Formeller Mangel bei Eigentümerversammlung: Beschlüsse für ungültig erklärt.
Eine Miteigentümerin einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) hat geklagt, weil sie der Meinung war, nicht rechtzeitig zur Eigentümerversammlung eingeladen worden zu sein und die gefassten Beschlüsse nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Unter anderem wurden Beschlüsse zur Jahresabrechnung, dem Wirtschaftsplan, der Verwalterwahl, dem Austausch der Wasseruhren und zur Installation von Geländern gefasst. Das Gericht hat nun entschieden, dass die Einladungsfrist nicht eingehalten wurde und die Beschlüsse daher für ungültig zu erklären sind. Zudem wurden Beschlussmängel aufgezeigt, die auch den etwaigen Beschluss zum Austausch der Wasseruhren betreffen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
AG Dortmund – Az.. 514 C 61/22 – Urteil vom 08.12.2022
Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung der S-Straße in E vom 26.06.2022 zu den TOP 2b, 3a, 4a, 4b, 6a, 7, 8a 8b werden für ungültig erklärt.
Die Kästen des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Der Streitwert wird auf bis zu 30.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Miteigentümerin der beklagten WEG. Die Verwalterin lud mit Schreiben vom 11.06.2022 zur Eigentümerversammlung am 26.06.2022. Die Klägerin nahm an der Versammlung nicht teil.
Unter dem TOP 2b wurde ein Beschluss zur Jahresabrechnung 2021 gefasst. Unter dem TOP 3a wurde ein Beschluss zum Wirtschaftsplan 2022 gefasst. Unter dem TOP 4a wurde ein Beschluss zur Verwalterwahl ab dem 01.10.2022 gefasst. Unter dem TOP 4b wurde ein stellvertretender Verwalter gewählt. Unter dem TOP 6a wurde ein Beschluss zum Austausch der Wasseruhren in den Badezimmern gefasst. Unter dem TOP 7 wurde ein Beschluss zur Installation von Geländern an den Außentreppen gefasst. Unter dem Top 8a und 8b wurden die Personenzahlen in der Wohnung der Klägerin sowie „Putzprobleme“ mit den Mietern der Wohnung der Klägerin erörtert.
Wegen der Einzelheiten der Beschlussfassungen und der Erörterungen in der Versammlung wird auf das Protokoll der Eigentümerversammlung vom 26,06.2022 (Bl. 62 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie zur Versammlung nicht rechtzeitig eingeladen worden sei. Die Klägerin ist darüber hinaus der Ansicht, dass die angefochtenen Beschlüssen nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift sowie die Klagebegründung Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 26.06.2022 zu den TOP 2b, 3a, 4a, 4b, 6a, 7, 8a 8b für ungültig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat zunächst nicht in der gesetzten Frist auf die Klage geantwortet. Zuletzt überreicht die Beklagte ein Schreiben der Verwalterin (Bl. 149 ff. d.A.) und macht sich diesen Sachvortrag zu eigen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Verwalterin Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die protokollierten Erklärungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die angefochtenen Beschlüsse sind aufgrund der rechtzeitig erhobenen Anfechtungsklage zumindest für ungültig zu erklären.
Vorliegend wurde die Einladungsfrist zur Eigentümerversammlung nicht eingehalten. Die Frist der Einberufung soll, sofern nicht ein Fall besonderer Dringlichkeit vorliegt, mindestens drei Wochen betragen, § 24 Abs. 4 Satz 2 WEG. Die angegriffenen Beschlüsse sind bei objektiver Betrachtung nicht so dringlich, dass eine Fristunterschreitung gerechtfertigt wäre. Weder der anstehende Verkauf einer Wohnung führt zur Dringlichkeit, noch die anstehenden Sommerferien. Der Sommerferientermin ist grundsätzlich länger bekannt, so dass eine Einladung kurz vor den Sommerferien nicht unter Hinweis auf die Ferien verkürzt werden kann. Insoweit wäre eine langfristige vorherige Planung möglich gewesen.
Soweit die Verwalterin zur Kausalität lediglich ausführt, dass die Mehrheit der bei der Eigentümerversammlung anwesenden oder per Vollmacht mitstimmenden Eigentümer für die Beschlüsse gestimmt habe und somit die Stimme der nicht anwesenden Klägerin keine verhindernde Wirkung auf die Mehrheitsverhältnisse gehabt habe, genügt dieser Vortrag nicht.
Ein Einberufungsmangel führt nach der Rechtsprechung nicht zur Ungültigerklärung von Eigentümerbeschlüssen, wenn bewiesen wird, dass er ohne den Einberufungsmangel ebenso gefasst worden wäre. Diese Feststellung lässt sich nicht allein darauf stützen, dass die Eigentümerbeschlüsse von einer bestimmten Mehrheit getragen worden sind und dieselbe Mehrheit die Eigentümerbeschlüsse in einer Wiederholungsversammlung erneut gefasst hätte. Es reicht auch nicht aus, dass die Wohnungseigentümer, die die Beschlussmehrheit getragen haben, sich dahin erklären, sie hätten auch bei einer ordnungsgemäßen Einberufung und in Kenntnis der mit der Anfechtungsklage gegen die Entscheidung vorgebrachten Argumente damals nicht anders abgestimmt hätten, denn diese Erklärung könnte nicht auszuschließend durch erst nachträglich eingetretene Umstände oder gar das Interesse am Ausgang des Verfahrens bedingt sein. Vielmehr muss klar zutage liegen, dass der Eigentümerbeschluss auch bei ordnungsgemäßer Einberufung und Durchführung der Versammlung gleichfalls zustande gekommen wäre, also die Möglichkeit, dass der durch den Mangel betroffene Wohnungseigentümer das Beschlussergebnis hätte beeinflussen können, muss bei vernünftiger Betrachtung unter keinen Umständen in Betracht kommen, nicht nur bloß unwahrscheinlich sein. Diese Unwahrscheinlichkeit einer Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses kann sich daraus ergeben, dass der Anfechtungskläger sachliche Einwände gegen den angefochtenen Eigentümerbeschluss nicht vorbringt; dieses Argument bedeutet zugleich, dass der Anfechtungskläger neben dem formellen Mangel auch Argumente vortragen muss, warum er in der Sache gegen den Eigentümerbeschluss ist (Hogenschurz in: Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 4. Auflage 2019, § 24 WEG Rdnr. 3). Die Ursächlichkeit eines formellen Mangels ist also erst dann zu verneinen, wenn eine Einflussnahme des deshalb ferngebliebenen Wohnungseigentümers auf den Diskussionsverlauf und das Abstimmungsverhalten in der Eigentümerversammlung ausgeschlossen werden kann (Hogenschurz aaO Rdnr. 4).
Vorliegend hat die Klägerin substantiierte Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe vorgetragen. Die Beklagte hat nicht ausreichend dargelegt, dass sich die Eigentümer von der Klägerin bei einer fristgemäß einberufenen Versammlung sicher nicht hätten von den Gründen überzeugen lassen und in jedem Fall die angefochtenen Beschlüsse gefasst hätten.
Somit sind die angefochtenen Beschlüsse sämtlich aufgrund des formellen Mangels für ungültig zu erklären.
Die Ungültigerklärung betrifft auch den TOP 8a, selbst wenn es dort streitig bleibt, ob ein Beschluss gefasst wurde. Denn auch der Rechtsschein eines Beschluss kann durch die Anfechtung beseitigt werden. Die aufgezeigten Beschlussmängel betreffen auch den etwaigen Beschluss zum TOP 8a.
Nur ergänzend – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – weist das Gericht darauf hin, dass zumindest die Beschlüsse zu der Jahresabrechnung und dem Wirtschaftsplan nichtig sind. Denn es wurden keine Beschlüsse zu Vorauszahlungen, Nachschüssen und Anpassungen der Vorschüsse gefasst. Gegenstand eines Beschlusses nach § 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 S. 1 WEG sind nur Zahlungspflichten, die zum Ausgleich einer Unter- oder Überdeckung aus dem Wirtschaftsplan erforderlich sind. Für einen Beschluss der allein die Genehmigung des vorgelegten Abrechnungswerks zum Gegenstand hat, fehlt die Beschlusskompetenz (AG Hamburg-St.Georg Urt. v. 25.2.2022 – 980a C 29/21 WEG, BeckRS 2022, 6444 mwN).
Für die Wahl einer stellvertretenden Verwaltung fehlt die Beschlusskompetenz. Ist eine Angelegenheit weder durch das WEG noch durch Vereinbarung der Beschlussfassung unterworfen, fehlt es der Wohnungseigentümerversammlung an der Beschlusskompetenz. Ein dennoch gefasster Beschluss ist nichtig (BGH, Urteil vom 22.3.2019 – V ZR 105/18, NJW 2019, 1673).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO