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WEG – grundlegende bauliche Veränderung einer Wohnanlage

Streit um behindertengerechte Terrasse in Wohnanlage

In einer Wohnanlage stritten Wohnungseigentümer über die Genehmigung einer baulichen Veränderung, die eine behindertengerechte Terrasse betraf. Die Kläger, Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, legten Klage gegen einen entsprechenden Beschluss ein.

Der Beschluss und die geplante Terrasse

Auf einer Eigentümerversammlung wurde mehrheitlich beschlossen, der Eigentümerin einer Erdgeschosswohnung die Errichtung einer erhöhten Terrasse, die Ersetzung eines Doppelfensters durch eine verschließbare Tür und die Erstellung einer Rampe zu gestatten. Diese Maßnahmen sollten einen barrierefreien Zugang zur Wohnung ermöglichen.

Amtsgericht erklärt Beschluss für ungültig

Das Amtsgericht entschied, dass der Beschluss ungültig sei, da die beschlossene Maßnahme weder erforderlich noch angemessen sei. Es wäre möglich, eine Rampe oder einen Lift vom Gartenbereich auf den Balkon zu errichten. Die Aufschüttung einer Terrasse würde den Wohnwert erhöhen und die übrigen Eigentümer erheblich beeinträchtigen.

Berufung der Beklagten

Die Beklagte legte Berufung gegen das Urteil ein und argumentierte, dass das Amtsgericht das neue System der baulichen Veränderungen im Wohnungseigentumsrecht nicht verstanden habe. Die Beklagte meinte, dass die Gestaltung der Terrasse keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage darstelle und keine unbillige Benachteiligung der Kläger vorliege.

Kläger verteidigen erstinstanzliches Urteil

Die Kläger verteidigten das erstinstanzliche Urteil und vertieften ihr Vorbringen. Die Kammer wies mit einem Beschluss auf ihre vorläufige Rechtsansicht hin, zu der beide Parteien Stellung nahmen.

Kein Erfolg für Berufung gegen Entscheidung des Amtsgerichts

Die Berufung gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ist erfolglos. Die streitgegenständliche Beschlussfassung muss für ungültig erklärt werden, da die gestatteten baulichen Veränderungen eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage im Sinne von § 20 Abs. 4 WEG verursachen.

Grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage

Eine gesetzliche Definition für grundlegende Umgestaltung fehlt, und die Frage muss unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall entschieden werden. Die genehmigten Umbaumaßnahmen führen hier zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage, da sie den Charakter der Anlage als Ganzes erheblich verändern.

Privilegierte Maßnahme nach § 20 Abs. 2 WEG nicht gegeben

Obwohl die gestatteten Maßnahmen einen barrierefreien Zugang zur Wohneinheit ermöglichen, können sie nicht als privilegierte Maßnahme im Sinne von § 20 Abs. 2 WEG angesehen werden. Die Terrasse ist für einen barrierefreien Zugang zur Wohnung weder erforderlich noch angemessen. Das Amtsgericht hat alternative Möglichkeiten aufgezeigt, die weniger Eingriffe in das Gebäude erfordern und den Charakter der Wohnanlage nicht entscheidend verändern würden.

Fazit

Die Berufung hat keinen Erfolg, und die streitgegenständliche Beschlussfassung muss für ungültig erklärt werden. Die baulichen Veränderungen führen zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage, und es liegt keine privilegierte Maßnahme nach § 20 Abs. 2 WEG vor.


Urteil im Volltext

LG Köln – Az.: 29 S 136/22 – Urteil vom 26.01.2023

Die Berufung der Beklagten gegen das am 15.08.2022 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bonn, 211 C 47/21, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Sie fechten mit der vorliegenden Klage einen Beschluss an, der die Genehmigung einer baulichen Veränderung betrifft.

Die streitgegenständliche Wohnanlage besteht aus drei Häusern zu jeweils vier Wohnungen. Zwei Wohnungen eines Hauses befinden sich im Erdgeschoss bzw. Hochparterre, die beiden weiteren Wohnungen liegen im 1. Obergeschoss. Auf der hinteren Grundstücksseite befinden sich Gärten. Alle Wohnungen verfügen auf der Rückseite der Häuser über Balkone im Sinne einer Loggia. Durch Ergänzung der ursprünglichen Teilungserklärung wurden mit notarieller Urkunde vom 29.07.2002 Sondernutzungsrechte an der Gartenfläche gebildet, die konkrete Zuweisung der Flächen erfolgte mit Urkunde vom 09.12.2005. Ferner wurde in der letzten Ergänzungsurkunde geregelt, dass auf den Gartenflächen Terrassen von maximal 1/3 der Größe des Sondernutzungsrechts angelegt werden dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Regelungen wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Kopien der Teilungserklärung und der Ergänzungsurkunden nebst Anlagen verwiesen (Bl. 29 ff und 112 ff der erstinstanzlichen GA). Vier der sechs Wohnungen in der Hochparterre haben vor ihrer Loggia eine gepflasterte Terrasse. Nur die beiden Eckwohnungen besitzen solche nicht. Alle sechs Wohnungen in der Hochparterre haben am Balkon eine kleine Treppe, bestehend aus vier Stufen, die auf die Terrasse bzw. in den Garten führt. Ergänzend wird wegen der Gestaltung der Örtlichkeit auf die zur Gerichtsakte gereichten Lichtbilder (Bl. 63 ff und 165 erstinst. GA, 84 ff Berufungsakte) Bezug genommen.

Auf der Eigentümerversammlung vom 14.10.2021 fassten die Wohnungseigentümer unter TOP 8 auf Antrag der Eigentümerin der im Erdgeschoss gelegenen Eckwohnung 32 mehrheitlich einen Beschluss, nach dem der Miteigentümerin als privilegierte Maßnahme nach § 20 Abs. 2 WEG unter Vorgaben die Errichtung einer in der Höhe auf rund 65 cm aufzuschüttenden Terrasse gestattet wurde, die Ersetzung des Doppelfensters im Wohnzimmer durch eine verschließbare Tür und die Erstellung einer Rampe. Neben dem Protokoll (Bl. 8 ff der erstinst. Akte) wird zur Verdeutlichung des Bauvorhabens auf die von der Beklagten vorgelegten Skizzen (Bl. 188 und 197 d. erstinst. GA) verwiesen.

Für die weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das amtsgerichtliche Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hat den Beschluss zu TOP 8 für ungültig erklärt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Anspruch des Wohnungseigentümers nach § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG nur auf eine angemessene bauliche Veränderung gerichtet sei. Die vorliegend beschlossene Maßnahme sei im Hinblick auf den angestrebten privilegierten Zweck, behinderten Bewohnern einen Zugang zu der Wohneinheit zu ermöglichen, weder erforderlich noch angemessen. Selbst wenn ein behindertengerechter Zugang nicht durch das Treppenhaus, sondern nur über die Gartenseite herstellbar wäre, so sei ein Zugang auch dadurch herstellbar, dass eine Rampe oder ein Lift vom Gartenbereich auf den Balkon errichtet werde. Es bestünde bereits eine Treppe mit 4 Stufen vom Balkon der Antragstellerin in den Gartenbereich. An Stelle der Treppe oder neben dieser könne eine Rampe oder ein Treppenlift o.ä. errichtet werden. Für die Herstellung eines behindertengerechten Zugangs zur Wohneinheit sei es nicht notwendig, das Doppelfenster im Wohnzimmer durch eine Türanlage zu ersetzen und eine Terrasse vor dem Objekt aufzuschütten. Die Aufschüttung einer Terrasse würde eine Erhöhung des Wohnwertes darstellen. Von der umfangreichen Maßnahme gingen erhebliche Beeinträchtigungen der übrigen Eigentümer in Bezug auf die einheitliche Optik und Funktion der Anlage aus, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Nutzen stünde. Darüber hinaus sei der Beschluss in Teilbereichen nicht bestimmt genug. Zudem verstoße er gegen § 20 Abs. 4 WEG. Das Herausbrechen der Fensterfront nebst Einbau einer Türanlage mit einer auf einem Podest errichteten Terrasse und Zuwegung stelle eine erhebliche optische und funktionale Umgestaltung dar und gebe der Wohnungslage ein neues Gepräge bzw. neues Gesicht, zumal laut der Regelung unter Lit. f) jede andere Wohneinheit ebenfalls derartige Umbauten durchführen können solle.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage begehrt.

Sie meint, das Amtsgericht habe das seit dem 01.12.2020 geltende neue System der baulichen Veränderungen im Wohnungseigentumsrecht verkannt. § 20 Abs. 2 S. 2 WEG schranke den Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers auf bauliche Veränderung ein, sei aber nach Zustimmung der Wohnungseigentümer durch einen Mehrheitsbeschluss nur noch ganz eingeschränkt überprüfbar. Der Überprüfungsmaßstab richte sich ausschließlich nach § 20 Abs. 4 WEG. Die vorliegende Gestaltung der Terrasse führe nicht zur grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage. Dafür sei nichts vorgetragen und auch nichts erkennbar. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Bau von Terrassen in der Teilungserklärung in der geplanten Größe ausdrücklich vorgesehen sei und dass hinsichtlich der Terrasse allenfalls ihre Aufschüttung diskutiert werden könne. Die Aufschüttung stelle aber keine grundlegende Veränderung der Wohnanlage dar, zumal sie durch die Hecken, die die einzelnen Häuser im Garten optisch trennen würden, nicht allseits eingesehen werden könne. Zudem sei das Haus 2 gegenüber den anderen Häusern um mehrere Meter in den Garten hinein versetzt. Auch für eine unbillige Benachteiligung der Kläger sei nichts vorgetragen. Die Einschränkung, dass über die Durchführung der Maßnahme im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung zu beschließen sei, habe der Gesetzgeber nur in § 20 Abs. 2 WEG vorgesehen, weil dort eben ein Anspruch auf angemessene bauliche Veränderung bestehe. Sei ein solcher Anspruch durch positive Beschlussfassung bestätigt worden, reihe sich die Vorschrift des § 20 Abs. 2 in die Vorschrift des § 20 Abs. 1 bis 3 ein und unterliege dann den gleichen Kriterien, nämlich keiner Kontrolle der Angemessenheit und Ordnungsgemaßheit. Wie das Gericht auf die vermeintliche Erkenntnis komme, dass das Ersetzen des Doppelfensters im Wohnzimmer durch eine Schiebehebetür eine erhebliche optische und funktionale Umgestaltung der Wohnanlage zur Folge habe, erschließe sich beim besten Willen nicht. § 20 Abs. 4 WEG sehe eine grundlegende Umgestaltung vor, die bei einzelnen baulichen Veränderungen schon begrifflich ausscheide. Auch nach den Ausführungen des Gesetzgebers in der Drucksache 19/18791 auf S. 66 setze die Umgestaltung einer Wohnanlage voraus, dass die gesamte Wohnanlage in Angriff genommen werde und nicht – wie vorliegend – lediglich ein relativ kleiner Teilbereich. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die vorhandene Balkontür nur 62 cm breit sei und daher zu schmal für einen Rollstuhlfahrer. Der vorhandene Balkon sei für einen Rollstuhlfahrer deshalb gar nicht erreichbar. Das Amtsgericht verkenne die Gesamtsystematik des neuen Gesetzes. Es komme nicht darauf an, was der begünstigten Eigentümerin oder einem behinderten Bewohner zuzumuten sei. Auch stelle sich keine Frage der Notwendigkeit. Ebenso wenig erfordere es das Gesetz, dass der Bauwillige den Wohnungseigentümern mehrere Alternativen vor der Beschlussfassung zur Auswahl stelle. Selbst wenn es sich nicht um eine Maßnahme nach § 20 Abs. 2, sondern um eine solche nach § 20 Abs. 1 WEG handeln würde, wäre ein solcher Beschluss nur in den Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG vom Gericht zu kontrollieren. Schließlich könne dem Amtsgericht nicht darin gefolgt werden, dass der Beschluss in Teilbereichen nicht bestimmt genug sei.

Die Kläger verteidigen das erstinstanzliche Urteil und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 01.12.2022 (Bl. 87 ff GA) auf ihre vorläufige Rechtsansicht hingewiesen. Hierzu haben beide Parteien Stellung genommen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsatze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Wie die Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 01.12.2022, auf den ergänzend verwiesen wird, ausgeführt hat, ist die Entscheidung des Amtsgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die streitgegenständliche Beschlussfassung ist für ungültig zu erklären, weil die gestatteten baulichen Veränderungen zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage im Sinne von § 20 Abs. 4 WEG führen.

Zwar teilt die Kammer die Einschätzung der Beklagten, dass sich der Überprüfungsmaßstab hier nach § 20 Abs. 4 WEG zu richten hat, weil Gegenstand der Anfechtungsklage kein Negativbeschluss betreffend die Ablehnung einer begehrten Maßnahme nach § 20 Abs. 2 WEG ist, sondern ein Mehrheitsbeschluss über die Gestattung einer baulichen Veränderung. Auf die Frage der Angemessenheit der beabsichtigten Baumaßnahme zur Herstellung eines behindertengerechten Zugangs zu der Wohneinheit, auf die das Amtsgericht im Wesentlichen abgestellt hat, kommt es demnach nur mittelbar im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 20 Abs. 4 WEG an (s.u). Ein Gestattungsbeschluss ist nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann erfolgreich anfechtbar, wenn die bauliche Veränderung die Wohnanlage grundsätzlich umgestaltet oder einzelne Wohnungseigentümer ohne ihr Einverständnis gegenüber den anderen Wohnungseigentümern unbillig benachteiligt, § 20 Abs. 4 WEG (BT DS 19/18791, S. 61). Bauliche Veränderungen, die dieses Maß nicht erreichen und mehrheitlich beschlossen werden, sind von der überstimmten Minderheit hinzunehmen Dies gilt insbesondere für Beeinträchtigungen des optischen Gesamteindrucks (BT DS 19/18791, S. 66). Hier führen die gestatteten Maßnahmen jedoch nicht nur zu einer Veränderung des optischen Gesamteindrucks der Gebäude, vielmehr ist die Grenze der grundlegenden Umgestaltung überschritten.

Wann eine bauliche Veränderung eine Wohnanlage grundlegend umgestaltet, ist gesetzlich nicht definiert. Diese Frage ist nach der Gesetzesbegründung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden. Bezugspunkt ist dabei die Anlage als Ganzes. Eine grundlegende Umgestaltung wird deshalb nur im Ausnahmefall und bei den nach § 20 Abs. 2 privilegierten Maßnahmen zumindest typischerweise gar nicht anzunehmen sein. Insbesondere führt nicht jede bauliche Veränderung, die nach § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG a.F. die Eigenart der Wohnanlage ändert, auch zu einer grundlegenden Umgestaltung nach neuem Recht. Mit der Gesetzesänderung sollte die bauliche Veränderung von Wohnungseigentumsanlagen erleichtert werden (für alles BT DS 19/18791, S. 66). In der Literatur werden als Beispiele für eine grundlegende Umgestaltung etwa die Umwandlung eines parkartigen Gartens einer Wohnanlage in eine asphaltierte Parkplatzfläche benannt (MüKoBGB/Rüscher, 9. Auflage 2023, WEG § 20 Rn. 34), wohingegen die Errichtung eine Aufzugsturms oder einer Photovoltaikanlage ebenso wenig ausreichend sein sollen (vgl. Jennißen-H., WEG, 7. Auflage, § 20 Rn. 88) wie der Anbau von Balkonen (Hügel/Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, 3. Auflage 2021, WEG § 20 Rn. 150). In der Rechtsprechung ist eine grundlegende Umgestaltung verneint worden bei Abbruch nicht genutzter Schornsteine und Kaminzüge (AG Hamburg, Urteil vom 10. Mai 2022, 9 C 277/21), dem Ausbau eines bisherigen Dachbereichs zur Dachterrasse (AG Saarbrücken, Urteil vom 09. März 2022, 36 C 292/21), der Installation eines Rauchabzugs (AG Hannover, AG Hannover, Urteil vom 9. März 2021, 482 C 8604/21), der Beseitigung eines Sichtschutzelements zwischen zwei Balkonabschnitten (AG Bonn, Urteil vom 04.05.2022, 211 C 38/21) und bei dem Bau eines Außenaufzugs an das Hinterhaus eines Jugendstilgebäudes (LG München I, Urteil vom 24. November 2022, 36 S 3944/22 WEG).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte und ausgehend von einem objektiven Vorher-Nachher-Vergleich (vgl. BeckOGK/Kempfle, Stand 01.09.2022, WEG § 20 Rn. 209) ist hier eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage durch die gestatteten Umbaumaßnahmen gegeben. Die streitgegenständliche Maßnahme ist zwar nicht mit der Errichtung eines Parkplatzes auf eine Gartenfläche zu vergleichen, verändert aber den Charakter der Wohnanlage als Ganzes aber gleichwohl erheblich. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass allein ein uneinheitlicher Gesamteindruck oder Störungen der Symmetrie eines Hauses nicht ausreichen, um darin eine grundlegende Umgestaltung zu sehen (vgl. Hugel/Elzer, a.a.O.) Vorliegend wird durch die gestattete Maßnahme aber nicht nur die einheitlich und symmetrisch über beide Geschosse gestaltete rückwärtige Fassade des Objekts, die für das Aussehen der Wohnanlage im rückwärtigen Bereich prägend ist, erheblich verändert. Vielmehr würde durch einen Umbau, wie er gestattet worden ist, auch die charakteristische Gestaltung der Wohnanlage erheblich beeinträchtigt. Insoweit kann zunächst auf die Ausführungen der Kammer in dem Beschluss vom 01.12.20222 verwiesen werden, nach denen die Wohnanlage ihrem äußeren Eindruck nach derzeit allenfalls mittleren Wohnstandards entspricht, wohingegen eine zusätzliche und unmittelbar von der Wohnung aus zu begehende, aufgeschüttete Terrasse der gesamten Anlage ein neues, erheblich moderneres und luxuriöseres Gepräge gibt, das zu der übrigen Gestaltung im vorderen und rückwärtigen Bereich des Objekts nicht passt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die im ersten Obergeschoss gelegenen Wohnungen keinerlei Möglichkeit haben, ihre Wohnungen durch ähnliche Maßnahmen, wie der hier streitigen, aufzuwerten. Demnach würden die Häuser unterschiedliche Wohnstandards aufweisen, je nachdem in welchem Geschoss eine Wohnung liegt. Auch dies gibt der Anlage ein neues Gepräge. Weiter ist zu beachten, dass zwar eine gewisse Ungleichbehandlung der im Obergeschoss und im Erdgeschoss liegenden Einheiten schon in der Teilungserklärung angelegt ist, weil dort nur den Erdgeschosseinheiten Sondernutzungsrechte im Garten zugewiesen worden sind und das Recht zugebilligt worden ist, dort Terrassen anzulegen. Dieser Unterschied verändert den Wohnstandard der Wohnungen jedoch nicht in dem Umfang, wie dies bei einer unmittelbar von der Wohnung aus zu begehenden Terrasse der Fall wäre. Solche Terrassen sieht im Übrigen auch die Teilungserklärung nicht vor. Denn die Regelung in Ziffer 7.3 auf Seite 15 der Ergänzungsurkunde vom 09.12.2005, nach denen auf den Gartenflächen Terrassen angelegt werden dürfen, enthält keine Gestattung, für einen unmittelbaren Zugang zu der Terrasse von der Wohnung aus die Hausfassade zu verändern. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die beabsichtigte Veränderung nur eingeschränkt sichtbar ist. Angesichts der Größe bzw. der Weitläufigkeit der rückwärtigen Gartenflächen wäre die Veränderung der Fassade und die aufgeschüttete Terrasse trotz der vorhandenen Hecken, die die Sondernutzungsbereiche abgrenzen, ausreichend sichtbar.

Die Stellungnahme der Beklagten auf den Beschluss vom 01.12.2022 gibt zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung. Insbesondere stellt die Kammer nicht im Wesentlichen darauf ab, dass der Bau der Terrasse zu einer Asymmetrie führen würde. Denn maßgeblich für die Annahme, dass hier die Voraussetzungen einer grundlegenden Umgestaltung nach § 20 Abs. 4 WEG erfüllt sind, ist neben der Asymmetrie auch die mit der gestatteten Baumaßnahme verbundene Veränderung des Charakters der Wohnanlage insgesamt. Dieser Umstand ist auch der von der Beklagten angeführten Kommentierung von E. in H., WEG, § 20 Rn. 149 entgegenzuhalten. Ebenso wenig trifft es zu, dass die hier vorgesehene Terrasse weniger schwer wiegt als die Beispiele, die H. in J., WEG, 20. Auflage, § 20 Rn. 88 aufführt. Denn der Beschluss gestattet nicht nur die Aufschüttung einer Terrasse, von der eine Rampe in den Gartenbereich führt, sondern auch die Herstellung eines unmittelbaren Zugangs von der Wohneinheit, für den das derzeit vorhandene Wohnzimmerfenster entfernt und durch eine bodentiefe Tür ersetzt werden muss. Dieser Eingriff ist in einer Gesamtschau aus den angeführten Gründen auch als so krass zu bezeichnen, dass sich damit das Gesicht der Wohnanlage als Ganzes verändert (vgl. Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, § 11 Rz. 1013). Eine von Abramenko in SEHR, Die WEG-Reform 2020, § 5 Rz. 65, geforderte Auswirkung von Veränderungen nur in einer Einheit auf die Gesamtanlage, ist vorliegend ebenfalls gegeben. Vor diesem Hintergrund kann hier auch keine Rede davon sein, dass die streitgegenständliche Maßnahme nur einen kleinen Teilbereich der gesamten Wohnanlage betrifft.

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es sich hier um eine privilegierte Maßnahme nach § 20 Abs. 2 WEG handelt. Zwar ist im Rahmen der Prüfung der Grenzen des § 20 Abs. 4 WEG die Wertung des § 20 Abs. 2 WEG zu berücksichtigen. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist bei privilegierten Maßnahmen im Sinne von § 20 Abs. 2 WEG eine grundlegende Umgestaltung typischerweise nicht anzunehmen. Die genehmigte Terrasse kann jedoch nicht als privilegierte Maßnahme im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1 WEG angesehen werden, obwohl dadurch ein barrierefreier Zugang zu der Wohneinheit 32 geschaffen wird. Denn die Terrasse ist zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs zur Wohnung weder erforderlich noch angemessen. Insoweit kann auf die überzeugenden Ausführungen des Amtsgerichts und die dort angeführten alternativen Möglichkeiten verwiesen werden, die weder mit einem so erheblichen Eingriff in das Gebäude verbunden wären, noch den Charakter der Wohnanlage entscheidend verändern würden. Soweit die Beklagte in der Berufung darauf verweist, dass die vorhandene Balkontür zu schmal für einen Rollstuhlfahrer ist, ergibt sich hieraus ebenfalls nichts anderes. Denn ein Zugang zum Balkon könnte beispielsweise auch über das hinter dem Balkon gelegene Fenster erstellt werden, indem dieses durch eine Tür ersetzt wird. Soweit die Beklagte nur allgemein gehalten anführt, dass an dieser Stelle keine Schiebetür errichtet werden könne, ist dies angesichts der vorgelegten Skizzen nicht nachvollziehbar. Zudem ist nicht dargetan oder ersichtlich, dass es zur Herstellung der Barrierefreiheit zwingend einer Schiebetür bedarf. Ebenso wenig kann nach dem nur pauschalen Vorbringen der Beklagten angenommen werden, dass der vorhandene Balkon zu eng ist, um dort mit einem Rollstuhl rangieren zu können, oder bei Einbau einer nach innen aufgehenden Tür der Essbereich in der Wohnung nicht mehr genutzt werden könnte. Auch der Umstand, dass ein Ausgang über dem Balkon bedeutet, dass dieser für einen Behinderten als Durchgangs- Rangier- und Stellfläche benötigt wird, so dass seine eigentliche Funktion als Balkon entfällt und beispielsweise ein Ehepartner ebenfalls von den Folgen dieser Maßnahme betroffen wäre und den Balkon nicht mehr nutzen könnte, ist nicht geeignet, die genehmigte bauliche Veränderung als angemessen anzusehen. Denn diese Einschränkungen erscheinen nicht erheblich oder unzumutbar. Zudem stünde der Balkon einem körperlich nicht beeinträchtigten Mitbewohner jedenfalls für den Zeitraum zur Verfügung, den er nicht als Durchgangs- oder Stellfläche für den beeinträchtigten Bewohner genutzt wird.

Schließlich verkennt die Kammer nicht, dass nach den Gesetzesmaterialien der Begriff des „dienen“ in § 20 Abs. 2 Satz 1 abstrakt zu betrachten ist, so dass für die Annahme einer privilegierten Maßnahme ausreichend ist, wenn die bauliche Veränderungen für die Nutzung durch körperlich oder geistig eingeschränkte Personen nur förderlich ist und es auf die konkrete Notwendigkeit im Einzelfall nicht ankommt. Dies ist hier aber nicht entscheidend, weil die beschlossenen baulichen Veränderungen vorliegend nicht wegen einer fehlenden grundsätzlichen Geeignetheit der Gebrauchsmöglichkeit durch Menschen mit Behinderungen zu beanstanden sind, sondern wegen mangelnder Angemessenheit.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 713 ZPO.

Die Revision wird zugelassen. Die Frage, wann eine grundlegende Umgestaltung im Sinne von § 20 Abs. 4 WEG vorliegt und welche grundsätzlichen Erwägungen hierbei zu beachten sind, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Die Frage wird nach Einschätzung der Kammer nach der Neuregelung des Rechts der baulichen Veränderungen in § 20 WEG in einer nicht unerheblichen Zahl von Rechtsstreitigkeiten eine Rolle spielen und bedarf einer Klärung durch den Bundesgerichtshof.

 

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