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WEG-Recht – Zweitbeschluss nach ungültigem Erstbeschluss

AG Hamburg-St. Georg – Az.: 980a C 4/21 WEG – Urteil vom 24.09.2021

1. Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 22.12.2020 zu TOP 8 wird für ungültig erklärt.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gültigkeit eines Beschlusses einer Eigentümerversammlung.

Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten, in der sich die Eigentümer seit Jahren – auch sachverständig beraten – mit der Instandsetzung von Balkonen und Loggien befassen. Dazu liegen eine fachtechnische Stellungnahme der … Ingenieurgesellschaft mbH vom 10.07.2009 nebst eines Instandsetzungskonzepts vom 30.06.2009 vor (Anlage K4/B1) sowie ein „Kurztext Leistungsverzeichnis“ der … GmbH (…) vom 26.04.2018 mit einer „Groben Kostenschätzung“ von 145.000,00 € netto (Anlage B3). Auf der Eigentümerversammlung vom 26.09.2018 wurde zu TOP 8 beschlossen, ein Sanierungskonzept gemäß dem Angebot der … erarbeiten zu lassen und auch bisher nicht ausgetauschte Fenster und Balkontüren zu erneuern. Auf Anfechtung der Klägerin hin erklärte das Amtsgericht Hamburg-St. Georg diesen Beschluss mit rechtskräftigem Urteil vom 29.10.2019 – 980a C 44/18 WEG – für ungültig (vgl. Anlage K6), weil die Klägerin dort zu Recht moniert habe, dass die Positionen „Fenster“ und „Balkontüren“ nicht Gegenstand des Angebots der … sei und deswegen offenbleibe, ob und wenn ja welche Mehrkosten diesbezüglich anfallen; ohne dass der Kostenrahmen geklärt sei, sei kein Eigentümer verpflichtet, solche Tätigkeiten in Auftrag zu geben. Der Beschluss sei insgesamt für ungültig zu erklären, weil nicht davon auszugehen sei, dass die Wohnungseigentümer die Erstellung des Sanierungskonzepts auch ohne die Erneuerung von bisher nicht ausgetauschten Fenstern und Balkontüren in Auftrag geben wollen; dafür müsse dann ein gesondertes Konzept erstellt werden, was ggfs. zu Mehrkosten führen würde.

Mit Einladung vom 01.12,2020 (Anlage K2) lud die Verwaltung der Beklagten zur Eigentümerversammlung am 22.12.2020, auf der zu TOP 8 der folgende Beschluss gefasst wurde (Anlage K1):

„Aufhebung und Neufassung des Beschlusses unter TOP 8 der ordentlichen Eigentümerversammlung vom 26.09.2018. Bisheriger Beschluss:

Nach kontroverser Diskussion wurde der obige Tagesordnungspunkt von der Eigentümergemeinschaft wie folgt ergänzt: Weitere Vorgehensweise bezüglich der geplanten Balkonsanierung für 12 Balkone (Balkongeländer, Kragplatten und eventuelle Nebenarbeiten). Die Verwaltung stellt drei Angebote von Architekten für folgenden Leistungsumfang vor: Es soll ein kostengünstiges Sanierungskonzept für jeden einzelnen Balkon mit Kostenschätzung erarbeitet werden (Aufarbeitung der Balkonkragplatten, Regenwasserablauf, Erneuerung der Balkongeländer und Handläufe zzgl. Fugen- und Blecharbeiten an der Fassade einschließlich notwendiger Nebenarbeiten und der Erneuerung von bisher nicht ausgetauschten Fenstern und Balkontüren im Wohnzimmer unter der Berücksichtigung einer DIN gerechten Ausführung der Arbeiten ist eine Gerüststellung notwendig. Das Konzept soll unter der Einbeziehung des Gutachtens des Ingenieurbüros … – Ingenieurgesellschaft vom 10.07.2009) erfolgen. Die Eigentümergemeinschaft entschied sich mehrheitlich für das Honorarangebot … HOAI Stufe 1-4 in Höhe von € 5.593,00 brutto. (Die Position L1 und L2 entsprechen der HOAI Stufe 1-4.) Über das geschätzte Gesamthonorar HOAI 1-9 zzgl. Nebenkosten in Hohe von € 19.867,05 brutto erfolgte keine Beschlussfassung. Die Kosten für die Erstellung des Sanierungskonzeptes gemäß HOAI Stufe 1 – 4 werden aus der Instandhaltungsrücklage beglichen.

wird aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Die Eigentümergemeinschaft beauftragt das Ingenieurbüro … Ingenieurbüro für Bauphysik und Baukonstruktion GmbH gemäß vorliegendem Angebot (HOAI Leistungsphasen 1 bis 4) ein Sanierungskonzept für jeden einzelnen Balkon und jede einzelne Loggia mit einer Kostenschätzung zu erarbeiten. Das Sanierungskonzept soll folgenden Leistungsumfang berücksichtigen: – Aufarbeitung der Balkonkragplatten, – Instandsetzung bzw. Sanierung der Regenwasserabläufe, – Erneuerung der Balkongeländer und Handläufe, Erneuerung der Verkleidungen an den Loggien, – Fugen- und Blecharbeiten an der Fassade und am Dach, – Erneuerung der bisher nicht ausgetauschten Fenstern und Balkontüren im Wohnzimmer unter der Berücksichtigung einer DIN gerechten Andichtungshöhe, – zzgl. erforderlicher Nebenarbeiten und unter der Einbeziehung des Gutachtens des Ingenieurbüros … – Ingenieurgesellschaft vom 10.07.2009 erfolgen. Folgende Ingenieurbüros stehen zur Verfügung:

a) …

b) …

c) …

Das Sanierungskonzept wird der Eigentümergemeinschaft auf einer außerordentlichen Eigentümerversammlung vorgestellt. Die Kosten für die Erstellung des Sanierungskonzeptes gemäß HOAI Stufe 1 – 4 in Höhe von bis zu € 5.574,98 brutto werden aus der Instandhaltungsrücklage beglichen.“

Der Beschluss kam mit 13 Ja-Stimmen, zwei Nein-Stimmen und ohne eine Enthaltung zustande. Ihm zugrunde lag ein Honorarangebot der … vom 17.03.2020 (Anlage K7), vom … vom 09.11.2020 (Anlage K8) und von … vom 27.04.2018 (Anlage K9).

Mit ihrer am 21.01.2021 bei Gericht per Telefax eingegangenen und begründeten, der Beklagten am 13.02.2021 zugestellten Anfechtungsklage macht die Klägerin geltend, dass der Beschluss vom 22.12.2020 zu TOP 8 nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche. Dieser leide unter demselben Mangel wie der bereits gerichtlich aufgehobene Beschluss vom 26.09.2018 zu TOP 8, weil in dem Angebot der … wiederum keine Positionen für „Fenster“ und „Balkontüren“ enthalten seien. Auch die darin angegebene Bausumme von 145.000,00 € reiche nicht aus, weil die Fenster und Balkontüren auch nicht Teil der damaligen Kostenschätzung gewesen seien. In allen drei Angeboten hätten zudem auch Kosten für die Sanierung der Loggien, für deren Verkleinerung, für die Erneuerung der Fugen und für Nebenarbeiten an Fassade und Dach gefehlt. Das Angebot der … seit der Beschlussfassung der Versammlung im Jahr 2018 unverändert geblieben sei – sei zum Zeitpunkt der Beschlussfassung schon erloschen gewesen; daran sei sie nur bis zum 31.05.2020 gebunden gewesen. Der Beschluss sei auch nicht nachvollziehbar, weil aufgrund der widersprüchlichen Formulierungen unklar sei, ob die … beauftragt worden sei oder nicht. Balkone und Loggien seien nach dem klaren Inhalt der Teilungserklärung Sonder-, aber kein Gemeinschaftseigentum.

Die Klägerin beantragt, den Beschluss der Eigentümerversammlung vom 22.12.2020 zu TOP 8 für unwirksam bzw. für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und macht ergänzend geltend, dass in der früheren Kostenschätzung der … eine Position „Unvorhergesehenes“ mit knapp 24.350,00 € netto einkalkuliert sei. Um eine konkretere Kostenschätzung als die Gesamtbausumme abzugeben – etwa auch für die Erhaltung der Fenster und Loggien etc. – wäre es notwendig gewesen, eine Begehung durch einen Sonderfachmann durchzuführen, um den tatsächlichen Bedarf festzustellen und die damit verbundenen Kosten zu schätzen. Dies wäre mit Mehrkosten verbunden gewesen, weswegen die ohnehin schon großzügig bemessene Bausumme ausgereicht habe. Die Bearbeitung der Planungsarbeiten durch den Sachverständigen solle der Gemeinschaft gerade einen Aufschluss darüber geben, ob und welche Arbeiten im Bereich der Fenster, der Loggien und der Fassade tatsächlich notwendig seien; darauf aufbauend könne dann die Kostenschätzung erfolgen. Gegenüber der Verwaltung habe die … – was unstreitig ist – erklärt, dass ihr Angebot v. 17.03.2020 auch noch zum Zeitpunkt der streitbehafteten Beschlussfassung gelte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien im Verlauf des Rechtsstreits zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Beschluss vom 22.12.2020 zu TOP 8 widerspricht nach der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden materiellen Rechtslage (vgl. BGH, NJW-RR 2021, 664, 665, Tz. 6), also nach den Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes in der seit dem 01.12.2020 gültigen Fassung gemäß dem Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz (BGBl. I 2020, S. 2187), den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums. Die Klägerin macht zu Recht geltend, dass der Beschluss – ebenso wie der bereits mit rechtskräftigem Urteil vom 29.10.2019 (980a C 44/18 WEG) für ungültig erklärte Beschluss vom 26.09.2018 – mit einem durchgreifenden Mangel behaftet ist. Damit wird die … mit der Erstellung eines Sanierungskonzeptes beauftragt, ohne dass ausreichend sichergestellt ist, dass dieses Konzept auch den gleichzeitig beschlossenen Austausch der Fenster und Balkontüren mitumfassen wird. Dass mit diesem Beschluss die Beauftragung der … verbunden ist, steht nach einer objektiv-normativen Auslegung des Beschlussinhalts „aus sich heraus“ nach dem nächstliegenden Sinn der Bedeutung seines Wortlauts nicht ernsthaft in Frage; der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass die Formulierung insoweit nicht recht verständlich ist, sofern am Ende des Beschlusses nochmals alle drei zur Verfügung stehenden Ingenieurbüros aufgezählt werden, allerdings ergibt sich aus dem einleitenden ersten Satz des Beschlusses hinreichend deutlich die Beauftragung der …. Der Klägerin ist aber darin zuzustimmen, dass die Eigentümer – vor allem auch in Kenntnis der o.g. Entscheidung des Gerichts vom 29.10.2019 – nicht lediglich erneut das beschließen durften, was sie bereits in der Versammlung vom 26.09.2018 beschlossen haben, ohne dass das zugrunde liegende Angebot der … entsprechend ergänzt wird. Es besteht zwar grundsätzlich im Ermessen der Gemeinschaft, ob überhaupt ein Sanierungsplan beschlossen wird – ebenso wie dessen spätere Fortentwicklung (vgl. BGH, NJW 2012, 1724, Tz. 5 = ZMR 2012, 646). Allerdings besteht hier mittlerweile ein darauf gerichteter Anspruch der Klägerin mit dem Inhalt, wie er im vorgenannten Rechtsstreit – zutreffend – als nicht beschlossen bemängelt worden ist. Es entspricht daher mittlerweile nur mehr ordnungsgemäßer Verwaltung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG n.F., wenn ein Beschluss alle für die Erstellung des Sanierungskonzepts bekannten Umstände mitberücksichtigt (vergleichbar etwa wie bei HansOLG, NJW-RR 2010, 1240, 1241 = ZMR 2010, 129). Es ist auch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, weshalb die Eigentümerversammlung betreffend die Beauftragung der … erneut davon absehen durfte, eine Erstreckung des Sanierungskonzeptes auf die „Fenster“ und „Balkontüren“ sicherzustellen. Die „Grobe Kostenschätzung“ der … vom 26.04.2018, die mit einer Bausumme von 145.000,00 € netto endet, enthält – worauf die Klägerin zu Recht abhebt und was unstreitig ist – dazu keine Einzelpositionen; auf diese kann also nicht abgestellt werden, gleichwohl legt das Angebot der … vom 17.03.2020 – das unstreitig auch noch am 22.12.2020 gültig war – wiederum diese Bausumme zugrunde. Es kommt entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung auch nicht darauf an, ob die … ihre Leistungen tatsächlich zu einem Brutto-Preis von € 5.574,98 anbietet oder nicht, weswegen auch dem Beweisangebot der Beklagten (Vernehmung des Ingenieurs Wilke als Zeugen) nicht nachzugehen war. Maßgebend ist vielmehr, dass bei einer Beauftragung der …, wie sie im Streitfall beschlossen worden ist, aus objektiv-normativer Sicht nicht von vornherein sichergestellt ist, dass alle Leistungen – einschließlich der Berücksichtigung der „Fenster“ und „Balkontüren“ – auch tatsächlich erbracht werden. Insoweit kann sich die Beklagte auch nicht auf die Position „Unvorhergesehenes“ in der Baukostenschätzung der … berufen; erforderlich wäre hier vielmehr eine Beschreibung aller im Sanierungskonzept aufzunehmenden Arbeitsbereiche in einem überarbeiteten Angebot der … gewesen, zumal genau dieser Mangel schon zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 26.09.2018 zu TOP 8 geführt hatte.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1,708 Nr. 11, 711 ZPO.

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