Skip to content
Menü

WEG – Wann entspricht ein Beschluss der ordnungsmäßigen Verwaltung?

LG Frankfurt/Main – Az.: 2-13 S 84/19 – Beschluss vom 08.04.2020

In dem Rechtsstreit hat die 13. Zivilkammer des LG Frankfurt/Main am Main am 8.4.2020 beschlossen:

Nach Erledigung des Rechtsstreits werden die Kosten des Rechtsstreits wie folgt verteilt: Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Kläger zu 10% und die Beklagten zu 90%. Die Kosten dieses Berufungsverfahrens tragen die Kläger zu 60 % und die Beklagten zu 40 %.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 1.000 Euro und für die erste Instanz auf bis zu 9.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des Berufungsverfahrens war lediglich noch die Auseinandersetzung der Parteien bezüglich eines Walnussbaums. Die Eigentümer hatten ein Gutachten über verschiedene Bäume eingeholt, welches bezüglich des streitgegenständlichen Baumes zu dem Ergebnis kam, dieser sei „nach Maßnahmen verkehrssicher“ und als Maßnahme eine Fällung, alternativ eine Totholzbeseitigung und Kroneneneinkürzung empfahl. Mit den angefochtenen Beschlüssen (Nr. 7 und 8 zu TOP 12) wurde ein Antrag der Kläger auf Fällung des Baums abgelehnt und die Kroneneinkürzung und Totholzbeseitigung beschlossen.

Neben der Anfechtung dieser Beschlüsse haben die Kläger – was nach Berufungsrücknahme nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens war – eine Beschlussersetzung dahingehend begehrt, dass eine Baumfällung angeordnet wird. Ein vom Amtsgericht eingeholtes Sachverständigengutachten kam zu dem Ergebnis, dass jedenfalls zum Zeitpunkt der Begutachtung eine Kroneneinkürzung die bestehende Bruchgefahr nicht beseitige, so dass eine Fällung erforderlich sei. Entsprechend hat das Amtsgericht den Beschluss antragsgemäß ersetzt und die angefochtenen Beschlüsse für ungültig erklärt.

Im Berufungsverfahren ist der Rechtsstreit bezüglich der Anfechtung der vorgenannten Beschlüsse für erledigt erklärt worden.

II.

1. Die Berufung im Hinblick auf die vom Amtsgericht angeordnete Beschlussersetzung haben die Beklagten zurückgenommen, so dass sie insoweit die Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben (§ 516 Abs. 3 ZPO). …

2. Im Hinblick auf die Anfechtung der Beschlüsse Nr. 7 und 8 zu TOP 12 beruht die Kostenentscheidung auf § 91a ZPO. Insoweit war nach summarischer Prüfung nur noch über die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91a ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dies führt zu einer Auferlegung insoweit auf die Kläger, denn die Anfechtungsklage hätte keinen Erfolg gehabt. Die Kläger haben keine hinreichenden Gründe vorgetragen, die bei summarischer Prüfung zu der Wertung geführt hätte, dass die Beschlussfassungen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Versammlung nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen haben. Damit wären die Kläger insoweit aller Voraussicht nach unterlegen.

Die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der gefasste Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, maßgeblich ist, ist allerdings umstritten. Der BGH hat diese Frage jüngst offengelassen (BGH NJW 2018, 328 Rn. 26).

Teils wird, wie dies auch das Amtsgericht getan hat, vertreten, entscheidend sei der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, da das Gericht eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle vorzunehmen habe (AG Hamburg ZMR 2011, 758; BeckOGK/Greiner, 1.12.2019, WEG § 26 Rn. 102.1; ders. FS Riecke 2019, S. 133, 142 f. auch mit ausführlichem Hinweis auf die unterschiedliche Sichtweise im Verwaltungsrecht; Staudinger/Lehmann-Richter (2018) WEG § 21, Rn. 103; ders. FS Riecke 2019, S. 287, 292 f.).

Demgegenüber wird andererseits auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung der Eigentümer abgestellt, da deren Willensbildung im Beschlussanfechtungsverfahren einer Überprüfung unterzogen wird, wobei häufig auf den möglichen Erkenntnisstand eines besonnenen Wohnungseigentümers unter Ausschöpfung aller zu diesem Zeitpunkt zugänglichen Erkenntnisquellen abgestellt wird (KG ZMR 2005, 470; LG Itzehoe ZWE 2016, 420; AG Hamburg-Blankenese ZMR 2012, 405; Bärmann/Merle § 21 Rn. 27a; Jennißen/Schultzky § 23 Rn. 177a; Jennißen/Suilmann § 46 Rn. 163a; Riecke/Schmid/Abramenko § 46 Rn. 42).

Die Kammer hat bisher, ohne dies näher zu problematisieren, ebenfalls auf den Zeitpunkt der Versammlung abgestellt, hieran hält sie fest. Gegenstand der Anfechtungsklage ist die gerichtliche Überprüfung der Beschlussfassung durch die Eigentümer.

Maßgeblich ist daher die Situation zum Zeitpunkt der Versammlung. Eine spätere Veränderung der Situation im Anfechtungsverfahren kann nicht dazu führen, dass ein ursprünglich rechtmäßiger Beschluss nachträglich rechtswidrig wird oder umgekehrt. Der BGH hat insoweit bereits für die Situation einer Gesetzesänderung entschieden, dass maßgeblich die Rechtslage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ist (BGH NJW 2009, 999 Rn. 12). Dies gilt indes nicht nur für Änderungen der objektiven Rechtslage, sondern auch für Änderungen der Tatsachen, welche die Eigentümer ihrer Entscheidung zu Grunde legten. Denn die Eigentümer haben bei fast allen Beschlüssen – so auch hier – einen weiten Ermessensspielraum. Demzufolge ist es Aufgabe des Gerichts vor allem zu prüfen, ob die Beschlussfassung dies berücksichtigt, also insbesondere die Eigentümer ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt haben und sie die Entscheidung auf einer hinreichend sicheren Tatsachengrundlage getroffen haben (vgl. BGH ZMR 2012, 885 Rn. 20 f.; NJW 2015, 1378 Rn. 12; ZMR 2016, 49 Rn. 47; st. Rspr.).

Fehlt es hieran, entspricht der Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung und ist selbst dann für ungültig zu erklären, wenn er sich – zufällig – im Rahmen des den Eigentümern zustehenden Ermessens bewegt hat. Denn es ist Aufgabe der Eigentümer und nicht des Gerichts darüber zu befinden, welche der möglichen Maßnahmen im Rahmen des Ermessensspielraums getroffen wird (Kammer WuM 2017, 353). Dass die Beschlussfassung sich im Nachhinein als eine objektiv ordnungsgemäße Maßnahme darstellt, führt nämlich nicht dazu, dass – abgesehen von dem Fall eines fehlenden Ermessens – die Eigentümer sich bei sachgerechter Aufklärung ihres Handlungsspielraums genau für diese Maßnahme hätten entscheiden müssen. Hieraus folgt aber auch, dass eine nachträgliche Änderung der Sachlage, die etwa dazu führt, dass sich die ursprüngliche Prognoseentscheidung nicht als zutreffend erweist, nicht zu einer (nachträglichen) Rechtswidrigkeit des Beschlusses führt.

Ob die Prognoseentscheidung selbst sachgerecht war, ist im Anfechtungsverfahren anhand der vorgetragenen Anfechtungsgründe zu prüfen. Daher teilt die Kammer nicht die Auffassung, dass insoweit ein verobjektivierter Kenntnisstand eines besonnenen Wohnungseigentümers maßgeblich sei (so dem LG Itzehoe ZWE 2016, 420 folgend u.a. Bärmann/Merle § 21 Rn. 27a). Inwieweit die Eigentümer ihre Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft haben, ist alleine bei der Beurteilung der Frage zu prüfen, ob die Beschlussfassung auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage erfolgt ist und daher insbesondere eine Ermessensentscheidung sachgerecht getroffen werden konnte (vgl. BGH ZMR 2012, 885 Rn. 20 f.; NJW 2015, 1378 Rn. 12; ZMR 2016, 49 Rn. 47; st. Rspr). War dies nicht der Fall, entspricht der Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Damit eine entsprechende Anfechtungsklage Erfolg hat, ist es aber erforderlich, dass dieser Anfechtungsgrund innerhalb der Anfechtungsbegründungsfrist vorgetragen wird (§ 46 Abs. 1 S. 2 WEG). Das Gericht ist daher nicht befugt, von Amts wegen zu ermitteln, welche Kenntnisse ein besonnener Wohnungseigentümer hätte haben können und ob die gefasste Beschlussfassung auch bei Zugrundlegung dieser Erkenntnisse noch ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Eine derartige Prüfung ist mit der Struktur der Anfechtungsklage (§ 46 Abs. 1 WEG) und der Dispositionsbefugnis des Klägers über die Anfechtungsgründe (BT-Drs. 16/887 S. 38) unvereinbar.

Ohne Relevanz für die vorliegende Konstellation ist, dass für die Beschlussersetzungsklage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist. Im Gegenteil, auch hier sind die maßgeblichen Beurteilungspunkte identisch. Denn bei der Beschlussersetzungsklage wird das Gericht an Stelle der untätigen Eigentümer tätig und muss (natürlich) – wie die Eigentümer – den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Beschlussfassung berücksichtigen, dies ist im Zivilprozess der Sachstand der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen. Dabei kommt es in beiden Fällen auf die Beurteilungslage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung an.

Zwingende Unzuträglichkeiten im Falle einer Veränderung des Erkenntnisstandes der Eigentümer sind damit allerdings nicht verbunden. Ändert sich durch nachträgliche Erkenntnisse, die den Eigentümern nicht bekannt waren und zu deren Erhebung sie im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung auch nicht gezwungen waren, die Sachlage, ist es Sache der Eigentümer erneut einen Willen dahin zu bilden, ob sie an dem Beschluss festhalten oder nicht (LG Itzehoe aaO). Führen die neuen Erkenntnisse dazu, dass der bisherige Beschluss sich als nachträglich unvertretbar erweist, wird in aller Regel eine Abänderung des Beschlusses ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen (dazu BGHZ 195, 22 Rn. 16 f.; Abramenko ZWE 2007, 336). Damit wird durch diese Auslegung auch der Vorrang der Eigentümer bei der Willensbildung beachtet. Denn die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ist Aufgabe der Eigentümer und diese müssen Gelegenheit haben, den ihnen nahezu immer zustehenden Gestaltungsspielraum auszunutzen (vgl. BGH NJW 2019, 3780 Rn. 15). Für die bestehende Änderungsmöglichkeit, die sich sogar zu einer Verpflichtung auf Änderung des Beschlusses verdichten kann, kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob der Beschluss angefochten wurde. Denn aufgrund neuer Erkenntnisse kann auch ein bestandskräftiger Beschluss abgeändert werden. Damit ist bei dieser Auffassung sichergestellt, dass es nicht von der zufälligen Anfechtung eines Beschlusses abhängt, ob im Nachhinein noch Änderungen der Sachlage berücksichtigt werden können oder nicht.

Kommt es damit auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung an, wäre bei der gebotenen summarischen Prüfung die Anfechtungsklage aller Voraussicht nach ohne Erfolg geblieben. Die Eigentümer haben ihre Entscheidung nach Einholung eines Gutachtens getroffen und sich dabei zwischen den beiden Alternativen des Gutachtens dafür entschieden, den Baum am Leben zu erhalten. Damit haben die Eigentümer auf einer hinreichend sicheren Tatsachengrundlage entschieden. Dies wird mit der Anfechtungsbegründung indes auch nicht in Abrede gestellt, sondern die Kläger haben lediglich aus dem Gutachten andere Schlüsse für die als sinnvoll erachteten Maßnahmen gezogen. Damit kann die Anfechtungsklage aber keinen Erfolg haben, denn die Entscheidung der Eigentümer war nicht ermessensfehlerhaft. Soweit sich die Anfechtungskläger gegen die Beschlussfassung mit dem Argument wandten, dass die beschlossene Maßnahme höhere Kosten versursacht hätte und lediglich eine vorübergehende Lösung gewesen wäre, so hätte dies ebenfalls nicht zur Ungültigerklärung des Beschlusses geführt, denn auch eine vorübergehende mit höheren Kosten verbundene Erhaltung des Baums wäre vom Ermessensspielraum der Eigentümer gedeckt gewesen.

3. Nach alledem ergibt sich – auch unter Berücksichtigung des bereits rechtskräftigen Teilurteils – die austenorierte Kostenquote, wobei die unterschiedlichen Erfolge und die Beteiligung zu berücksichtigen waren. Gründe die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor. Zwar ist die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Anfechtungsklage umstritten, im Verfahren nach § 91a ZPO darf die Rechtsbeschwerde allerdings nicht aus materiellen Gründen zugelassen werden.

4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 49a GKG. Für das Schlussurteil beträgt der Streitwert bis 1.000 Euro, dabei geht das Gericht von dem hälftigen Mittelwert der in der mündlichen Verhandlung genannten Werte für die Kroneneinkürzung und Fällung genannten Werte aus. Die Werte für die Anfechtungsklage und die Klage auf Beschlussersetzung sind nicht zu addieren, denn es handelt sich inhaltlich um den gleichen Gegenstand, da sich die Kroneneinkürzung und die Fällung ausschließen (§ 3 ZPO).

Hinsichtlich des Teilurteils hat die Kammer bereits den Streitwert mit bis zu 8.000 Euro festgesetzt (Beschluss vom 5.9.2019), die Addition ergibt einen Streitwert von bis zu 9.000 Euro.

Für die erste Instanz macht die Kammer von der Möglichkeit des § 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG Gebrauch.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Mietrecht & WEG-Recht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Mietrecht und Wohneigentumsrecht. Vom Mietvertrag über Mietminderung bis hin zur Mietvertragskündigung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Rechtstipps aus dem Mietrecht

Urteile aus dem Mietrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!