AG Hamburg-St.Georg – Az.: 980a C 44/21 – Urteil vom 19.08.2022
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Pflicht der Beklagten zur Unterlassung der Nutzung eines Ausstiegsbauwerks auf dem Dach als weitere Dachterrasse und zur Beseitigung einer Stahltreppe.
Die Beklagte ist Mitglied der Klägerin und Eigentümerin der Wohnung Nr. 12 im DG des Hauses. Nach Ziff. IV. der Teilungserklärung (TE) in der urspr. Fassung („Sondernutzungsrechte“) stand „dem jeweiligen Eigentümer des Wohnungseigentums Nr. 12 (…) das alleinige Sondernutzungsrecht an der in der ANLAGE 4 mit Nr. 12 und schraffierten Dachfläche zu.“ Diese Regelung wurde mit notarieller Erklärung vom 20.08.2002 unter Ziff. IV. wie folgt geändert. „Dem Sondernutzungsberechtigten gem. Abschnitt IV der TE vom 30.05.2002 (…) als Sondernutzungsrecht zugewiesenen Dachflächen werden erweitert. (…) b) Dem jeweiligen Eigentümer des Wohnungseigentums Nr. 12 steht das alleinige Sondernutzungsrecht an der in der ANLAGE 1 zu dieser Urkunde mit Nr. 12 bezeichneten und schraffierten Dachfläche zu.“
In Ziff. XII. TE („Errichtung von Dachterrassen“) heißt es weiter: „Die jeweiligen Eigentümer der im Aufteilungsplan mit ( … ) Nr. 12 bezeichneten Wohnungseigentumsrechte, denen jeweils ein Sondernutzungsrecht an der Dachfläche gem. IV (…) dieser Urkunde zusteht, sind berechtigt, auf eigene Kosten Dachterrassen zu errichten und durch Schaffung von direkten Zugängen mit den Räumen des jeweils darunterliegenden Sondereigentums zu verbinden. (…)“
Auf dem Dach des Hauses – oberhalb der Wohnung Nr. 12 und mit dieser verbunden – befindet sich ein so genanntes Ausstiegsbauwerk, also ein überdachter und mit (verglasten) Seitenwänden versehener Raumkörper. Dessen Dach ist seitlich mit einem umlaufenden Geländer versehen mit Ausnahme einer Aussparung, die den Zutritt dorthin ermöglicht und zu dem – auf dem Hausdach stehend und mit etwa 45° angewinkelt – eine Treppe mit mehreren Stufen und Handlauf führt; verlegte Holzbohlen ermöglichen dort einen Aufenthalt. Vormals erfolgte der Zutritt nach oben durch eine senkrechte Feuerleiter. (…)
Die Errichtung des so genannten Ausstiegsbauwerks war vom Bezirksamt mit Bescheid vom 09.03.2005 genehmigt worden. Erstmals Ende 2007 beantragte die Beklagte die „Errichtung einer Dachterrasse“ auf dem Ausstiegsbauwerk im vereinfachten Genehmigungsverfahren. Nach einer Besichtigung der Örtlichkeiten erteilte das Fachamt für Bauprüfung des Bezirksamtes der Beklagten unter dem 08.07.2008 einen ablehnenden Bescheid. Mit weiterem – bisher nicht vollzogenem – Bescheid vom 22.04.2013 wurde die Beklagte aufgefordert, die Dachterrasse auf dem Ausstiegsbauwerk zu beseitigen. Gegen diesen Bescheid hat die Beklagte Widerspruch eingelegt, über den bislang nicht entschieden ist.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.02.2021 wurde die Beklagte – erfolglos – aufgefordert, die Nutzung der Dachterrasse zu unterlassen und die angewinkelte Treppe zu entfernen. In der Eigentümerversammlung vom 22.06.2021 wurde zu TOP 3 mehrheitlich beschlossen, die Beklagte gerichtlich auf Unterlassung wegen der Nutzung der Dachterrasse auf dem Ausstiegsbauwerk sowie auf Beseitigung der Treppe in Anspruch zu nehmen.
Entscheidungsgründe:
1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung der Nutzung der streitbehafteten Fläche („Dachterrasse“) auf dem in Rede stehenden Ausstiegsbauwerk auf dem Dach des Hauses im geltend gemachten Umfang. Ein solcher Anspruch folgt im Streitfall weder wegen einer zweckwidrigen, also dem Inhalt von Vereinbarungen und/oder Beschlüssen widersprechenden Nutzung der Dachfläche noch aus einer konkreten Störung des gemeinschaftlichen Eigentums oder eines Sondereigentums, weswegen die Voraussetzungen weder von § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB noch von § 14 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 WEG erfüllt sind.
Unzweifelhaft steht der Beklagten an der im Streit stehenden Fläche oberhalb des Ausstiegsbauwerks ein Sondernutzungsrecht zu. Aus Ziff. IV. TE vom 30.05.2002 sowie der ANLAGE 1 zur geänderten Fassung (20.08.2002) folgt, dass der Beklagten ein Sondernutzungsrecht an der gesamten Dachfläche oberhalb ihrer Wohnung Nr. 12 eingeräumt wird. Dieses schließt nach einer für Grundbucheintragungen geltenden, also objektiv-normativen Auslegung auch den Bereich mit ein, in dem zu einem späteren Zeitpunkt das Ausstiegsbauwerk errichtet worden ist; an dessen Flächen setzt sich das Recht fort, weil der Berechtigte – der nach Ziff. XII. TE auch berechtigt ist, auf dem Dach des Hauses „Dachterrassen“ zu errichten – auch für neu geschaffene bauliche Veränderungen das alleinige Nutzungsrecht haben soll. Das folgt auch schon daraus, dass die Beklagte als einzige über den Zugang dazu verfügt, also auch faktisch andere Eigentümer von der Nutzung ausschließen kann.
Das führt hinsichtlich der Nutzung der im Sonderrecht der Beklagten stehenden Flächen allerdings dazu, dass diese – wie ein Sondereigentümer (der sie auch ist) – nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 WEG verpflichtet ist, gesetzlichen Regelungen, Vereinbarungen und Beschlüsse einzuhalten und von ihrem Recht keinen Gebrauch in der Weise machen darf, dass daraus anderen Eigentümern oder Klägerin ein über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehender Nachteil erwächst. Verstöße dagegen liegen hier nicht vor.
Aus dem durch das Bauamt mit Bescheid vom 22.04.2013 verhängten Rückbauverlangen wegen eines Verstoßes der auf dem Ausstiegsbauwerk errichteten „Dachterrasse“ gegen die Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- und Bauordnungsrechts, wie er in dem ablehnenden Genehmigungsbescheid vom 08.07.2008 begründet worden ist, lässt sich ein Verstoß der Beklagten gegen „gesetzliche Vorschriften“ i.S.v. § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nicht herleiten. Damit sind lediglich die Vorschriften des Binnenrechts gemeint, also diejenigen gesetzlichen Pflichten, die nach Maßgabe des Wohnungseigentumsgesetzes gegenüber der Wohnungseigentümergemeinschaft bestehen (vgl. dazu Dötsch/Schultzky/Zschieschak, WEG-Recht 2021, 2021, Kap. 4, Rn. 28; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, 2020, § 14 Rn. 1497). Im Übrigen war und ist anerkannt, dass die Vorschriften des öffentlichen Baurechts im Verhältnis von Wohnungseigentümern zueinander bzw. gegenüber der Gemeinschaft nicht zur Anwendung gelangen, sofern – wie hier – die Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes nicht abbedungen worden sind (s. BayObLG, NJW-RR 2002, 1022 [1023]), sondern ein Vorrang des Privatrechts besteht (s. BVerfG, NJW-RR 2006, 726 [727] = ZMR 2006, 453; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 13 Rn. 60 m.w.N.).
Die – hier behauptete – Nutzung der Fläche oberhalb des Ausstiegsbauwerks erfolgt, fände sie statt, auch nicht zweckwidrig. Das der Beklagten durch Vereinbarung eingeräumte Recht, auf dem Dach des Hauses „Dachterrassen“ zu errichten, sowie das flankierende Recht, die gesamte Dachfläche ausschließlich allein zu nutzen, bedeutet, dass es der Beklagten gestattet ist, eine bzw. die Dachterrassenfläche ihrem Zweck entsprechend zu nutzen. Insoweit kann es für die Reichweite dieser Zweckbestimmung aber keinen Unterschied machen, ob sich diese Dachterrassenfläche direkt auf dem Dach des Hauses oder – erhöht – auf dem Ausstiegsbauwerk befindet. Bei einer objektiv normativen Auslegung dieser Regelungen ist es der Beklagten gestattet, die gesamte Dachfläche unabhängig von der konkreten Ausgestaltung allein und als „Dachterrasse“ zu nutzen, was einschließt, dort Gegenstände nicht nur vorübergehend zu lagern, sondern auch für einen Aufenthalt von Personen vorzuhalten (wie Mobiliar, Sonnenschirm, Grill, „Gartenbox“, Whirlpool etc.); diese Form der Nutzung wäre auf einer „Dach-Dachterrasse“ ebenso zulässig, so dass es auf die Gefahr einer intensivieren oder „komfortableren“ Nutzung nicht ankommt.
Selbst wenn die Vorschriften des öffentlichen Nachbarrechts bzw. des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts als Wertentscheidungen des Gesetzgebers in den Begriff des „Nachteils“ i.S.v. § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG hineinzulesen sind (vgl. etwa Müller, in: BeckOK-WEG, 49. Ed. 01.07.2022, § 14 Rn. 89) und der Ablehnungsbescheid vom 08.07.2009 unter Verweis auf § 3 Abs. 1 HBauO i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO u.a. mit möglichen „Belästigungen oder Störungen für Nachbargrundstücke“, die von der Dachterrasse ausgehen (können), begründet worden ist, fehlt es vorliegend an der Darlegung solcher konkreter Störungen im Zusammenhang mit der behaupteten Nutzung der fraglichen Dachfläche. Es ist weder von der Klägerin vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass andere Sonder- oder Teileigentümer von der behaupteten Nutzung „gestört“ werden. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten liegt eine solche Störung – mit Ausnahme des Eigentümers der benachbarten Wohnung Nr. 11 – auch nicht nahe, zumal weder eine optische Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes der Anlage durch die Nutzung eingewendet wird noch eine über das übliche Maß hinausgehende Störung durch Lärm oder andere Immissionen. Und eine zu duldende „Geräuschentwicklung“ hätte es an gleicher Stelle auch von einer Dachterrasse, die direkt auf dem Dach des Hauses errichtet worden wäre, gegeben können. Nicht entscheidungserheblich ist vorliegend die Frage, ob die Errichtung des Ausstiegsbauwerks als solches zulässig gewesen ist oder nicht; selbst wenn diese bauliche Veränderung nicht mehr von dem Ausbau- und/oder Sondernutzungsrecht der Beklagten gedeckt gewesen wäre, erweist sich die konkrete Nutzung der entstandenen Dachfläche insoweit nicht als „infiziert unzulässig“. Ein möglicher Rechtsverstoß, der die Beklagte jedenfalls noch zur Duldung einer Beseitigung durch die Klägerin verpflichten würde, setzt sich hier bei der Nutzung nicht ohne Weiteres fort.
2.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf Beseitigung der Treppe. Aus den unter Ziff. 1 genannten Gründen sind die Voraussetzungen eines Beseitigungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht gegeben. Auch insoweit fehlt es an einer notwendigen „Störung“, die von Treppe bzw. deren Nutzung ausgeht. Da die Nutzung der oberen Fläche des Ausstiegsbauwerks nicht unzulässig ist (s.o.), gilt dies auch für die Vorhaltung einer Treppe nach oben. Und eine konkrete Gefahr für den Bestand des Gebäudes bzw. dessen Statik ist nicht dargetan. Auf die Frage, ob ein solcher Anspruch im Streitfall schon verjährt ist, kommt es daher nicht an.
3.
Aus den unter Ziff. 1) und 2) genannten Gründen steht der Klägerin gegen die Beklagte auch kein – hilfsweise geltend gemachter – Anspruch auf Duldung der Entfernung der Treppe zu.