OLG Karlsruhe
Az.: 14 Wx 51/03
Beschluß vom 29.12.2003
Leitsätze
1. Die Haltung giftiger Schlangen und Frösche in einer Eigentumswohnung stellt keinen ordnungsgemäßen Gebrauch des Sondereigentums dar.
2. Die Haltung und auch Züchtung nichtgiftiger Reptilien in Wohnung und Garten stellt keinen nichtordnungsgemäßen Gebrauch des Sondereigentums dar, wenn eine Geruchsbelästigung ausgeschossen ist und mit ihr auch keine sonstigen vermeidbaren Nachteile für die anderen Wohnungseigentümer verbunden sind.
3. Das Tatsachengericht hat alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienenden Beweise zu erheben, soweit das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt hierzu Anlaß geben.
1. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Landgerichts Freiburg vom 16.04.2003 – 4 T 111/02 – wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Landgerichts Freiburg vom 16.04.2003 – 4 T 111/02 – insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil des Antragstellers entschieden worden ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht Freiburg zurückverwiesen.
4. Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.556,46 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Antragsteller und der Antragsgegner sind Mitglieder einer aus mehr als 20 Wohnungen bestehenden Wohnanlage. Die Eigentumswohnung des Antragstellers befindet sich im ersten Obergeschoss, die des Antragsgegners unmittelbar darunter im Erdgeschoss. Zur Wohnung des Antragsgegners gehört das Sondernutzungsrecht am vorgelagerten Teil des Gartens. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts Freiburg hat der Antragsteller zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung im Garten eine Anzahl von Schildkröten und in seiner Wohnung in verschiedenen Terrarien 25 bis 30 Giftschlangen, 4 Chamäleons und 2 Kragenechsen sowie 6 Pfeilgiftfrösche gehalten.
Der Antragsteller ist der Auffassung, die Haltung der Tiere gehe über den zulässigen Gebrauch des Sondereigentums hinaus; es bestehe eine Geruchsbelästigung; das Risiko eines Entweichens der Schlangen könne ihm nicht zugemutet werden; es bestehe die Gefahr einer Minderung des Wertes seiner Eigentumswohnung, weil Käufer sich durch die Schlangen- und Schildkrötenhaltung abschrecken ließen. Er verlangt daher vom Antragsgegner, die Haltung von Reptilien in der Wohnung und im Garten zu unterlassen. Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten. Er behauptet, von den Tieren gehe keine Belästigung aus, sie seien nahezu geruchsfrei und die an sie zu verfütternden Nagetiere würden nicht in der Wohnung gehalten.
Das Amtsgericht hat den Unterlassungsantrag nach Vernehmung von 6 Zeugen mit Beschluss vom 15.1.2002 abgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 16.4.2003 dahin teilweise abgeändert, dass es den Antragsgegner – unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags des Antragstellers – verpflichtet hat, das Halten giftiger Reptilien in seiner Wohnung zu unterlassen und die vorhandenen Giftschlangen und Pfeilgiftfrösche zu entfernen; die weitergehende sofortige Beschwerde des Antragstellers hat es zurückgewiesen. Gegen die Entscheidung des Landgerichts haben beide Beteiligte sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Der Antragsteller verfolgt sein Ziel – Anweisung des Antragsgegners, die Haltung von giftigen und nichtgiftigen Reptilien in der Wohnung sowie die Haltung und Züchtung von Schildkröten im Garten zu unterlassen – weiter. Der Antragsgegner verlangt vollständige Abweisung des Unterlassungsantrags zur Haltung von Reptilien in Wohnung und Garten.
Entscheidungsgründe
II. Beide Rechtsmittel sind statthaft (§ 45 Abs. 1 WEG) und auch sonst zulässig. Dabei ist die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners unbegründet, während die des Antragstellers zu einem – vorläufigen – Erfolg in der Sache führt.
1. Die Entscheidung des Landgerichts hält der Überprüfung stand, soweit der Antragsgegner verpflichtet wird, das Halten giftiger Reptilien – und giftiger Frösche – in seiner Wohnung zu unterlassen und die vorhandenen derartigen Tiere zu entfernen.
a) Das Landgericht hat insoweit ausgeführt, die Haltung von 25 bis 30 Giftschlangen und 6 Pfeilgiftfröschen in einer Eigentumswohnung stelle einen übermäßigen Gebrauch des Sondereigentums dar, weil Schlangenhaltung im hier betriebenen Ausmaß in der Wohnung außergewöhnlich sei und bei weiten Bevölkerungskreisen auf emotionale Vorbehalte stoße sowie zu Ängsten führe; auf eine konkrete Geruchsbelästigung komme es nicht an. Obgleich die giftigen Tiere artgerecht und sicher aufgehoben seien und eine konkrete Gefährdung nicht festzustellen sei, könne die Gefahr eines Entweichens nicht völlig ausgeschlossen werden.
b) Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Das Recht des Wohnungseigentümers, mit den in seinem Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen nach Belieben zu verfahren, besteht nicht unbegrenzt, sondern nur, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen (§ 13 WEG). Eingeschränkt wird es u.a. durch §14 Nr. 1 WEG. Danach darf jeder Wohnungseigentümer von seinem Sondereigentum und vom gemeinschaftlichen Eigentum nur in solcher Weise Gebrauch machen, dass dadurch keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Maßgeblich ist dabei die Verkehrsanschauung, die je nach den konkreten Verhältnissen zu unterschiedlichen Beurteilungen führen kann (Weitnauer/Lüke, WEG, 8. Aufl. 1995, Rdn. 3 zu § 14). Wenn ein Wohnungseigentümer die ihm nach der genannten Vorschrift gezogenen Grenzen überschreitet, kann jeder andere Wohnungseigentümer von ihm nach §1004 Abs. 1 BGB, §15 Abs. 3 WEG die Unterlassung des übermäßigen Gebrauchs verlangen (vgl. BayObLG WM 1991, 614f.; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl. 2003, Rdn . 67 zu § 14 m.w.N., und Rdn. 30 zu § 15).
bb) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich ein Unterlassungsanspruch des Antragstellers jedenfalls in bezug auf eine Haltung giftiger Schlangen und Frösche in der Wohnung des Antragsgegners. Die Haltung solcher Tiere stellt – unabhängig davon, ob Tierhaltung nach der Teilungserklärung beschränkt ist oder nicht – keinen ordnungsgemäßen Gebrauch einer Eigentumswohnung dar, weil sie den hiesigen Vorstellungen über die Haltung von Tieren in Wohnanlagen nicht entspricht (hierzu LG Bochum NJW-RR 1990, 1430; OLG Frankfurt NJW-RR 1990, 1430f., 1431) und geeignet ist, bei anderen Hausbewohnern die begründete Besorgnis auszulösen, von etwa entwichenen Tieren geschädigt zu werden. Diese Besorgnis ist nicht etwa als völlig irrational und somit auch nicht als unbeachtlich anzusehen. Sie ist vielmehr deshalb anzuerkennen, weil zum einen nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass Tiere trotz – wie hier festgestellt – artgerechter und sicherer Unterbringung infolge eines Missgeschicks unkontrolliert aus ihren Terrarien entweichen, und weil zum anderen dem Laien das Verhalten und die Reaktionen etwa entwichener Giftschlangen und Pfeilgiftfrösche nicht bekannt sind, was Gefühle der Unsicherheit und des Bedrohtseins hervorzurufen geeignet ist. Eine derartige – vermeidbare – latente Bedrohungssituation braucht kein Wohnungseigentümer hinzunehmen.
2. Als nicht frei von Rechtsfehlern erweist sich der angefochtene Beschluss dagegen, soweit zum Nachteil des Antragstellers entschieden ist.
a) Das Landgericht hat ausgeführt, ein Anspruch des Antragstellers auf Unterlassung der Haltung von 4 Chamäleons und 2 Kragenechsen bestehe nicht, weil die Tiere nicht gefährlich seien und auch nicht davon auszugehen sei, dass ihre Haltung zu einer die zulässige Nutzung des Wohnungseigentums überschreitenden Geruchsbelästigung des Antragstellers führe. Ein Anspruch des Antragstellers, Haltung und Züchtung von Schildkröten im Garten zu unterlassen, bestehe nicht, weil eine nennenswerte Störung nicht ersichtlich sei.
b) Insoweit kann der angefochtene Beschluss jedenfalls vorläufig nicht bestehen bleiben.
aa) Richtig ist zwar, dass Haltung und auch Züchtung nichtgiftiger Reptilien in Wohnung und Garten keinen Verstoß gegen § 14 Nr. 1 WEG darstellt, falls eine Geruchsbelästigung ausgeschlossen ist und mit ihr auch keine sonstigen vermeidbaren Nachteile für die anderen Wohnungseigentümer verbunden sind.
bb) Indessen beruht die Bejahung dieser Voraussetzungen auf einer Rechtsverletzung (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG).
Das Landgericht geht ohne weiteres davon aus, dass mit der Entfernung der giftigen Schlangen und Frösche die Gefahr einer Geruchsbelästigung durch in der Wohnung gehaltene Tiere beseitigt sein werde. Ferner stellt es fest, eine nennenswerte Störung durch Haltung und Züchtung von Schildkröten im Garten sei nicht ersichtlich. Worauf diese Erkenntnisse beruhen, wird aber nicht dargelegt, was einen Verstoß gegen § 25 FGG darstellt. Das Beschwerdegericht teilt auch nicht mit, auf welcher Grundlage, bezogen auf die Anzahl gehaltener Exemplare, seine Auffassung beruht. Dazu, mit wievielen innerhalb und außerhalb der Wohnung gehaltenen Schildkröten und anderen Reptilien künftig zu rechnen sei, hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen. Darin liegt ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 12 FGG), weil das Tatsachengericht alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Beweise zu erheben hat, soweit das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt hierzu Anlass geben (vgl. BayObLG WM 1991, 614f.). Anlass zu derartigen Ermittlungen war im vorliegenden Fall deshalb gegeben, weil Art und Zahl der vom Antragsgegner in Haus und Garten gehaltenen Exemplare in der Vergangenheit stark geschwankt hat und sich nach Aktenlage auf bis zu 34 Schlangen (Schriftsatz seines Anwalts vom 31.10.2001) nebst anderen Reptilien in der Wohnung und 57 Schildkröten im Garten (Schreiben des Regierungspräsidiums Freiburg vom 13.12.2001) belaufen hat; zudem heißt es im genannten Schreiben des Regierungspräsidiums, dass der Antragsgegner „jährlich eine hohe Zahl EG-Bescheinigungen für Nachzuchten von griechischen Landschildkröten und Breitschwanzschildkröten beantragt (hat), um diese zu veräußern“. Die vom Landgericht durchzuführenden Ermittlungen wären sodann darauf zu erstrecken gewesen, ob bei der zu erwartenden Zahl gehaltener Exemplare eine Geruchsbelästigung ausgeschlossen ist, bzw. ab welcher Zahl mit einer nennenswerten Geruchsbelästigung zu rechnen ist.
III. Nach allem war das Rechtsmittel des Antragsgegners als unbegründet zurückzuweisen.
Die zur Entscheidung über das Rechtsmittel des Antragstellers nachzuholenden Tatsachenfeststellungen können vom Senat als Rechtsbeschwerdegericht nicht selbst vorgenommen werden. Insoweit war der angefochtene Beschluss daher in entsprechender Anwendung von § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen (vgl. Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl. 2003, Rdn. 58 zu § 27).
Das Landgericht wird Feststellungen insbesondere dazu zu treffen haben, ob und – wenn ja – in welchem Maß von den in Haus und Garten gehaltenen Tieren eine Geruchsbelästigung ausgeht oder ausgehen kann, ggf., wieweit das Ausmaß der Geruchsbelästigung von Art und Zahl der gehaltenen Exemplare abhängt. Der Akteninhalt gibt zudem Anhalt zu ermitteln, ob weitere Beeinträchtigungen des Antragstellers (etwa optischer oder akustischer Art; Wertminderung seiner Wohnung) zu erwarten sind. Gegebenenfalls wird das Beschwerdegericht sachverständigen Rat einzuholen haben. Etwa vorhandene eigene Sachkunde hätte es darzulegen (vgl. hierzu etwa BayObLG MDR 1980, 313 f.; OLGR Zweibrücken 2003, 69 ff.).
Das Landgericht wird auch über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde zu entscheiden haben.
Die Geschäftswertfestsetzung [2556,46 EUR] für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 48 Abs. 1 S. 3 WEG.