Skip to content
Menü

WEG – Entziehung des Wohnungseigentums wegen rechtswidriger Videoüberwachung

AG Recklinghausen – Az.: 90 C 55/18 – Urteil vom 28.05.2019

1. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 30.10.2018 zu den Tagesordnungspunkten 7 und 9 werden für ungültig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Sicherheit kann auch durch Stellung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank geleistet werden.

Tatbestand

Mit einer vorab am 30. November 2018 beim Amtsgericht Recklinghausen eingereichten und mit weiterem, am 20. Dezember 2018 beim Amtsgericht Recklinghausen eingegangenen Begründungsschriftsatz wenden sich die beiden Kläger, welche Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft N-Str. in Recklinghausen sind, gegen die Beschlussfassungen zu den Tagesordnungspunkten 7 und 9 der Eigentümerversammlung vom 30. Oktober 2018. Hinsichtlich der Einzelheiten wird insofern auf den Inhalt des Protokolls der Versammlung vom 30. Oktober 2018 verwiesen, welches in Kopie zur Gerichtsakte gelangt ist. Unter dem Tagesordnungspunkt 7 wurde mit 4 Ja-Stimmen gegen 1 Nein-Stimme ein Entziehungsbeschluss hinsichtlich des Eigentums der beiden Kläger gefasst. Inhaltlich verweisen die Beklagten darauf, trotz in der Beschlussfassung angeführter Abmahnungen setzte der Kläger mit Zustimmung der Klägerin die Überwachung von Gemeinschaftseigentum mittels einer Kamera fort. Zudem stützen sie Ihr Begehren darauf, dass der Kläger verschiedentlich Eigentümer beschimpft und bedroht habe und sogar körperlich angegangen sei. Die Kläger treten diesen Ausführungen entgegen und machen ihrerseits geltend, die Kameraüberwachung sei rechtmäßig; verbale oder körperliche Angriffe des Klägers gegen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft seien nicht erfolgt; der Kläger habe sich höchstens verteidigt. Im Übrigen bestreiten die Kläger die Ordnungsgemäßheit der im Beschluss angeführten Abmahnungen. Auch seien die der Beschlussfassung zugrunde gelegten Sachverhalte nicht geeignet, den Entziehungsbeschluss inhaltlich zu stützen. Auch die Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 9 der Eigentümerversammlung, in der die Erstattung von Teilbeträgen für die Erneuerung von Hauseingangstüren beschlossen worden ist, ist nach den Ausführungen der Kläger nicht ordnungsgemäß.

Die Kläger beantragen, die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 30. Oktober 2018 zu den Tagesordnungspunkten 7 und 9 für ungültig zu erklären.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten treten den Ausführungen der Kläger entgegen. Sie machen ihrerseits geltend, die Voraussetzungen für einen Entziehungsbeschluss seien erfüllt. Insbesondere finde eine rechtswidrige Überwachung durch die installierte Kamera statt. Auch sei es zu den verbalen und körperlichen Übergriffen gekommen. Dies rechtfertige den streitgegenständlichen Entziehungsbeschluss. Auch die teilweise Erstattung der für die individuelle Anschaffung der Hauseingangstüren aufgewendeten Beträge sei ordnungsgemäß.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

WEG - Entziehung des Wohnungseigentums wegen rechtswidriger Videoüberwachung
(Symbolfoto: Von Tommy Lee Walker/Shutterstock.com)

Die Klage ist zulässig und begründet. Insbesondere ist die Anfechtungsklage innerhalb der Anfechtungsfrist des § 46 WEG beim zuständigen Amtsgericht Recklinghausen eingereicht und begründet worden.

1.

Die Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 7 der Eigentümerversammlung vom 30. Oktober 2018 ist mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung nicht in Einklang zu bringen und daher ungültig. Zutreffend ist es allerdings, dass die beabsichtigte Entziehung des Wohnungseigentums gemäß § 18 Abs. 3 WEG einen Beschluss der Wohnungseigentümer voraussetzt, der nicht selbst die Entziehung des Wohnungseigentums zur Folge hat, sondern eine besondere Prozessvoraussetzung der folgenden Entziehungsklage darstellt, §§ 18, 19 WEG. Wird der Entziehungsbeschluss angefochten, so sind im Rahmen dieser Klage nur die formellen Voraussetzungen der Beschlussfassung zu prüfen (vergleiche dazu BGH in WM 2007,664 ff. Rn. 5 mit weiteren Nachweisen). Die materiellen Voraussetzungen der Entziehung sind schon deshalb nicht Gegenstand der Anfechtungsklage, weil Inhalt des angefochtenen Beschlusses nur die Frage ist, ob die Veräußerung verlangt werden soll. Der Beschlussfassung muss regelmäßig eine Abmahnung der betroffenen Wohnungseigentümer vorausgehen. Eine solche Abmahnung ist grundsätzlich auch dann erforderlich, wenn die Entziehung auf § 18 Abs. 1 WEG gestützt wird, ohne dass ein Regelbeispiel gemäß § 18 Abs. 2 WEG vorliegt (vergleiche dazu BGHZ 170,369 Rn. 114 ff.). Denn die im Ergebnis einschneidende Wirkung der Entziehungsklage kann im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nur letztes Mittel sein. Die Abmahnung soll nämlich einerseits den Wohnungseigentümer warnen und ihm Gelegenheit zur Änderung seines Verhaltens geben, andererseits den übrigen Wohnungseigentümern eine sichere Entscheidungsgrundlage für den Entziehungsbeschluss verschaffen. Auf eine solche Abmahnung kann nur ausnahmsweise dann verzichtet werden, wenn sie unzumutbar ist oder offenkundig keine Aussicht auf Erfolg bietet (vergleiche dazu BGH am angegebenen Ort). Die Abmahnung ist die ernsthafte Aufforderung an den störenden Wohnungseigentümer, das gemeinschaftswidrige Verhalten zu unterlassen. Sie ist selbst kein Rechtsgeschäft, sondern eine rechtsgeschäftliche Handlung, auf die gleichwohl die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechende Anwendung finden (vergleiche dazu Bärmann – Suilmann § 18 Rn. 31 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere muss die Abmahnung den Erklärungsempfänger, dem sie zugehen muss, darauf hinweisen, dass und welche Pflichten er konkret verletzt hat (vergleiche dazu Bärmann am angegebenen Ort mit weiteren Nachweisen, Rn. 32). Die Abmahnung selbst erfordert keinen Beschluss der Wohnungseigentümer und kann auch durch einzelne Wohnungseigentümer ausgesprochen werden (vergleiche dazu BGHZ 190,236 ff.). Mit einem als 1. Abmahnung bezeichneten Schreiben ist der Beklagte am 22.1.2013 von Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft mit der Begründung angeschrieben worden, rechtswidrig das Gemeinschaftseigentum mit einer Kamera zu überwachen. Weitere mit Abmahnung überschriebene Mitteilungen sind sodann an beide Beklagten mit der Begründung, rechtswidrig das Gemeinschaftseigentum mit einer Kamera zu überwachen, am 24.08.2017 und am 23.02.2018 nachgefolgt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die vorbezeichneten drei Schreiben die Anforderungen erfüllen, die vom Sinn und Zweck einer Abmahnung an die erforderlichen Mitteilungen zu stellen sind. Denn das Anfechtungsbegehren hat bereits deshalb Erfolg, weil das vorgeworfene Überwachungsverhalten – seine Richtigkeit unterstellt – unter Abwägung der wechselseitigen Interessen der Beteiligten bei den übrigen Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht zu einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Gemeinschaftsverhältnisses führt. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Entziehung des Eigentums nur Ultima Ratio sein darf. Wenn die übrigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft die Auffassung vertreten, das Betreiben einer Überwachungskamera sei rechtswidrig, so steht es Ihnen frei, das beanstandete Verhalten der Kläger gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Abwägung der beiderseitigen schützenswerten Interessen der Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft und der Kläger führt jedenfalls dazu, dass wegen der dargelegten Umstände eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Gemeinschaftsverhältnisses selbst unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten nicht anzunehmen ist. Bereits im Rahmen der Anfechtung des Entziehungsbeschlusses hat das Gericht zu prüfen, ob die jeweilige Abmahnung ein Verhalten aufzeigt, welches als solches den Entziehungsbeschluss rechtfertigt (vergleiche dazu BGHZ 190, 236 ff. Rn. 10). Wie dargelegt, ist dies vorliegend gerade nicht der Fall.

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nach dem Inhalt der Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 7 der Entziehungsbeschluss auf weitere Umstände gegründet wird. Soweit in diesem Zusammenhang auf Bedrohungen bzw. Pöbeleien des Klägers vom 22.09.2017 und vom 18.08.2018 verwiesen wird und darüber hinaus eine körperliche Attacke des Klägers vom 06.10.2018 vorgebracht wird, ist dieses Vorbringen für die Begründung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Entziehungsbeschlusses schon deshalb nicht geeignet, weil hinsichtlich dieser Vorgänge keine notwendigen Abmahnungen ausgesprochen worden sind. Im Übrigen betreffen diese Vorwürfe lediglich den Kläger selbst, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb der Entziehungsbeschluss wegen dieser Vorfälle auch gegen die Klägerin begründet sein soll. Insbesondere wären die erforderlichen Abmahnungen weder unzumutbar noch von vornherein als erfolglos einzustufen.

2.

Auch die Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 9 der Eigentümerversammlung ist mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung nicht zu vereinbaren. Denn es fehlt an einem Rechtsgrund, die von allen Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft angesammelte Instandhaltungsrücklage mit den streitgegenständlichen Erstattungsbeträgen zu belasten. Ein solcher Rechtsgrund ergibt sich insbesondere nicht aus den Grundsätzen der Notgeschäftsführung gemäß § 21 Abs. 2 WEG. Denn danach ist ein sofortiges Handeln nur in Bezug auf Maßnahmen zulässig, welche eine mögliche Gefahrenlage beseitigen, nicht jedoch zur Vornahme von Arbeiten oder auf Dauer angelegten Veränderungen. Solche Maßnahmen sind erst nach einem vorher gefassten Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft zulässig. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen einer Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB. Ein solcher Anspruch besteht nur dann, wenn die Vornahme der Maßnahme dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen der Wohnungseigentümer entspricht. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, da die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft seinerzeit die Wohnungseingangstüren erneuerten, weil sie der Auffassung waren, sie selbst seien zur Kostentragung verpflichtet. Ein fremdes Geschäft der Gemeinschaft selbst wollten sie damals gerade nicht erfüllen. Auch aus den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung ergibt sich kein Ausgleichanspruch. Ein Bereicherungsanspruch für eine solche eigenmächtige Maßnahme kommt nur dann in Betracht, wenn die Maßnahme ohnehin hätte zwingend vorgenommen werden müssen (vergleiche dazu BGH in ZfIR 2016, 349 ff, Rdn. 12). Auch diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Insbesondere kann sie nicht damit begründet werden, dass kein Wohnungseigentümer freiwillig Geld in die Hand nimmt, um Gemeinschaftseigentum instand zu setzen. Auf die Frage, ob ein verjährter Erstattungsanspruch gleichwohl noch auszugleichen wäre, kommt es nach alledem nicht mehr an.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 26.000,00 EUR festgesetzt.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Mietrecht & WEG-Recht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Mietrecht und Wohneigentumsrecht. Vom Mietvertrag über Mietminderung bis hin zur Mietvertragskündigung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Rechtstipps aus dem Mietrecht

Urteile aus dem Mietrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!