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Widerrufsrecht des Mieters hinsichtlich eines gerichtlichen Räumungsvergleichs

AG Hanau, Az.: 34 C 223/15 (14), Beschluss vom 10.08.2015

In dem Rechtsstreit wird der sofortigen Beschwerde des Beklagten vom 04.08.2015 nicht abgeholfen und diese dem Landgericht Hanau zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

Zur Begründung wird zunächst auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses verwiesen. Auch der weitere Vortrag in der Beschwerdeschrift führt zu keinem anderen Ergebnis.

I.

Zwischen den Parteien ist unter dem 21.04.2010 ein Wohnraummietverhältnis über die streitgegenständliche Wohnung in Hanau begründet worden.

In einem zwischen den Parteien vor dem Amtsgericht Hanau geführten Räumungsrechtsstreit wegen vermeintlicher Störung des Hausfriedens durch den Kläger (Az. 34 C 303/14) haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2014, in welcher eine Angestellte der Beklagten, sowie der Kläger und dessen Prozessbevollmächtigter anwesend waren, einen Vergleich ohne Widerrufsvorbehalt geschlossen. Hiernach hat sich der Kläger verpflichtet, die Mietsache zum 30.06.2015 zu räumen. Der Vergleich wurde von dem Vorsitzenden Richter protokolliert und vorgespielt, sowie von den Parteien genehmigt. Eine Widerrufsbelehrung wurde ebenso wenig erteilt, wie eine Belehrung über das Entfallen der Informationspflichten nach § 312d Abs. 1 BGB aufgrund der richterlichen Beurkundung des Vergleichs.

Mit am 08.06.2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger den Widerruf des Vergleichs gem. § 355 BGB erklärt.

Der Beklagte begehrt nunmehr die Fortführung des Verfahrens.

II.

Der Antrag ist zurück zu weisen, da der Rechtsstreit durch den gerichtlichen Vergleich vom 02.12.2004 beendet worden ist.

Dem Kläger steht hinsichtlich des gerichtlichen Räumungsvergleichs kein Widerrufsrecht gem. §§ 312ff., 355 BGB zu.

Nach der Neufassung der Verbraucherschutzvorschriften mit der am 13.06.2014 in Kraft getretenen Gesetzesänderung (Gesetz vom 20.09.2013, BGBl. I 2013, 3642) zur Umsetzung der Verbraucherrecht-Richtlinie 2011/83/EU vom 25.10.2011 sind Verträge über die Vermietung von Wohnraum vom Anwendungsbereich der Widerrufsvorschriften gem. § 312 Abs. 4 Satz 1 BGB erfasst. Der Prozessvergleich ist aufgrund seiner Doppelnatur zugleich ein privatrechtlicher Vergleichsvertrag gem. § 779 BGB und daher von den Vorschriften über das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen (Hau NZM 2015, 435 (440)).

Der Vertragsschluss im Gerichtssaal fällt aufgrund der nicht mehr enumerativen Aufzählung der Vorregelung, sondern der nunmehr nur Geschäftsräume ausschließenden Neufassung der §§ 312bund 312g Abs. 1 BGB auch unter den räumlichen Anwendungsbereich. Der Gesetzgeber hat von der in der Richtlinie im Rahmen der Vorschriften zu dem Anwendungsbereich (Art. 3) enthaltenen Ausnahme für Verträge, die vor einem zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verpflichteten öffentlichen Amtsträger geschlossen werden (Abs. 3 lit. i), keinen Gebrauch gemacht.

Der Kläger war persönlich anwesend (§ 312b Abs. Satz 1 Nr. 1 BGB), die Beklagte, vertreten durch ihre Angestellte, ebenso (§ 312b Abs. 1 Satz 2 BGB).

Es ist auch von einem entgeltlichen Vertrag iSd. § 312 Abs. 1 BGB auszugehen. Zwar hat sich der Kläger lediglich einseitig zur Räumung der Mietsache verpflichtet, so dass eine Leistung der Beklagten unmittelbar nicht ersichtlich ist. Tatsächlich haben die Parteien jedoch über das Bestehen oder Nichtbestehen des Mietverhältnisses gestritten. Da somit Ungewissheit über den Vertragsbestand herrschte, kommt der Vergleich einem Mietaufhebungsvertrag nahe. Ein solcher ist jedoch ein entgeltlicher Vertrag iSd. Vorschrift. Das ergibt sich zwar nicht direkt aus dem Wortlaut des § 312 Abs. 4 Satz 1 BGB, da die Vorschrift nur den Vertragstyp bestimmt, der einem Widerrufs recht überhaupt zugängig sein kann. Das sagt aber nichts darüber aus, ob die konkrete Vereinbarung ihrerseits entgeltlich ist. Allerdings sollten bereits nach altem Recht mit Blick auf die Richtlinie 85/577/EWG auch einseitig verpflichtende Verträge des Verbrauchers hiervon erfasst sein (BGH, Urteil vom 09.03.1993 – XI ZR 179/92 – BeckOnline). Hinzu kommt, dass der Mietaufhebungsvertrag letztlich das Spiegelbild des entgeltlichen Mietvertrages ist. Während ersterer die entgeltliche Leistung des Vermieters, die Zurverfügungstellung der Mietsache, begründet, hebt der Aufhebungsvertrag diese Pflichten auf, so dass der Vermieter als Gegenleistung die Befreiung von der Miete erhält und der Aufhebungsvertrag nicht anders bewertet werden kann. Hiervon geht auch die Gesetzesbegründung aus (BT-Drucks 17/12637 S. 48; ebenso Horst DWW 2015, 2 (4/7); Mediger NZM 2015, 185 (188/189)).

Der Kläger ist bei Vertragsschluss auch als Verbraucher iSd. § 13 BGB anzusehen, obwohl er durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten war. Auch wenn der Verbraucher sich eines in der Sache professionellen Beraters/Vertreters bedient, wird dessen Unternehmereigenschaft dem Verbraucher nach herrschender Ansicht nicht zugerechnet, es kommt nach wie vor auf den Vertretenen an (Bamberger in Beck’scher Online-Kommentar BGB; Hrsg: Bamberger/Roth, § 13 Rn. 7; Bernd Kannowski in Staudinger BGB Neubearbeitung 2013 § 13 Rn. 38; Hau NZM 2015, 435 (441); Micklitz in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 13 Rn. 25; wohl auch Gsell WuM 2014, 375 (378/379); a.A. Mediger NZM 2015, 185 (189)).

Das Widerrufsrecht ist jedoch gem. § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB ausgeschlossen.

Demnach steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nicht zu, wenn der Vertrag notariell beurkundet wurde. Der Beurkundung steht die richterliche Protokollierung gem. § 127a BGB gleich.

So hiergegen eingewendet wird, die Regelung des § 312 Abs. 2 Nr. 1 b) BGB sei vorrangig und von der Ausschlussbestimmung des § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB nicht erfasst (Hau NZM 2015, 435 (440)), kann das nicht überzeugen.

§ 312 BGB bestimmt lediglich den Anwendungsbereich der nachfolgenden Vorschriften, trifft jedoch keine Aussage darüber, welche Rechtsfolgen unter welchen konkreten Umständen eintreten. Das bestimmt ausdrücklich erst § 312g BGB, denn diese Regelung erklärt letztlich und stringent die vorgehenden Anwendungsbestimmungen abschließend (so dass das Argument von Hau, die Systematik würde das Gegenteil hergeben, nicht greift, vgl. (Hau NZM 2015, 435 Fn. 47)), wann ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB besteht. Alleine diese Norm stellt somit heraus, unter welchen Voraussetzungen ein Widerrufsrecht vorliegt und erklärt in Abs. 2 Nr. 13 ausdrücklich, dass notariell beurkundete Verträge nicht hierunter fallen.

Auch die Gesetzesbegründung führt zu keinem anderen Ergebnis. Bereits in dem Entwurf der Bundesregierung vom 06.03.2013 (BT-Drucks 17/12637 S. 57) lautet es:

„Da beurkundungspflichtige Verträge nach § 312 Absatz 2 Nummer 1 von dem Anwendungsbereich der Vorschriften über außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge ausgeschlossen sind, hat die Ausnahme vom Widerrufsrecht grundsätzlich nur für die Verträge Bedeutung, die notariell beurkundet werden, obwohl keine entsprechende Pflicht besteht.“

Zu diesem Zeitpunkt der Entwurfsfassung vom 06.03.2013 war die Regelung des § 312 Abs. 2 Nr. 1 b) zwar noch nicht im Entwurf enthalten, die gesetzgeberische Intention ist jedoch bzgl. der Ausschlusswirkung des § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB eindeutig, und zwar dahingehend, dass sie sich auch auf nicht gesetzlich vorgeschriebene Beurkundungen bezieht.

§ 312 Abs. 2 Nr. 1 b) BGB ist erst durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 12.06.2013 (BT-Drucks 17/13951) aufgenommen worden, führte jedoch zu keiner Änderung, da der Anwendungsbereich zwar erweitert wurde, die fehlende Information jedoch wegen der nach wie vor vorrangigen Regelung des § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB folgenlos bleibt. So der Empfehlungsbericht (BT-Drucks 17/13951, S. 62):

„Anders als hinsichtlich der Informationspflichten kommt es für das Entfallen des Widerrufsrechts im Ergebnis nicht darauf an, dass der Notar einen solchen Hinweis erteilt hat. Fehlt es an einem solchen Hinweis, entfällt das Widerrufsrecht auf Grund der dann anwendbaren Regelung des § 312g Absatz 2 Nummer 13- neu -.“

Maßgeblich ist somit alleine § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB, nach dem die Beurkundung des Vergleichs das Widerrufsrecht entfallen lässt. Da § 312 Abs. 2 Nr. 1 b) BGB wie dargelegt nichts Gegenteiliges sagt, besteht zwischen den Normen kein Spannungsverhältnis, auch, wenn der Regelungszusammenhang, wie Streyl (NZM 2015, 433 (435)) es kurz und prägnant auf den Punkt gebracht hat, nicht sogleich verständlich ist.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 312 Abs. 2 Nr. 1 b), 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB.

Das Prinzip richtlinienkonformer Auslegung folgt aus dem Umsetzungsgebot des Art. 288 Abs. 3 AEUV und dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue gem. Art. 4 Abs. 3 EUV. Es bewirkt die Angleichung des nationalen Rechts an das Unionsrecht dort, wo das Unionsrecht dieses intendiert. Zur Förderung der Umsetzung europäischer rechtlicher Vorgaben sind die Ziele und Zwecke von Richtlinien, die selbst kein unmittelbar geltendes nationales Recht darstellen (mit Ausnahme solcher nicht rechtzeitig umgesetzter Richtlinien, deren einzelne Bestimmungen „unbedingt und hinreichend genau“ – EuGH, Slg. 1991 I-EUGH-SLG 1991 I 5403 = NJW 1992, 165 – und deshalb inländisch auch ohne Umsetzungsakt verbindlich sind), bei der Anwendung nationalen Rechts zu beachten. Es ist nach Maßgabe der Richtlinien auszulegen jedenfalls dort, wo dieses möglich ist. Eröffnet das nationale Recht mehreren Auslegungsalternativen, ist im Weg einer richtlinienkonformen Normanwendung diejenige zu wählen, welche – unter Wahrung von Entscheidungsmöglichkeiten des Gesetzgebers – die Umsetzung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele, orientiert an deren Wortlaut und Zweck, bestmöglich gewährleistet (Staudinger/Honsell, BGB, 2013, Einl. Rn. 198). Das gilt auch für die nationalen Regelungen zum Verbraucherschutz und zum Widerrufsrecht, welche, wie hier, richtlinienumsetzendes Recht darstellen (BGH, Urteil vom 9. 4. 2002 -XI ZR 91/99 BeckOnline).

Das nationale Recht gibt hier eine Normauslegung, nach welcher der vor einem Gericht geschlossene Vergleich, so die weiteren Voraussetzungen der § 312 ff. BGB vorliegen, widerrufbar ist, wenn über das Entfallen der Informationspflichten nach § 312d Abs. 1 BGB und das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB nicht belehrt worden ist, her. Zwar führen die historische und die systematische Auslegung wie erörtert nicht zu einem solchen Ergebnis, da § 312 Abs. 2 Nr. 1 b) BGB ein solches nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann nicht begründet, wenn die Belehrung unterbleibt und die systematisch allein relevante Norm für dessen Begründung oder Nichtbegründung § 312g Abs. 2 Nr. 13 BGB ist. Eine grammatische Auslegung kann jedoch dazu führen, da das Spannungsverhältnis zwischen § 312 Abs. 2 Nr. 1 b) BGB und § 312g Abs. 1 Nr. 13 BGB nicht hinreichend geklärt und unverständlich ist (Streyl, ebenda), so dass eine primär am Wortlaut des § 312 Abs. 2 Nr. 1 b) BGB orientierte Auslegung zu dem Ergebnis führen kann, dass in den dort genannten Fällen ein Widerrufsrecht dennoch besteht.

Da die Gesetzesbegründung und die Systematik hier jedoch bei der nationalen Rechtsanwendung vorzuziehen sind, kann eine richtlinienkonforme Auslegung nur dann dazu führen, die grammatische Normauslegung zu bevorzugen, wenn die Verbraucherrecht-Richtlinie 2011/83/EU vom 25.10.2011 dieses bedingt und nur so der von ihr intendierten Rechtswirkung ausreichend genüge getan wird. Eben das ist aber nicht der Fall, da die Erwägungsgründe wie erörtert in Art. 3 Abs. 3 lit. i eine Ausnahme für Verträge, die vor einem zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verpflichteten öffentlichen Amtsträger geschlossen werden, gerade selbst vorsieht. Zudem nimmt. Art. 3 f) der Richtlinie die Vermietung von Wohnraum an sich aus dem Anwendungsbereich heraus. Der Richtlinie ist der Wille zu der Einräumung eines Widerrufsrechts für Wohnräummietverträge, die beurkundet werden, nicht zu entnehmen. § 312 BGB stellt somit richtlinienüberschießendes Recht dar (Gsell WuM 2014, 375 (381); Hau NZM 2015, 435 (437); Mediger NZM 2015, 185). In einem solchen Fall ist eine richtlinienkonforme Auslegung nicht geboten (BGH, Urt. v. 17. 10. 2012 – VIII ZR 226/11 BeckOnline; v. Hein in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, Art. 6 EGBGB Rn. 15).

Da dem Kläger somit kein Widerrufsrecht zustand, ist das Verfahren durch den Prozessvergleich beendet worden.

 

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