Skip to content
Menü

WEG-Versammlung trotz Corona-Lockdown bei gesetzlichem Verbot

Klage gegen Wohnungseigentümergemeinschaft: Beschlüsse der Eigentümerversammlungen angefochten.

Ein Kläger erhebt gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft einer Straße in Pirmasens eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage bezüglich der Beschlüsse der Eigentümerversammlungen vom 26.6.2021, 17.04.2021, 4.8.2021, 8.8.2021 und 30.8.2021. Der Kläger sieht die Voraussetzungen für die Beschlussfassung als nicht gegeben an. Die Einladung zur und die Durchführung der Eigentümerversammlungen habe gegen gesetzliche Verbote verstoßen. Der Kläger kritisiert, dass während einer Corona-Verordnung für Rheinland-Pfalz ein öffentlich-rechtliches Verbot bestanden habe, eine Versammlung abzuhalten. Weiterhin sei es sittenwidrig, in einer solchen Eigentümerversammlung den Entzug des Wohnungseigentums zu beschließen. Auch gebe es keine Gründe, die eine Abberufung des Verwalters aus wichtigem Grund gerechtfertigt hätten.

Die Beklagte weist die Vorwürfe zurück und argumentiert, dass etwaige Einberufungsmängel nur zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit der Beschlüsse führten. Die Beschlüsse seien daher in Bestandskraft erwachsen. Zudem sei zum Zeitpunkt der Versammlung vom 17.4.2021 nach der Corona-Verordnung für das Land Rheinland-Pfalz kein Verbot vorhanden gewesen, eine Versammlung von mehr als zwei Personen abzuhalten. Die Einladung zur Durchführung der Eigentümerversammlung sei auch nicht sittenwidrig. […]


AG Pirmasens – Az.: 2 C 127/21 WEG – Urteil vom 30.03.2022

1. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung der WEG straße vom 26.6.2021 werden für nichtig erklärt.

2. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung der WEG straße vom 17.4.2021 werden für nichtig erklärt.

3. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung der WEG straße vom 4.8.2021 werden für nichtig erklärt.

4. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung der WEG straße vom 8.8.2021 werden für nichtig erklärt.

5. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung der WEG straße vom 30.8.2021 werden für.

6. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

8. Der Streitwert wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt gegen die Beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage bezüglich der Beschlüsse der Eigentümerversammlungen vom 26.6.2021, 17.04.2021, 4.8.2021, 8.8.2021 und 30.8.2021.

Die Beteiligten bilden gemeinsam die Wohnungseigentümergemeinschaft straße 31 in Pirmasens.

Jedenfalls bis zum Tage der Eigentümerversammlung am 17.4.2021 war die ### GmbH zur Hausverwalterin bestellt. Daher zeigte der Prozessbevollmächtigte der ### GmbH auch zunächst Verteidigungsabsicht an, stellte jedoch im Verlauf des Rechtsstreits klar, dass er nicht die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft vertrete, sondern ausschließlich die ### GmbH (Schriftsatz vom 09.09.2021, Bl. 281 d.A.), die allerdings ihre Verwaltertätigkeit zum 31.5.2021 niedergelegt hat. Die ### GmbH hätte daher auch nicht zum Verhandlungstermin am 30.3.2022 geladen werden müssen. Auf Nachfrage des Gerichts im Termin vom 30.3.2022 hat der Prozessbevollmächtigte der ### GmbH erklärt – was allerdings nicht ausdrücklich protokolliert wurde -, dass er dem Rechtsstreit nicht als Streithelfer auf Klägerseite beitreten möchte.

Mit E-Mail vom 22.3.2021, 20:14 Uhr (Anlage K 6), lud der Wohnungseigentümer ### zu einer Sondersitzung am 17.4.2021 unter Berufung auf eine Vollmacht des weiteren Miteigentümers ### ein.

In der Wohnungseigentümerversammlung vom 17.4.2021 wurden durch den Wohnungseigentümer ### die folgenden Beschlüsse getroffen:

1. Begrüßung und Feststellung der Beschlussfähigkeit

2. Beschluss über die Abstellung des Verwalters

3. Beschluss über die Rückgängigmachung der 2000 Ç Sonderumlagen

4. Beschluss über die Abstellung des Hausmeisters

5. Beschluss über die Erneuerung der Fenster

6. Beschluss über die Erneuerung der Elektrik

7. Beschluss über die Erneuerung der Wasserzähler

8. Beschluss über den Entzug des Wohnungseigentums des Miteigentümers .

Über die obigen Beschlüsse wurde mit E-Mail des Wohnungseigentümers ### vom 18.5.2021 informiert (Anlage K8).

Mit E-Mails vom 27.5.2021, 15:21 Uhr und 15:49 Uhr, überlies der Miteigentümer ## den Antrag auf Sondersitzung vom 27.5.2021 sowie den Beschluss vom 27.5.2021 über die Ermächtigung des Miteigentümers ### zur Durchführung der beantragten Sondersitzung (Anlage K9). Es folgte eine Einladung per Post zur Sondersitzung vom 26.6.2021.

In der außerordentlichen Eigentümerversammlung vom 26.6.2021 wurden die folgenden Beschlüsse getroffen:

1. Begrüßung und Feststellung der Beschlussfähigkeit

2. Beschluss über die Wahl eines neuen Hausverwalters

3. Beschluss über den Entzug des Wohnungseigentums des Miteigentümers ###

4. Beschluss über die Rückgängigmachung älterer Sonderumlagen aus den Jahren 2015 und 2016.

In der Eigentümerversammlung vom 26.6.2021 erfolgte der Beschluss über die Wahl eines neuen Hausverwalters durch den Miteigentümer ### dergestalt, dass er selbst zum neuen Hausverwalter bestellt wurde.

Sodann wurden noch Beschlüsse in den außerordentlichen Eigentümerversammlungen vom 4.8.2021, 8.8.2021 und 30.8.2021 getroffen. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Niederschriften verwiesen (Bl. 259 ff. d.A.).

In allen oben genannten außerordentlichen Eigentümerversammlungen (17.4., 26.6., 4.8., 8.8. und 30.8.2021) trafen sich die Eigentümer dergestalt, dass allein der Miteigentümer ### anwesend war.

Die jedenfalls bis zum 17.4.2021 bestellter Hausverwaltung hat mit Schreiben vom 7.6.2021 die Verwaltung zum 31.5.2021 niedergelegt (Bl. 143 d.A.).

Streitig ist zwischen den Parteien insbesondere, wer Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft straße ist.

Der Kläger macht dazu folgende Ausführungen:

Sämtliche Beschlüsse seien nichtig, da weder formell noch materiell die Voraussetzungen für die Beschlussfassung gegeben gewesen sein. Die in der Versammlung vom 17.4.2021 und vom 26.6.2021 gefassten Beschlüsse seien für nichtig zu erklären, da die Einladung zur und die Durchführung der Eigentümerversammlungen gegen gesetzliche Verbote verstoßen habe. Aufgrund der Corona-Verordnung für Rheinland-Pfalz habe ein öffentlich-rechtliches Verbot bestanden, eine Versammlung abzuhalten. Es sei nicht möglich gewesen, dieses öffentlich-rechtliche Verbot über § 24 Abs. 3 WEG zu umgehen.

Weiter sei es sittenwidrig, in einer solchen Eigentümerversammlung den Entzug des Wohnungseigentums zu beschließen. Die Voraussetzungen über den Entzug des Wohnungseigentums seien gemäß § 8 der Teilungserklärung nicht gegeben.

Gründe, die eine Abberufung des Verwalters aus wichtigem Grund gerechtfertigt hätten, seien nicht gegeben.

Es habe auch keine Beschlusskompetenz zur Ladung sowie Abhaltung der Eigentümerversammlung und Beschlussfassung vorgelegen. Außerdem habe nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit vorgelegen, da die Bevollmächtigung der Miteigentümers durch den Miteigentümern nicht ordnungsgemäß erfolgt sei.

Der Kläger beantragt, wie tenoriert.

Des Weiteren beantragt der Kläger, der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, vertreten durch den Verwalter analog § 142 Abs. 1 ZPO unter Fristsetzung aufzugeben, eine aktuelle Eigentümerliste vorzulegen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht dazu folgende Ausführungen:

Die Klage vom 24.7.2021 gegen die Beschlüsse vom 26.6.2021 und 17.4.2021 sei nicht demnächst zugestellt worden. Aufgrund der Niederlegung der Verwaltertätigkeit zum 31.5.2021 habe eine wirksame Zustellung an Hausverwaltung nicht mehr erfolgen können. Die Zustellung später erst im September 2021 an die Beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft straße über den Prozessbevollmächtigten des Hausverwalters habe damit nicht mehr der demnächst erfolgen können.

Der Miteigentümer ### sei auch durch den Betreuer des Miteigentümers ###, Herrn ###, mit Schreiben vom 3.3.2021 zur Vertretung des Herrn ### bevollmächtigt worden. Diese Bevollmächtigung gelte auch für WEG Versammlungen.

Es habe zum Zeitpunkt der Versammlung vom 17.4.2021 nach der Corona-Verordnung für das Land Rheinland-Pfalz kein Verbot bestanden, eine Versammlung von mehr als zwei Personen abzuhalten. Allein der Hinweis der GmbH auf ein mögliches Verbot nach der Corona-Verordnung bedeute nicht, dass deshalb die Versammlung nicht stattfinden würde.

Die Beschlüsse vom 17.4.2021 seien nicht nichtig, da etwaige Einberufungsmängel allenfalls zur Anfechtbarkeit, nicht jedoch zur Nichtigkeit der Beschlüsse führten. Die Anfechtung der Beschlüsse habe auch nicht innerhalb der Anfechtungsfrist bis zum 17.5.2021 stattgefunden. Die Beschlüsse seien daher in Bestandskraft erwachsen. Die Einladung zur Durchführung der Eigentümerversammlung vom 17.4.2021 sei auch nicht sittenwidrig. Hinsichtlich des Beschlusses für den Entzug des Wohnungseigentums gemäß § 8 der Teilungserklärung sei ein bestandskräftiger Beschluss gefasst worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage sind gemäß § 44 Abs. 1, S. 1, 1. und 2. Alt. WEG die statthaften Rechtsbehelfe.

Zwar kommt es auf die Anfechtungsfrist aufgrund der (fristungebundenen) Nichtigkeit der streitgegenständlichen Beschlüsse (vgl. unten II.) nicht an. Die Frage der Zustellung der Klage hängt aber direkt mit der Frage der Vertretung der WEG aufgrund der Nichtigkeit der Beschlüsse zusammen.

1. Im Falle des § 9 b Abs. 1 S. 2 WEG ist jeder Wohnungseigentümer analog § 26 Abs. 2 S. 2 BGB passiv einzelvertretungsberechtigt. Das gilt nach § 170 Abs. 3 ZPO auch für Zustellungen im Prozess. Die Zulässigkeit der Klage setzt nicht voraus, dass der Kläger sämtliche Wohnungseigentümer als Vertreter benennt, sodass auch auf die beantragte Verpflichtung zur Vorlage der Eigentümerliste durch die Beklagte aus Zulässigkeitsgründen verzichtet werden konnte. Im Urteil sind sämtliche Wohnungseigentümer nach § 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zwar anzugeben, was den Richter zu einer entsprechenden Ermittlung verpflichten mag. Hierbei handelt es sich allerdings sich um eine bloße Ordnungsvorschrift. Außerdem sind vorliegend die Miteigentümer bekannt, lediglich die Anschrift des Miteigentümers ### bzw. die der Firma, für die er ausweislich der vorgelegten Eigentümerliste (Bl. 248 d.A.) handelt, ist unbekannt.

2. Die Klage wurde auch gemäß § 45 WEG fristgerecht eingelegt. Sie wurde „demnächst“ im Sinne des § 167 Abs. 1 ZPO zugestellt, da die Verzögerung bei der Zustellung allein dem gerichtlichen Ablauf zuzurechnen ist.

Die Klage wurde dann noch demnächst zugestellt, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls in einem hinnehmbaren Rahmen halten.

Vorliegend wurde die Klage zunächst an die in der Klageschrift benannte Hausverwaltung GmbH zugestellt, obwohl die Verwaltereigenschaft gerade streitig war.

Die Klage wäre daher nicht an die vormalige Hausverwaltung zuzustellen gewesen, denn diese hat, – was dem Kläger bekannt gewesen sein dürfte – ausweislich der Anlage B2 (Bl. 247 d.A.) ihr Verwalteramt zum 31.05.2021 niedergelegt. Aufgrund der streitigen Verwalterfrage wäre daher für die Zustellung entweder vom Fehlen eines Verwalters auszugehen gewesen, sodass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer dann durch die Wohnungseigentümer gemeinschaftlich vertreten wird (§ 9b Abs. 1 S. 2 WEG) und die Klage daher an die „gesetzlichen Vertreter“ der Gemeinschaft im Sinne von § 170 Abs. 1 S. 1 ZPO bzw. nach § 170 Abs. 3 ZPO an einen von ihnen zuzustellen gewesen (Skauradszun in beck-online.GROSSKOMMENTAR Stand: 01.03.2022, § 44 WEG, Rn. 58-59.1). Oder aber es wäre für die Zustellung der Klage auf die streitgegenständlichen Beschlüsse abzustellen gewesen, wonach der Miteigentümer zum Zeitpunkt der Klageeinreichung Verwalter der WEG war.

Das Gericht unterlag hier einer gesteigerten Fürsorgepflicht für die beklagte Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, da hier besondere Gefahren der Fristversäumung und Präklusion bestehen. Der einzelne Wohnungseigentümer kann zwar Zustellungsadressat sein, er alleine kann die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer jedoch nicht vertreten und aktiv keine Prozesshandlungen vornehmen. Das Gericht hätte daher die Klage an die übrigen Wohnungseigentümer zustellen, und ihnen damit im Sinne von § 44 Abs. 2 S. 2 WEG die Erhebung der Klage bekanntmachen müssen. Der Kläger hätte auch einen Antrag nach § 57 ZPO auf Bestellung eines Prozesspflegers stellen können. Stellt der Kläger diesen Antrag zunächst nicht, etwa weil er die Problematik nicht erkennt, hat das Gericht nach § 139 Abs. 1 ZPO auf diesen Antrag hinzuwirken und den Kläger darauf hinzuweisen, dass andernfalls die Klage unzulässig und daher abzuweisen ist. Das Gericht hat hierauf allerdings nicht hingewiesen, sodass die erst mit Verfügung vom 23.08.2021 (Bl. 242 d.A.) erfolgte Zustellung an den Prozessvertreter des streitigen Hausverwalters nicht der Klagepartei zuzurechnen ist. Der Prozessbevollmächtigte der WEG str. war auch aktiv befugt, Prozesshandlungen vorzunehmen, bis zur Ungültig- bzw. Nichtigerklärung jedenfalls vom Miteigentümer als bestellten Hausverwalter auszugehen war.

Die Anfechtungsklage wurde daher gemäß § 45 WEG fristgerecht eingelegt.

Die unmittelbare Kenntnis des Miteigentümers vom Klageverfahren ergibt sich jedenfalls auch aus den zahlreichen E-Mails die ab 13.08.2022, und damit drei Tage nach Ausführung der Verfügung zum schriftlichen Vorverfahren (Bl. 107 f. d.A.), bei Gericht eingegangen sind.

II.

Die in den Eigentümerversammlungen vom 17.4., 26.6., 4.8., 8.8. und 30.8.2021 getroffenen Beschlüsse sind nichtig. Der Kläger kann mit seiner Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage hinsichtlich der getroffenen Beschlüsse auf den Eigentümerversammlungen im Jahr 2021 durchdringen.

Nichtigkeitsgründe liegen nach allgemeiner Ansicht (vgl. die Zusammenstellung bei Niedenführ u. a., § 23 WEG Rn. 77 ff.) in folgenden Fällen vor:

– Formelle Nichtigkeitsgründe bei Zustandekommen des Beschlusses

– § 23 Abs. 4 S. 1 WEG: der Beschluss verstößt gegen eine Rechtsvorschrift, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann, also zwingende Vorschriften des WEG, BGB oder öffentlichen Rechts

– § 134 BGB: der Beschluss verstößt gegen ein gesetzliches Verbot

– § 138 BGB: der Beschluss verstößt gegen die guten Sitten

– der Beschluss enthält wegen inhaltlicher Unbestimmtheit keine durchführbare Regelung mehr

– der Beschluss verlangt von den Wohnungseigentümern etwas Undurchführbares

– fehlende Beschlusskompetenz.

Ein Beschluss ist nach § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG nichtig, wenn er gegen Vorschriften des WEG verstößt, auf deren Einhaltung nicht „verzichtet“ werden kann (Hügel/Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, 3. Auflage 2021, § 23 Rn. 121). Dies ist aus mehreren Gründen der Fall:

Es liegen vorliegend sowohl formelle, als auch materielle Anfechtungsgründe vor.

Der Miteigentümer ### hat bei der außerordentlichen Eigentümerversammlung vom 17.4.2021 gegen die in § 24 WEG für die Einberufung einer Eigentümerversammlung enthaltenen Formvorschriften verstoßen, indem er die Mitteilung der vormaligen Hausverwaltung über das bestehende gesetzliche Verbot missachtete und eine Eigentümerversammlung – auch aufgrund einer angeblich hierfür erteilten Vollmacht des Miteigentümers ### – einberief.

Zwar ergibt sich grundsätzlich keine Nichtigkeit aus einem Verstoß gegen die Voraussetzungen des § 24 WEG, weil diese dispositiv sind und durch Vereinbarung abgeändert werden können (BGHZ 142, 290 [294] = NJW 1999, 3713 = NZM 1999, 1101). Allerdings gilt dies nicht, wenn beispielsweise Wohnungseigentümer vorsätzlich und gezielt von der Mitwirkung in der Wohnungseigentümergemeinschaft ausgeschlossen werden sollen. Denn eine solche bewusste Umgehung des Mitwirkungsrechts kommt einem Ausschluss des Wohnungseigentümers an der Mitverwaltung gleich (BayObLG, NZM 2005, 630 [631]; OLG Köln, NZM 2004, 793; OLG Zweibrücken, FGPrax 2003, 60 = NJOZ 2003, 227 = ZMR 2004, 60 [62]; OLG Celle, ZWE 2002, 276 [277] = BeckRS 2002, 30232153; Staudinger/Bub, BGB, Neubearb. 2005, § 24 WEG Rdnr. 158; Engelhardt, in: MünchKomm-BGB, 5. Aufl., § 24 WEG Rdnr. 17; Steinmeyer, in: Timme, WEG, § 23 Rdnr. 133; Riecke, in: Riecke/Schmid, FA-Komm WohnungseigentumsR, 3. Aufl., § 24 Rdnr. 57; Palandt/Bassenge, BGB, 71. Aufl., § 24 WEG Rdnr. 14; Weitnauer/Lüke, 9. Aufl., § 23 Rdnr. 16; Elzer, in: Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 24 Rdnr. 53; ders., ZWE 2010, 233 [235 f.]).

Aufgrund der vorliegenden Vorgehensweise des Miteigentümers ### ist das Gericht jedoch der Überzeugung, dass ein besonders schwerwiegender Ausnahmefall, der zur Nichtigkeit der in der Eigentümerversammlung vom 17.4.2021 gefassten Beschlüsse führt, vorliegt, da dieser sich gezielt über die Zurückweisung der ursprünglichen Hausverwaltung vom 23.03.2021 (Anlage K 7, Bl. 95 d.A.) hinweggesetzt hat.

Denn er hat gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, indem trotz Hinweis der vormaligen Hausverwaltung hierauf und entgegen der Achtzehnten Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (18. CoBeLVO) eine Versammlung einberufen und abgehalten hat. Dort heißt es in § 2 Abs. 8 nämlich, dass „jegliche Veranstaltung oder Zusammenkunft von Personen im öffentlichen Raum oder in angemieteten oder zur Verfügung gestellten Räumen, die nicht unter besondere Regelungen dieser Verordnung fallen ist, […]“ untersagt ist. Soweit die Beklagtenseite hiergegen einwendet, es handele sich nicht um eine Veranstaltung im öffentlichen Raum, ist dies unbeachtlich. Denn eine Eigentümerversammlung ist – auch wenn diese wie vorliegend in der Privatwohnung eines Miteigentümers stattfinden soll – keine derartige Zusammenkunft in einem privaten Kreis, denn die Wohnungseigentümer haben keine persönlichen (verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen) Beziehungen miteinander, sondern sind über die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums miteinander verbunden. Auch bestand für den Kläger ein Anspruch auf Absage der Versammlung, da zum Zeitpunkt der geplanten Eigentümerversammlung objektiv Unsicherheiten bestanden haben, ob die Durchführung gemäß der geltenden Coronaschutz-Verordnung zulässig ist oder die Teilnehmer sich ordnungswidrig verhalten (so auch LG Frankfurt a. M., Beschluss vom 29.3.2021 – 2-13 T 7/21).

Darüber hinaus liegen aber auch materielle Anfechtungsgründe vor.

Denn die auf den Miteigentümer ### lautende Vollmacht ist gerade nicht auf die Einladung oder Abhaltung einer Eigentümerversammlung, sondern lediglich allgemein auf die Vertretung im „WEG verfahren“ gerichtet. Soweit die Beklagtenseite hierzu ausführt, es sei eine „Vollmacht zur Vertretung des Herrn ### in den WEG-Verfahren, sprich Versammlungen“ (Bl. 727 d.A. = Schriftsatz vom 15.03.2021, dort. S. 2, 4. Absatz) abgegeben worden, ist das Gericht anderer Auffassung. Allein dem Wortlaut nach kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Vollmacht für (die Einberufung von) Versammlungen erteilt war. Weiterer Vortrag, warum es sich um eine Vollmacht hierfür handeln soll, ist schon gar nicht erfolgt. Es wurde lediglich unsubstantiiert geschlussfolgert, dass die Vollmacht für WEG-Verfahren einer Vollmacht für Versammlungen entspreche. Diesen unsubstantiierten Vortrag hat die Klagepartei bestritten. Aber auch mit Blick auf die zahlreichen weiteren rechtshängigen, die vorliegende WEG betreffenden Verfahren ist gerade nicht klar bestimmbar, für welche Tätigkeit die Vollmacht nun gelten soll. Eine Vollmacht zur Stimmrechtsausübung ist vorliegend jedenfalls nicht nachgewiesen worden.

Darüber hinaus verstößt der Beschluss über die Entziehung des Wohnungseigentums im Rahmen der außerordentlichen Eigentümerversammlung vom 17.4.2021 gegen die guten Sitten, § 138 BGB. Die Entziehung von Wohnungseigentum ist nur unter engen Voraussetzungen als ultima ratio zulässig. Bei der Entscheidung der Frage, ob die Pflichtverletzung des Störers ein Ausmaß erreicht, das zu einem Anspruch auf Veräußerung des Wohnungseigentums führt, sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und die Interessen der Beteiligten insgesamt gegeneinander abzuwägen (LG Hamburg, Urt. v. 6.4.2016 – 318 S 50/15, ZWE 2017, 34). Eine Pflichtverletzung im Sinne wurde nicht ansatzweise substantiiert vorgetragen. Auch in der Einladung finden sich keine Anhaltspunkte für eine etwaige Pflichtverletzung.

Mangels Beschlusskompetenz des Miteigentümers ###, dem Verstoß gegen gesetzliche Verbote, § 134 BGB, sowie der sittenwidrigen Beschlussfassung über die Entziehung von Wohnungseigentum, waren die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 17.4.2021 für nichtig zu erklären.

Soweit die weiteren Beschlüsse der Eigentümerversammlungen vom 26.6., 4.8., 8.8. und 30.8.2021 ebenfalls für nichtig erklärt wurden, beruht die Nichtigerklärung auf der Entscheidung bezüglich der Eigentümerversammlung vom 17.4.2021. Denn aufgrund der Nichtigkeit der dortigen Beschlüsse (insbesondere auch der Abberufung der vormaligen Hausverwaltung) bestand schon keine Rechtsgrundlage für weitere Beschlüsse, insbesondere nicht für die Bestellung des Miteigentümers ### als Hausverwalter.

III.

Soweit der Kläger beantragt hat, der Gemeinschaft aufzugeben, eine aktuelle Eigentümerliste vorzulegen, war diesem Antrag nicht nachzukommen. Zum einen wurde der Antrag nur vorsorglich gestellt. Zum anderen ist aus den genannten Gründen (vgl. oben I.) eine Zustellung an einen Wohnungseigentümer ausreichend. Zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es auf die aktuelle Eigentümerliste auch nicht an. Nach neuem Recht ist die Vorlage der Eigentümerliste auch keine Zulässigkeitsvoraussetzung mehr (s.o.).

Es kommt § 9b Abs. 1 S. 2 WEG zur Anwendung, sodass das Urteil für die Beklagte neben dem Rechtsanwalt M. an den Miteigentümer zuzustellen ist.

Denn die Wohnungseigentümergemeinschaft ist nicht mangels eines gesetzlichen Vertreters prozessunfähig. Vielmehr wird die Wohnungseigentümergemeinschaft, wenn ein Verwalter fehlt oder zur Vertretung nicht berechtigt ist, gemäß § 9b Abs. 1 S. 2 WEG durch alle Wohnungseigentümer vertreten. Hierdurch wird die Prozessfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft auch bei Fehlen eines Verwalters oder dessen Ausschluss von der Vertretung sichergestellt. Das bedeutet, dass die Gemeinschaft aktiv, also bei Abgabe einer Willenserklärung für die Gemeinschaft, nur durch alle Miteigentümer gemeinsam vertreten wird, jedoch im Rahmen der Passivvertretung, also bei Entgegennahme von Willenserklärungen für die Gemeinschaft, jeder einzelne Wohnungseigentümer vertritt (vgl. Greiner in beck-online.GROSSKOMMENTAR Stand: 01.03.2022, § 9b WEG, Rn. 16 f.; und zum alten Recht Heinemann in Jennißen, WEG, 6. Aufl., § 27 Rn. 131). Es genügt daher vorliegend entsprechend § 170 Abs. 3 ZPO, dass das Urteil, das der Gemeinschaft zugestellt werden muss, nur einem Wohnungseigentümer zugeht.

Soweit das Gericht entschieden hat, das Urteil neben dem Prozessbevollmächtigten auf Beklagtenseite, an den Miteigentümer zuzustellen, erfolgt dies aus folgenden praktischen Erwägungen:

1. Die Vollmacht des Prozessbevollmächtigten auf Beklagtenseite lautet auf die WEG straße, vertreten durch ihren Verwalter, dessen Verwalterbestellung mit vorliegendem Urteil aber gerade für nichtig erklärt wurde. Die WEG dürfte daher nicht mehr wirksam durch den Herrn Rechtsanwalt M. vertreten sein.

2. Gegen die Zustellung des Urteils an den Miteigentümer ### für die Beklagte spricht, dass dieser als einer der gesamtvertretungsberechtigten Wohnungseigentümer im vorliegenden Prozess als Kläger auftritt. In Anlehnung zur höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht wegen des Verbots eines Insichprozesses führt dies dazu, dass der Kläger von der organschaftlichen Prozessvertretung gegen sich selbst ausgeschlossen ist und das Urteil für die Beklagte daher nicht an ihn zuzustellen ist.

3. Gegen die Zustellung des Urteils an den Miteigentümer ### für die Beklagte spricht, dass im Verlauf des Verfahrens die Versuche der Zustellung von Ladungen und Verfügungen an ihn persönlich gescheitert sind und auch keine aktuelle Anschrift mitgeteilt werden konnte.

4. Gegen die Zustellung des Urteils an den Prozessbevollmächtigten der vormaligen Hausverwaltung spricht wiederum, dass dieser – wie bereits oben ausgeführt – aufgrund der Niederlegung der Hausverwaltertätigkeit und da er dem Rechtsstreit auch nicht beispielsweise als Streithelfer beigetreten ist, gar nicht Partei des vorliegenden Rechtsstreits ist.

Es verbleibt daher aus praktischen Gründen der Miteigentümer ### als Adressat, an den das Urteil für die beklagte WEG L.str. 31, 6### P., zuzustellen ist.

IV.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Zwar wäre nach altem Recht eine Kostenauferlegung dergestalt denkbar gewesen, dass der Miteigentümer die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 49 Abs. 2 WEG a.F. nach dem Veranlasserprinzip trägt, da die Tätigkeit des Gerichts maßgeblich durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

Grob ist das Verschulden bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Handelnde die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten und sich aufdrängen müssen. Hierbei ist zwar auch zu berücksichtigen, ob es sich um einen erfahrenen Berufsverwalter oder um einen nicht professionell tätigen Verwalter aus der Reihe der Wohnungseigentümer handelt. Hier lag aber grobes Verschulden vor, weil der sich trotz Hinweis der vormaligen Hausverwaltung über das gesetzliche Verbot hinweggesetzt hat und sodann auch noch ultima ratio Beschlüsse (Entzug von Wohnungseigentum) in Abwesenheit aller weiteren Miteigentümer gefasst hat, ohne auch nur über etwaige Gründe hierfür zu informieren.

Diese Vorschrift wurde allerdings aufgehoben.

Das Gesetz in seiner aktuellen Fassung sieht nicht mehr vor, dass dem (ursprünglichen) Verwalter unabhängig von seiner Parteistellung Prozesskosten auferlegt werden können. Die Gesetzesbegründung rechtfertigt dies unter anderem mit dem kostenrechtlichen Vereinfachungsprinzip und damit, dass materiell-rechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Verwalter eigenständig im Klagewege verfolgt werden könnten (BT-Drucks. 19/18791 zu Teil 3 allgemein, S. 90).

2. Da der in der mündlichen Verhandlung vom 30.3.2022 anwesende Prozessbevollmächtigte der GmbH erklärt hat, dem Rechtsstreit nicht als Streithelfer auf Klägerseite beizutreten, war über seine Kosten nicht zu entscheiden.

3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

V.

Der Streitwert wurde gemäß § 49 GKG auf 4.000,- Euro festgesetzt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Mietrecht & WEG-Recht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Mietrecht und Wohneigentumsrecht. Vom Mietvertrag über Mietminderung bis hin zur Mietvertragskündigung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Rechtstipps aus dem Mietrecht

Urteile aus dem Mietrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!