LG Frankfurt/Main – Az.: 2-13 S 131/20 – Urteil vom 31.03.2022
In dem Rechtsstreit hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7.2.2022 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Rüsselheim vom 5.11.2020 im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als die Beklagten verurteilt worden sind, in der Wohnung im EG links des Hauses …… Str. ……, …… eine Arztpraxis zu betreiben und für jede Zuwiderhandlung Ordnungsmittel angedroht wurde.
Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil und das angefochtene Urteil im Umfang der Berufungszurückweisung sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der jeweilige Vollstreckungsschuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 53.118 Euro
Gründe
I.
Die klagende WEG nimmt mit der Klage eines ihrer Mitglieder auf Unterlassung des Betriebs einer Arztpraxis in Anspruch, zudem wird der Anspruch gegen die Mieterin, welche die Praxis betreibt, geltend gemacht.
Die Teilungserklärung stammt aus dem Jahre 1994 und teilt u.a. in Wohnungen, von denen eine dem Beklagten zu 1) zusteht, dieser ist Ersterwerber und hat sein Eigentum bereits im Jahre 1994 erworben. Die Wohnung ist an die Beklagte zu 2), die Ehefrau des Beklagten zu 1) vermietet. Diese betreibt in der Wohnung seit 25 Jahren eine Arztpraxis, die Stadt …… hat im Jahre 1995 die Nutzungsänderung der Wohnung genehmigt. In streitigem Umfang erfolgt auch eine Methadonvergabe in der Praxis.
Am 9.4.2019 kam es zu einem Vorfall, bei dem ein Patient randalierte und mehrfach gegen die Hauseingangstür und die Briefanlage trat.
Auf der Eigentümerversammlung vom 12.08.2019 beschlossen die Eigentümer, die Klägerin auf Unterlassung des Praxisbetriebes in Anspruch zu nehmen.
Sie sind der Auffassung, der Praxisbetrieb sei deutlich ausgeweitet worden, die Zahl der Patienten sei gestiegen, dies führe zu Beeinträchtigungen. Die Methadonvergabe sei neu, die Eigentümer hätten hiervon erstmals 2009 Kenntnis erlangt. An der Briefkastenanlage sei ein Schaden von 2.618 Euro entstanden, insoweit wird ein Angebot vorgelegt.
Die Beklagte meint, es sei zunächst ein Schlichtungsverfahren durchzuführen gewesen. Die Teilungserklärung stehe der Nutzung nicht entgegen, die Wohnung sei zum Betrieb einer Arztpraxis veräußert worden. Der Unterlassungsanspruch sei verwirkt, denn die Nutzung erfolge in den 25 Jahren im Wesentlichen in gleicher Art und Weise. Die Methadonvergabe sei Gegenstand einer Allgemeinpraxis und erfolge nur bei 5 % der Patienten, dies sei von Anfang an so gewesen. Der Vorfall mit dem randalierenden Patienten sei einzigartig, dieser sei kein Substitutionspatient gewesen.
Das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen im Übrigen Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgen. Die Berufung verweist darauf, dass die Beschädigung des Briefkastens bestritten wurde, zudem sei lediglich ein Fach leicht verbogen gewesen, hierfür hätten keine 2.618 Euro aufgewandt werden müssen. Im Übrigen müssten die Beklagten sich das Verhalten des Patienten nicht zurechnen lassen.
Die Beklagten tragen zudem vor, die Methadonvergabe sei von Anfang an erfolgt und gehöre zur üblichen Hausarzttätigkeit dazu, mehr als 50 Patienten seien nie betreut worden, so seien die Vorgaben, das entspreche ungefähr 4 % der Patienten. Bereits im Jahre 1996 habe die Beklagte zu 2 eine entsprechende Fortbildung der KVH nachgewiesen und ihr sei nach der Reform der Weiterbildungsordnung am 01.07.2002 eine Bescheinigung zur suchtmedizinischen Grundversorgung erteilt worden (BI. 493 dA), womit sie den Anforderungen des § 5 Abs. 3 BtMW genüge. Der Umfang der Patienten insgesamt habe sich eher verringert. Eröffnet worden sei am 1.7.1995 mit 31 Stunden pro Woche, nunmehr seien es nur noch 23 Stunden. Die Klägerin habe die Praxis stets geduldet und etwa ein entsprechendes Klingelschild angebracht, im Übrigen habe es verschiedene Korrespondenzen mit der Verwaltung etwa um die Parkplatzsituation gegeben.
Die Klägerin, welche die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Die Klägerin behauptet, der Patientenumfang habe sich erhöht, von der Methadonvergabe sei erstmals mit der Klageerwiderung positiv Kenntnis erhalten worden. Dass seit 1995 die Praxis betrieben werde, wird nun bestritten. Im Übrigen komme es für das Verwirken auf den Erwerb der einzelnen Eigentümer an.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen ……. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7.2.2022 (Bl. 496 dA).
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung hat überwiegend Erfolg.
1. Bedenken an der Zulässigkeit der Klage bestehen, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht. Insbesondere war kein Schlichtungsverfahren nötig.
Dies – neben der Tatsache, dass die Einwirkung von einem gewerblichen Betrieb ausgeht schon deshalb nicht, weil nach der Rechtsprechung der Kammer für wohnungseigentumsrechtliche Unterlassungsansprüche ein Schlichtungsverfahren nicht erforderlich ist (Kammer ZMR 2018, 619; ZWE 2019, 380).
2. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG; § 1004 BGB i.V.m. § 9a Abs. 2 WEG) besteht allerdings nicht.
a) Zu Recht hat das Amtsgericht allerdings entschieden, dass die Nutzung nicht der Teilungserklärung entspricht. In der Teilungserklärung wird – soweit hier von Interesse – für den Beklagten zu 1 Sondereigentum an „der Wohnung und an den Räumen im Aufteilungsplan bezeichnet mit Nr. 1 im Haus 1 im Erd- und Kellergeschoß“ begründet. Bei der gebotenen objektiv-normativen Auslegung ist damit kein Teileigentum, sondern Wohneigentum i.S.v. § 1 Abs. 2 WEG begründet worden. Dies ergibt sich eindeutig aus der Bezeichnung „Wohnung“, dass daneben auch „Räume“ erwähnt werden, bezieht sich – wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – auf die im Keller gelegenen Kellerräume, die eben nicht zum Wohnen bestimmt sind. Ebenfalls zutreffend ist die Wertung des Amtsgerichts, dass in Wohnräumen der Betrieb einer Arztpraxis der vereinbarten Nutzung widerspricht, denn die Nutzung eines Wohnraums unterscheidet sich erheblich von der Nutzung einer Arztpraxis. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch weder aus dem Kaufvertrag, noch der Nutzungsänderung der Stadt etwas anderes, auch insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen werden, denen sich die Kammer anschließt.
Wenn der vom Wohnungseigentümer praktizierte Gebrauch der Zweckbestimmung widerspricht, begründet dies allerdings allein noch keinen Unterlassungsanspruch, sondern die übrigen Wohnungseigentümer können nur dann Unterlassung des zweckbestimmungswidrigen Gebrauchs verlangen, wenn dieser mehr stört als der zweckbestimmungsgemäße Gebrauch (vgl. OLG Köln NZM 2003, 115; Niedenführ/Vandenhouten, WEG, 12. Auflage 2017, § 15 Rn.12 mwN). Ob dies der Fall ist, wird anhand einer typisierenden generellen Betrachtungsweise beurteilt, wobei Beeinträchtigungen weder vorgetragen noch nachgewiesen werden müssen (OLG Frankfurt NZM 1998, 198). Unerheblich ist demnach, ob die Wohnungseigentümer tatsächlich Störungen ausgesetzt sind, die bei zweckbestimmungsgemäßer Nutzung des Sondereigentums nicht vorlägen, wobei gleichwohl bei der typisierenden Betrachtungsweise die konkreten Umstände des Einzelfalls nicht außer Betracht bleiben dürfen (Niedenführ/Vandenhouten, WEG, 12. Auflage 2017, § 15 Rn. 12 mwN). Es müssen daher die typischen Beeinträchtigungen der zweckbestimmungswidrigen Nutzung nach den örtlichen Verhältnissen und dem Charakter der Anlage mit den typischen Beeinträchtigungen einer nach der Teilungserklärung zulässigen Nutzung verglichen werden.
Dies führt hier dazu, dass die Nutzung als Praxis mehr stört als eine typische Wohnnutzung (vgl. Kammer ZWE 2018, 319; LG Frankfurt aM Beschluss v. 23.10.2017 – 2-09 S 49/17). Dies bereits deshalb, weil das übliche Besucheraufkommen einer Praxis – hier mit bis zu 50 Personen am Tag – das übliche Besuchsaufkommen einer Wohnung weit übersteigt, zumal es sich um kranke Personen handelt, die zudem mit den Eigentümern in keinen persönlichen Beziehungen stehen. Eine derartige Nutzung unterscheidet sich von einer Wohnnutzung grundlegend, auf die Frage in welchem Umfang die Patienten dabei Drogenerkrankungen haben, kommt es dabei nicht an.
b) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist die Kammer allerdings der Auffassung, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch verwirkt ist (§ 242 BGB).
Die Verwirkung eines Rechts setzt – als ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass zu dem Umstand des Zeitablaufs (Zeitmoment) besondere auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (st. Rspr., vgl. nur BGHZ 198, 111 Rn, 66).
Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es insoweit allerdings nicht alleine auf die Frage an, ob der Anspruch während der Zeit, als die aktuellen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft dies waren, verwirkt ist. Denn es entspricht allgemeiner Auffassung, dass dann, wenn ein Unterlassungsanspruch aus §§ 15 Abs. 3 WEG aF, 1004 BGB wegen einer unzulässigen Nutzung bereits durch alle Wohnungseigentümer verwirkt ist, auch der Sonderrechtsnachfolger an die entstandene Rechtslage gebunden ist, da er als Rechtsnachfolger mangels besonderer gesetzlicher Bestimmungen keine weitergehenden Rechte hat, als seinem Rechtsvorgänger zuletzt zustanden (vgl. OLG Frankfurt NZM 2012, 425 Rn. 52 m. w. N.; OLG Celle NJW-RR 2007, 234; BayObLG NJW-RR 1991, 1041; vgl. BGH ZWE 2010, 266; Niedenführ/Kümmel § 15 Rn. 54; Bämnann/Klein § 13 Rn. 105). Nach einhelliger Ansicht steht dem – trotz § 10 Abs. 3 WEG – eine fehlende Eintragung im Grundbuch, die an sich für eine derartige Nutzungsänderung erforderlich wäre, nicht entgegen, da die Verwirkung Rechtsfolge tatsächlichen Verhaltens und tatsächlicher Umstände ist und daher einer Eintragung in das Grundbuch nicht zugänglich ist (BGH ZWE 2010, 776; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 19. September 2007 – 15 W 444/06). Für den Anspruch aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG gilt nichts anderes, auch dieser ist verwirkt, wenn der Anspruch der Eigentümer auf Unterlassung – vor der WEG-Reform – verwirkt war.
Allerdings löst nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Fällen, in denen mit Unterlassungsansprüchen, die aus dem Besitz bzw. dem Eigentum abgeleitet werden, wiederholte gleichartige Störungen abgewehrt werden sollen, die zeitlich unterbrochen auftreten, jede neue Einwirkung einen neuen Anspruch aus. Die im Rahmen des Einwands der Verwirkung für die Beurteilung des Zeitmoments maßgebliche Frist beginnt daher an sich mit jeder neuen Einwirkung jeweils neu zu laufen (BGH NJW-RR 2006, 235; vgl. auch BGH GRUR 2012, 928). Allerdings ist nach der Rechtsprechung des BGH die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs nicht durchsetzbar, wenn die Wohnungseigentümer einen solchen Anspruch seit Jahrzehnten nicht erhoben, sondern im Gegenteil zu erkennen gegeben haben, dass sie mit der Nutzung einverstanden sind, und die Beklagten sich hierauf eingerichtet haben. Das schließt die Ansprüche als verwirkt aus (BGH ZWE 2010, 266).
aa) Das entsprechende Zeitmoment ist hier an sich erfüllt, denn nach den insoweit nicht angegriffenen und damit für die Kammer bindenden Feststellungen betreibt die Beklagte zu 2) in den Räumen seit 25 Jahren eine Arztpraxis. Damit ist das Zeitmoment erfüllt. Soweit die Beklagten nun im Schriftsatz vom 15.12.2021 – erstmals – die Praxiseröffnung im Jahre 1995 bestreiten, ist dies zu spät (§ 529 ZPO) und nicht mehr zur berücksichtigen.
bb) Auch eine Zäsur liegt nicht vor. An dem sog. Zeitmoment fehlt es nach der Rechtsprechung des BGH allerdings, wenn eine neue, eigenständige Störung einen neuen Unterlassungsanspruch auslöst. Wird eine Wohnungs- oder Teileigentumseinheit über einen langen Zeitraum zweckwidrig genutzt, begründet eine darauf bezogene neue Willensentscheidung des Eigentümers der Einheit eine solche Zäsur; diese schließt es aus, einen Unterlassungsanspruch der übrigen Wohnungseigentümer wegen der neuen bzw. erweiterten Nutzung als verwirkt anzusehen. Es fehlt dann zwangsläufig an dem Zeitmoment in Gestalt einer langjährigen Duldung (BGH NJW 2018, 909). Der BGH hat dies bei erheblicher Ausweitung der Öffnungszeiten einer Gaststätte (NZM 2015, 787 = NJW 2016, 53 Rn. 13 ff.), bei einer Neuvermietung der Einheit (NZM 2015, 495 = NJW-RR 2015, 781 Rn. 12 f.) oder der Erweiterung einer Gaststätte um eine Außenterrasse (NZM 2018, 909) angenommen.
An einer derartigen Änderung fehlt es. Dies bereits deshalb, weil die hier von der Klägerin beanstandete Vergabe von Methadon zur hausärztlichen Tätigkeit gehört, mit dem bei einer Hausarztpraxis zu rechnen ist, so dass die Duldung einer derartigen Tätigkeit auch die medizinische Vergabe von Substitutionsmitteln umfasst. Dass sich dadurch ggf. der Patientenstamm ändert, begründet eine Zäsurwirkung nicht, denn wenn die Klägerin es über einen langen Zeitraum hingenommen hat, dass die unzulässige Praxis in den Wohnräumen betrieben wird, bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH einer neuen Störung, die durch eine Willensentschließung des Störers ausgelöst wird. Das Offenhalten einer Praxis ist aber auch dann keine neue Willensentschließung, wenn sie objektiv zu einer Änderung des Patientenstammes führt und dies für die anderen Eigentümer zu Beeinträchtigungen führt. Zumal es der Klägerin offensteht, konkrete Beeinträchtigungen abzuwehren, wobei eine Häufung derartiger Ansprüche im Extremfall sogar zu einem Entziehungsanspruch führen kann (BGH V ZR 330/17).
Eine Zäsurwirkung durch die Methadonvergabe würde im Übrigen daran scheitern, dass die Klägerin bereits eine derartige Änderung der Tätigkeit nicht dargelegt hat. Entscheidend ist dabei nicht, ob die Klägerin, bzw. ihre Mitglieder Kenntnis davon hatten, dass in der Praxis Methadon vergeben wird, sondern – da es auf die eine Zäsur auslösende Willensbildung ankommt -, ob dies objektiv der Fall war. Jedenfalls nach entsprechenden Hinweisen im Berufungsverfahren hat die Beklagte zu 2 Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass sie bereits seit 1996 Fortbildungen zur Methadonsubstitution besucht und seit 2002 auch über eine Bescheinigung zur suchtmedizinischen Grundversorgung verfügt und daher den Anforderungen des § 5 Abs. 3 BtMVV genügt. Damit zeigt sich deutlich, dass sie von Anfang an diese Tätigkeit zu ihrem Leistungsspektrum anbot, nach ihrem Vortrag ist sie auch seit Anbeginn der Praxis entsprechend tätig geworden. Für eine derartige Zäsur ist daher nichts ersichtlich.
Keine Zäsur ist unzweifelhaft der einmalige Vorfall im Jahre 2019, zumal dieser nicht auf eine Willensentscheidung der Beklagten zurückgeht. Ebenfalls stellt die Änderung der Praxiszeiten – anders als bei der Entscheidung des BGH (NZM 2015, 787) – keine derartige Zäsur dar, denn dort ging es um eine Ausdehnung des Gaststättenbetriebes nach Entfall der Ladenschlusszeiten bis in den frühen Morgen, vorliegend geht es um Änderungen üblicher Praxisöffnungszeiten. Diese sind bereits bei der objektiv-normativen Betrachtung, ob mit dem konkreten Praxisbetrieb eine Beeinträchtigung einhergeht, zu berücksichtigen. Gleiches gilt für das Wachstum der Praxis und die Einstellung von Personal. Ob die Praxis den Anforderungen an die öffentlich-rechtliche Nutzungsänderung entspricht, kann dahinstehen, da es hier nur auf wohnungseigentumsrechtliche Ansprüche ankommt.
cc) Das Umstandsmoment ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht zu verneinen. Zutreffend ist allerdings der Ansatz des Amtsgerichts, dass auch ein längeres Untätig-bleiben gegenüber gleichartigen Störungen in der Vergangenheit nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein berechtigtes Vertrauen des Störers nicht begründen, auch gegen diese neuen Störungen würde nicht vorgegangen (vgl. BGH WRP 2012, 1104 Rn. 23). Denn die Verwirkung führt nur dazu, dass ein bereits entstandener Anspruch nicht mehr durchgesetzt werden kann, die übrigen Eigentümer insoweit eine – faktische – Duldungspflicht trifft (vgl. für den Fall der Verjährung Kammer, Urteil vom 30. April 2014 – 2-13 S 38/13). Insoweit handeln nach der Rechtsprechung des BGH die Eigentümer treuwidrig unter dem Gesichtspunkt der illoyal verspäteten Rechtsausübung (BGH ZWE 2010, 266), wenn die übrigen Wohnungseigentümer diesen Zustand über einen langen Zeitraum hingenommen haben. Hier wird die Praxis seit 25 Jahren betrieben und musste aufgrund ihrer Größe den anderen Eigentümern bekannt sein. Unbestritten haben die Beklagten vorgetragen, dass Klingelschilder von der Verwaltung, deren Verhalten sich insoweit die Eigentümer zurechnen lassen müssen, angebracht wurden. Dadurch war der Praxisbetrieb erkennbar, zudem gab es in der Vergangenheit Auseinandersetzungen um die Parkplatznutzung. Bei dieser Sachlage konnten die Beklagten davon ausgehen, dass die Eigentümer sich zwar gegen einzelne Nutzungsaspekte (Parkplatznutzung) wenden, der grundsätzlichen Nutzungsart aber nicht entgegentreten. Das Amtsgericht hat insoweit – nicht angegriffen – festgestellt, dass die Eigentümer bis 2019 nichts unternommen haben. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war weiterer Vortrag dazu, welche Investitionen die Beklagte zu 2 in den Praxisbetrieb tätigte, nicht erforderlich. Alleine der Betrieb einer Praxis mit mehreren Mitarbeitern zeigt, dass die Beklagte zu 2 sich darauf eingerichtet hat, den Betrieb dort fortzusetzen.
3. Zu Recht hat das Amtsgericht den Schadensersatzanspruch für die beschädigte Briefkastenanlage zugesprochen.
Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagten für das Fehlverhalten des Patienten, wodurch der Briefkasten beschädigt ist, haften. Nach allgemeiner Auffassung haftet der Eigentümer gem. § 278 BGB für das Fehlverhalten Dritter, die mit dem gemeinschaftlichen Eigentum in Berührung kommen und es beschädigen, wenn dieses Verhalten in einem sachlichen Zusammenhang mit der Nutzung steht. Ausgeschlossen ist der Anspruch nur dann, wenn es an einem Verschulden des Dritten fehlt oder aber zwischen die Betätigung des Dritten nicht in den Pflichtenkreis des Eigentümers fällt (vgl. nur Bärmann/Suilmann § 14 Rn. 48). In gleicher Weise haftet auch der Mieter, denn auch ihm gegenüber hat die Gemeinschaft Schadensersatzansprüche für Beschädigungen des Gemeinschaftseigentums (näher statt aller Bärmann/Suilmann § 14 Rn. 140).
Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht an einer Haftung dem Grunde nach kein Zweifel. Die Beschädigung ist von einem Patienten erfolgt, damit steht die Beschädigung in einem sachlichen Zusammenhang mit der Wohnnutzung und erfolgte nicht etwa durch einen außenstehenden Dritten. Ob dieser an dem besagten Tag einen Termin hatte oder die Praxis aus anderen Gründen aufgesucht hat, ist ebenso ohne Relevanz, wie der Grund des Besuchs. Maßgeblich ist alleine, dass dieser zu dem Grundstück gekommen ist, um dort die Praxis zu besuchen, dies löst eine Haftung aus.
Hinsichtlich der Beschädigung hat die Kammer Beweis erhoben. Der vernommene Zeuge hat überzeugend und nachvollziehbar geschildert, dass durch die Schläge des Patienten die Briefkastenanlage eingedellt ist und aus Sicht des Handwerkers, der mit der Besichtigung beauftragt war, irreparabel beschädigt war. Nach § 287 ZPO schätzt die Kammer den Schaden, ausgehend von dem Angebot vom 31.10.2019 (BI. 23 dA) auf 2.618 netto. Dabei entspricht es auch der Erfahrung der Kammer, das heutzutage Reparaturen an Fertigbauteilen – wie hier dem Briefkasten – mit vertretbarem Aufwand nicht durchzuführen sind, so dass bei einer wie hier gegeben Verbeulung ein Austausch nötig ist. Dass der Briefkasten offenbar noch nutzbar ist, steht dem Anspruch nicht entgegen, denn der Geschädigte muss den Schaden nicht hinnehmen. Jedenfalls eine Beschädigung des Briefkastens, die dazu führt, dass Teile dauerhaft verbeult sind, was der Zeuge überzeugend und eindrücklich geschildert hat, ist auch keine Bagatellbeschädigung, die der Geschädigte ersatzlos hinnehmen muss. Hinsichtlich der Höhe ist zudem noch zu berücksichtigen, dass das Angebot aus dem Jahre 2019 stammt und die Preise sich seitdem deutlich erhöht haben dürften.
Da nach der Rechtsprechung des BGH (NZV 2007, 27) auch bei einer Abrechnung auf Gutachtenbasis ein Übergang zu einer konkreten Abrechnung möglich ist, besteht auch das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) für den Ausspruch der Haftung.
4. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 710, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt der nicht angegriffenen Festsetzung des Amtsgerichts (§ 49a GKG aF).
Gründe die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, es handelt sich um einen atypischen Einzelfall.