AG Wiesbaden – Az.: 92 C 5055/10 – Urteil vom 27.05.2011
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger als Gesamtschuldner tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Die Kläger und die Beklagten sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft A. straße … in W.. Die Beigeladene ist die Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Beklagten sind zu jeweils ½ Eigentümer eines 2059/10.000tel Miteigentumsanteils verbunden mit dem Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit Nr. 3 bezeichneten Sondereigentumseinheit im ersten Obergeschoss. Gemäß Teil III § 1 Nr. 2 der Teilungserklärung sind die Sondereigentumseinheiten im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss zu gewerblichen Zwecken bestimmt. Die im Eigentum der Beklagten stehende Sondereigentumseinheit Nr. 3 ist in der Teilungserklärung ausdrücklich als „Praxis“ bezeichnet. Wegen der Einzelheiten der Teilungserklärung wird auf Blatt 50 ff. der Akte Bezug genommen.
Die Sondereigentumseinheit der Beklagten war bis Mai 2008 als Arztpraxis vermietet. Als diese schloss und die Beklagten keinen Arzt als Nachmieter fanden, haben sie ohne Zustimmung der Wohnungseigentümergemeinschaft umfangreiche Umbaumaßnahmen durchgeführt, um zwei voneinander getrennte Einheiten zu schaffen, die zu Wohnzwecken vermietet werden können.
Aufgrund einer Klage der Kläger zu 1) und zu 2) wurde den Beklagten mit Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 01.12.2009 (Az. 92 C 4003/09 – 78) untersagt, ihre Sondereigentumseinheit zu Wohnzwecken zu nutzen. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt, über die noch nicht beschieden wurde.
Am 14.07.2010 hat die Mutter des Beklagten zu 1), Frau./., die Sondereigentumseinheit der Beklagten an Frau ./. zum Betrieb eines „erotischen Massagestudios“ vermietet. Zu dem Mietvertrag wurde eine Zusatzvereinbarung getroffen, in dem die Mieterin zusichert, dass in den Räumlichkeiten keinerlei sexuelle Handlungen statt finden, sondern lediglich Massagen, auch mit erotischem Charakter, die der Entspannung und Erholung dienen. Der Betrieb werde mit äußerster Diskretion betrieben, Werbung an oder im Gebäude erfolge nicht. Lediglich auf den Klingelschildern an der Außentür und der Tür im Treppenhaus werde die Aufschrift „M. R…“ angebracht. Schließlich sichert die Mieterin zu, dass in den Mieträumen kein Oral- und Geschlechtsverkehr statt findet und gewährleistet auch, dass von ihr beschäftigte Mitarbeiterinnen keinen solchen anbieten werden. Wegen des genauen Wortlauts des Mietvertrages und der Zusatzvereinbarung wird auf Blatt 66 und 67 der Akte Bezug genommen.
Das erotische Massagestudio hat unter dem Namen „M. F.“ zum 01.09.2010 seinen Betrieb in der Sondereigentumseinheit der Beklagten aufgenommen. Das Massagestudio wird im Internet unter der Homepage www.m….de. Dort heißt es unter anderem „eine Auswahl nicht nur optisch äußerst appetitlicher, sondern auch versierter Mädchen ab 18 Jahren wartet nur darauf, Dich in Empfang zu nehmen und Dich verwöhnen zu dürfen. Teile uns Deine Wünsche mit und lehne Dich dann zurück …“ Sodann werden die verschiedenen Angebote des Massagestudios mit den entsprechenden Preisen vorgestellt. So wird unter anderem angeboten: „Body to Body Massage – das traumhafte Erlebnis hautnah, Lingam Massage „das herrliche Gefühl der Verzögerung“ oder Prostatamassage – erlebe den besonderen Höhepunkt“. Die Lingam Massage z. B. wird wie folgt beschrieben: „Sie massiert ausschließlich deinen Intimbereich, durch spezielle Massagegriffe wird bewusst vermieden, dass du das „Ende“ vor Beendigung der Massage erreichst. Du wirst ein neues Gefühl und ein ganz besonderes Erlebnis kennen lernen. Total entspannt sein, obwohl du total erregt bist! Das „Ende“ wird oftmals ein ungeahnt intensives Erlebnis, da du nur noch fühlst …“ Wegen der Einzelheiten wird auf die in Kopie eingereichten Internetausdrucke (Blatt 68 ff. und Blatt 190 der Akte) Bezug genommen.
Mit den vorliegenden Klagen begehren die Kläger die Unterlassung der Nutzung der Sondereigentumseinheit der Beklagten durch ein erotisches Massagestudio. Sie sind der Auffassung, die Nutzung der Sondereigentumseinheit als erotisches Massagestudio sei nicht durch die Teilungserklärung gedeckt. Sie behaupten, in den Räumlichkeiten werde der Prostitution nachgegangen. Insoweit könne es dahingestellt bleiben, ob in den Räumlichkeiten Geschlechtsverkehr ausgeübt werde oder nicht. Die Nutzung der Sondereigentumseinheit der Beklagten als erotisches Massagestudio führe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Kläger, die weit über das nach § 14 Abs. 1 WEG zu duldende Maß hinaus gehe. So seien an zwei Tagen orgastische Stöhngeräusche aus der Wohnung zu hören gewesen. Der Umstand, dass in den Räumlichkeiten ein erotisches Massagestudio betrieben werde, führe aufgrund des in der Bevölkerung verbreiteten sozialen Unwerturteil zu einem Wertverlust der Immobilie. So habe die Wohnung der Kläger zu 3) und zu 4) aufgrund des Betriebes des erotischen Massagestudios einen Wertverlust von 33.300,– € erlitten. Insoweit wird auf das eingereichte Wertgutachten (Blatt 162 ff. der Akte) Bezug genommen.
Die Kläger beantragen, die Beklagten zu verurteilen, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,00 € oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, das im 1. Obergeschoss des Anwesens A. straße…, W., gelegenes Teileigentum Nr. 3 des Aufteilungsplanes an einen Dritten zur Nutzung als „Erotik-Massagestudio“ zu überlassen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten bestreiten jegliche Beeinträchtigung der Kläger durch den Betrieb des erotischen Massagestudios. Sie weisen darauf hin, dass die Teilungserklärung für ihre Sondereigentumseinheit allgemein eine gewerbliche Nutzung vorsieht, die Nutzung als Arztpraxis sei lediglich beispielhaft. Sie bestreiten, dass in ihrer Sondereigentumseinheit der Prostitution nachgegangen werde. Sie behaupten, die Mieterin und ihre Mitarbeiterinnen würden sich strikt an die Auflagen der Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag halten. Sie behaupten, der Betrieb des erotischen Massagestudios führe zu keinerlei objektiven Beeinträchtigungen der übrigen Wohnungseigentümer. Sie bestreiten den von den Klägern behaupteten Wertverlust ihrer Eigentumswohnungen und bezweifeln das insoweit vorgelegte Gutachten. Schließlich weisen sie darauf hin, dass in dem gegenüberliegenden Gebäude eine „Thai-Massage“ und in ca. 250 m ein „echtes“ Bordell betrieben werde.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die unabhängig voneinander erhobenen Klagen der Kläger wurden gemäß § 147 ZPO verbunden. Die Verwalterin wurde beigeladen (§ 48 WEG). Sie ist dem Rechtsstreit nicht beigetreten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Das Amtsgericht Wiesbaden ist gemäß § 43 Nr. 1 WEG örtlich und sachlich ausschließlich zuständig.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Die Kläger besitzen gegenüber den Beklagten keinen Unterlassungsanspruch, da es ihnen nicht gelungen ist, den Nachweis zu führen, dass sie durch den Betrieb des erotischen Massagestudios über das nach § 14 Abs. 1 WEG zu duldende Maß hinaus beeinträchtigt werden.
Anknüpfungspunkt für die Frage, ob die Vermietung an ein Massagestudio zulässig ist, sind zunächst die Bestimmungen der Teilungserklärung. Insoweit folgt das Gericht den Beklagten, dass die Angabe „Praxis“ bei der Sondereigentumseinheit der Beklagten lediglich beispielhaft ist und die Nutzung der Sondereigentumseinheit nicht auf eine Arztpraxis beschränkt. Vielmehr stellt Teil III § 1 Nr. 2 der Teilungserklärung eindeutig klar, dass die Sondereigentumseinheiten im ersten Obergeschoss zu gewerblichen Zwecken bestimmt, so dass auch die Vermietung an ein Massagestudio grundsätzlich zulässig ist und nicht bereits wegen eines Verstoßes gegen die Bestimmungen der Teilungserklärung unwirksam ist.
Entscheidend für den vorliegenden Rechtsstreit war somit die Frage, ob die Nutzung der Sondereigentumseinheit als erotisches Massagestudio die Kläger in ihren Eigentumsrechten verletzt.
Soweit nun die tatsächliche Nutzung der Räumlichkeiten zwischen den Parteien streitig ist, musste dies nicht aufgeklärt werden. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass sich die Mieterin und ihre Mitarbeiterinnen in jedem Fall an die strikten Vorgaben der Zusatzvereinbarung des Mietvertrages halten, so geht das Gericht wie die Kläger davon aus, dass es hierauf nicht ankommen kann. Aus den von den Klägern vorgelegten Beschreibungen der „Dienste“ im Internet, die von den Beklagten nicht in Abrede gestellt werden, muss das Gericht davon ausgehen, dass der Kunde durch die angebotene Massage zu einem sexuellen Höhepunkt kommt, so dass man im Ergebnis sagen kann, dass in der Massagepraxis sexuelle Handlungen gegen Entgelt vorgenommen werden, so dass das, was in dem erotischen Massagestudio angeboten, wird zumindest mit Prostitution im weitesten Sinne verglichen werden kann.
Entgegen der Auffassung der Kläger führt dies jedoch nicht zwangsläufig zu dem begehrten Unterlassungsanspruch. Prostitution ist nicht strafbar. Sie wird auch spätestens seit In-Krafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20.12.2001 von der Rechtsordnung anerkannt und ist somit auch nicht mehr per se sittenwidrig. Somit stellt die Ausübung der Prostitution in einer Eigentumswohnanlage nicht per se einen Nachteil für die übrigen Wohnungseigentümer dar.
Soweit nun die Kläger behaupten, ihre Eigentumswohnungen hätten aufgrund des Betriebs des Massagestudios an Wert verloren, konnte dies dahingestellt bleiben, da auch diese Behauptung – ihre Richtigkeit unterstellt – alleine den begehrten Unterlassungsanspruch ebenfalls nicht begründet. Den Klägern ist zuzugeben, die herrschende Meinung in der Rechtsprechung die Auffassung vertritt, dass eine Beeinträchtigung auch darin bestehen kann, dass ein zwar gesetzlich erlaubter, aber mit einem sozialen Unwerturteil breiter Bevölkerungskreise behafteter Betrieb sich negativ auf den Verkehrswert oder Mietpreis der Eigentumswohnungen auswirkt (so z.B. OLG Düsseldorf ZMR 2004, S. 447 f.). Diese Auffassung überzeugt jedoch nicht. Es kann nicht sein, dass eine nach der Rechtsordnung zulässige Betätigung zu untersagen ist, weil „breite Bevölkerungskreise“ damit ein soziales Unwerturteil verbinden. Dies wird deutlich, wenn man sich folgendes vor Augen führt: Wenn in einer Eigentumswohnanlage Räumlichkeiten als Moschee oder als Parteilokal für eine rechtsextreme Gruppierung genutzt werden, so wirkt sich dies unzweifelhaft ebenfalls negativ auf eine Wiederverkaufsmöglichkeit der Wohnungen in dieser Anlage und damit auf den Wert der Eigentumswohnungen aus. Dennoch wäre die Nutzung in diesen beiden Beispielsfällen zulässig und könnte nicht untersagt werden. Nun soll – um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – die Nutzung als Moschee oder die Nutzung als Parteilokal nicht mit der Ausübung der Prostitution verglichen werden, es macht jedoch deutlich, dass das mit Sicherheit auch in diesen beiden Beispielsfällen vorhandene soziale Unwerturteil breiter Bevölkerungskreise nicht dazu führt, dass die Rechtsprechung eine solche Nutzung untersagen würde. Warum dies nun im Falle der Prostitution anders sein soll, erschließt sich für das Gericht nicht. Somit kann die Ausübung der Prostitution nur untersagt werden, wenn sie zu konkreten Beeinträchtigungen der übrigen Wohnungseigentümer führt (so auch Palandt „BGB“ 70. Aufl. München 2011 § 14 WEG Rdnr. 8 m.w.Nachw.).
Eine solche konkrete Beeinträchtigung wird jedoch von den Klägern trotz eines entsprechenden richterlichen Hinweises nicht dargelegt. Nach dem Vortrag der Kläger zu 3) und zu 4) habe man an zwei Tagen orgastische Stöhngeräusche wahrnehmen können. Unabhängig davon, dass hierfür kein Beweismittel angeboten wurde, so dass die Kläger insoweit beweisfällig blieben, stellt ein zweimaliger solcher Vorfall allein wohl keine schwere Beeinträchtigung der übrigen Wohnungseigentümer dar. Die Kläger zu 1) und zu 2) haben insoweit überhaupt nichts Konkretes vorgetragen.
Mangels konkreter Beeinträchtigung der übrigen Wohnungseigentümer war daher die Klage abzuweisen, so dass die Frage, ob in der Nähe der Wohnungseigentumsanlage ein vergleichbares Etablissement betrieben wird oder nicht, ebenfalls dahin gestellt bleiben konnte.
Als unterlegene Partei haben die Kläger als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.