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WEG – Gestattung einer baulichen Veränderung durch die Gemeinschaftsordnung

AG Schöneberg, Az.: 71 C 102/17, Urteil vom 29.06.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft H. Straße in … B..

§ 6 Abs. 1 der zur Teilungserklärung gehörenden Gemeinschaftsordnung vom 26.04.2005 legt die Stimmkraftverteilung nach der Größe der Miteigentumsanteile fest.

Unter § 9 Ziff. 3 der Gemeinschaftsordnung ist folgende Ausbaubefugnis geregelt:

„Der jeweilige Eigentümer der Einheiten 18, 19 und 20 ist berechtigt, diese Einheiten zu Wohn- oder Büroräumen auszubauen. Dabei sind alle Maßnahmen gestattet, die baurechtlich genehmigt werden. (…)

Die Berechtigung der jeweiligen Eigentümer der Dachgeschosseinheiten erstreckt sich auch darauf, das Dach anzuheben oder aufzusteilen, die Einheiten zusätzlich mit Fenstern aller Art, Dachgauben, Galerien, Austritten, Balkonen, Loggien und Dachterrassen (auf dem Dach) zu versehen und die Einheiten mit darunter liegenden Wohnungen zu verbinden. (…).“

Wegen der Einzelheiten wird auf die notarielle Urkunde des Notars Dr. A. N. vom 26.04.2005 zu Urkundenrolle Nr. …/…, Bl. 9 – 33 d. A., Bezug genommen.

Der Eigentümer der im 3. OG gelegenen Einheit 16 und der im Dachgeschoss gelegenen Einheit 20 plant, den über der Einheit 20 liegenden Dachstuhl abzureißen, die hofseitigen und südlichen Außenwände raumhoch aufzumauern und mit Fensteröffnungen zu versehen und einen neuen Dachstuhl mit einer Neigung von ca. 5 % aufzubringen sowie die Einheiten 16 und 20 zu verbinden. Eine entsprechende Baugenehmigung liegt vor. Wegen der Einzelheiten der geplanten Baumaßnahmen wird auf die Baubeschreibung vom 22.09.2017, Bl. 50 d. A., die Pläne, Bl. 53 – 54 d. A., den Planvergleich Bestand, Bl. 51 – 52 d. A., die Baugenehmigung des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf vom 04.06.2017 einschließlich der zugrundeliegenden Bauvorlagen, Bl. 55 – 69 d. A., sowie das Angebot und die Leistungsbeschreibung der R. GmbH vom 25.08.2017, Bl. 70 – 74 d. A., Bezug genommen.

Wegen des derzeitigen Erscheinungsbilds des Daches über der Einheit Nr. 20 wird auf die Fotos Bl. 98 – 99, 101 d. A., Bezug genommen.

In der Wohnungseigentümerversammlung vom 09.11.2017 beschlossen die Wohnungseigentümer zu TOP 2 mehrheitlich, dem Eigentümer der Einheit 20 den geplanten Ausbau zu gestatten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Wohnungseigentümerversammlung vom 29.11.2017, Bl. 6 – 8 d. A., Bezug genommen.

Die Klägerin wendet sich mit am Montag, dem 11.12.2017, eingegangener Klage, gegen diesen Beschluss. Die Klageschrift ist nach Einzahlung am 27.12.2017 des unter dem 19.12.2017 angeforderten Gerichtskostenvorschusses am 17.01.2018 der in der Klageschrift angegebenen bis zum 31.12.2017 amtierenden Hausverwaltung zugestellt worden. Diese hat die Klageschrift der aktuellen Hausverwaltung weitergeleitet, bei der sie am 24.01.2018 eingegangen ist.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beschluss sei nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, da nicht die Mehrheit der beeinträchtigten Eigentümer zugestimmt habe. Im Übrigen fehle es auch an der Mehrheit der Miteigentumsanteile, da der Eigentümer der Einheiten 16 und 20 nicht stimmberechtigt gewesen sei.

Der Beschluss sei unbestimmt, da sich die Ausbaugenehmigung auf das über der Einheit 20 liegende Dachgeschoss beziehe, die Einheit 20 aber selbst im Dachgeschoss gelegen sei.

Ferner sei der geplante Dachgeschossausbau nicht durch § 9 der Teilungserklärung legitimiert. Von der Ausbaugenehmigung sei nur der Ausbau des Vorhandenen, nicht der komplette Abriss des Dachgeschosses und des Dachstuhls und deren Neuerrichtung in ganz neuer Form erfasst. Das Dach dürfe entweder aufgesteilt oder angehoben werden, nicht jedoch ein völlig neues Dach mit einer Neigung von nur noch 5 % und völlig anderer Form, Charakter und Erscheinungsbild auf ein aufgestocktes Geschoss mit geraden Mauern aufgesetzt werden.

Die geplante Baumaßnahme bedürfe als bauliche Veränderung der Zustimmung aller beeinträchtigten Wohnungseigentümer. Die Beeinträchtigung folge aus der Veränderung des optischen Gesamteindrucks.

Die Klägerin beantragt, den in der Wohnungseigentümerversammlung vom 09.11.2017 gefassten Beschluss folgenden Inhalts:

TOP 2

Zustimmung zu Baumaßnahmen im Bereich des Dachgeschosses (Teileigentum Nr. 20 und darüber, Verbindung mit Wohnungseigentum Nr. 16 im 3. OG) –

Wortlaut wie aus dem Protokoll vom 09.11.2017 der außerordentlichen Wohnungseigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft H. Str. … in … B. ersichtlich – Anlage K2 – für ungültig zu erklären.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, die Anfechtungsfrist sei versäumt, da die Klage der neuen Verwalterin erst am 24.01.2018 formlos zugegangen ist. Die Zustellungsverzögerung sei von der Klägerin zu vertreten, da diese in der Klageschrift in Kenntnis des Ablaufs des Bestellungszeitraums zum 31.12.2017 die ehemalige Verwalterin als Zustellungsvertreterin angegeben hat.

Der Beschluss sei ordnungsgemäß zustande gekommen, insbesondere die Stimmenmehrheit nach dem Anteilsprinzip erreicht worden. Es fehle nicht an der erforderlichen Bestimmtheit. Nach dem Beschlusswortlaut gehe es um den Abriss des Dachstuhls oberhalb des Sondereigentums 20 und nicht um ein Dachgeschoss oberhalb des Sondereigentums 20.

Der mit dem Beschluss gestattete Dachausbau sei von § 9 Ziff. 3 der Teilungserklärung gedeckt, der ein unbeschränktes Ausbaurecht regele.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige, insbesondere vor dem gemäß § 43 Nr. 4 WEG zuständigen Gericht erhobene Klage ist nicht begründet.

1. Die materiell-rechtlichen Ausschlussfristen gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 WEG sind gewahrt. Die innerhalb der Monatsfrist eingegangene Klageschrift ist den Beklagten nach rechtzeitiger Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO zugestellt und fristgerecht begründet worden. Die Anfechtungsfrist des § 46 Abs. 1 S. 2 1. HS WEG endete gemäß §§ 188 Abs. 2, 193 BGB am Montag, dem 11.12.2017. Die Zustellung ist ungeachtet der Zustellungsverzögerung durch die Zustellung an die nicht mehr amtierende Hausverwaltung noch demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt. Zustellungsverzögerungen durch unrichtige Angaben des Klägers zu den Zustellungsadressaten gehen zu Lasten des Klägers und können die rückwirkende Fristwahrung hindern (Niedenführ in Niedenführ/Vandenhouten, WEG, § 46 Rn. 57 m. w. N.).

Um eine Überforderung des Klägers sicher auszuschließen, wird eine durch den Kläger zu vertretende Verzögerung der Zustellung von bis zu 14 Tagen regelmäßig hingenommen, wobei maßgeblich ist, um wie viele Tage sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert (BGH NJW 2011, 1227; ZWE 2015, 375; ZWE 2015, 87).

Die Handlungspflicht der Klägerin begann mit Eingang der Anforderung des Gerichtskostenvorschusses am 20.12.2017. Der Vorschuss ging am 27.12.2017 bei Gericht ein, so dass eine Verzögerung von maximal sieben Tagen eintrat. Die Klageschrift wurde der nicht mehr amtierenden Hausverwaltung am 17.01.2018 zugestellt und am 24.01.2018 an die neue Hausverwaltung weitergeleitet, wodurch gemäß § 189 ZPO der Zustellungsmangel geheilt wurde. Es ist somit durch die Zustellung an die nicht mehr amtierende Hausverwaltung eine weitere Verzögerung von sieben Tagen eingetreten, so dass die der Klägerin insgesamt zuzurechnende Verzögerung maximal 14 Tage beträgt und sich damit im zulässigen Rahmen bewegt.

2. Der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 09.11.2017 zu TOP 2 ist nicht wegen der von der Klägerin fristgerecht vorgetragenen Gründe für ungültig zu erklären.

a) Der Beschluss ist ordnungsgemäß zustande gekommen.

aa) In § 6 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung ist eine Stimmkraftverteilung nach der Größe der Miteigentumsanteile (Wertprinzip) vereinbart, wobei auf jede 10.000 MEA eine Stimme entfällt. Der Beschluss ist mit einer Mehrheit von 3.054 Ja-Stimmen gegenüber 2.717 Nein-Stimmen zustande gekommen. Entgegen der Ansicht der Klägerin war der Eigentümer der Einheiten 16 und 20 stimmberechtigt und unterlag keinem Stimmverbot gemäß § 25 Abs. 5 WEG. Beschlussgegenstand war nicht die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit diesem Eigentümer, und es ging bei der Beschlussfassung auch nicht um dessen private Sonderinteressen. Vielmehr nahm der betreffende Eigentümer seine mitgliedschaftlichen Rechte die Umgestaltung des Gemeinschaftseigentums betreffend wahr.

bb) Zwar handelt es sich bei der durch den Beschluss gestatteten Baumaßnahme um eine bauliche Veränderung im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG. Diese bedurfte indes nicht der Zustimmung aller beeinträchtigten Wohnungseigentümer, da diese konkrete bauliche Veränderung von der Gemeinschaftsordnung gestattet ist.

In § 9 Ziff. 3 der Gemeinschaftsordnung ist eine umfassende Ausbaubefugnis zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Einheiten 18, 19 und 20 niedergelegt.

Gemäß § 9 Ziff. 3 Abs. 1 der Gemeinschaftsordnung sind ausdrücklich alle Maßnahmen gestattet, die baurechtlich genehmigt sind. Aus Abs. 3 geht hervor, dass damit eine komplette Umgestaltung des optischen Erscheinungsbilds einhergehen darf; insbesondere dürfen die Einheiten zusätzlich mit Fenstern aller Art, Dachgauben, Galerien, Austritten, Balkonen, Loggien und Dachterrassen (auch auf dem Dach) versehen werden. Die Veränderung des Dachs ist ebenfalls ausdrücklich erlaubt, insbesondere darf das Dach angehoben oder aufgesteilt werden. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Beschluss wegen der Verwendung des Wortes „oder“ nicht dahingehend auszulegen, dass das Dach nur entweder angehoben oder aufgesteilt werden darf. Vielmehr ist neben dem Anheben zusätzlich ein Aufsteilen des Daches gestattet. Das Wort „oder“ kann zwei oder mehrere Möglichkeiten, die zur Wahl stehen, verbinden, wobei man sich für eine einzige davon entscheiden muss (ausschließend), aber auch zwei oder mehrere Möglichkeiten, die zur Wahl stehen verbinden, ohne, dass eine Auswahl getroffen werden muss (einschließend). Aus dem Sachzusammenhang mit der in Abs. 1 geregelten umfassenden Ausbaubefugnis wird deutlich, dass die in Abs. 3 gestatteten Eingriffe die weitreichenden Befugnisse des ausbauenden Eigentümers, die lediglich durch das Erfordernis einer baurechtlichen Genehmigung begrenzt werden, beispielhaft konkretisieren.

b) Der Beschluss ist hinreichend bestimmt. Dem Beschlusswortlaut ist eindeutig zu entnehmen, dass „dem Inhaber des Teileigentums Nr. 20 ein Aus-, Auf- und Umbaurecht hinsichtlich des Dachgeschosses“ und in diesem Zusammenhang insbesondere „der Abriss des Dachstuhls oberhalb des Sondereigentums Nr. 20“ gestattet werden soll. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist im Beschlusstext nicht von einem „über der Einheit 20 liegenden Dachgeschoss“ die Rede. Lediglich in der nicht zum Beschluss selbst gehörenden Beschlussüberschrift heißt es „Zustimmung zu Baumaßnahmen im Bereich des Dachgeschosses (Teileigentum Nr. 20 und darüber; Verbindung mit Wohnungseigentum Nr. 16 im 3. OG)“. Dies führt jedoch nicht zur Unbestimmtheit des Beschlusses, da sich über dem Teileigentum Nr. 20 kein Sondereigentum befindet, und aus dem Beschlusstext klar hervorgeht, dass es um den Ausbau des im Dachgeschoss gelegenen Teileigentum 20 und in diesem Zusammenhang um den Abriss und die Neuerrichtung des Dachstuhls geht.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

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