AG Kassel – Az.: 800 C 2005/19 – Urteil vom 24.10.2019
Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 29.04.2019 unter TOP 5 betreffend den Rückbau des Treppenlifts im Haus A in B wird für ungültig erklärt.
Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung der Kläger gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leisten.
Tatbestand
Die Kläger verfolgen die Anfechtung eines Beschlusses der Eigentümerversammlung betreffend den Rückbau eines von der Klagepartei installierten Treppenlifts im gemeinschaftlichen Treppenhaus.
Die Parteien sind die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft C in B. Im Jahr 2011 gestattete die Gemeinschaft gegen Stellung einer Sicherheit für die Rückbaukosten dem heute 87 Jahre alten Kläger zu 1. und seiner vor nunmehr sechs Jahren verstorbenen Ehefrau, die damals ebenfalls Miteigentümerin war, den Einbau eines Treppenlifts zu der im Obergeschoss des Gebäudes A liegenden Wohnung der Klagepartei. Die Klägerin zu 2., Tochter des Klägers zu 1., ist im Wege der Erbfolge Miteigentümerin geworden. Die damalige Gestattung durch Beschluss erfolgt im Hinblick auf die Körperbehinderung der Ehefrau des Klägers zu 1., die ohne den Treppenlift die von ihr bewohnte Wohnung nicht mehr hätte verlassen und wieder erreichen können. Seit dem Tod der Ehefrau ist der Treppenlift ungenutzt geblieben, der Kläger zu 1. benötigt derzeit keinen barrierefreien Zugang zur Wohnung der Kläger. Die Führungsschiene des Lifts folgt dem innenliegenden Treppengeländer der Treppe. Der Sitz parkt an der letzten nach oben führenden Treppe, die zu einem Dachboden führt, der zum Gemeinschaftseigentum zählt. Der Dachboden ist mit einer Waschmaschine bestückt und dient im Übrigen dem Wäschetrocknen. Derzeit wird der Dachboden dementsprechend von zwei im Haus wohnenden Parteien genutzt. Wegen der Situation der Parkposition des Sitzes wird auf das Lichtbild gemäß Anlage zum Protokoll vom 24.10.2019 Bezug genommen. Die Hausverwaltung lud die Miteigentümer mit Schreiben vom 03.04.2019 nebst Tagesordnung zur Versammlung am 29.04.2019. Wegen des Inhaltes des Schreibens und der Tagesordnung wird auf BI. 7 d.A. Bezug genommen. Mit weiterem Schreiben vom 11.04.2019, dem Kläger zu 1. durch Briefkasteneinwurf mittels einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung am selben Tag zugegangen, übermittelte die Hausverwaltung einen Antrag dreier anderer Miteigentümer vom 05.04.2019 (auf BI. 43 d.A. wird Bezug genommen) betreffend den Rückbau des Treppenlifts. Auf der Versammlung beschlossen die Miteigentümer unter dem TOP 5 „Verschiedenes“, der Kläger zu 1. möge den Treppenlift ausbauen. Hiergegen richtet sich die Anfechtungsklage.
Die Kläger rügen vorab, dass die Klägerin zu 2. nicht zu der Versammlung eingeladen worden sei. Ferner handele es sich bei der Materie, die zu dem angegriffenen Beschluss geführt habe, um eine solche, die wegen ihrer Tragweite nicht ohne vorherige Bekanntgabe in der Einladung und dem Begriff „Verschiedenes“ hätte behandelt werden dürfen. Die Klagepartei habe keine ausreichende Gelegenheit zur Vorbereitung gehabt. Schließlich sei es unbillig, von der Klagepartei im Hinblick auf die Interessenlage des Klägers zu 1. – etwa im Hinblick auf sein Lebensalter — unter Abwägung der Interessen der übrigen Miteigentümer den Rückbau des Treppenlifts zu verlangen.
Die Kläger beantragen, wie erkannt.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie sind der Ansicht, Einberufungsmängel lägen nicht vor, weil der Kläger zu 1. von der Klägerin zu 2. bevollmächtigt worden sei und durch die Übersendung des Schreibens vom 11.04.2019 die Beschlussmaterie noch rechtzeitig vor der Versammlung bekannt gegeben worden sei. Im Übrigen stehe den weiteren Miteigentümern ein Anspruch auf Rückbau des Treppenliftes zu, da zu Gunsten der Klagepartei kein grundrechtlich geschütztes Interesse auf einen barrierefreien Zugang zur Wohnung entsprechend § 554a BGB mehr bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Erklärung der Parteien im Termin vom 24.10.2019 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingereichte und mit einer Begründung versehene Klage hat Erfolg.
Beschlüsse einer Wohnungseigentümergemeinschaft unterliegen der Anfechtung, wenn sie nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Dies ist bei dem hier angegriffenen Beschluss der Fall, mit dem die Klagepartei zum Rückbau des vom Kläger zu 1. und seiner verstorbenen Ehefrau errichteten Treppenlifts verpflichtet.
Die Wirksamkeit des angefochtenen Beschlusses unterfällt nicht bereits einem Einberufungsmangel. Auch wenn die Klägerin zu 2, die Tochter des Klägers zu 1., nicht gesondert geladen worden sein sollte, so ist dieser Mangel jedoch durch die Vorlage der Vollmacht vom 23.04.2019 geheilt. Denn ausweislich des Textes dieser Vollmacht (BI. 44 d.A.) bestand die Bevollmächtigung bereits seit Begründung der Erbengemeinschaft der beiden Kläger am 15.04.2013.
Ein Einberufungsmangel liegt auch nicht in einer etwaig unzutreffenden Bezeichnung der Verhandlungs- und Beschlussgegenstände in der Einladung nebst Tagesordnung. Ob die Beratung und Beschlussfassung über die Frage, ob ein Treppenlift im Gemeinschaftseigentum von dem dadurch begünstigten Miteigentümer zurück zu bauen ist, eine solche Tragweite aufweist, dass diese Materie nicht mehr unter dem Sammelbegriff Verschiedenes der Tagesordnung behandelt werden kann, bedarf vorliegend jedoch keiner Entscheidung. Denn die Entscheidungsmaterie ist mit dem am selben Tag dem Kläger zu 1. zugegangenen gesonderten Schreiben der Hausverwaltung vom 11.04.2019, mit dem der entsprechende Antrag vom 05.04.2019 (nebst kurzer Begründung) noch innerhalb der Ladungsfrist von zwei Wochen (§ 24 Abs. 4 S. 2 WEG) und damit rechtzeitig den Miteigentümern, insbesondere der Klagepartei, mitgeteilt worden. Die Behandlung der Angelegenheit laut Protokoll der Versammlung vom 29.04.2019 unter dem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ stellt damit lediglich eine Falschbezeichnung dar, da den Miteigentümern aufgrund des Schreibens der Hausverwaltung vom 11.04.2019 die Ergänzung der Tagesordnung hinreichend diese Materie hinreichend bekannt war und somit ausreichend Zeit bestand, sich auf die Beratung und Beschlussfassung vorzubereiten.
Der angegriffene Beschluss ist auch nicht deswegen unwirksam, weil den Miteigentümern kein Rückbauanspruch zustehen könnte. Die Durchführung einer baulichen Ver änderung des Gemeinschaftseigentums wie etwa des Treppenhauses zum Zwecke der Herstellung des barrierefreien Zuganges zu einer Wohnungseigentumseinheit zum Vorteil von dessen Eigentümer bzw. Nutzer hat unter Berücksichtigung der Interessen sämtlicher beteiligter Mitglieder der Eigentümergemeinschaft zu erfolgen. Dabei ist insbesondere das grundrechtliche Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG) auf Seiten des Behinderten Miteigentümers zu berücksichtigen, andererseits die Frage der Zumutbarkeit einer mit einer solchen Maßnahme verbundene Einschränkung der Benutzbarkeit des gemeinschaftlichen Eigentums durch die anderen Miteigentümer. Im Zweifel wird auch unter Ansehung der grundlegenden gesetzgeberischen Wertung des § 554a BGB (auch wenn diese Vorschrift originär nur für Mietrechtsverhältnisse geschaffen wurde) dabei das Interesse auf die Herstellung eines barrierefreien Zuganges überwiegen, zumal diese regelmäßig nur vorübergehender Natur ist und dessen Beseitigung etwa durch Stellung einer Sicherheit für die Rückbaukosten (Wie im vorliegenden Fall geschehen) abgesichert werden kann; dabei gilt die Installation eines Treppenlifts als eine niederschwellige Maßnahme (zum Ganzen BGH, Urteil vom 13.01.2017 – V ZR 96/16, zit. n. juris = ZMR 2017, 319; Gellwitzki, WuM 2018, 330).
Aus dem Umstand, dass eine solche Anlage nur bei entsprechendem Bedarf und nur vorübergehend von den übrigen Eigentümern zu dulden ist, folgt, dass bei Wegfall des Bedarfs ein Rückbauanspruch entsteht. Dieser Bedarf ist jedenfalls derzeit entfallen, weil die Ehefrau des Klägers zu 1. zwischenzeitlich verstorben und somit eine Benutzung des Treppenlifts aktuell nicht erforderlich ist.
Diesem Anspruch der Beklagten steht im vorliegenden Fall indes der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wegen prognostisch naheliegendem erneuten Anspruch jedenfalls des Klägers zu 1. auf Duldung des Treppenlifts entgegen (§ 242 BGB, dolo agit qui petit quod statit redditurus est). Denn in Ansehung des hohen Lebensalters des Klägers zu 1. muss jederzeit damit gerechnet werden, dass in seiner Person ein solcher Bedarf erneut entsteht. Der Kläger zu 1. ist derzeit 87 Jahre alt: Selbst wenn er augenscheinlich derzeit noch in der Lage ist, die Treppen zu seiner Wohnung ohne Hilfsmittel zu bewältigen (jedenfalls hat er dem Gericht im Verhandlungstermin vom 24.10.2019 durchaus den Eindruck vermittelt, solches noch ohne weiteres tun zu können), ist es durchaus naheliegend, dass sich dieser Zustand altersbedingt auch ohne jedwede Einwirkungen von außen sehr schnell verändern kann. Dabei berücksichtigt das Gericht, dass selbst dann, wenn alle denkbaren Beteiligten ohne schuldhaftes Zögern einem erneuten Verlangen des Klägers zu 1. nachgehen, der Zeitraum zwischen Formulierung des Verlangens und Beschlussfassung in der nur zwingend einmal jährlich stattzufindende kommenden ordentlichen Eigentümerversammlung zu lange sein kann, um einen ordnungsgemäßen Zustand herbeizuführen. Bereits in der Klagebegründung hat der Kläger zu 1. deswegen darauf hingewiesen, dass insoweit seine Interessen am Erhalt des Treppenliftes überwiegen. Dies gilt erst recht dann, wenn die Eigentümerversammlung einem berechtigten Begehren des Klägers in ungerechtfertigter Weise nicht nachkommen sollte und dieser gezwungen wäre, gegebenenfalls gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die steht dem vorübergehenden Charakter der baulichen Veränderungen durch Maßnahmen zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs nicht entgegen. Denn es handelt sich lediglich um eine Verlängerung des Zustandes und nicht um eine dauerhafte Verfestigung desselben. Die insoweit duldungsverpflichteten Miteigentümer haben ihrerseits keinen Anspruch darauf, dass Konstellationen außer Ansatz bleiben, in denen sich der Bedarf nach einer solchen baulichen Maßnahme dadurch perpetuiert, indem mehrere Personen nacheinander einen barrierefreien Zugang zu ihrer Wohnung benötigen. Dies bedeutet zwar nicht, dass jeder Eigentümer gleichsam prophylaktisch einen Anspruch auf eine bauliche Maßnahme zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs zu seiner Wohnung durchsetzen kann. Denn auch insoweit bedarf es dann der Interessenabwägung im Einzelfall mit dem Ergebnis eines überwiegenden Interesses der den Erhalt der Maßnahme begehrenden Partei. In diese Abwägung ist einerseits einzustellen, welche Kosten für Abbau und Wiederaufbau einer solchen Anlage voraussichtlich anfallen, welcher Zeitraum prognostisch noch für den Erhalt der Anlage benötigt wird und wie deut lich die Prognose ausfällt, dass tatsächlich ein Bedarf für die Anlage entstehen wird. Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass für die weiteren Miteigentümer nicht über Gebühr die durch die Anlage entstehenden Gebrauchsnachteile fortdauern.
Die Frage, ob die konkrete Ausgestaltung der baulichen Maßnahme bereits zu einem nicht mehr hinnehmbaren Zustand führt, ist jedoch in Konstellationen der vorliegenden Art nicht mehr zu prüfen, weil dies bereits Gegenstand der erstmaligen Beschlussfassung über den Einbau des Treppenliftes war bzw. gewesen sein musste. Da hier im Jahre 2011 die Eigentümerversammlung beschlossen hatte, dass der Kläger zu 1. und seine Ehefrau den Treppenlift errichten durften, hat das Gericht davon auszugehen, dass alleine durch die Art und Weise des konkreten Treppenlifts keine unzumutbare Beeinträchtigung der übrigen Miteigentümer hervorgerufen wird.
Vor diesem Hintergrund überwiegen auch insoweit die Interessen des Klägers zu 1. (und damit der gesamten Klagepartei) am Erhalt des konkreten Treppenliftes: Wie den Parteien bereits aus dem Verfahren 800 C 2118/17 über die Höhe der klägerseits zu stellenden Sicherheit für die voraussichtlichen Rückbaukosten hinreichend bekannt ist, sind diese jedenfalls nicht unter 3.000 € zu veranschlagen. Für den Fall des Abbaus und der Wiedererrichtung führt dies zu einem in die Abwägung einzustellenden voraussichtlichen Kostenaufwand von wenigstens 6.000 €. Da der Kläger zu 1. bereits zur Zeit in einem Lebensalter ist, das über der durchschnittlichen Lebenserwartung liegt, ist prognostisch davon auszugehen, dass der Zeitraum, in dem ein prophylaktisch oder tatsächlicher Bedarf für ein barrierefreien Zugang zu seiner Wohnung besteht, überschaubar ist. Das Gericht veranschlagt hierfür einen Zeitraum von wenigen Jahren. Im Hinblick auf sein Lebensalter besteht auch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass in seiner Person der Bedarf für den barrierefreien Zugang zu seiner Wohnung tatsächlich eintritt, selbst wenn momentan der gesundheitliche Zustand des Klägers augenscheinlich solches nicht vermittelt.
Eine nennenswerte Beeinträchtigung der Beklagten ist jedoch durch den Erhalt des Treppenliftes nicht zu besorgen. Der Umstand, dass die Führungsschiene des Treppenliftes am innenliegenden Geländer des Treppenhauses montiert ist, führt nach Parteivorbringen nicht zu einer merklichen Beeinträchtigung der Benutzbarkeit der Treppe. Dabei berücksichtigt das Gericht, dass ein Fußgänger, der das Geländer gebrauchen möchte, ohnehin nicht so nahe am Gelände gehen wird, dass eine solche Führungsschiene stört. Jedenfalls haben die Beklagten gebracht, dass die Benutzung des Geländers spürbar beeinträchtigt wäre. Hinsichtlich des Sitzes des Treppenliftes mag dies anders sein, weil wir die Durchgangsbreite auf der Treppe auf 65 cm reduziert wird. Dies ergibt sich aus den Angaben der Parteien im Termin vom 24.102019 und der vom Kläger zu 1. präsentierten Lichtbildaufnahme. Allerdings befindet sich die Parkposition des Sitzes an der Treppe zum Dachgeschoss, welche nur deutlich untergeordnet benutzt wird. Denn im Dachgeschoss befindet sich nur der Dachboden, der zum Zwecke des Wäschewaschens und -trocknens benutzt wird und dies nur durch zwei Parteien des Gebäudes. Da folglich eine gehäufte alltägliche Benutzung durch Zugang zu Wohnungen durch Einwohner und Besucher aller Art nicht stattfindet, sondern lediglich eine gelegentliche Benutzung, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht einmal jeden Tag durchgeführt wird, fehlt es an einer nennenswerten Beeinträchtigung der Benutzbarkeit der Treppe zum Dachboden. Schließlich ist die optische Beeinträchtigung im Treppenhaus von untergeordneter Bedeutung, zumal jedenfalls in einer Phase der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft im Allgemeinen auch häufiger mit der Erscheinung eines Treppenliftes gerechnet werden muss. Jedenfalls haben die Beklagten nicht substantiiert vorgetragen, dass eine nicht mehr hinzunehmende optische Beeinträchtigung vorliegt.
Vor diesem Hintergrund entspricht es nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn in einer solchen Situation ein Rückbauanspruch durchgesetzt wird, weil damit zu rechnen ist, dass unmittelbar nach Erfüllung ein erneuter Bedarf entsteht und die vorübergehende Erhaltung des aktuellen Zustands für die weiteren Wohnungseigentümer nicht unzumutbar, sondern hinzunehmen ist.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.