OLG Dresden – Az.: 3 W 719/05 – Beschluss vom 29.07.2020
In dem Wohnungseigentumsverfahren hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung beschlossen:
1. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner zu 1) bis 3) wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 06.06.2005 (1 T 464/05) aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Antragsteller zu 1) und 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 07.04.2005 (Az.: 151 URII 30/05) wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsteller haben die Gerichtskosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
3. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller und die Antragsgegner sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft P Straße in L. Die Antragsgegnerin zu 1) ist Alleineigentümerin der Wohneinheiten 1, 2, 5, 8, und 10. Eigentümer der Wohneinheiten 7 und 9 sind Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die jeweils aus der Antragsgegnerin zu 1) und bezüglich der Wohneinheit 7 der Antragsgegnerin zu 2) bzw. bezüglich der Wohneinheit 9 der Antragsgegnerin zu 3) bestehen. Intern hält die Antragsgegnerin zu 1) in beiden Gesellschaften bürgerlichen Rechts einen Gesellschaftsanteil von 90% und die Antragsgegnerinnen zu 2) und 3) halten jeweils einen Gesellschaftsanteil von 10%.
Auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 28.12.2004 wurden die unter Punkt 3. und 4. der Tagesordnung vorgeschlagenen Beschlüsse mit drei Ja- und drei Nein-Stimmen jeweils nicht gefasst. Bei dieser Abstimmung hatten die Antragsteller (mit einem gemeinsamen Stimmrecht), die Antragsgegner zu 4) und zu 5) sowie die Antragsgegnerin zu 1) jeweils eine Stimme abgegeben. Darüber hinaus haben die für die Wohneinheiten 7 und 9 bestehenden Gesellschaften bürgerlichen Rechts ebenfalls jeweils eine weitere Stimme abgegeben.
Gegen vorgenannte Beschlüsse haben sich die Antragsteller mit dem Anfechtungsantrag und dem gleichzeitigen Antrag auf Feststellung, dass die genannten Beschlüsse mit einer Mehrheit von jeweils drei Ja- zu einer Nein-Stimme zustande gekommen sind, gewandt.
Das Amtsgericht Leipzig hat mit Beschluss vom 07.04.2005 die Anfechtungs-/Feststellungsanträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, den Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die Eigentümer der Wohneinheiten 7 und 9 seien, komme als eigenständigen Rechtsträgern jeweils ein eigenes Stimmrecht zu. Ein Übergewicht der Antragsgegnerin zu 1) innerhalb dieser Gesellschaften sei – im Unterschied zu zuvor bestehenden Bruchteilsgemeinschaften – nicht mehr erkennbar.
Hiergegen haben sich die Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde gewandt. Sie sind der Auffassung, die Antragsgegnerin zu 1) beabsichtige mit der Eintragung der Gesellschaften bürgerlichen Rechts in das Grundbuch ihre Stimmrechte „künstlich“ zu vervielfältigen. Den Gesellschaften bürgerlichen Rechts stünde deshalb aufgrund des internen Übergewichts der Antragsgegnerin zu 1) ein eigenes Stimmrecht nicht zu.
Mit Beschluss vom 06.06.2005 hat das Landgericht Leipzig auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller den Beschluss des Amtsgerichts abgeändert und dahingehend neu gefasst, dass festgestellt wird, dass die unter TOP 3 und TOP 4 der Eigentümerversammlung vom 28.12.2004 gefassten Beschlüsse mit drei Ja- zu einer Nein-Stimme mehrheitlich gefasst worden sind.
Gegen diesen ihnen am 08.06.2005 zugestellten Beschluss wenden sich die Antragsgegner zu 1) bis 3) mit der am 20.06.2005 eingelegten sofortigen weiteren Beschwerde.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf Abschnitt I des angefochtenen Beschlusses verwiesen. Hinsichtlich des Beschwerdevorbringens der Antragsgegner 1) bis 3) wird auf den Beschwerdeschriftsatz vom 05.07.2005 2005 Bezug genommen.
II.
1. Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 45 Abs. 1, 43 Abs. 1 WEG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Antragsgegner zu 1) bis 3) folgt gemäß § 20 FGG aus der angefochtenen Entscheidung, die den Gesellschaften bürgerlichen Rechts, denen die Antragsgegner angehören, ein eigenes Stimmrecht abspricht.
2. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht rechtsfehlerfrei (§ 27 FGG).
Zutreffend hat das Landgericht zunächst festgestellt, dass die einzelnen Personen verschiedener Rechtsgemeinschaften grundsätzlich als unterschiedliche „Köpfe“ im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 WEG anzusehen sind. Von diesem Grundsatz, der in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt ist (vgl. KG Berlin ZMR 2000, 191 f.; OLG Düsseldorf WuM 2004, 230 f.; KG Berlin WuM 1988, 324 f.; OLG Frankfurt ZMR 1997, 156; BayObLG ZMR 2002, 527), hat das Landgericht jedoch für diejenigen Fälle eine Ausnahme gemacht, in denen ein Wohnungseigentümer, der mehrere Wohnungseigentumsrechte auf sich vereinigt, eine Majorität durch Mehrfachberechtigung erhält, in dem er eine nur geringe Mitberechtigung einräumt und dabei das Wohnungseigentum wirtschaftlich nicht ausgliedert, sondern intern zu 90% wirtschaftlich an dieser neuen Rechtsgemeinschaft beteiligt bleibt. Diese Wertung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Grundsätzlich steht nach dem Kopfstimmprinzip jeder Rechtsgemeinschaft, die nicht personenidentisch mit anderen Wohnungseigentümern ist, ein eigenes Stimmrecht zu, das intern gemäß § 25 Abs. 2 S. 2 WEG nur einheitlich ausgeübt werden kann (OLG Frankfurt ZMR 1997, a.a.O.; KG Berlin WuM 1988, a.a.O.; OLG Düsseldorf WuM 2004, a.a.O.). Danach kommt zu dem Stimmrecht, das durch eine Alleinberechtigung an Wohnungseigentum begründet wird, ein weiteres Stimmrecht hinzu, das einer Rechtsgemeinschaft, welcher auch der alleinberechtigte Wohnungseigentümer angehört, an weiterem Wohnungseigentum zusteht (OLG Frankfurt ZMR 1997, 156).
Von dieser generellen Regelung macht die Rechtsprechung auch unter dem Aspekt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens keine Ausnahme. Zwar hat das Kammergericht diese Frage für Grenzfälle, in denen ein Wohnungseigentümer bezüglich einer weiteren Wohnung zu mehr als der Hälfte beteiligt ist und deshalb dort – nach internem Gemeinschaftsrecht – regelmäßig seinen Willen durchsetzen kann, ausdrücklich offen gelassen (WuM 1988, 324 f.). Das BayObLG (a.a.O.), das OLG Düsseldorf (a.a.O.) und das OLG Frankfurt (a.a.O.) gehen indes davon aus, dass dieser Aspekt keine andere Bewertung rechtfertige.
Der Senat sieht keinen Anlass von der so gefestigten oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen und nach § 28 Abs. 2 FGG zu verfahren. Für die geschilderte Sichtweise spricht der Wortlaut des Gesetzes. Gegen sie lässt sich nicht einwenden, dass der Zweck des § 25 Abs. 2 WEG verfehlt würde.
Ersteres folgt aus § 25 Abs. 2 WEG, der jedem Wohnungseigentümer, damit auch den Antragsgegnern zu 2) und 3) ein Stimmrecht einräumt. Letzteres hat das OLG Frankfurt (a.a.O.) überzeugend erläutert. Das Kopfstimmrecht hat Ausnahmecharakter. Der Streitfall belegt dies anschaulich. Der Antragsgegnerin zu 1) wäre es unbenommen gewesen, per Teilungserklärung das Stimmrecht nach Miteigentumsanteilen bzw. nach Einheiten vorzugeben. Es fehlt daher jede Rechtfertigung dafür, die geschilderte gesetzliche Vorgabe unter dem Aspekt des § 242 BGB einzuschränken. Hinzu kommt, dass sich allein so Schwierigkeiten der Gerichte bei der Aufklärung der Motivlage der Beteiligten, die neben dem Alleineigentum zur Bildung einer weiteren Rechtsgemeinschaft geführt hat, vermeiden lassen.
Überlegungen dieser Art sind vielmehr der Beschlussfassung im Einzelfall vorzubehalten. Zu Recht führen die genannten Oberlandesgerichte aus, dass der Einwand der übrigen Wohnungseigentümer, der „Mehrheitseigentümer“ missbrauche sein Stimmenübergewicht dazu, einen ihm genehmen Beschluss herbeizuführen, im Einzelfall – insbesondere mit Blick auf die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung – zu überprüfen sei.
Vorliegend ist, wie das Landgericht überzeugend ausführt, ein solcher Missbrauch nicht vorgebracht. Von daher konnte auch mit dieser Überlegung der Erstbeschwerde nicht entsprochen werden.
Der angefochtene Beschluss des Landgerichts beruht somit auf einer Verletzung des Rechts im Sinne des § 27 FGG. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner zu 1) bis 3) war deshalb der angefochtene Beschluss des Landgerichts aufzuheben und die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Amtsgerichts als unbegründet zurückzuweisen.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 47 S. 1 WEG. Es entspricht billigem Ermessen, die Entscheidung über die Gerichtskosten am Ausgang des Verfahrens zu orientieren. Für eine Erstattungsanordnung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten nach Billigkeitsgesichtspunkten besteht dagegen keine Veranlassung.
Der Geschäftswert wurde in Übereinstimmung mit dem Landgericht gemäß § 48 Abs. 3 WEG auf 2.000,00 Euro festgesetzt.