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WEG – Nachweis der notwendigen Anwesenheit einer Begleitperson auf Eigentümerversammlungen

LG Lüneburg – Az.: 9 S 19/17 – Urteil vom 22.09.2017

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 17.02.2017 – Geschäftsnummer – 482 C 11327/16 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 11.10.2016 zu TOP 3 und TOP 5 werden für ungültig erklärt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beteiligte zu 1/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar

und beschlossen:

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wir auf 3.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien bilden die Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaft W. in … . Auf der Versammlung vom 11.10.2016 wurden laut Versammlungsprotokoll (Bl. 26 d.A.) – zwei einstimmige Beschlüsse beschlossen und zwar zu TOP 3 „Zukünftige Gartenpflege“ und zu TOP 5 „Gestaltung der übergroßen Fenster bei Austausch und weitere Maßnahmen“.

Wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts wird im Übrigen gem. § 540 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Hannover vom 17.02.2017 – Bl. 100f. d.A. – verwiesen.

Gegen das klageabweisende Urteil vom 17.02.2017 wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Hannover vom 17.02.2017 – 482 C 11327/16 – die Anträge verfolgt,

1. die unter TOP 3 und TOP 5 gefassten Beschlüsse auf der Eigentümerversammlung vom 11.10.2016 der Wohnungseigentümergemeinschaft W. in … für ungültig zu erklären,

2. festzustellen, dass die Klägerin und Berufungsklägerin dazu berechtigt ist, auf Eigentümerversammlungen der Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaft W. in … sowie auf weiteren Treffen der Eigentümer dieser Gemeinschaft, zu denen sie ebenfalls eingeladen ist, einen Beistand ihrer Wahl zum Ausgleich ihrer Schwerhörigkeit beizuziehen, solange diese Schwerhörigkeit anhält und soweit in der Person des Beistandes keine wichtigen Gründe bestehen, die seine Anwesenheit unzumutbar machen, und soweit diese Person sich zur Verschwiegenheit entsprechend der Verschwiegenheitsverpflichtung von Rechtsanwälten bereit erklärt; die Klägerin und Berufungsklägerin teilt auf Aufforderung eines der Eigentümer oder der Verwaltung den vollständigen Namen und Adresse des Beistandes mit,

3. dem Verwalter die Kosten des Verfahrens einschließlich der Berufung gem. § 49 Abs. 2 WEG aufzuerlegen, soweit sie durch die Anfechtung der Beschlüsse auf der Eigentümerversammlung vom 11.10.2016 der Wohnungseigentümergemeinschaft W. in … (Antrag zu Ziffer 1) entstanden sind.

Die Beklagten sind der Berufung entgegen getreten und beantragen deren Zurückweisung.

II.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 17.02.2017 ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 517-520 ZPO).

In der Sache ist die Berufung teilweise und zwar hinsichtlich der Beschlussanfechtungen begründet, im Übrigen unbegründet.

1.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts sind die Vollmachten, die in der Versammlung nicht vorgelegt worden sind, nicht zu berücksichtigen, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese überhaupt der Verwaltung formwirksam erteilt worden sind. Die anwesenden Eigentümer hatten – entsprechend der Anwesenheitsliste Anlage B 4 (Bl. 65 d.A.) – nur 3.433/10.000 MEA (Klageschrift S. 4), so dass keine Beschlussfähigkeit vorgelegen hat und deshalb die auf der Versammlung getroffenen Beschlüsse – auch wenn sie „einstimmig“ (mithin mit der eigenen Stimme der Klägerin) erfolgten – ungültig sind.

Entgegen der erstinstanzlichen Verteidigung der Beklagten reicht nicht, dass die Vollmachten „körperlich“ im Verhandlungsraum bzw. zumindest in den Geschäftsräumen vorgelegen hätten (Berufungserwiderung S. 2 = Bl. 164 d.A.). Soweit die Beklagten nunmehr erstmals in zweiter Instanz bestreiten, dass die Klägerin nicht verlangt habe, die Vollmachten persönlich zu präsentieren bzw. Einsichtnahme zu gewähren, sind die Beklagten mit diesem neuen Verteidigungsmittel in zweiter Instanz ausgeschlossen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung dieses neuen Verteidigungsmittels liegen nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO vor. Erstinstanzlich hatte die Klägerin unter Beweisantritt bereits mit der Klage vom 08.11.2016 (S. 4) vorgetragen, den Versammlungsleiter um Vorlage der schriftlichen Vertretungsvollmachten gebeten zu haben, welcher daraufhin ungehalten reagiert und gesagt habe, diese lägen im Hause, er werde sie jedoch nicht holen. Eine Einsichtnahme in die Vollmachten sei ihr verweigert worden. Dem sind die Beklagten in erster Instanz nicht entgegen getreten und haben sich lediglich damit verteidigt, Vollmachten wären erteilt gewesen. Vor diesem Hintergrund sind die nunmehrigen Ausführungen der Beklagten in der Berufungserwiderung vom 13.06.2017 (S 2 = Bl. 164 d.A.) ein erstmaliges Bestreiten und damit ein neues Verteidigungsmittel. Erstinstanzlich war das nicht erfüllte Verlangen der Klägerin nach einer Vorlage und Einsichtnahme unstreitig.

Diese Verweigerung entspricht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung. Rechtlich ist nämlich jeder Eigentümer berechtigt, zu jeder Zeit Einsicht in die Originalvollmachten zu nehmen, worüber nicht einmal durch einen Geschäftsordnungsbeschluss disponiert werden könnte. Es besteht ein individueller Anspruch jedes Mitglieds auf Einsichtnahme in die Originalvollmachten, denn es besteht ein individuelles Interesse jedes Wohnungseigentümers daran, die Wirksamkeit einer Stimmabgabe auf das Beschlussergebnis noch in der Versammlung feststellen zu können (OLG München, Urt. v. 11.12.2007 – 34 Wx 91/07-, juris; Jennißen, WEG, 5. Aufl., § 25 Rn. 80 m.w.N.). Ein Nachreichen kommt nicht Betracht. Wird auf Verlangen die Vollmachtsurkunde nicht vorlegt, ist vom Nichtbestand der Vollmacht auszugehen (vgl. LG Frankfurt a.M., Urt. v. 05.08.2015 – 13 S 32/13, Bl. 134 d.A.). Wird einem Wohnungseigentümer das Recht zur Prüfung der Vollmacht verweigert, begründet dies einen formellen Beschlussmangel (Jennißen, a.a.O., unter Bezugnahme auf LG Frankfurt a.M., a.a.O.). Von einer solchen Verweigerung ist prozessual auszugehen, mit der Konsequenz, die betreffenden Beschlüsse für ungültig zu erklären.

2.

Hinsichtlich des Feststellungsantrages ist die Berufung unbegründet. Die Feststellungsklage ist bereits unzulässig, weil es mangels Vorbefassung der WEG an einem Feststellungsinteresse fehlt.

Die Klägerin wäre gehalten gewesen, einen entsprechenden Antrag – und zwar nicht als „Feststellung“, sondern wie in der ursprünglichen Klage als Berechtigung/Erlaubnis/Gestattung – vor bzw. im Rahmen einer konkreten Versammlung zu stellen und darüber abstimmen zu lassen, um diesen Beschluss ggf. anfechten zu können.

Selbst wenn man – ohne dass dies in dem Protokoll vom 11.10.2016 zu TOP 1 deutlich wird – von einem „Geschäftsordnungsbeschluss“ für die Versammlung am 11.10.2016 ausgehen sollte, die von der Klägerin mitgebrachte Person nicht als Begleitung zuzulassen, wäre darin keine Vorbefassung der Beklagten zu sehen. Ein „Geschäftsordnungsbeschluss“ wäre zudem mit Beendigung der Eigentümerversammlung gegenstandslos; für dessen Anfechtung würde es an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil eine Ungültigerklärung rechtlich wirkungslos bliebe (BayObLG, Beschl. v. 10.04.1997 – 2Z BR 125/96 -, juris Rn. 18).

Im Übrigen würde eine Ablehnung der Gestattung eines Beistands ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, wenn kein entsprechender Nachweis über eine Notwendigkeit vorlag. Das Verlangen eines solchen Nachweises ist keine Diskriminierung. Die Nichtzulassung der von der Klägerin mitgebrachten Begleitung in der Versammlung am 11.10.2016 ist deshalb nicht zu beanstanden. Niemand kann ohne Nachweis der entsprechenden Beeinträchtigung eine Maßnahme ihres Ausgleichs erwarten. Ein solcher Nachweis lag vor der Versammlung am 11.10.2016 nicht vor. Dafür wäre das der Klage unterlegte, 13 Jahre alte Attest aus dem Jahr 2003 auch gänzlich ungeeignet gewesen. Soweit die Klägerin nunmehr im Rechtsstreit das Attest vom 09.01.2017 (Bl. 84 d.A.) eingereicht hat, werden die Beklagten darüber zu befinden haben, ob und inwiefern ihnen dieses bei einem entsprechenden Antrag zum Nachweis genügt. Dem Attest vom 09.01.2017 ist jedoch nicht zu entnehmen, warum aus technischen Gründen die Anpassung der mehrfach angeratenen Hörgeräteversorgung nicht funktioniert hat, mithin die Verwendung eines Hörgerätes nicht möglich ist. Zudem wird darin primär eine „Mikroport-Anlage“ vorgeschlagen und alternativ erst eine entsprechende Begleitung. Sollte ein Hörgerät/-hilfe möglich sein, wird sich die Klägerin ggf. darauf verweisen lassen müssen. Mangels Vorbefassung der Eigentümerversammlung unter Vorlage eines aussagekräftigen Nachweises hat auch keine Beweisaufnahme durch die Kammer zum tatsächlichen Vorliegen einer Beeinträchtigung zu erfolgen.

Eine Berechtigung zur Inanspruchnahme einer Hilfsperson könnte auch nicht generell für jede Versammlung im Vorfeld erwirkt werden, sondern nur im Einzelfall bezogen auf eine konkret anstehende Versammlung. Soweit von der Feststellung auch „weitere Treffen der Eigentümer der Gemeinschaft“ mitumfasst sein sollen, wäre dies ohnehin zu weitgehend. Ein Anspruch auf Mitnahme von Hilfspersonen zu privaten Treffen besteht nicht.

Ergänzend weist die Kammer auf Folgendes hin:

Bei einem Nachweis, dass eine Hörgeräteversorgung nicht möglich und dies auch nicht von der Klägerin zu vertreten ist, wird die Versammlung auf einen entsprechenden Antrag die gegensätzlichen Belange entsprechend der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (vgl. Beschl. v. 29.01.1993 – V ZB 24/92 -, juris Rn. 16) abzuwägen haben: Zum einen das durch die Nichtöffentlichkeit der Versammlung berechtigte Interesse der Miteigentümer, die Versammlung für eine vertrauliche und offene Aussprache (gerade finanzieller Dinge) auf den eigenen Kreis zu beschränken und die Anwesenheit Dritter nicht zu dulden, und zum anderen das berechtigte Interesse an der Hinzuziehung eines Beistands. Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit von Wohnungseigentümerversammlungen soll die Wohnungseigentümer in die Lage versetzen, ihre Angelegenheit in Ruhe und ohne Einflussnahme Dritter zu erörtern und zu regeln (BGHZ 99, 90ff. [95]); die Anwesenheit Dritter muss deshalb grundsätzlich nicht gestattet werden (BayObLG NZM 2002, 616f.). Ein Anspruch auf Zulassung eines Beistands besteht somit nur, wenn – weil die Gemeinschaftsordnung dies nicht vorsieht – das Interesse des eine Begleitung begehrenden Wohnungseigentümers das Interesse der übrigen Wohnungseigentümer, die Versammlung auf den Kreis der Wohnungseigentümer zu beschränken, überwiegt (BGHZ 121, 236; Staudinger-Bub [2005], § 25 WEG Rn. 173 m.w.N.). Die erforderliche Interessenabwägung und die Entscheidung über die Teilnahme eines Beistands können in der Regel erst in der konkreten Wohnungseigentümerversammlung und in Bezug auf den jeweiligen Tagesordnungspunkt erfolgen, da sich Art und Bedeutung der Angelegenheit erst im Einzelfall ergeben (BGHZ 121, 236 ff. [242]; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1294). Dies gilt auch im Hinblick auf eine alternative Kompensationsmöglichkeit, wie z.B. einen Versammlungsort mit einer technischen Anlage.

Dabei könnte das Interesse einer Miteigentümerin, auf eine Begleitperson zur Verständigung angewiesen zu sein, gewichtiger sein und könnte auch nicht auf die Hinzuziehung eines Miteigentümers, Verwalters oder Rechtsanwalts beschränkt werden. Eine Analogie zur Regelung in der Bestimmung in II 11 der Teilungserklärung verfängt nicht, weil es gerade nicht um eine Vertretung geht. Zudem wäre der Rückgriff auf andere Miteigentümer bei widerstreitenden Interessen nicht zumutbar und ein Rückgriff auf den Versammlungsleiter der Verwaltung als Kommunikationshilfe auch kaum praktikabel. Regelmäßig entstehende Kosten für eine Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als bloße Begleitperson wären ebenfalls nicht zumutbar, im Übrigen verfängt das Verschwiegenheitsargument nicht, weil auch die übrigen Miteigentümer nicht der Verschwiegenheit unterliegen.

III.

Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist durch den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 28.08.2017 nicht veranlasst, § 156 ZPO. Der Beklagtenvertreter hat die Erörterung im Termin fehl verstanden: Davon, dass die Beklagten behaupten, Vollmachten hätten „vor Ort im Verhandlungsraum bzw. zumindest in den Geschäftsräumen“ vorgelegen, ist auch die Kammer ausgegangen. Neu ist jedoch – wie bereits ausgeführt – das Bestreiten in zweiter Instanz, die Klägerin habe verlangt, die Vollmachten zur Einsichtnahme vorzulegen oder persönlich zu präsentieren. Die Behandlung verspäteten Bestreitens als neues Verteidigungsmittel in zweiter Instanz ist gesetzliche Folge und begründet weder eine „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ noch eine „Zurückverweisung“.

Die Rechtsausführungen der Klägerin in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 13.09.2017 geben gleichfalls keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

Die Kostenentscheidung basiert auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, § 49 Abs. 2 WEG. Hinsichtlich des Erfolgs der Klage in Bezug auf die Ungültigkeit der Beschlüsse sind der Hausverwaltung die Kosten anteilig aufzuerlegen. Denn der Verwalter hatte die Anfechtung hinsichtlich der von ihm festgestellten Beschlussfähigkeit aufgrund verweigerter Einsichtnahme in die Vollmachten veranlasst, und ihn trifft insoweit ein grobes Verschulden.

Der Streitwert war gem. § 49a GKG zu bemessen und zwar für die Beschlussanfechtung mit je 500 Euro pro Beschluss und für die Feststellung 2.000 Euro.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht i.S.d. § 543 Abs. 2 ZPO vor.

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