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WEG -Eigentümer haftet für in Wohnung lebendende Familienangehörige

AG Hamburg – Az.: 9 C 42/21 – Urteil vom 17.08.2021

1. Der Beklagte wird verurteilt, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass aus seiner Wohnung …, 1. Obergeschoss rechts, kein lautes Grunzen, Schreie oder Rufen von Schimpfwörtern ertönt, welches lauter als Zimmerlautstärke oder normale Gesprächslautstärke ist.

2. Der Beklagte wird verurteilt, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass aus seiner Wohnung …, 1. Obergeschoss rechts, keine Türen laut zugeknallt, nicht mit Gegenständen gegen Wände, Decken und Fußböden geschlagen oder an die Wände geklopft wird.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich der Hauptforderungen jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 Euro. Hinsichtlich der Kosten kann der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über von der Wohnung des Beklagten ausgehende Störungen, durch welche die Klägerin sich beeinträchtigt sieht.

Die Klägerin ist Eigentümerin einer im Erdgeschoss links belegenen Wohnung im Haus 29a einer Anlage der Wohnungseigentümergemeinschaft … 27-29a, … Hamburg, die sie gemeinsam mit dem Zeugen … auch bewohnt. Der Beklagte ist ebenfalls Eigentümer einer Wohnung im Haus 29a, welche sich im linken 1. Obergeschoss und damit oberhalb der Wohnung der Klägerin befindet. Der Beklagte hat die Wohnung seit einigen Jahren dauerhaft seinem Sohn überlassen, welcher sich in psychiatrischer Behandlung befindet und für den eine Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge, der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie in Wohnungsangelegenheiten bestellt worden ist.

Ausweislich eines psychiatrischen Gutachtens aus Februar 2021 leidet der Sohn und Bewohner der Wohnung unter einer chronisch-psychotischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. Er lebt in einem Zustand ständiger Anspannung und in der Erwartung bevorstehender „Angriffe“. Auf andere Personen wirkt er psychisch erregt und äußert sich in einer lauten, von Fäkalsprache geprägten Ausdrucksweise. Oftmals kommt es dabei zu erregten und ausfallenden „Ausbrüchen“, welche auch ohne Anlass eintreten können. Auch eine stationäre Behandlung und eine andauernde Medikation vermochten in der Vergangenheit am Verhalten des Sohns nichts zu ändern. Zuletzt hat der begutachtende Psychiater ausgeführt, dass die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses (Psychiatrie) keine Aussicht auf Erfolg hat, da der Betroffene seine Medikamente bereits regelmäßig nehme. Er sehe keinen Mehrwert für die Gesundheit des Betroffenen im Rahmen einer Unterbringung.

In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Vorfällen, bei denen der Sohn des Beklagten durch lautes, aggressives Schreien, Schimpfen und Schläge gegen Wände und Türen Polizeieinsätze verursachte, bei denen auch der Beklagte immer wieder hinzugerufen wurde, um seinen Sohn zu beruhigen. Solche Vorfälle ereigneten sich unter anderem am 08.05.2021, zuvor am 20.04.2021, am 10.04.2021 und auch am 13.03.2021.

Die Klägerin führt seit Januar 2018 ein Protokoll über die Lärmbelästigungen des Sohns des Beklagten und steht mit dem Beklagten über das Verhalten des Sohns in regelmäßigem Kontakt. Beide sind der Auffassung, dass der Sohn des Beklagten in einer betreuten Wohneinrichtung besser aufgehoben wäre.

Die Klägerin behauptet, dass es neben den Vorfällen unter Teilnahme des Beklagten, wie auch gelegentlich der Polizei, in fast täglicher Regelmäßigkeit zu Lärmbelästigungen infolge von „Tobsuchtsanfällen“ des Sohns des Beklagten komme. Die Ausbrüche träten sowohl tagsüber als auch nachts auf und seien in ihrer Menge und Intensität unerträglich. Dabei sei nicht nur sie selbst, sondern auch andere Nachbarn betroffen. Außerdem habe der Sohn des Beklagten bei Gelegenheit auch Essensreste in der Toilette hinuntergespült, sodass die Abflussrohre bereits verstopft gewesen seien und das Wasser aus den Toiletten ausgetreten sei. Insgesamt sei die derzeitige Situation für sie untragbar.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass aus seiner Wohnung … 29a, 1. Obergeschoss rechts, kein lautes Grunzen, Schreie oder Rufen von Schimpfwörtern ertönt, welches lauter als Zimmerlautstärke oder normale Gesprächslautstärke ist,

2. den Beklagten zu verurteilen, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass aus seiner Wohnung … 29a, 1. Obergeschoss rechts, keine Türen laut zugeknallt, nicht mit Gegenständen gegen Wände, Decken und Fußböden geschlagen oder an die Wände geklopft wird.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Soweit der Beklagte bei den protokollierten Vorkommnissen in der Wohnung nicht selbst zugegen war, bestreitet er diese mit Nichtwissen.

Das Gericht hat die Akte des Betreuungsgerichts in Bezug auf den Sohn des Beklagten hinzugezogen sowie Klägerin und Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 8.6.2021 persönlich angehört. Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung der von seiner Wohnung ausgehenden Störungen aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG.

Nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG ist jeder Wohnungseigentümer gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern verpflichtet, deren Sondereigentum nicht über das in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG bestimmte Maß hinaus zu beeinträchtigen. Maßstab ist insofern, ob die vom Sondereigentum des Beklagten ausgehenden Einwirkungen auf das Sondereigentum der Klägerin dieser einen Nachteil zufügen, welcher über das für ein geordnetes Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgeht.

1) Dem Beklagten ist grundsätzlich das Verhalten seines Sohnes, dem er die Wohnung überlässt, zuzurechnen. Der Wohnungseigentümer ist auch für das Gebrauchsverhalten eines Dritten, dem er den Zugang zu dem Sondereigentum eröffnet, nach § 278 BGB verantwortlich, denn wer als Wohnungseigentümer seine Wohnung einem Dritten überlässt, kann sich hierdurch nicht seiner Verantwortung gegenüber den anderen Miteigentümern entziehen, vielmehr ist er verpflichtet, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um das Unterlassungsbegehren des anderen Eigentümers umzusetzen (vgl. BGH NZM 2014, 671).

2) Die vom Sondereigentum des Beklagten ausgehenden Störungen stellen für die Klägerin einen über das unvermeidliche Maß eines geordneten Zusammenlebens hinausgehenden Nachteil dar.

Ein solcher Nachteil ist jede nach dem Empfinden eines verständigen Wohnungseigentümers nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung. Hierbei ist ausschlaggebend, ob ein Wohnungseigentümer in entsprechender Lage sich nach der Verkehrsanschauung verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann (BGH NZM 2014, 245 Rn. 11; 2014, 201 Rn. 8; 2012, 239 Rn. 8). Ob dieser Nachteil auch insofern erheblich ist, bestimmt sich durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Beachtung aller fallbezogenen Umstände (Hügel, in: BeckOK-BGB, 58. Edition Stand 01.05.2021, WEG § 14 Rn. 15).

a) Durch die anhaltenden Geräuschimmissionen entsteht jedenfalls ein Nachteil bei der Klägerin, da die vom Sohn des Beklagten ausgehenden Geräusche, insbesondere das Brüllen und Schlagen an Wänden und Türen, sowohl in ihrer Intensität über ein lediglich geringes Maß deutlich hinausgehen als auch nicht lediglich sporadisch, sondern vielmehr regelmäßig wiederkehrend auftreten. Hierbei kann dahingestellt bleiben, inwiefern der Lärm auch zwischen den Vorfällen unter Beteiligung des Beklagten auftrat, da bereits jene Vorkommnisse einen derartigen Nachteil begründen.

b) Dieser zugefügte Nachteil ist auch erheblich, übersteigt also das für ein geordnetes Zusammenleben unvermeidliche Maß.

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die persönliche Situation des Sohns des Beklagten ein besonderes Maß hinsichtlich dessen verlangt, was für ein Zusammenleben als geordnet und ausgeglichen gelten darf. So kann eine erhöhte Toleranzbereitschaft insbesondere dann zu fordern sein, wenn das Verhalten des Störers durch eine grundsätzlich behandelbare psychische Krankheit gezeichnet ist, sodass jene Störungen, wie sie in dem Brüllen, Grunzen, der Verwendung von Fäkalsprache und den aggressiven Ausfällen des Sohns des Beklagten zu sehen sind, in der Zukunft mit einiger Wahrscheinlichkeit aufgrund einer Behandlung ausbleiben werden. Allerdings ist im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass trotz stationärer Behandlung und einer anhaltenden Medikation des Betroffenen bislang keine Besserung der Symptome seiner Erkrankung eingetreten ist, sodass nicht erwartet werden kann, dass die Störungen in der Zukunft abgemildert werden können oder gar ausbleiben werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich deswegen insbesondere die Frage nach einer alternativen Unterbringung, um auch der Erkrankung des Sohns entsprechend Rechnung zu tragen.

Demgegenüber stellen sich die Beeinträchtigungen auf das Sondereigentum der Klägerin als erheblich dar, indem in regelmäßigen Abständen eine Lärmkulisse erreicht wird, deren Lautstärke und Aggression das Einschreiten der Polizei gebietet. Da auch nicht erwartet werden kann, dass diese Immissionen in der Zukunft abgeschwächt werden, kann der Klägerin auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Sohns des Beklagten nicht zugemutet werden, diese Beeinträchtigungen zu tolerieren.

Hierbei ist auch nicht nur die Intensität der „Ausbrüche“ des Sohns des Beklagten zu berücksichtigen, sondern auch die Regelmäßigkeit, welche bereits durch die engen zeitlichen Abstände zwischen den Vorkommnissen unter Beteiligung des Beklagten belegt wird. Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung erklärt hat, das Verhalten seines Sohnes sei für ihn unerträglich. Sein Sohn sei laut und ausfällig, benutze schlimme Schimpfwörter, seine Stimmung kippe immer wieder völlig unvorhersehbar. Er habe zum Teil Angst in diesen Situationen, die Unberechenbarkeit sei „Stress pur“ für ihn. Er, der Beklagte, lasse den Sohn nicht zu sich in die Wohnung. Seine Nachbarn, zum Teil auch deren kleine Kinder, bekämen die Ausbrüche seines Sohnes mit, was er sehr bedauere. Er sei zwar nicht bei allen Vorfällen, die in den Lärmprotokollen beschrieben sind, zugegen gewesen, könne aber bestätigen, dass das dort beschriebene Verhalten zu dem Verhalten passt, was er beobachte, wenn er dabei sei. Der Beklagte schilderte abschließend, sein Wunsch sei es, dass sein Sohn in eine Wohneinrichtung komme, die weit von Hamburg entfernt sei, sodass er nicht in die streitgegenständliche Wohnung zurückkommen werde.

Diese Angaben vermitteln glaubhaft eine Situation, in der es für alle Beteiligten, für die Klägerin und den Beklagten, nicht mehr erträglich und zumutbar ist, dass der Sohn des Beklagten in dessen Wohnung verbleibt. Es scheint dringend erforderlich, dass für den Sohn eine andere Wohnform gefunden wird, die für die entsprechende Erkrankung, unter der er leidet, gut geeignet ist. Dies würde auch dem Sohn Linderung verschaffen, da er sich dann nicht mehr so abgelehnt fühlen müsste wie dies derzeit angesichts der angespannten Wohnsituation der Fall ist, wie sich der Betreuungsakte entnehmen lässt.

Insofern überwiegen daher in diesem konkreten Fall die Interessen der Klägerin die Interessen des Beklagten unter Berücksichtigung der Zurechnung des Verhaltens und der subjektiven Situation seines Sohns.

Zudem ist der Klägerin, welche bereits die Störung ihres Sondereigentums seit drei Jahren hinzunehmen hatte, zugute zu halten, dass sie bereits in der Vergangenheit und seit Jahren regelmäßig mit dem Beklagten in Kontakt stand und hinsichtlich der Störungen auf ihn einzuwirken versuchte, was jedoch nicht erfolgreich war. Insofern kann dem berechtigten Interesse der Klägerin am Unterbleiben der Störungen auch in keiner anderen Form mehr Rechnung getragen werden, als ihr jenen Anspruch als „ultima ratio“ zuzugestehen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO und hinsichtlich der Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 Euro aus § 709 S. 1 ZPO.

Für die Schätzung der Sicherheitsleistung nach § 709 S. 1 ZPO ist einerseits das Interesse des Beklagten an der Nichtvornahme geeigneter Maßnahmen zur Unterlassung der Störung, andererseits die Absicherung möglicher Schadenspositionen aus § 717 Abs. 2 ZPO maßgeblich.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Wohnung seinem Sohn unentgeltlich überlässt, sodass ihn kein besonderes Regressrisiko seitens des Sohnes trifft, sollte der Beklagte gezwungen sein, aufgrund des vollstreckbaren Inhalts des Urteils entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Andererseits ist zu beachten, dass den Beklagten gegenüber seinem Sohn ein besonderes Maß an Verantwortlichkeit trifft und ihn daher zur Durchsetzung der Vollstreckung anderweitige Ausgaben treffen werden, beispielsweise, um eine alternative Unterbringung finanziell zu unterstützen.

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