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Wohnraummietvertrag – Unklarheitenregel bei Allgemeine Geschäftsbedingungen

LG Berlin, Az.: 65 S 175/17, Urteil vom 06.12.2017

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Neukölln vom 18. Mai 2016 – 14 C 42/16 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a, 540 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

1. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen im Ergebnis keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.

Wohnraummietvertrag - Unklarheitenregel bei Allgemeine Geschäftsbedingungen
Foto: 4zevar/Bigstock

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung der von dieser inne gehaltenen Wohnung im Hause …10d in 12349 Berlin aus § 546 Abs. 1 BGB. Das zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehende Mietverhältnis ist durch die auf Eigenbedarf gestützte Kündigung vom 6. Oktober 2015 nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB nicht beendet worden. Der Kündigung entgegen steht der in § 2 Satz 2 des Formularmietvertrages vereinbarte Ausschluss der Kündigung wegen Eigenbedarfs.

a) Frei von Rechtsfehlern – von der Klägerin nicht angegriffen – hat das Amtsgericht das Zustandekommen des Mietvertrages zwischen dem Voreigentümer der Wohnung und der Beklagten bejaht. Auf die zutreffenden Feststellungen des Amtsgerichts wird nach eigener rechtlicher Prüfung Bezug genommen. Die Klägerin ist in das Mietverhältnis gemäß § 566 BGB eingetreten.

b) Zu Recht wendet die Klägerin sich zwar gegen die Feststellungen des Amtsgerichts zur Plausibilität des von ihr geltend gemachten Eigennutzungswunsches, denn sie beruhen letztlich darauf, dass das Amtsgericht in unzulässiger Weise seine Lebensvorstellungen generalisiert und an die des Vermieters gesetzt, damit die Anforderungen an die Darlegung des Eigennutzungswunsches überspannt hat (vgl. zu den Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 11.11.19993 – 1 BvR 696/93, NJW 1994, 309, nach juris Rn. 11f.; BGH, Urt. v. 4.8.2015 – VIII ZR 166/14, NJW 2015, 1590, nach juris Rn. 14, m. w. N.).

c) Dies führt jedoch nicht zum Erfolg der Berufung der Klägerin, denn die Feststellungen des Amtsgerichts zum (formularvertraglichen) Ausschluss von Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen im Mietvertrag vom 19. März 2008 tragen die Entscheidung nicht.

Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass der Wortlaut des § 2 S. 2 des Mietvertrages keinen eindeutigen Inhalt hat bzw. eine Auslegung des Wortlautes zu keinem eindeutigen Ergebnis führt. Es hat – insoweit rechtsfehlerhaft – jedoch unberücksichtigt gelassen, dass es sich bei der Regelung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt, die an den §§ 305ff. BGB zu messen ist, hier § 305c Abs. 2 BGB. Nach dieser Regelung gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders.

Bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gilt, dass sie nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen sind, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der üblicherweise beteiligten Kreise verstanden werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 20.01.2016 – VIII ZR 152/15, in NJW-RR 2016, 526, [527], Rn. 17, nach beck-online, m. z. w. N.; BeckOK BGB/ H. Schmidt, 43. Ed., 15.6.2017, BGB § 305c Rn. 54, beck-online). Zugrunde zu legen sind dabei die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, angemessen aufmerksamen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders (vgl. EuGH, Urt. v. 30.4.2014 – C-26/13, in EuZW 2014, 506 Rn. 74, nach beck-online; BGH, Urt. v. 20.1.2016, a.a.O.; MüKo BGB/Basedow, 7. Aufl. 2016, BGB § 305c Rn. 29), von dem ein normales Sprach-, Logik-, Fach- und Rechenverständnis erwartet werden kann, nicht aber darüber hinausgehende Fähigkeiten (vgl. Pfeiffer, NJW 2011, 1, [7]; MüKo BGB/Wurmnest, 7. Aufl., 2016, BGB § 307 Rn. 62).

Ausgangspunkt für die bei einer Formularklausel gebotene objektive, nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist ihr Wortlaut; legen die Parteien der Klausel übereinstimmend eine von ihrem objektiven Sinn abweichende Bedeutung bei, ist diese maßgeblich (vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2016, a.a.O., Rn. 18, m. w. N.). Erst wenn die Klausel tatsächlich unklar ist, nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten daher Zweifel verbleiben und mindestens zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, greift die Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB (allg. M., BGH, Urt. v. 20.1.2016, a.a.O., Rn. 19, m. w. N.; BeckOK BGB/ H. Schmidt, 43. Ed., a.a.O., Rn. 54; MüKo BGB/Basedow, 7. Aufl. 2016, BGB § 305c Rn. 29).

Dies zugrunde gelegt, teilt die Kammer im Ergebnis die Auffassung des Amtsgerichts, dass § 2 Satz 2 des Mietvertrages keinen eindeutigen Inhalt hat, wenngleich das Amtsgericht – wie die Anordnung der Beweisaufnahme zeigt – nicht von einer objektiven, sondern einer am Willen der hiesigen Vertragspartner orientierten Auslegung ausgegangen ist.

Der Wortlaut der hier zu bewertenden Klausel des Mietvertrages „Die Vertragspartner streben ein längerfristiges Mietverhältnis an, deshalb sind Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen des Vermieters für – Jahr(e) ausgeschlossen.“ trägt sowohl die Annahme der Klägerin, lässt aber auch die Interpretation der Beklagten zu. Dies geht zu Lasten der Klägerin, die gemäß § 566 BGB diesen Inhalt des Formularmietvertrages gegen sich gelten lassen muss, den die für den Vor-Vermieter handelnde … Finanzen, Immobilien und Handels GmbH verwendet hat.

Die Klausel sieht dem Wortlaut nach den Ausschluss bestimmter, nicht auf Vertragsverletzungen des Mieters beruhender Kündigungen für eine bestimmte Anzahl von Jahren vor, dies aus dem ausdrücklich angegebenen Grund, dass die Vertragspartner ein längerfristiges Mietverhältnis anstreben. Letzteres ist – bei einem sich vertragstreu verhaltenden Mieter – nicht nur für den Mieter von Vorteil, sondern auch für den Vermieter. Die Klausel sieht ihrer Gestaltung nach die Möglichkeit des Einsatzes einer bestimmten Jahreszahl vor, die hier fehlt.

Die fehlende Angabe einer Zahl, statt dessen des Einsatzes eines Bindestriches kann – wie von der Klägerin geltend gemacht – dahin verstanden werden, dass die genannten Kündigungen gar nicht ausgeschlossen werden, die Parteien gleichwohl ein längerfristiges Mietverhältnis anstreben.

Ebenso vertretbar ist jedoch die Interpretation, dass Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen ohne eine zeitliche Begrenzung – für die Dauer des Vertragsverhältnisses – ausgeschlossen sind. Dafür spricht, dass in Halbsatz 1 das Ziel eines längerfristigen Mietverhältnisses formuliert wird und – eingeleitet durch das Adverb „deshalb“ – den Ausschluss der Kündigungen in Halbsatz 2 begründet.

Soll – wie von der Klägerin zugrunde gelegt – entgegen dem vorformulierten Wortlaut kein Ausschluss der konkret genannten Kündigungsgründe vereinbart werden, würde die erforderliche Transparenz typischerweise durch Einfügen der Partikel „nicht“ erreicht. Das ist hier nicht geschehen, hätte sinnvollerweise zudem mit der Streichung der Halbsatzeinleitung „deshalb“ eingehen müssen. Gleichermaßen transparent wäre die komplette Streichung des Halbsatzes 2 gewesen.

Soweit die Klägerin auf § 17 Abs. 2 des Mietvertrages verweist, der die Modalitäten einer Eigenbedarfskündigung regelt, übersieht sie, dass die Regelung ebenfalls formularvertraglich vorgesehen ist und auch dann Inhalt des Mietvertrages wäre, wenn unter § 2 eine Jahreszahl eingetragen worden wäre. Im Übrigen erschöpft sich § 17 des Mietvertrages im Wesentlichen in einer Wiedergabe des Gesetzes und kann im hinteren Teil des mehrseitigen Fließtextes leicht übersehen werden.

Die Auslegung, wonach die Klausel Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen ohne zeitliche Begrenzung ausschließt, widerspricht auch nicht dem Verständnis redlicher und verständiger Vertragspartner, die die Interessen der beteiligten Kreise – hier von Mietern und Vermietern – berücksichtigen.

Der Kündigungsausschluss bezieht sich nur auf Gründe, die es – ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen – erlauben, seitens des Vermieters das Vertragsverhältnis zu einem vertragstreuen Mieter zu beenden.

Verwertungskündigungen kommt in der Rechtspraxis eine geringe Bedeutung zu; als dementsprechend gering sind die Auswirkungen eines entsprechenden Kündigungsausschlusses zu bewerten, abgesehen davon, dass rechtliche Einzelheiten über das sprachliche Verständnis des Begriffs „Verwertung“ hinaus bei einem juristisch nicht vorgebildeten Mieter nicht vorausgesetzt werden können.

Der formularvertragliche Ausschluss bzw. die formularvertragliche Einschränkung der Möglichkeit einer Kündigung wegen Eigenbedarfs bzw. allgemein ordentlicher Kündigungen ist auch durchaus nicht unüblich. Bekannt ist bundesweit die Verwendung von Klauseln, die die Kündigung des Vertragsverhältnisses durch den Vermieter als Ausnahme für den Fall formulieren, dass wichtige berechtigte Interessen eine Beendigung des Vertragsverhältnisses notwendig machen.

Klauseln mit diesem Inhalt führen zu einem erhöhten Bestandsschutz des Mieters, insbesondere im Hinblick auf den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ohne Vorliegen einer Vertragsverletzung des Mieters (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.2013 – VIII ZR 57/13, WuM 2013, 739 = NZM 2013, 824, nach juris Rn. 15; Urt. v. 9.5.2012 – VIII ZR 327/11, WuM 2012, 440 = NZM 2012, 529, nach juris Rn. 27; OLG Karlsruhe, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 21. Januar 1985 – 3 REMiet 8/84, NJW-RR 1986, 89, juris Rn. 25).

Die Annahme eines so weitreichenden Bestandsschutzes ist auch mit den redlicherweise zu berücksichtigenden beiderseitigen Interessen vereinbar; ein redlich und verständig gesinnter Mieter wird der hier auszulegenden Klausel daher auch einen entsprechenden Inhalt beimessen. Ein vertrauensvolles, längerfristiges Mietverhältnis liegt im Interesse beider Vertragspartner; eben dies bringt der Halbsatz 1 des § 2 des Mietvertrages zum Ausdruck, ohne dass eine Verpflichtung bestünde, ein solches Ziel in einem Mietvertrag zu formulieren. Für größere Gesellschaften, Genossenschaften, aber auch Einzelvermieter, die ihren Lebensmittelpunkt an einem anderen Ort haben und die Vermietung einer Wohnung in Berlin mit seinem deutschlandweit größten Mietwohnungsmarkt als Geldanlage ansehen, ist ein vertrauensvolles, längerfristiges Mietverhältnis (bei Vertragstreue des Mieters) wirtschaftlich sinnvoll.

Da nach Auslegung des Wortlautes des § 2 Satz 2 des Mietvertrages Zweifel an dem Inhalt der Klausel verbleiben und jedenfalls zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, gilt gemäß § 305c Abs. 2 BGB das Gebot der kundenfreundlichsten Auslegung; Unklarheiten gehen zu Lasten des Verwenders. Danach sind Verwertungs- und Eigenbedarfskündigungen hier für die Dauer des Vertragsverhältnisses ausgeschlossen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage des Gesetzes und höchstrichterlich bereits entwickelter Maßstäbe. Die Auslegung von Vertragsbestimmungen ist Sache des Tatrichters und unterliegt daher nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht; das gilt grundsätzlich auch für Allgemeine Geschäftsbedingungen, es sei denn, diese finden über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Verwendung; dafür ist hier nichts ersichtlich (BGH, Urt. v. 21.1.2004 – VIII ZR 115/03, WuM 2004, 282, nach juris Rn. 21.

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