hielt der Bundesgerichtshof eine Regelung, die alle gleich gelagerten künftigen Instandsetzungsmaßnahmen erfasst und an sich durch den Grundsatz der Maßstabskontinuität geboten wäre, nur deshalb für unzulässig, weil sie das Prinzip der Gesamtverantwortung aller Wohnungseigentümer für das Gemeinschaftseigentum unterlaufen und in sein Gegenteil verkehren würde (BGH a.a.O.). § 16 Abs. 2 S. 2 WEG n.F. eröffnet ausdrücklich die Möglichkeit einer Regelung über die Kostentragung nicht nur für einzelne Kosten, sondern auch für bestimmte Arten von Kosten.
c) Die Kläger können nicht darauf verwiesen werden, dass sie bei Gültigkeit des angefochtenen Beschlusses einen Anspruch auf Gleichbehandlung haben, wenn künftig bei anderen Wohnungseigentümern die Eingangstüren erneuert werden. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, der Grundsatz der Maßstabskontinuität behalte nur noch als Gleichbehandlungsgebot für die Bewertung künftiger Kostenverteilungsbeschlüsse eine Restfunktion (etwa MünchKommBGB/Schneller, 8. Aufl., § 16 WEG Rn. 38, Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 16 Rn. 51), wird übersehen, dass die Zurücksetzung des einzelnen Wohnungseigentümers bereits im Zeitpunkt des Beschlusses gegeben ist, weil für ihn, abweichend von den anderen Wohnungseigentümern, die gesetzliche Kostenverteilung nach Miteigentumsanteilen nicht mehr gilt.
Für eine solche Einschränkung des Grundsatzes der Maßstabskontinuität besteht auch kein hinreichender Grund. Es erscheint vielmehr nicht angemessen und unpraktikabel, einzelne Wohnungseigentümer auf die Überprüfung künftiger Beschlüsse betreffend die Instandsetzungsmaßnahmen bei anderen Wohnungseigentümern zu verweisen, weil ihnen dadurch ein erhebliches Prozessrisiko aufgebürdet wird.
Sofern die Gründe für die Abweichung von der gesetzlichen Kostenregelung zwischen den Parteien im Streit stehen, besteht für den einzelnen Wohnungseigentümer ein zusätzliches Risiko, weil mögliche Einzelfallerwägungen, von der sich die Wohnungseigentümer leiten ließen, erfahrungsgemäß umso schwerer nachzuvollziehen sind, je länger die Beschlussfassung zurückliegt. Bei einer allgemein gefassten Regelung stellt sich diese Problematik nicht.
2. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Beschlussersetzungsantrag der Kläger zu Recht zurückgewiesen.
Der Beschlussersetzungsantrag ist unbegründet.
a) Eine Beschlussersetzungsklage ist nur begründet, wenn ein Anspruch des Klägers auf den angestrebten Beschluss besteht. Gibt es ein Ermessen der Wohnungseigentümer, so kann eine konkrete Maßnahme nur angeordnet werden, wenn das Ermessen der Wohnungseigentümergemeinschaft hierauf reduziert ist und ausschließlich die konkrete Maßnahme ordnungsgemäße Verwaltung darstellt (BGH, Urteil vom 24. 5. 2013 – V ZR 220/12, NJW 2013, 3089, Rn. 5).
b) Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagte darauf, dass die Beklagte gerade den von den Klägern angestrebten Beschluss (Kostentragungspflicht für die jeweiligen Eigentümer betreffend die Wohnungseingangstüren) fasst. Der Beklagten steht nämlich ein Auswahlermessen zu, das auch andere als die von den Klägern erstrebte Entscheidungen zulässt. Das Ermessen der Beklagten ist insoweit auch nicht auf null reduziert. Beispielsweise könnte die Beklagte anstelle der von den Klägern begehrten Regelung beschließen, dass die Kostentragung nur den nächsten anstehenden Austausch der Türen betrifft, d.h. nur solange gilt, bis alle Wohnungseingangstüren ersetzt sind. Weiter könnte die Beklagte nach erfolgreicher Anfechtung des Beschlusses auch beschließen, dass es bei der gesetzlichen Regelung verbleibt, also die Kosten des Austausches der Wohnungseingangstüren nach Miteigentumsanteilen umgelegt werden.
Das zuvor Gesagte gilt für den in der Berufung erstmals gestellten Hilfsantrag entsprechend.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil der entscheidungsrelevanten Frage, ob durch § 16 Abs. 2 S. 2 WEG ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes für den Einzelfall eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Kostentragung getroffen werden kann, über den vorliegenden Fall hinaus allgemeine Bedeutung zukommt und von der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass der Grundsatz der Maßstabskontinuität nur noch als Gleichbehandlungsgebot für die Bewertung künftiger Kostenverteilungsbeschlüsse eine Restfunktion behalte, abgewichen wird.