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Wohnungsräumung – Abriss des alten Wohngebäudes

AG Hamburg-St. Georg, Az.: 920 C 171/14

Urteil vom 23.12.2014

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Wohnung im Haus bestehend aus 1 1/2 Zimmern, Duschbad mit WC nebst Kellerraum Nr. XVI zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 31.3.2015 bewilligt, mit der Maßgabe, dass die monatliche Nutzungsentschädigung bis jeweils zum dritten Werktag eines Monats gezahlt wird.

5. Der Streitwert wird auf 1.932,24 € festgesetzt.

Tatbestand

Wohnungsräumung - Abriss des alten Wohngebäudes
Foto: Lammeyer/Bigstock

Die Klägerin ist Eigentümerin und Vermieterin der im Tenor bezeichneten Wohnung. Die Beklagte ist Genossenschaftsmitglied und Nutzerin der Wohnung. Das Nutzungsverhältnis bestand seit Februar 1997. Die Nettokaltmiete beläuft sich auf 161,02 €.

Die Klägerin plant den Abriss und Neubau des im Jahr 1928 errichteten Gebäudekomplexes … weg und … weg, bestehend aus 122 Wohnungen. Das Gebäude ist in einem baulichen Zustand der Instandsetzungen erforderlich macht. Das Gebäude weist fast durchweg kleine Wohnungen mit einer Größe von 1 bis 2 1/2 Zimmern auf. Derartige Wohnungen hat die Klägerin in großer Zahl im Bestand in Hamm. Größere Wohnungen mit drei oder mehr Zimmern sind nur in geringer Anzahl vorhanden. Der geplante Neubau soll mehr als 100 Wohnungen umfassen u.a. sollen 29 Wohnungen mit drei oder mehr Zimmern entstehen. Der Neubau soll durch die Freie und Hansestadt Hamburg gefördert und im KfW 70-Standard gebaut werden. Die neuen Nettokaltmieten für die Neubauwohnungen sollten sich auf 5,90 €/m2 (1. Förderweg) und 8,20 €/qm (2. Förderweg) belaufen. Der Bau einer Tiefgarage wird gesondert gefördert. Bei einer öffentlich geförderten Sanierung wäre eine anfängliche Nettokaltmiete von 7,- €/qm anzusetzen. Die Kosten für den Neubau liegen einschließlich einer Sicherheitsreserve von 15% bei 2.930,- €/qm. Die Kosten der Sanierung würden sich ohne Berücksichtigung eventuell erforderlicher Ertüchtigungsmaßnahmen an der Statik des Gebäudes auf 1.842,00 €/m2 belaufen. Über den Zustand des Gebäudes, die Kosten von Modernisierung und Sanierung in verschiedenen Varianten ist ein umfangreiches Gutachten erstellt worden. Auf das als Anlage B 7 vorgelegte Gutachten der Architekten (Bl. 126 ff d.A.) wird verwiesen. Streitig ist zwischen den Parteien u.a., ob auch bei einer Sanierung im Bestand Maßnahmen zur Ertüchtigung der Statik erforderliche werden. Einigkeit besteht darüber, dass bei Änderung der Wohnungsgrundrisse Ertüchtigungsmaßnahmen erforderlich werden und der Bestandsschutz wegfällt, mit der Folge, das heutige energetische-, Dämm- und Brandschutzstandards bei einer Sanierung zu berücksichtigen wären.

Die Klägerin verfügt seit 2011 über eine Zweckentfremdungs- und seit Februar 2013 über zwei Rückbaugenehmigungen und eine Baugenehmigung

e, die während des laufenden Verfahrens erteilt wurde. Seit 2011 werden keine Wohnungen in dem Komplex neuvermietet. Am 15.11.2012 fand eine Veranstaltung unter Teilnahme des damaligen Vorstandes der Klägerin, Herrn sowie Herrn, ebenfalls für die Klägerin, statt. 42 Mieter erklärten anschließend schriftlich, gegen den Abriss zu sein. Während der Planungsphase wurden umfangreiche Gespräche mit dem Bezirksamt Hamburg-Mitte, der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, örtlichen Mieterinitiativen und dem Mieterverein zu Hamburg von 1890 r.V. geführt. Mit dem Mieterverein schloss die Klägerin im Juli 2013 eine Rahmenvereinbarung. Darin sagte die Klägerin allen Mietern u.a. Umzugshilfen, Entschädigung für Einbauten, Ersatzwohnungen (dauerhaft oder vorübergehend) sowie ein Rückkehrrecht in den Neubau mit einer Anfangsmiete von 5,90 €/m2 zu. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf Anlage K3 (Bl. 21 d.A.) verwiesen. Mit einer Vielzahl der ehemals 122 Mietparteien sind einvernehmliche Lösungen erzielt worden. In 6 Fällen wurde Räumungsklage erhoben. 3 der Verfahren endeten durch Räumungsvergleich. Anhängig sind insgesamt noch 3 Verfahren. Die Klägerin bot der Beklagten 2 Ersatzwohnungen an. Fast 50 Mietparteien sind derzeit vorübergehend in Ersatzwohnungen untergebracht und warten auf ihre Rückkehr in den geplanten Neubau.

Mit Schreiben vom 30.7.2013 (Anlage K 4, Bl. 26 d.A.) kündigte die Klägerin das Mietverhältnis ordentlich zum 30.4.2014 und widersprach zugleich einer Fortsetzung oder stillschweigenden Verlängerung des Mietverhältnisses. Als Kündigungsgrund wird von der Klägerin angegeben, sie sei bei Fortsetzung des Mietverhältnisses mit der Beklagten an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Gebäudes gehindert. Dem Kündigungsschreiben waren unter anderem die Rahmenvereinbarung mit dem Mieterverein, die Zweckentfremdungs- und Abrissgenehmigungen, ein Gutachten zur Wirtschaftlichkeitsbetrachtung des Gutachters und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung, beigefügt. Auf Anlage K 4 (Bl. 26.d.A.) sowie auf die mit klägerischem Schriftsatz vom 17.11.2014 nachgereichten Anlagen (Bl, 418 ff d.A.) wird Bezug genommen. Die Beklagte räumte nicht.

Die Klägerin trägt vor, die Fortsetzung des Mietverhältnisses mit der Beklagten hindere sie an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks. Das Gebäude befinde sich in schlechtem baulichen Zustand. Wirtschaftlich sei allein der Abriss und Neubau, Mit einer Modernisierung würde nicht einmal annähernd der Standard eines Neubaus erreicht. Eine umfangreiche Sanierung würde zudem zum Verlust des Bestandsschutzes führen, so dass eine Modernisierung rechtlich nicht möglich sei. Die theoretischen Sanierungskosten mit 1.842,00/m2 berücksichtigten noch nicht zusätzlich anfallende Ertüchtigungsmaßnahmen, die wegen der Standsicherheit des Gebäudes erforderlich seien. Bei einem Neubau nach WK-Standard (Kostenmiete) könne ein leichter Überschuss von jährlich ca. 1.360,72 € erwirtschaftet werden, während bei einer Einfachinstandsetzung ein jährlicher Verlust von 113,462,25, bei einer umfassenden Modernisierung ein jährlicher Fehlbetrag von 562.470,35 € entstehe Die bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung in Ansatz gebrachten Zeiträume (25 bzw. 50 Jahre) entsprächen den allgemeinen Vorgaben. Ein Sanierungsstau gebe es nicht. Die Kosten der Tiefgarage seien nicht berücksichtigt, da diese gesondert gefördert werde.

Die Klägerin beantragt, Die Beklagte wird verurteilt, die Wohnung im Haus, bestehend aus 1 1/2 Zimmern, Duschbad mit WC nebst Kellerraum Nr. XVI zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klägerin könne das Nutzungsverhältnis nach dem geschlossenen Mietvertrag nur in Ausnahmefällen kündigen, wenn berechtigte Interessen der Genossenschaft die Beendigung notwendig machten. Welche dies seien, werde aber nicht weiter ausgeführt. Im Übrigen stehe der Genossenschaftszweck einem Abriss entgegen. Der Satzungszweck decke dies nicht. Des Weiteren sei eine vertragliche Vereinbarung über den Fortbestand geschlossen worden. Der damalige Vorstand, habe auf einer Mitgliederversammlung im November 2012 erklärt, wenn über die Hälfte der seinerzeit verbliebenen 52 Mieter sich für den Erhalt aussprächen, das Gebäude erhalten werde. Der weiter anwesende Herr sei Prokurist. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Verwertung durch Abriss und Neubau sei nicht gegeben. Ersichtlich habe die Klägerin kein Planungskonzept, so dass schon an einer ernsthaften Verwertungsabsicht Zweifel bestünden. Die Klägerin plane am tatsächlichen Bedarf vorbei, da die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt nach kleineren Wohnungen erheblich größer sei als für größere Wohnungen. Die wirtschaftliche Verwertung sei unangemessen. Die hierfür erforderlichen und nachvollziehbaren Gründe lägen nicht vor. Die angenommenen Kosten für die Instandsetzung seien zu hoch, da die IFB bei solchen Gebäuden nur Kosten von 800,00 bis 1.100,00 €/m2 für üblich und angemessen halte (Einzelheiten KS. 49 ff. d. Klagerwiderung, B. 49 d.A). Die Klägerin habe einen Sanierungsstau verursacht, weshalb diese Kosten nicht zu berücksichtigen seien. Die Kosten der Tiefgarage seien zu den Kosten des Neubaus hinzuzurechnen. Bei einer Modernisierung/Sanierung seien die Kosten ähnlich lange abzuschreiben wie bei einem Neubau, so dass die Sanierung/Modernisierung wirtschaftlicher als ein Neubau sei. Die Standsicherheit sei nicht gefährdet, es bestehe Bestandsschutz bei einer Modernisierung/Sanierung. Es gebe keinen Nachweis der Förderfähigkeit der IFB für das Bauvorhaben. Das Gebäude sei denkmalwürdig.

Während des Prozesses hat die Klägerin die Baugenehmigung erhalten und mit und weiterem Schriftsatz vom 22.8.2014 (Bl. 266 d.A.) erneut ordentlich gekündigt. Die Klägerin hat jetzt die Erlaubnis, 101 Wohnungen in fünfgeschossiger Bauweise mit einer Gesamtwohnfläche von annähernd 6.500 m2 zu bauen. 51 Wohnungen sollen im 1. Förderweg und 50 Wohnungen im 2. Förderweg belegt werden.

Eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung wurde mit Schriftsatz vom 4.11.2014 (Bl. 385 d.A.) ausgesprochen. Wegen Einzelheiten zur Begründung wird auf Bl. 385 ff d.A. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage ist aus § 546 Abs.1 BGB begründet. Danach ist der Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses zur Rückgabe verpflichtet. Das Mietverhältnis wurde durch die ordentliche Kündigung der Klägerin vom 30.7.2013 mit Ablauf des 30.4.2014 beendet. Der von der Klägerin geplante Abriss des vorhandenen Gebäudes und seine Ersetzung durch einen Neubau stellen eine wirtschaftliche Verwertung i.S.v. § 573 Abs.2 Nr. 3 BGB dar (BGH NJW 2004, 1736). Ein berechtigtes Interesse der Klägerin i.S.v. § 573 Abs.1, 2 Nr. 3 BGB an der Beendigung des Mietverhältnisses ist gegeben.

Die Klägerin war am Ausspruch der Kündigung nicht durch § 4 des Nutzungsvertrags gehindert. Zwar ist in § 4 Abs.4 des Vertrags vorgesehen, dass die Klägerin bei Fortbestehen der Mitgliedschaft das Nutzungsverhältnis von sich aus nicht auflösen wird. Weiter ist jedoch geregelt, dass in besonderen Ausnahmefällen das Nutzungsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen gekündigt werden kann, wenn wichtige berechtigte Interessen der Genossenschaft eine Beendigung des Nutzungsverhältnisses nötig machen. Da es sich bei dem zwischen den Parteien bestehende Dauernutzungsvertrag der Sache nach um einen Mietvertrag handelt, richtet sich die Frage, ob die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Nutzungsverhältnisses hatte, nach § 573 Abs.1, 2 Nr. 3 BGB (vgl. BGH MW 2003, 691, 692).

Der Genossenschaftszweck hindert die Kündigung nicht. Auch wenn der Ausnahmefall des Abrisses eines Gebäudes in § 2 Abs.2 als Genossenschaftszweck nicht ausdrücklich erwähnt ist, ergibt die Zusammenschau mit § 28 Buchst, m) der Satzung, der als Gegenstände der gemeinsamen Beratung von Vorstand und Aufsichtsrat gerade Neubau- und Modernisierungsprogramme einschließlich des Rückbaus anführt, dass auch Rückbau und Neubau erkennbar Teil des Satzungszwecks sind. Anderenfalls würde die Regelung in § 28 und die Beschlusskompetenz aus § 29 der Satzung leerlaufen.

Der Kündigung steht die behauptete Zusage des damaligen Vorstandsmitglieds über eine Sanierung des Gebäudes bei Stimmmehrheit der verbliebenen Mieter/Nutzer nicht entgegen. Beweis für eine dahingehende (streitige) Zusage wurde von der hier beweisbelasteten Beklagten nicht angeboten. Nach § 22 Abs. 2 der Satzung wird die Klägerin zudem durch ihre beiden Vorstände gemeinschaftlich oder einem Vorstandsmitglied und einem Prokuristen vertreten. Danach fehlt es an einer wirksamen Vertretung der Klägerin in der Veranstaltung und einer für sie rechtverbindlichen Erklärung des Vorsitzenden. Dass der ebenfalls für die Klägerin auf der Veranstaltung anwesende Herr eine entsprechende Erklärung abgegeben hat und als Prokurist dazu berechtigt war, wird weder vorgetragen noch hinsichtlich der erteilten Prokura unter Beweis gestellt. Da sich die Beklagte hier auf eine wirksame Stellvertretung beruft, war sie auch in diesem Punkt beweispflichtig. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist bereits deshalb nicht ausreichend, weil durch Einsichtnahme in das Genossenschaftsregister ohne weiteres Erkenntnisse über die Vertretung der Genossenschaft zu erlangen sind.

Ein berechtigtes Interesse an der Kündigung i.S.v. § 573 Abs. 1, 2 BGB ist gegeben. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB besteht ein Interesse des Vermieters an der Kündigung, wenn er durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. So ist es hier:

Die Klägerin hatte bei Ausspruch der Kündigung die Absicht einer anderweitigen Verwertung. Erforderlich ist die ernsthafte Absicht der anderweitigen Verwertung. Diese darf nicht vorgetäuscht sein, muss mit hinreichender Sicherheit feststehen und eindeutig sein; rechtliche oder tatsächlichen Verwertungshindernisse dürfen nicht bestehen (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Auflage 2013, § 573 Rdn 153). Die Zweifel der Beklagten an der ernsthaften Verwertungsabsicht sind unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten bei Ausspruch der Kündigung nicht durchgreifend. Die für den Abriss des Gebäudekomplexes erforderliche Zweckentfremdungsgenehmigung wie auch zwei Abrissgenehmigungen lagen zum Zeitpunkt der Kündigung vor und waren dieser beigefügt. Zur sozialen Abfederung wurde mit dem Mieterverein noch vor der Kündigung eine umfangreiche Rahmenvereinbarung getroffen. Hierzu zählen unter anderem auch Rückkehrrechte in den vorgesehen Neubau. Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung bezüglich des Neubaus wurde eingeholt und vorgelegt. Dass zum damaligen Zeitpunkt noch keine Baugenehmigung vorlag, ist unerheblich. Die Beantragung der Baugenehmigung und ihre Erteilung während des laufenden Gerichtsverfahrens (und das Vorliegen sämtlicher weiterer Genehmigungen) lässt einen hinreichend sicheren Schluss auf eine ernsthafte Verwertungsabsicht der Klägerin durch Abriss und Neubau zum Zeitpunkt der Kündigung zu. Selbst wenn die Genehmigung zum Abriss ohne Zustimmung des Bauausschusses erfolgte, spricht dies nicht gegen eine Verwertungsabsicht der Klägerin und stellt kein rechtliches Hindernis für das Vorhaben der Klägerin dar. Entsprechend verhält es sich mit Denkmalsschutzgesichtspunkten. Zwar mag der Komplex nach Ansicht der Beklagten denkmalschutzwürdig sein, er steht derzeit jedoch trotz ersichtlich eingehender behördlicher Prüfung nicht unter Denkmalschutz. Maßgeblich für eine gerichtliche Entscheidung sind allein die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und nicht Wünschenswertes.

Die geplante Art der Verwertung ist angemessen. Angemessen ist eine wirtschaftliche Verwertung dann, wenn sie von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird (BGH, NJW 2009, 1200; NJW 2011, 1135;). Die Kündigung ist bis zu einem bestimmten Grad auf ihre Nachvollziehbarkeit und Vernünftigkeit zu prüfen (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Auflage 2013, § 573 Rdn 158). Dem Gericht ist es dabei aber verwehrt, Planungen des Eigentümers durch eigene, vermeintlich vernünftigere Entscheidungen zu ersetzen (Schmidt-Futterer aaO). Die Angemessenheit der Verwertung ergibt sich insbesondere aus folgenden Gesichtspunkten: Der gesamte Gebäudekomplex ist unstreitig in einem Zustand, der umfangreiche Sanierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen erforderlich macht. Der Zustand des Gebäudes ist im Gutachten der Architekten … (Anlage B 7, Bl. 128 ff d.A.), auf welches sich die Parteien insoweit beziehen, dokumentiert. So ist etwa die Dränage funktionsunfähig, die Fassade instandsetzungsbedürftig, die zur Straße gelegenen Balkone sind marode, die hofseitigen Balkone abgängig und teilweise gesperrt. Im Gebäudeinneren finden sich Feuchtigkeitsschäden, teilweise Schimmel in den Wohnungen, die Luftschalldämmung ist nach Maßgaben der DIN 1989 unzureichend. Die Wohnungen werden unterschiedlich beheizt. Die ursprüngliche Ausstattung bestand aus Kohleöfen. Heute sind nach Veränderungen durch die Mieter daneben Gas-Einzel/Außenwandheizer. Gasetagenheizungen, Nachtspeicheröfen, fest installierte elektrische Heizlüfter, mobile Heizlüfter und Radiatoren vorhanden. Die Warmwasserbereitung in den Küchen findet durch Boiler oder Durchlauferhitzer statt, es sei denn, die jeweilige Wohnung verfügt über eine Gasetagenheizung. Die Elektrik ist veraltet, der Energiebedarf hoch. Nach dem Gutachten … sind die Wohnungsinstallationen zum Zeitpunkt der Erneuerung der Elektroverteilung nicht dem seinerzeitigen erforderlichen technischen Stand hinsichtlich der Schutzmaßnahmen angepasst worden. Die Gutachter führen hier weiter aus, dass insofern fraglich sei, ob der Bestandsschutz noch herangezogen werden könne (Seite 72, Bl. 197 d.A.)

Die Grundflächen der 1 bis 2,5 Zimmerwohnungen sind teilweise verhältnismäßig klein (weniger als 30 m2), die Bäder teilweise sehr klein(„Kleinstbad“ lt. Gutachten, Bl. 424 ff d.A.). Die Raumbreite der Bäder liegt bei der Hälfte der Einheiten bei etwa 1 m; in einigen Bädern sind die Waschbecken auf Grund der Größe der Bäder in der Dusche installiert oder die Küchenspüle dient als Waschtisch.

Das Gebäude bedarf nach allem erheblicher Sanierungsmaßnahmen (vgl. die Variante 1 aus dem Gutachten … unter Verweis auf notwendige Instandsetzungsmaßnahmen und die Berechnung des Gutachters … in der Anlage zur Kündigung) oder muss abgerissen und neugebaut werden.

Das Gericht kann der Klägerin dabei nicht vorschreiben, welche der Maßnahmen sie ergreift, solange die Entscheidung nachvollziehbar und vernünftig ist. Dem Eigentümer ist im Übrigen auch allgemein ein anerkennenswertes Interesse daran nicht abzusprechen, eine angesichts des sanierungsbedürftigen Gebäudezustands bereits gebotene nachhaltige Verbesserung oder dauerhafte Erneuerung seines Eigentums alsbald und nicht erst bei vollständigem Verbrauch der bisherigen Bausubstanz zu realisieren (so BGH NJW 2009, 1200). Danach ist der Abriss und der Neubau im Verhältnis zu den möglichen Sanierungsvarianten eine vernünftige und nachvollziehbare Entscheidung. Bei beiden reinen Sanierungsvarianten müsste die Klägerin weiterhin mit der vorhandenen alten Bausubstanz „leben“. Das Gebäude würde weiterhin die nicht zeitgemäßen Grundrisse besitzen, der Zuschnitt der Bäder könnte nicht verändert werden. Das Gebäude wäre nicht durchgängig barrierefrei, Fahrstühle weiterhin nicht vorhanden. Letztlich kommen beide Sanierungsvariantenanten einer Minimalsanierung gleich (auf die sich die Klägerin nicht verweisen lassen muss, BGH aaO), die zu keiner maßgeblichen Verlängerung der Lebensdauer des Gebäudes bei unveränderter Bausubstanz führt und zudem die Wohnverhältnisse der Nutzer nicht wesentlich verbessert.

Die und im Wesentlichen unstreitigen Rechenwerke lassen die Neubauentscheidung ebenfalls nicht unvernünftig erscheinen. Sofern der Beklagte Sanierungskosten von lediglich 800,00 bis 1.100,00 €/m2 ansetzen will, weil die IFB dies üblicherweise tue, vermag sie damit im Hinblick auf die vorliegenden konkreten sachverständigen Schätzungen der Baukosten nicht durchzudringen. Auch auf die Frage der jeweiligen Abschreibungsdauer, die mit der Lebensdauer eines Gebäudes oder sanierten Gebäudes ohnehin nicht identisch sein muss, kommt es nicht an. Die Kosten des Neubaus liegen mit knapp 2.930 €/m2 zwar mehr als 50% über den Kosten einer weitgehenden Instandsetzung mit Teilmodernisierung (Variante 2…). Die mit dieser einmaligen Investition einhergehenden Vorteile eines Neubaus überwiegen aber deutlich. Der Instandhaltungs- und Sanierungsbedarf ist über Jahre gleich Null. Ein Neubau kann hinsichtlich der Grundrissgestaltung heutigen Bedürfnissen entsprechen, die Ausstattung heutigen Anforderungen. Die Gebäudebeschaffenheit würde hinsichtlich Technik, Energetik und Schallbelastungen heutigem Standard aufweisen. Im Übrigen läuft die Klägerin bei der Neubauvariante nicht Gefahr, dass bei einer Sanierung die Notwendigkeit weiterer Instandsetzungsmaßnahmen zu Tage tritt. Auch der Wunsch der Klägerin größere, familiengerechtere Wohnungen in ihrem Bestand im Stadtteil anzubieten, ist vernünftig und nachvollziehbar. Die Klägerin plant hier auch nicht am Bedarf vorbei.

Der Wohnungsbedarf in Hamburg ist allgemein hoch. Die Tatsache, dass kleinere Wohnungen verstärkt nachgefragt werden besagt nicht, dass familiengerechte größere Wohnungen mit entsprechendem Zuschnitt nicht nachgefragt werden.

Für die Beurteilung der Frage, ob vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die Neubauvariante sprechen, kam es nicht darauf an, ob Sanierungskosten teilweise (ohnehin nicht abgrenzbar) durch einen ggf. von der Klägerin zu vertretenden Sanierungsstau verursacht worden sind.

Der Klägerin entstehen auch erhebliche Nachteile, wenn sie an der beabsichtigen Verwertung gehindert würde. Die Frage, ob dem Eigentümer durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen (BGH, NJW 2011, 1135). Die erforderliche Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Eigentümers entzieht sich danach einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation des Vermieters treffen. Das Eigentum gewährt dem Vermieter keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Auf der anderen Seite dürfen die dem Vermieter entstehenden Nachteile jedoch keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen (BGH, NJW 2009, 1200 mwNw). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt hier eine Abwägung der einzelnen Umstände, dass das Bestandsinteresse der Beklagten hinter dem Verwertungsinteresse der Klägerin zurücktritt.

Zu den bereits beschriebenen Nachteilen den Sanierungsvarianten stellt es für die Klägerin einen weiteren erheblichen Nachteil dar, wenn sie durch Verweisung auf eine Einfachsanierung im Bestand daran gehindert wird, ihre Mitgliederstruktur durch Schaffung attraktiver familiengerechter Wohnungen zu verbreitern. Zudem wäre sie darauf verwiesen, ihren Mitgliedern lediglich einen sanierten Bestand anzubieten und keine den heutigen Ausstattungsstandards entsprechenden Wohnungen. Selbst bei der einfachen Instandsetzung bliebe die Klägerin an die Substanz gebunden und dies zudem ohne energetische Modernisierung. Ungewiss ist auch, ob bei Durchführung der Sanierungsvarianten nicht weiterer Instandsetzungsbedarf zu Tage tritt, der den Bestandsschutz in Frage stellt und/oder zu erheblichen weiteren Kosten führen kann. Sollte Bestandschutz nicht mehr bestehen, drohen erhebliche weitere Kosten, wie dem Gutachten der Architekten … zu entnehmen ist. Nicht ausgeschlossen werden kann zudem, dass in absehbarer Zeit weitere kostenträchtige Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden. Fenster- und Türelemente stammen beispielsweise aus dem Jahr 1998 und dürften die Hälfte ihrer Lebensdauer annähernd erreicht haben.

Das Bestandsinteresse der Beklagten ist dagegen nicht wesentlich beeinträchtigt. Sie verliert ihren Lebensmittelpunkt auf Dauer nicht, da ihr ein auch finanziell attraktives Rückkehrrecht eingeräumt worden ist. Allenfalls sind Änderungen in der Belegenheit der Wohnung im Haus und ihres Zuschnitts zu besorgen. Zwar wäre die monatliche Miete auf 5,90 €/m2 erhöht. Dem steht jedoch eine Erhöhung des Wohnwerts gegenüber. Im Übrigen beliefe sich die Miete bei der von der Beklagten bevorzugten Sanierungsvariante auf ca. 7 €/m2. Ob das Gebäude denkmalschutzwürdig ist oder nicht, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, da es um das Bestandsinteresse der Beklagten an ihrer Wohnung geht.

Die Beklagte kann der Kündigung nach § 242 BGB auch keine Entmietungsstrategie durch bewusstes Herunterwirtschaften des Gebäudes entgegenhalten. Dass die Klägerin seit 2011, also ab dem Zeitpunkt der Planung für ein Instandsetzungs- oder Neubauvorhaben, nicht neu vermietet und nicht nachhaltig investiert hat, ist aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ohne weiteres nachvollziehbar. Der Umstand, dass der derzeitige sanierungsbedürftige Zustand des Gebäudes bei nachhaltigen Investitionen zumindest teilweise hätte vermieden werden können, steht der Kündigung nicht entgegen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.

Die Bewilligung einer Räumungsfrist, die vor Schluss der mündlichen Verhandlung nicht beantragt wurde, erfolgte von Amts wegen und beruht auf § 721 Abs.1 ZPO. Ihre Länge berücksichtigt die Belange beider Parteien ausreichend.

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