AG Hanau – Az.: 32 C 310/11 – Urteil vom 29.03.2012
Die Beklagten werden verurteilt, die auf der Fensterbank im Innenbereich der Wohnung befindliche Videokamera im Objekt I. in XXXXX L. zu entfernen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500,00 €.
Tatbestand
Die Kläger begehren von den Beklagten die Entfernung einer auf der Fensterbank ihres Küchenfensters befindlichen Videokamera.
Die Parteien sind Miteigentümer der aus Reihenhäusern bestehenden Wohnungseigentumsanlage I. in L.. Der Beklagte zu 2. erstattete in der Vergangenheit viermal Strafanzeige gegen den Beklagten zu 2. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Beleidigung wurde seitens der Staatsanwaltschaft auf den Privatklageweg verwiesen. Im März 2011 beschmierten unbekannte Dritte die Fassade des Reihenhauses der Beklagten mit Farbe. Die Beklagten vermuteten, dass der oder die Täter aus der unmittelbaren Umgebung stammten und stellten darauf hin auf die innere Fensterbank der Küche ihres Reihenhauses eine Videokamera (Digital Video Camera Recorder Digital 8 DCR-TR7000E/TR7100E der Marke Sony), die nunmehr auf den Bereich vor dem Haus gerichtet ist, um auf diese zuzugreifen, wenn erneut Tätlichkeiten gegen ihr Reihenhaus durchgeführt werden sollten. Die Kamera schaltet sich nach 5 Minuten automatisch aus, wenn sie auf „Standby“ geschaltet ist. Ursprünglich war die Kamera auf den Fußweg, der zu den Reihenhäusern der übrigen Miteigentümer führt, gerichtet. Von außen ist nicht erkennbar, ob die Kamera eingeschaltet ist und aufzeichnet oder nicht. Der Kläger oder die Klägerin klebten einen Zettel an die Küchenfensterscheibe der Beklagten mit der Aufschrift „Ist das legal?“. Die Kläger selbst und auch deren Prozessbevollmächtigte forderten die Beklagten schriftlich zur Entfernung der Videokamera auf. Darauf hin bekundete der Beklagte zu 2. gegenüber dem Kläger „du und dein schwachsinniger Anwalt, dieser Arsch, könnt mich mal […]“. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten 14.07.2011 erteilten die Beklagten den Klägern ein Hausverbot und forderten sie auf, wegen einer Beleidigung durch die Titulierung „Du Arschloch“ bis zum 22.07.2011 ein Schmerzensgeld in Höhe von 300,00 € zu zahlen.
Die Kläger sind der Ansicht, bereits die objektiv bestehende Möglichkeit dauernder Beobachtung und der Weiterverwendung der gespeicherten Bilder stelle eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung dar, einen nicht hinzunehmenden Nachteil im Sinne von § 14 Nr. 1 WEG. Der Maßnahme stünden überwiegende schutzwürdige Interessen nicht entgegen. Im Übrigen komme es nicht darauf an, ob es sich um eine fest installierte Kamera oder um eine Kamera Attrappe handele.
Die Kläger beantragen, die Beklagten zu verurteilen, die auf der Fensterbank im Innenbereich der Wohnung befindliche Kamera im Objekt I. in XXXXX L. zu entfernen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, da es sich nicht um eine fest installierte Videokamera handele, sei diese gestattet, um rechtswidrig strafrechtlich relevantes Verhalten dokumentieren zu können. Dass bei einer solchen Aufnahme dann möglicherweise Dritte mit aufgezeichnet werden, sei unerheblich, denn das bloße Risiko einer Beeinträchtigung sei noch keine Beeinträchtigung. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch eine Kamera beeinträchtige das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht. Wenn es den Beklagten tatsächlich verboten wäre, eine Kamera auf ein Innenfenster zu deponieren, dann dürfte dies gleichermaßen auch für ein Handy gelten, mit dem man auch bei Bedarf Fotos und Aufnahmen machen könne.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Kläger haben gegen die Beklagten einen Anspruch auf Entfernung der auf der Küchenfensterbank befindlichen Videokamera aus § 1004 BGB iVm §§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 3 WEG.
Den Beklagten entsteht durch die auf der Fensterbank deponierte Kamera ein Nachteil im Sinne des § 14 Nr. 1 WEG.
Nach § 15 Abs 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer einen Gebrauch der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile und es gemeinschaftliche Eigentums verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen und soweit sich die Regelung hierzu nicht ergibt, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Nach § 14 Nr. 1 WEG ist jeder Wohnungseigentümer verpflichtet, von dem Sondereigentum und dem gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. „Unter einem Nachteil in diesem Sinne ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung zu verstehen. Nur konkrete und objektive Beeinträchtigungen gelten als ein solcher Nachteil; entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann“ (BGH Urteil vom 21.10.2011, Az V ZR 265/10, Rn 8, zitiert nach juris). Auch wenn es sich vorliegend nicht um eine bauliche Veränderung handelt, liegt hier durch das Aufstellen der Kamera auf der Küchenfensterbank eine Beeinträchtigung vor, die das Maß des Zulässigen nach § 14 Nr. 1 WEG überschreitet. „Ob eine Beeinträchtigung im Sinne des § 14 Nr. 1 WEG erheblich ist, erfordert in der Regel eine Interessenabwägung, in deren Rahmen auch betroffene Grundrechte fallbezogen einzubeziehen sind“ (LG Köln, Urteil vom 25.11.2011, Az 29 S 88/10, Rn 36, zitiert nach juris). „Einem Grundstückseigentümer ist es grundsätzlich gestattet, zum Schutz vor unberechtigten Übergriffen auf sein Eigentum seinen Grundbesitz mit Videokameras zu überwachen, sofern diese nicht den angrenzenden öffentlichen Bereich oder benachbarte Privatgrundstücke, sondern allein das Grundstück des Eigentümers erfassen. […] Allerdings kann auch bei der Ausrichtung von Überwachungskameras allein auf das eigene Grundstück des Grundstückseigentümers das Persönlichkeitsrecht Dritter beeinträchtigt sein. Dies ist dann der Fall, wenn Dritte eine Überwachung durch die Kameras objektiv ernsthaft befürchten müssen. Eine solche Befürchtung ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch eine Videokamera beeinträchtigt das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, hingegen nicht. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls“ (BGH Urteil vom 21.10.2011, Az V ZR 265/10, Rn 9, zitiert nach juris). Im vorliegenden Fall lassen konkrete Gründe es nachvollziehbar erscheinen, dass die Kläger befürchten, die Beklagten könnten den gemeinsamen Zuweg (teilweise) überwachen. Das es technisch möglich ist, mit einer Videokamera länger aus 5 Minuten Aufzeichnungen zu machen ist üblich. Dass dies bei der streitgegenständlichen Kamera ebenfalls der Fall ist, ergibt sich aus Seite 23 der durch den Beklagtenvertreter nur in Auszügen vorgelegten Bedienungsanleitung. So gibt es bei der streitgegenständlichen Kamera (wie bei Videokameras allgemein üblich) zwei Modi in denen Aufzeichnungen gefertigt werden können. Im Normalbetrieb startet die Aufnahme beim ersten Drücken von START/STOP und stoppt bei erneutem Drücken. Aufnahmen sind dann auch ohne das in der Hand halten der Kamera für lange Zeit möglich und nur durch die Kassettenlänge begrenzt. Nur im ANTI GROUND SHOOTING nimmt die Kamera nur so lange auf, wie START/STOP gedrückt gehalten wird. Der Einwand der Beklagten, die Kamera würde sich im Standby-Modus nach 5 Minuten von selbst ausschalten verfängt nicht, denn während einer Aufnahme befindet sich eine Videokamera nicht im Standby-Modus, sondern im Aufnahme (Record)-Modus. Wenn sich die Kamera während der Aufzeichnung nach 5 Minuten von selbst ausschalten würde, wäre das für Videokameras auch unüblich und würde ihrem Zweck gänzlich zuwider laufen. Selbst wenn dem jedoch so wäre, ist auch nach dem Beklagtenvortrag eine Aufzeichnung von 5 Minuten möglich. Dass der Aufzeichnungsvorgang mehrfach hintereinander in Gang gesetzt werden kann ist selbstredend und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Wie die Beklagten mit derart hergestellten Bildaufzeichnungen verfahren, steht in dem durch die Kläger gänzlich unkontrollierbaren Belieben der Beklagten. Von außen ist nicht erkennbar, ob die Kamera aufnimmt oder nicht. Ebenso ist nicht erkennbar, welche Bereiche die Kamera aufnimmt. Die Erfassung auch des gemeinsamen Zuwegs zur Wohnungseigentumsanlage kann durch einen äußerlich nicht wahrnehmbaren Handgriff in Form einer leichten Drehung der Kamera erreicht werden. Unstreitig war die Kamera kurz nach dem Aufstellen auf der Fensterbank auf den gemeinsamen Zuweg gerichtet. Bereits eine geringfügig andere Ausrichtung, die von außen nicht auffällig sein muss, kann einen erheblich anderen Aufnahmewinkel zur Folge haben. Das Verhältnis der Parteien ist zerrüttet. Die Beklagten haben gegen den Kläger zu 2. bereits mehrfach Strafanzeige, unter anderem wegen Beleidigung, erstattet. Die Parteien bezeichneten ihr Verhältnis in den gewechselten Schriftsätzen übereinstimmend als „vergiftet“ (Klageschrift vom 23.08.2011, Bl. X d.A., Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 18.11.2011, Bl. XX d.A.) und betitulieren sich gegenseitig mit Schimpfwörtern. Die Befürchtung der Kläger, die Beklagten könnten den gemeinsamen Zuweg (zumindest teilweise) überwachen, ist demnach anhand konkreter Gründe nachvollziehbar.
Das Interesse der Beklagten an dem Schutz ihres Eigentums vor Vandalismus bzw. der Beweissicherung ist zwar verständlich, allerdings tritt das Interesse eines Wohnungseigentümers, sein Eigentum vor Beschädigungen durch Dritte zu schützen, hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der anderen Miteigentümer zurück (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.01.2007, Az I-3 Wx 199/06, zitiert nach juris). Zwar folgt aus dem in Art. 14 Abs. 1 GG normierten Grundrecht auch das Recht, geeignete Schutzmaßnahmen für das Grundeigentum zu ergreifen, jedoch darf dies nicht in unverhältnismäßiger Weise auf Kosten des Eingriffs in hochrangige Rechtsgüter unbeteiligter Dritter geschehen (vgl. BGH Urteil vom 25 04.1995, Az VI ZR 272/94, zitiert nach juris). Nach dem Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 01.03.2012 wurde die Videokamera zur Abschreckung und zur Beweissicherung aufgestellt. Vorliegend kann eine Abschreckung jedoch auch durch das Anbringen einer fest installierten Kamera erreicht werden, die ausschließlich auf das Sondereigentum der Beklagten gerichtet ist und bei der eine Erfassung des gemeinsamen Zuwegs nur durch äußerlich wahrnehmbar technische Veränderungen der Anlage möglich ist. Da nach dem Beklagtenvortrag die Kamera in dem Zeitpunkt manuell eingeschaltet werden soll, in dem das Eigentum der Beklagten beschädigt wird, ist nicht verständlich, warum die Kamera nicht in der Nähe der Fensterbank deponiert werden kann, wie es im Rahmen der Vergleichsverhandlungen durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung vorgeschlagen wurde. Das Hervorholen der neben der Fensterbank deponierten Kamera würde die Aufnahme nur um wenige Sekunden verzögern und der Beweissicherung nicht abträglich sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.