AG Wiesbaden – Az.: 92 C 1012/20 – Urteil vom 02.10.2020
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Wohnungseigentümergemeinschaft ### in Wiesbaden. Der Beklagte ist Eigentümer des Sondereigentums an der Wohnung Nr. 5, die an die Mutter des Beklagten vermietet ist. In der Eigentümerversammlung am 10.09.2019 wurde beschlossen, einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen den Beklagten zu beauftragen. Der Beschluss wurde nicht angefochten. Mit Schreiben des Klägervertreters vom 22.11.2019 wurde der Beklagte wegen Störungen des Hausfriedens durch seine Mieterin abgemahnt. Wegen des genauen Wortlauts der Abmahnung wird auf Bl. 48 ff d.A. Bezug genommen. Am 20.01.2020 ging bei hiesigen Gericht eine Unterlassungsklage der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen den Beklagten ein. Das Verfahren ist unter dem Az. 91 C 209/20 -78 anhängig. In der Eigentümerversammlung am 06.02.2020 wurde unter TOP 2 beschlossen, dem Beklagten das Eigentum an der Wohnung zu entziehen und die Verwalterin wurde ermächtigt, diesen Beschluss gerichtlich geltend zu machen. Wegen des genauen Wortlauts des Beschlusses wird auf das Versammlungsprotokoll (Bl. 68 ff d.A.) Bezug genommen. Der Beschluss wurde nicht angefochten.
Mit der vorliegenden Klage, die am 23.03.2020 bei Gericht einging, begehrt die Klägerin die Entziehung des Wohnungseigentums. Die Klägerin behauptet, eine Vielzahl von teilweise erheblichen Störungen des Hausfriedens durch die Mieterin des Beklagten. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 13 ff d.A. Bezug genommen. Die Klägerin ist der Auffassung, aufgrund dieser Verstöße seiner Mieterin, die sich der Beklagte zurechnen lassen müsse, könne den Wohnungseigentümern die Fortsetzung der Gemeinschaft mit dem Beklagten nicht mehr zugemutet werden können.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten zur Veräußerung seiner Eigentumswohnung Nr. 5, eingetragen im Wohnungsgrundbuch von Wiesbaden, ###, zu verurteilen, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten von 3.323,55 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bestreitet sämtliche Vorwürfe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat die Akte 91 C 209/20 – 78 des Amtsgerichts Wiesbaden zu Informationszwecken beigezogen.
Gründe
Die Klage ist zulässig.
Das Amtsgericht Wiesbaden ist gemäß § 43 Nr. 2 WEG ausschließlich zuständig. Die Klägerin ist aufgrund des bestandkräftigen Beschlusses vom 06.02.2020 zur Geltendmachung des Entziehungsanspruch ermächtigt (§ 18 Abs. 1 S. 2 WEG).
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die Klägerin ist nicht berechtigt, vom Beklagten die Veräußerung seines Wohnungseigentums zu verlangen (§ 18 Abs. 1 WEG), da der Entziehungsanspruch verwirkt ist.
Gemäß § 18 Abs. 1 WEG können die Wohnungseigentümer von einem Wohnungseigentümer die Veräußerung seines Wohnungseigentums verlangen, wenn er sich einer so schweren Verletzung der ihm gegenüber den anderen Wohnungseigentümern obliegenden Verpflichtungen schuldig gemacht hat, dass diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht mehr zugemutet werden kann. Eine solche Entziehung des Wohnungseigentums stellt einen schweren Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Eigentum dar, so dass sie nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist (s. Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten „WEG“ 13. Aufl. 2020 § 18 Rdnr. 2). Der störende Wohnungseigentümer muss daher in jedem Fall zuvor abgemahnt werden (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG). Darüber hinaus wird – bezogen auf die Fälle der Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen – im Schrifttum die Auffassung vertreten, der Entziehungsanspruch stehe erst nach der Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten als ultima ratio zur Verfügung (s. Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten a.a.O. § 18 Rdnr. 2). Dies bedeutet nun nicht, dass die Wohnungseigentümer bei Pflichtverletzungen vor Erhebung einer Entziehungsklage zuerst eine entsprechende Unterlassungsklage gegen den störenden Wohnungseigentümer erheben müssen.
Entscheiden sich jedoch die Wohnungseigentümer für die Erhebung einer Unterlassungsklage, so kann der störende Wohnungseigentümer darauf vertrauen, dass wegen der Pflichtverletzungen, die Streitgegenstand der Unterlassungsklage sind, keine Entziehungsklage gegen ihn erhoben wird. Insbesondere, wenn – wie im vorliegenden Fall – zwischen dem Eingang der Unterlassungsklage bei Gericht und dem Eingang der Entziehungsklage bei Gericht nur knapp zwei Monate liegen, ohne dass sich der zu Grunde liegende Sachverhalt geändert hat. Somit haben die Wohnungseigentümer aufgrund ihrer Vorgehensweise ihren Entziehungsanspruch verwirkt (s. Bärmann, WEG 14. Aufl. 2018 § 18 Rdnr. 39).
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf § 709 ZPO.