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Wohnungsräumung aufgrund Eigenbedarfskündigung

AG Aachen – Az.: 121 C 109/19 – Urteil vom 20.05.2021

Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung in der M-straße, G, Parterre (EG) und 1. OG, bestehend aus zwei Zimmern einer Kammer, einer Küche, einem Bad, vier Kellerräumen nebst Garage, Wohnfläche ca. 59 m² zu räumen und geräumt an den Kläger herauszugeben.

Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 00.00.0000 bewilligt.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 500 EUR. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i. H. v. 500 EUR ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Klägers abzuwenden.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Wohnungsräumung vom Beklagten aufgrund Eigenbedarfskündigung.

Der Kläger ist seit dem 00.00.0000 alleiniger Grundstückseigentümer des Objekts M-straße in G. Wegen des Inhalts des Wohnraummietvertrags wird auf Bl. 2 ff. d. A. Bezug genommen. Die Gesamtmiete beträgt 400 EUR, bestehend aus 290 EUR Nettokaltmiete und 110 EUR Nebenkostenvorauszahlungen. Das Gebäude verfügt über 17 Wohneinheiten. Der Beklagte ist alleinstehend und Mieter seit dem 00.00.0000 in der ca. 59 m² großen Wohnung Parterre (EG) und 1. OG, bestehend aus 2 Zimmern, eine Kammer, eine Küche, ein Bad, vier Kellerräume, sowie Garage. Die Wohneinheit des Beklagten ist die einzige Wohneinheit in dem Objekt, welches über 2 Zimmer, Küche und Bad nebst alleinigen Garten- und Kellerzugang verfügt. Die restlichen Einheiten haben lediglich eine Größe von bis zu 20 m² und sind nahezu ausschließlich an Studenten bzw. alleinstehende Personen vermietet. Die anderen Einheiten verfügen – anders als die Wohneinheit des Beklagten – über gemeinsam nutzbare Bäder.

Mit per Boten zugestellten Schreiben des A e. V. vom 00.00.0000 nebst Originalvollmacht des Klägers wurde dem Beklagten gegenüber die ordentliche Kündigung wegen Eigenbedarfs zum 00.00.0000 ausgesprochen. Unter anderem wird dies damit begründet, dass der Kläger zurzeit in einer Mietwohnung wohne und die Gründung eines gemeinsamen Hausstands mit der Lebensgefährtin sowie Eheschließung und Familiengründung plane und zu diesem Zwecke das Objekt erworben habe. Die Wohnung des Beklagten sei ideal und er beabsichtigte durch einen weiteren Anbau zusätzlichen Wohnraum schaffen zu können. Die weiteren Wohneinheiten im Objekt seien zu klein und hierfür nicht geeignet. Für den weiteren Inhalt des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 25 ff. d. A. Bezug genommen.

Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung wohnte der Kläger mit seiner Ehefrau – der Zeugin D – in der V-straße in G (Gesamtmiete 550 EUR, 2 Zimmer, 1 Küche/Kochnische, 1 Diele/Flur, 1 WC, 1 Bad/Dusche, 1 Balkon/Terrasse, 1 Kellerraum gemäß Mietvertrag vom 00.00.0000, Bl. 11 ff. d. A.) und mietete ab August 0000 die Wohnung Zstraße, G mit 75 m² an.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 00.00.0000 hat der Beklagte der Kündigung widersprochen und ausgeführt, dass er an mehreren Krebserkrankungen und COPD leide. Er bezieht sich diesbezüglich auf ein Attest der Ärztin Frau P, welche ihm bescheinigte, dass ihm „ein Umzug in eine andere Wohnung […] aus ärztlicher Sicht krankheitsbedingt (u. a. Krebserkrankungen und COPD) in absehbarer Zeit nicht zuzumuten sei“ (Vgl. Bl. 31 d. A.).

Der 0000 geborene Kläger hat 0000, nachdem er von seiner Familie getrennt wurde, einen Suizidversuch mit einem Mix aus Thomapyrintabletten und Alkohol hinter sich, den er überlebte. Er ist seit 10 Jahren alleinstehend und besucht regelmäßig das Cafe Y, welches sich ca. 100m entfernt von der Wohnung befindet. Am 00.00.0000 erlitt er einen leichten Schlaganfall mit Gehirnblutungen. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 00.00.0000 angekündigt, dass er keine andere Alternative als den Suizid sehe, sollte er die Wohnung zwangsweise verlassen müssen.

Der Kläger behauptet, dass Eigenbedarf bestehe. So verfüge er über kein sonstiges Grundeigentum und benötige die Wohnung für sich und seine Frau. Andere Wohneinheiten in dem Objekt würden nicht über die ausreichende Größe für die Wohnnutzung – anders als die vom Beklagten bewohnte Wohnungseinheit – verfügen. Der Vortrag der Beklagtenseite zur baurechtlichen Unzulässigkeit sei schon unerheblich. Im Keller plane er die Einlagerung von Gegenständen und die Herstellung eines kleinen Bades. Mit seinem Vater habe er nur losen Kontakt und eine „unterkühlte Beziehung“.

Er meint, dass Krankheiten des Mieters, insofern bestreitet er auch dass der Beklagte unter Depression, Darm-/Prostatakrebs und COPD leide, ihn nicht daran hindern würden, angemessenen Ersatzwohnraum zu suchen. Der Umzug in eine andere Wohnung sei dem Beklagten zumutbar. So sei der Beklagte selbst Raucher und halte sich regelmäßig in Gaststätten – insb. dem „Cafe Y“ – auf, sei mobil (insofern nicht pflegebedürftig oder bettlägerig) und fahre Mercedes E-Klasse. Mobilitätseinschränkungen bestünden nicht. Es sei auch nicht erkennbar, welche Bemühungen der Beklagte bereits unternommen habe sich Ersatzwohnraum – seit Zugang der Kündigung ca. 1,5 Jahre – zu besorgen. Auch habe er dem Beklagten bereits angeboten beim Umzug mitzuhelfen. An einem anderen Wohnort könne der Kläger seine sozialen Kontakte ebenfalls pflegen.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die Wohnung des Klägers gelegen M-straße , G, Parterre (EG) und 1. OG, bestehend aus zwei Zimmer, eine Kammer, eine Küche, ein Bad, vier Kellerräume nebst Garage, Wohnfläche ca. 59,00 m² zum 00.00.0000 zu räumen und geräumt an den Kläger herauszugeben.

Der Beklagte beantragt,

1.  die Klage abzuweisen.

2.  hilfsweise – für den Fall des Unterliegens gegenüber dem Räumungsantrag – den Beklagten eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren.

3.  hilfsweise – für den Fall des Unterliegens gegenüber dem Räumungsantrag – ein Räumungsurteil gemäß § 712 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht für vorläufig vollstreckbar zu erklären

4.  hilfsweise – für den Fall des Unterliegens gegenüber dem Räumungsantrag – den Beklagten gemäß § 712 Abs. 1 ZPO zu gestatten, die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Räumungsurteils ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin durch eigene Sicherheitsleistung abzuwenden.

Der Beklagte behauptet, der vom Kläger vorgeschobene Eigenbedarf bestehe nicht und eine Wohnung werde nicht benötigt. So besitze der Vater des Klägers 91 Mietwohnungen in G und dem Kläger sei es möglich eine passende Wohnung aus dem familieneigenen Immobilienbestand zu finden. Da der Kläger selbst seinen Beruf als (…) bereits aufgegeben habe um sich ausschließlich um Immobilien zu kümmern, bestreitet er, dass er nur diese eine Immobilie besitze. Auch sei Intention des Klägers die mit bislang unterdurchschnittlicher Miete vermietete Wohnung wie auch die anderen Wohnungen an Studenten zu höheren Preisen zu vermieten. Die vom Kläger behaupteten An- und Umbauplanungen seien baurechtlich vollkommen unmöglich und unzulässig. Im Kellergeschoss seien keine Aufenthaltsräume statthaft und dies könnte auch künftig nicht als Kinderzimmer zur Verfügung stehen.

Der Beklagte behauptet weiter, ein Umzug in eine andere Wohnung sei ihm krankheitsbedingt – insofern leide er an dem 0000 diagnostizierten Darm- und 0000 diagnostizierten Prostatakrebs, Depressionen und der 0000 diagnostizierten COPD (Stadium II nach GOLD, mittlerweile III und IV) und bullösen Lungenemphysem – nicht zumutbar. Er benötigte stets ein Sauerstoffgerät und brauche schon für kleine Strecken einen Rollator. Er sei nicht belastbar und könne keine schweren Gegenstände heben und tragen; dies wäre für ihn lebensgefährlich. Außerdem würde sich seine Depression weiter verschlimmern. Erst nachdem er den Entschluss gefasst habe, sein Leben unblutig zu beenden (und mittlerweile wisse, wie man es „richtig“ mache), könne er seine Situation einigermaßen ertragen. Sein näheres Umfeld sei für ihn besonders wichtig, insb. er schon seit 15 Jahre dort wohne und nahezu alle Nachbarn kenne und ein gutes Verhältnis zu ihnen habe. Das Cafe Y besuche er, um zumindest ein wenig Kommunikation zu haben und um nicht völlig depressiv zu werden.

Das Gericht hat den Kläger informatorisch in der Sitzung vom 00.00.0000 angehört sowie die Zeugin D in der Sitzung vom 00.00.0000 vernommen. Das Gericht hat weiter Beweis eingeholt durch ein schriftliches psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. H. Für das Ergebnis seines Gutachtens vom 00.00.0000 wird auf Bl. 123 ff. d. A. Bezug genommen. Weiterhin hat das Gericht Beweis eingeholt durch schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. T. Für das Ergebnis seines Gutachtens vom 00.00.0000 wird auf Bl. 191 ff. d. A. Bezug genommen.

Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

1.

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung aus §§ 546 Abs. 1 bzw. 985 BGB. Das zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestehende Mietverhältnis über die streitgegenständliche Wohnung wurde vom Grundbesitzerverein wirksam für den Kläger mit Schreiben vom 00.00.0000 ordentlich gekündigt.

a.

Die Formanforderungen der § 573 Abs. 3 BGB wurden mit dem Kündigungsschreiben vom 00.00.0000 eingehalten. Die Kündigungsfrist des § 573c BGB ist inzwischen abgelaufen.

b.

Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse i. S. d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Form des hier von ihm geltend gemachten Eigenbedarfs an der Wohnung.

Eigenbedarf liegt vor, wenn das Mietobjekt als Wohnung für einen bestimmten begünstigten Personenkreis zur Befriedigung seiner Wohnbedürfnisse benötigt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist die Eigenbedarfskündigung auch verfassungsgemäß, wobei die Gerichte bei Auslegung des Gesetzes die zugunsten des Vermieters streitende Eigentumsgarantie gemäß Artikel 14 GG zu beachten haben (vgl. BVerfGE 79, 292 = NJW 1989, 970; zuletzt BVerfG WuM 2002, 21). Ausfluss dessen ist es, dass die alleinigen Interessen des Vermieters, insbesondere dessen Nutzungswunsch und die Lebensplanung des Eigentümers, maßgebend und zu respektieren sind (vgl. BVerfG NZM 1999, 659 = WuM 1999, 449; 2002, 21; BGH NZM 2015, 378). So ist der hinreichend bestimmte, konkrete und ernsthaft verfolgte Nutzungswunsch als Wohnung – ausreichend auch der Wohnbedarf als Ferien- oder Zweitwohnung (vgl. BVerfG NZM 2014, 624; BGH WuM 2018, 776; 2017, 721) – erforderlich, der von vernünftigen oder nachvollziehbaren Gründen getragen wird und nicht missbräuchlich ist (vgl. BGH WuM 2019, 385; NJW 1988, 904; BGH NZM 2015, 378; BVerfGE 68, 361 = NJW 1985, 2633; BVerfGE 79, 292 = NJW 1989, 970; BVerfG WuM 1999, 449; 2002, 21; Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Aufl. 2020, § 573 Rn. 28). Dabei ist grundsätzlich zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder die Bedarfsperson für angemessen hält. Es ist im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle das Interesse zu prüfen, die willkürliche Interessen ausschließt. So liegt ein solches vernünftiges und nachvollziehbares Interesse z. B. bei Verbesserung der Wohnsituation (Wohnung zu groß/klein, teuer; zu weit vom Arbeitsplatz entfernt etc.), als auch bei nicht bedarfsbezogenen Interessen (Verlassen ehelicher Wohnung bei Schwierigkeiten, Wunsch nach Verbringung des Lebensabends oder nicht mehr zur Miete wohnen zu müssen; selbstständige beabsichtigte Lebensführung der Kinder etc.) vor. Eine Veränderung der persönlichen Lebenssituation (z. B. Heirat, Familienplanung, Kinderzuwachs etc.) ändert hieran nichts und ist zu respektieren. Missbräuchlichkeit wäre gegeben, wenn der Vermieter kein schutzwürdiges Eigeninteresse hätte, etwa wenn der Wohnbedarf weit überhöht wäre oder in einer anderen vergleichbaren Wohnung des Vermieters ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden könnte (vgl. Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 573 Rn. 24).

Unter Berücksichtigung dessen liegt hier ein nachvollziehbares und vernünftiges Interesse – hier der Nutzungswunsch einer verbesserten Wohnsituation aufgrund Gründung eines gemeinsamen Hausstandes nebst Eheschließung und Familiengründung – vor, welches auch nicht missbräuchlich ist. Im Einzelnen:

Es steht zur Überzeugung des Gerichts nach der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger ein nachvollziehbares und vernünftiges Interesses – hier der Nutzungswunsch einer verbesserten Wohnsituation aufgrund Gründung eines gemeinsamen Hausstandes nebst Eheschließung und Familiengründung – geltend gemacht hat. So hat dies der Kläger – informatorisch angehört – im Rahmen der Sitzung des 00.00.0000 bejaht („ich möchte in die Wohnung zusammen mit meiner Frau und meinem baldigen Kind einziehen“ – vgl. Bl. 69 ff. d. A.), wie auch die vernommene Zeugin D im Rahmen der Sitzung des 00.00.0000 bestätigt (vgl. Bl. 77 d. A.). Die Aussagen waren auch überzeugend. Beide – insofern der Kläger, als auch die Zeugin haben übereinstimmend ausgesagt, die Wohnung des Beklagten alsbald beziehen zu wollen. Aktuell würden sie zur Miete in Z-straße wohnen und ihre Wohnsituation verbessern (Gartennutzung möglich, Kindergarten in der Nähe, Verbindung weiterer Zimmer im 1. OG). Die Aussagen sind schlüssig und in sich widerspruchsfrei. In Bezug auf die streitgegenständliche Wohnung konnte die Zeugin D zutreffende Aussagen zum Ist-Zustand der begehrten Wohnung machen und erläutern, inwiefern sie mit dem Kläger die Wohnung nach ihren Vorstellungen gestalten möchte, etwa durch den Ausbau der Küche und des Badezimmers und den Austausch der vorhandenen Treppe. Es sei ein weiterer Ausbau auf der ersten Etage denkbar, in der noch weitere Räume seien. Zudem sei es möglich, den Keller mit in die Planung einzubeziehen, aber von konkreten Plänen hierzu wüsste sie jedoch nichts. Zwar divergieren die Angaben der Zeugin und des Klägers in Bezug auf die zu erwartende Größe (insofern geht der Kläger von ca. 80 m² Wohnfläche aus, während die Zeugin 90-100m² angibt), jedoch steht dies der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht entgegen. So gibt die Zeugin schließlich nicht an, ob ihre Angabe die konkrete Wohnfläche meint und aus den Angaben ist auch ersichtlich, dass entweder über einen Anbau oder die Zusammenlegung weiterer Einheiten im 1. OG weitere Fläche geschaffen werden könnte, so dass die geplante Größe durchaus divergieren kann. Für die Richtigkeit der Angaben der Zeugin D spricht auch, dass sie von sich aus offenlegte über eigenes – aber aufgrund lebenslanges Wohnrecht der Mutter – beschränktes Wohneigentum zu verfügen. So wurde dies vorher sogar schriftsätzlich von der Klägerseite in Abrede gestellt („Neben dem Gebäudegrundstück 21, G verfügen der Kläger und seine Ehefrau D über kein weiteres Grundeigentum“, Bl. 5 d. A.). Dass die Zeugin auch nicht über eigenes Eigentum verfügt, wurde zwar auch nicht von der Beklagtenseite bestritten, sondern nur, dass der Kläger nicht über weiteres Eigentum verfüge und der Vater des Klägers sogar über 91 Wohnungen verfüge. Der Zeugin wäre es entsprechend einfach gewesen ihr Wohneigentum zu verschweigen. Dass sie dies nicht gemacht hat, spricht für ihre Glaubhaftigkeit. Die Zeugin bestätigte aber auch, dass der Vater des Klägers im Immobiliengeschäft und auch der Kläger in dessen Geschäft tätig sei, aber sie sich unabhängig von ihm und dortigen Mietwohnungen hätten machen wollen. Dass sich möglicherweise einzelne Umbauwünsche (etwa die große begehbare Dusche) nicht realisieren lassen, wird seitens der Zeugin bereits im Rahmen ihrer Vernehmung in Betracht gezogen und lässt auch keine hinreichenden Zweifel am Nutzungswunsch an sich entstehen. Die näheren Einzelheiten, wie Kläger und Zeugin zu Wohneigentum überhaupt kamen (insofern ist der Kläger gelernter (…) und die Zeugin (..)), und damit die Beleuchtung ihrer finanziellen Möglichkeiten, kamen nicht zur Sprache. Insofern steht dies aber auch dem Nutzungswunsch nicht entgegen, da jedenfalls ihre Umbaupläne für die Wohnung des Beklagten auch nicht allzu intensiv und kostspielig sein dürften, so dass dies ein aktuell doppelverdienendes Paar auch nicht würde finanziell stemmen können. Sofern der Kläger selbst nach Aussage der Zeugin Beziehung zum Immobiliengeschäft des Vaters hat, wäre entsprechend jedenfalls auch Expertise, finanzielle Absicherung und der Zugriff auf Handwerker oder Familienangehörige potentiell vorhanden – auch wenn nach der Aussage der Zeugin eine Unabhängigkeit zum Vater des Klägers gewahrt werden soll.

Soweit von der Beklagtenseite vorgetragen wird (und auch im Schriftsatz des Beklagten vom 00.00.0000, eingegangen am 00.00.0000 bei Gericht, wiederholt wird), dass sich die im Rahmen der Vernehmung der Zeugin D geschilderten Nutzungspläne des Klägers und der Zeugin in der streitgegenständlichen Wohnung nicht realisieren lassen, steht dies der grundsätzlichen Nutzungsabsicht und -möglichkeit nicht entgegen. So ist der Beklagtenvortrag hierzu pauschal gehalten, wenig konkret und unterstellt immer, dass der Kläger stets die Absicht hat die Wohnung für höhere Miete weiterzuvermieten. Der Beklagte, selbst (…) und (…), hat hierzu einen Aufteilungsplan zur Akte gereicht, wonach er Bedenken gegen den geplanten Küchenbereich („Will sie im Wohnzimmer kochen?“) und das Kinderzimmer („Armes Kind …. Bräuchten ihr Kind nicht in einer Hundehütte aufwachsen lassen“) vorbringt. Insofern ist es aber nicht Sache des Gerichts zu beurteilen, wie viel Wohnfläche der Kläger seinem Kind „zubilligen“ möchte oder nicht. Schließlich beträgt die Grundfläche dieses Zimmers ungefähr 10,3 m² (wobei noch ein gewisser Abzug zu machen ist, da die rechte Ecke nicht vollständig im rechten Winkel steht). Außerdem hatte der Kläger angegeben, ggf. über die Nutzung weiterer Wohnungen im 1. OG weiteren Platz zu schaffen. Auch die Nutzung eines Küchenbereichs in dem vom Beklagten aktuell als Ess- und Klavierbereich neben dem Wohnbereich gestalteten Bereich erscheint nicht willkürlich, da jedenfalls Platz genug hierfür da wäre (der Beklagte misst dies ungefähr selbst mit 6,7 m² aus – 5,64m x 1,2m). Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse und der Freiheit des Nutzungswillens (die auch dem Kläger und seiner Familie eine gewisse Gestaltungs- und Dekorationsfreiheit lassen) erscheint angesichts der derzeit zur Verfügung stehenden Wohnfläche sowie die Einbeziehung etwaiger Ausbaumöglichkeiten der Nutzungswunsch des Klägers an sich nicht unvernünftig und auch nicht missbräuchlich zu sein.

Anhaltspunkte für die Unglaubwürdigkeit der Zeugin bzw. des Klägers ergaben sich nicht.

Ob der Vater des Klägers, wie vom Beklagten behauptet, tatsächlich über 91 Mietwohnungen in G verfügt (zumindest hat die Zeugin bestätigt, dass er im Immobiliengeschäft tätig ist) ist bestritten und wurde vom Beklagten selbst nicht unter Beweis gestellt. Für die Treuwidrigkeit des Nutzungswunsches bzw. die Missbräuchlichkeit trägt der Mieter die Darlegungs- und Beweislast, da der an sich vom Vermieter darzulegende und zu beweisende Eigenbedarf dann wegfällt bzw. dieser sich nicht darauf berufen darf (vgl. BeckOGK/Geib, 1.4.2021, BGB § 573 Rn. 102; MüKoBGB/Häublein, 8. Aufl. 2020, BGB § 573 Rn. 102; LG Gießen, Urteil vom 23.02.1994 – 1 S 441/93 NJW-RR 1994, 910; a. A. Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 72).

b.

Eine soziale Härte i. S. d. § 574 Abs. 1 S. 1 BGB mit einer Fortsetzung des Mietverhältnisses liegt nicht vor. Nach Abwägung der Interessen im Einzelfall überwiegen aktuell nicht die Interessen des Beklagten am Bestand des Mietverhältnisses das Eigentumsrecht des Klägers. Im Einzelnen:

aa.

Der Mieter kann nach der Vorschrift des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Bei dem Begriff der sozialen Härte handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Im Rahmen der Umstände des konkreten Einzelfalls sind die beiderseitigen Interessen – das Eigentumsrecht des Vermieters und das Bestandsinteresse des Mieters – gegeneinander abzuwägen. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse und Ausdruck der grundgesetzlichen Wertentscheidung ist es unzulässig bestimmte Belange des Vermieters und/oder Mieters per se ein größeres Gewicht beizuordnen als der Gegenseite. Die Lebensplanung des Vermieters ist zu respektieren. Ergibt sich nach der vorgenommenen Abwägung ein Überwiegen – auf ein deutliches Überwiegen kommt es nicht an – der Belange des Mieters, kann er die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 22.5.2019 – VIII ZR 180/18 = NJW 2019, 2765). Als solche mit einem Umzug verbundenen Nachteile kommen nur dann als Härtegründe i. S. d. § 574 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht, die sich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben (ständige Rechtsprechung des BGH, zuletzt bestätigt durch BGH, Urt. v. 3.2.2021 – VIII ZR 68/19 = NZM 2021, 361). Insofern genügt auch es auch nicht pauschal auf das hohe Lebensalter des Mieters und mit dem Umzug verbundene Entwurzelung aufgrund langer Mietdauer abzustellen, ohne weitere Feststellungen zu den einzelnen Umständen und den mit einem Umzug verbundenen Folgen zu treffen (vgl. BGH a. a. O.). So sagt das Alter als auch die Mietdauer ohne Hinzutreten weiterer Umstände nichts über den persönlichen Zustand und die Verfassung des Mieters oder dessen soziale Verwurzelung aus. Ein hohes Lebensalter kann aber in Verbindung mit weiteren Umständen – im Einzelfall auch der auf einer langen Mietdauer beruhenden tiefen Verwurzelung des Mieters in seiner Umgebung – bei der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung, mithin unter Berücksichtigung der sich aus diesen Faktoren konkret für den betroffenen Mieter ergebenden Folgen eines erzwungenen Wohnungswechsels, eine Härte begründen (vgl. BGH a. a. O.). Insbesondere kann eine Härte zu bejahen sein, wenn zu den genannten Umständen (hohes Lebensalter, Verwurzelung aufgrund langer Mietdauer) Erkrankungen des Mieters hinzukommen, aufgrund derer im Fall seines Herauslösens aus der Wohnumgebung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu erwarten steht. Lässt der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zu oder besteht im Fall eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters, kann sogar allein dies einen Härtegrund darstellen (BGH a. a. O. – m. W. N.; BGH, Urteil vom 22.5.2019 – VIII ZR 180/18 = NJW 2019, 2765). Welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann – auch ob sich die Folgen durch Unterstützung des Umfeldes bzw. Behandlung mindern lassen -, sind erhebliche Fragen, die es im Rahmen einer Begutachtung bei Fehlen eigener Sachkunde zu klären gilt.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob das Mietverhältnis fortzusetzen ist, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Härtegründen trägt der Mieter. Jedenfalls reicht es für den Mieter als einen medizinischen Laien aus, dass er unter Vorlage von Attesten der behandelnden Fachärzte, beim Sachvortrag geltend macht, dass ihm ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten ist, wenn der Vermieter dieses Vorbringen bestreitet. Angaben zu den gesundheitlichen Folgen, insbesondere zu deren Schwere und zu der Ernsthaftigkeit der zu befürchtenden gesundheitlicher Nachteile sind von ihm nicht zu verlangen.

Der Wertungsgehalt des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 1 GG gebietet es dem Gericht verfassungsrechtlichen Schutzpflichten ausreichend zu berücksichtigen und entsprechende widerstreitenden Interessen in Ausgleich (praktische Konkordanz) zu bringen. Bei ernsthafter Suizidgefahr wegen Räumung haben verschiedenste Gerichte eine entsprechende Härte bejaht, sofern diese nicht beherrschbar ist und nicht durch ärztliche Hilfe begegnet werden kann (vgl. bejahend AG München, Urteil vom 22.11.2019 – 411 C 19436/18; LG Berlin, Urteil vom 7.5.2015 – 67 S 117/14; LG Oldenburg WuM 1991, 346; verneinend LG Bonn, Urteil vom 16.8.1999 – 6 S 150/98 bei beherrschbarer Suizidgefahr; hierzu auch Walker/Gruß: Räumungsschutz bei Suizidgefahr und altersbedingter Gebrechlichkeit, NJW 1996, 352). Der Mieter hat – sofern möglich – entsprechend an der Herstellung einer Räumungsfähigkeit mitzuwirken und von ihm kann jedes zumutbare Bemühen verlangt werden, um eine Verringerung des Gesundheitsrisikos zu verlangen (vgl. BVerfG NZM 2005, 657 zu § 765a ZPO). Der Mieter muss sich aber auch nicht auf eine nicht absehbare Dauer zur stationären Behandlung einlassen (vgl. LG München I, Urt. v. 23.7.2014 – 14 S 20700/13). Es soll ebenfalls verhindert werden, dass mit der potentiellen Möglichkeit eines Suizids eine Durchsetzung des auch grundrechtlich verbürgten Eigentumsrechts des Vermieters auf unabsehbare Dauer verhindert wird (vgl. LG Bonn, Urteil vom 16.8.1999 – 6 S 150/98). Dies muss insbesondere für den Fall gelten, dass der von der Räumung betroffene Mieter eine mögliche Behandlung zur Verbesserung seines psychischen Zustands und zur Eindämmung von Suizidabsichten ablehnt.

bb.

Vorliegend steht zur Überzeugung des Gerichts zwar nicht fest, dass der Beklagte an einer Depression, aber jedenfalls an einer affektiven Niedergestimmtheit leidet, die am ehesten mit der Diagnose einer Dysthymia (ICD-10: F34.1) zu bewerten ist. Eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung besteht aktuell nicht, obwohl der Beklagte bei einem Umzug einen Suizid in Erwägung ziehen wird. Es steht aber weiterhin nicht fest, dass es durch einen Aus- oder Umzug zu einer Verschlechterung des psychischen Befindens und/oder der somatischen Erkrankungen kommen könnte. Dies folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. H, dem sich das Gericht in eigener Überzeugungsbildung anschließt. Der Sachverständige H gab an, dass der Beklagte an einem schädlichen Gebrauch von Alkohol und Cannabis, sowie einer Nikotinabhängigkeit (ca. 10-12 Zigaretten täglich) leidet und unter wiederkehrenden phasenhaft auftretenden depressiven Phasen mit Antriebslosigkeit, reduziertem Selbstwertgefühl, Hinterfragung des Lebenssinns, Grübelneigung mit Schlafstörungen, erhöhtem Anstrengungserleben und reduzierter Belastbarkeit. Er beurteile dies am ehesten als anhaltende affektive Störung i. S. e. Dysthymia. Er könne nicht sicher beurteilen, aber auch nicht ausschließen, ob eine manifeste Depression zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen habe. Die prekäre Lebenssituation des Beklagten (geringe Auftragslage als Ingenieur, übermäßiger Alkohol-, Cannabiskonsum, finanzielle Schwierigkeiten mit Überschuldung, alleinstehend) sei Teil von ihm formulierten suizidalen Verhaltens und Risikofaktoren. Konkrete Umsetzungsgedanken im Falle eine Suizidwunsches würden bestehen. Hinweise auf eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung lägen aber nicht vor. Der drohende Wohnungsverlust bedeute für ihn eine damit verbundene Perspektiv- und Aussichtslosigkeit. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte in Anbetracht der subjektiv empfundenen Ungerechtigkeit, der Veränderung der Lebensumstände mit Verlust des vertrauten sozialen Umfeldes mit möglicherweise erschwerter (aber für den Beklagten nicht unmöglicher) Aufrechterhaltung bestehender sozialer Kontakte, der möglicherweise bedingten finanziellen Zusatzbelastung und dem empfundenen Überforderungserleben bei der Umsetzung eines Umzuges einen Suizid – auch im Sinne eines Vermeidungsverhaltens – in Erwägung ziehen wird. Die vom Beklagten geäußerte Suizidalität sei konditionell an den möglichen Wohnungsverlust gekoppelt und nicht kausal mit einer primären psychischen Erkrankung stehen zu werten. Aufgrund seiner derzeitigen Mobilität gehe er von einer noch ausreichend hohen Anpassung- und Kontaktfähigkeit des Beklagten mit Alternativen aus. Es bestehe kein sicherer Hinweis aus psychiatrischer Sicht, dass es durch einen Aus- oder Umzug zu einer Verschlechterung des psychischen Befindens und/oder der somatischen Erkrankung kommen könne. Der Sachverständige ist als Direktor und Chefarzt des O Krankenhauses auch qualifiziert für ein psychiatrisches Gutachten. Der Sachverständige hat die richtigen Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt und den Beklagten eingehend – insbesondere des Lebenssituation im Rahmen eines Anamnesegesprächs sowie die Aktenlage und insbesondere die Vorberichte – untersucht. Sein Gutachten weist keine Belastungstendenzen auf und ist inhaltlich plausibel und nachvollziehbar. Insofern die Ärztin P in ihrem Attest darauf abstellt, dass der Beklagte unter einer Depression leidet, die sich durch einen erzwungenen Umzug verschlimmern würde, liefert das Attest hierfür keine Begründung, so dass allein diese Aussage das Ergebnis der psychiatrischen Begutachtung durch den Sachverständigen H nicht zu erschüttern vermag.

cc.

Weiter steht für das Gericht fest, dass der Beklagte an einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung GOLD II mit beginnendem leichtgradigem Emphysem – bedingt durch den langjährigen Nikotinkonsum – leidet und schwere körperliche Belastung sowie die Inhalation toxischer Stoffe vermeiden sollte. Allerdings besteht keine lebensgefährliche Situation für eine Verschlimmerung der Situation durch einen Umzug, die nur bei einer fortgeschrittenen COPD mit Sauerstoffpflichtigkeit bestehen würde. Dies folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. T. Der Sachverständige ist als Chefarzt der Klinik für Pneumologie auch qualifiziert und hat die richtigen Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt. Der Beklagte wurde von dem Sachverständigen untersucht. Sein Gutachten weist keine Belastungstendenzen auf und ist inhaltlich plausibel und nachvollziehbar. Das Gutachten des Sachverständigen deckt sich im Wesentlichen auch mit dem Vorbefund von Dr. B, der ebenfalls von der Vermeidung schwerer körperlicher Belastung ausgeht.

dd.

Unter Berücksichtigung der im folgenden noch angesprochenen Umstände hält das Gericht ein Überwiegen der Interessen des Beklagten am Bestand des Mietverhältnisses aktuell nicht für gerechtfertigt.

Die COPD-Erkrankung steht dem Auszug des Beklagten nicht entgegen, da eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes – insb. eine Lebensgefährlichkeit – nicht anzunehmen ist. Dass der Beklagte körperlich eingeschränkt ist durch seine Lungenerkrankung, ergibt sich zwar auch aus dem Gutachten von Dr. T. Insofern ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Zustand kausal durch seinen Nikotinkonsum selbst vom Beklagten verursacht ist und hingenommen wurde. Aus dem Gutachten von Dr. H wird auch deutlich, dass der Beklagte an diesem Konsumverhalten nichts ändern wird („aus Gründen des Genusses“ – vgl. S. 18 des Gutachtens H). Allein aber die Tatsache, dass der Beklagte nicht dazu in der Lage ist, den Umzug allein durchzuführen, begründet keinen Härtefall im Sinne des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB. Der erhöhte Organisationsaufwand ist vielmehr im Rahmen der Räumungsfrist zu berücksichtigen. Zudem hat der Kläger dem Beklagten bereits angeboten, diesem beim Umzug zu unterstützen, so dass der Beklagte nicht selbst körperlich mitarbeiten müsste. Aus den Befunden zum körperlichen Zustand des Beklagten ergibt sich weiter eine entsprechende Einschränkung bei der Wahl von Ersatzwohnraum. So wird der Kläger aufgrund der Vermeidung körperlicher Anstrengung auf Wohnungen im Erdgeschoss oder einer Erreichbarkeit mit Aufzug angewiesen sein. Das schränkt eine entsprechende Flexibilität ein und ist als organisatorischer Aufwand zu berücksichtigen. Jedenfalls aber ist das Wohnen in einem alternativen Wohnraum für den Beklagten nicht per se ausgeschlossen.

Gleiches gilt auch für den inzwischen erlittenen leichten Schlaganfall mit Gehirnblutung. Dass dieser körperliche Auswirkungen – außer ein gewisser Risikofaktor im Rahmen der Gesamtbetrachtung des Suizidrisikos – hat, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Weiter gilt zu berücksichtigen, dass ein sicherer Hinweis dafür fehlt, dass ein Aus- oder Umzug zu einer zwingenden Verschlechterung des psychischen Befindens und/oder der somatischen Erkrankungen beim Beklagten führen wird. Das Gericht nimmt die Ankündigung des Beklagten zu einem möglichen Suizid sehr ernst, insofern auch der Sachverständige Dr. H eine Relevanz zwischen Wohnungsverlust und Suiziderwägung bejahte und angab, dass der Beklagte beim Wohnungsverlust einen Suizid in Erwägung ziehen wird. Unstreitig hat es bereits Anfang der 1990er Jahre einen fehlgeschlagenen Versuch gegeben und dem Beklagten ist durchaus zuzutrauen, dass er weiß wie er es nun „richtig machen muss“. Allerdings hat der Sachverständige auch angegeben, dass eine akute Suizidalität fehlt. Die Wahrscheinlichkeit für die Umsetzung des Suizids sieht das Gericht zwar als möglich, aber aktuell nicht hinreichend wahrscheinlich an. Das Gericht möchte dies nicht als Aufforderung an den Beklagten verstanden wissen, dass er sich zum Beweis des Gegenteils herausgefordert fühlen sollte und den Holzkohlegrill anmacht, die Fenster verschließt und eine Flasche Whiskey trinkt (wie er gegenüber Dr. H angegeben hat). Das Gericht kann sich nicht an die Stelle des Beklagten stellen und diesem vorgeben was er zu tun und zu lassen hat. Aber die Bewertung, ob mit der Wohnungsräumung das erträgliche Maß voll ist oder nicht (und entsprechend eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Suizids vorliegt oder ist), ist auch für das Gericht eine nicht einfach zu bewertende Aufgabe. So liegen beim Beklagten eine Vielzahl an Faktoren (geringe Auftragslage als (…), übermäßiger Alkohol-, Cannabiskonsum, finanzielle Schwierigkeiten mit Überschuldung, alleinstehend, familiäre Probleme) vor, die ihn jederzeit auch früher schon hätten diesen Weg gehen lassen können – da seine Lebenssituation schon seit Jahren prekär und bescheiden ist und dies schon seit Jahren als Risikofaktor auf ihn einwirkt. So kommt seit der Trennung von seiner damaligen Lebensgefährtin ab 0000 auch hinzu, dass er ab 0000 erhebliche Schicksalsschläge durch die Krebserkrankungen und die COPD – wie auch den leichten Schlaganfall im Jahr 0000 – erleiden und verkraften musste. Neben dem Risikofaktor seiner eingeschränkten Lebenssituation – Gefühl des Ausgeliefertseins, Hilfs-/Hoffnungslosigkeit, fehlende Zukunftsperspektive, schwierige Lebenssituation, angespannte Wohnsituation, Alkohol- und Cannabiskonsum – ist aber ebenfalls zu berücksichtigen, dass ihm aktuell noch eine ausreichend hohe Anpassungs- und Kontaktfähigkeit attestiert wird, er noch mobil ist und (zum Zeitpunkt der Begutachtung im Sommer 0000) regelmäßig einen Bekannten besucht und diesen bei Alltagsaufgaben unterstützten kann. Diese dem Beklagten zukommenden Aufgaben scheinen durchaus auch weiterhin einen positiven Einfluss auch ihn zu haben. So hat der Beklagte auch einen guten Draht zu den im Haus wohnenden Studenten und wird von diesen gerne als Kümmerer und Ratgeber in Anspruch genommen, wie sich aus dem Anamnesegespräch ergibt. Die täglichen Kontakte im Cafe Y sind seine „Familie“. Ein Umzug wird zwar die Aufrechterhaltung dieser sozialen Kontakte erschweren, aber nicht unmöglich machen. Das Gericht verkennt nicht, dass Rückhalt der eigentlichen Familie nicht mehr gegeben ist (schwierige Kindheit; kein Kontakt mehr zum älteren Bruder und dem jüngeren Bruder Untätigkeit im Zusammenhang mit der Darm-OP 0000 vorgeworfen wird, kein Kontakt mehr mit der Tochter und seit ca. 0000 kein Kontakt mehr mit dem Sohn – wie sich jeweils aus der Anamnese von Dr. H ergibt) – insofern bezeichnet der Beklagte selbst die Leute im Cafe Y als „Familie“. Aufgrund der seit letztem Jahr herrschenden Covid-19-Pandemie (insofern sind die Gaststätten nun seit November/Dezember 2020 durchgehend geschlossen) muss auch dieser Kontakt inz wischen erheblich eingeschränkt worden sein (was als Risikofaktor weiter erhöhend zu berücksichtigen ist). Darüber hinaus hat der Beklagte – insofern nicht bestritten von Klägerseite – im Oktober 0000 noch einen leichten Schlaganfall mit Gehirnblutungen erlitten – was insofern auch erst nach der Begutachtung durch Dr. H im Juli 0000 erfolgte und einen weiteren Risikofaktor darstellt. Allerdings muss mit dem Wohnungsverlust auch nicht zwangsläufig für den Beklagten eine Perspektivlosigkeit verbunden sein – auch wenn er das subjektiv so empfinden mag, da er jedenfalls dort auch weiterhin anpacken kann, wo er gebraucht wird. Für den Beklagten sind weiterhin Alternativen vorhanden und eine schwere Depression besteht ebenfalls nicht. Aufgrund dessen nimmt das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände an, dass es aktuell an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Suizids fehlt.

Es gilt aber auch zu berücksichtigen, dass der mit 64 Jahren auch noch nicht zu alte Beklagte sich bislang ärztlicher Hilfe nicht verschlossen hat; er sich insbesondere intensiv hat von Dr. H begutachten lassen und bei den Ärzten Dr. B und Frau P in durchlaufender Behandlung befindet. Deshalb besteht berechtigter Anlass, dass der Beklagte sich einer ärztlichen Behandlung seiner Suizidalität nicht verschließen wird, sofern er hierzu aufgefordert wird. Entsprechendes Gegenteil wurde bislang auch nicht vom Beklagten im Anamnesegespräch mit Dr. H geäußert. Vielmehr äußerte er dort, dass eine Psychotherapie ihn um das Jahr 0000 herum stabilisiert habe (und er mithin schon einmal ärztliche Hilfe hatte). Entsprechend hat das Gericht die berechtigte Erwartung, dass sich der Beklagte wird ärztlich behandeln lassen – soweit dies von ihm gefordert wird. Insofern hat auch das BVerfG ausgeführt, dass bei der Räumungsvollstreckung i. S. d. § 765a ZPO auch zumutbare Handlungen, wie das Erteilen von Auflagen zur Wohnungssuche und zur ärztlichen Behandlung, in Betracht zu ziehen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.06.2005 – 1 BvR 224/05). Das Gericht möchte einer entsprechenden Vollstreckung nicht vorgreifen, da das Erkenntnisverfahren losgelöst hiervon zu betrachten ist und das Gericht auch nicht in die Kompetenz des Vollstreckungsgerichts eingreifen darf. Aber jedenfalls ist der dahinterliegende Gedanke, dass Mitwirkungen des Mieters im Rahmen der Abwägung widerstreitender Interessen zumutbar sind, auch hier im Rahmen der Interessenabwägung des Härtefalls anzuwenden.

Vor dem Hintergrund hält das Gericht in der aktuellen Situation unter Berücksichtigung der oben genannten Umstände im Einzelfall – aber auch des ebenfalls auf anderer Seite zu berücksichtigenden Eigentumsrechts des Klägers – ein Überwiegen des Interesses des Beklagten am Bestand des Mietverhältnis für aktuell nicht gerechtfertigt.

3.

Das Gericht ordnet eine Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO auf Hilfsantrag des Beklagten hin bis zum 00.00.0000 an. Die Bewilligung sowie die Höhe stehen im Ermessen des Gerichts, dass dabei die Interessen beider Parteien gegeneinander abzuwägen hat (vgl. Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 721, Rn. 6).

Vorliegend ist neben den oben bereits genannten Interessen bzw. Umständen (mögliche, aber nicht dringend wahrscheinliche Suizidalität beim Beklagten, chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung GOLD II mit beginnendem leichtgradigem Emphysem; affektiven Niedergestimmtheit) auch die aktuelle Coronavirus-Pandemielage zu berücksichtigen, die für eine Bewilligung der Räumungsfrist bis ins Jahr 2022 sprechen. Im Hinblick auf die aktuelle Coronavirus-Pandemielage mit einer nunmehr aufgetretenen gefährlichen Virusvariante und einem seit November bzw. Dezember 2020 stets verlängerten und noch anhaltenden „Lockdown“ wird die Suche nach Ersatzwohnraum für den Beklagten zum einen dadurch erheblich erschwert, dass zur Verlangsamung der Ausbreitung des Virus Kontaktverbote angeordnet wurden und von verantwortungsbewussten Personen soziale Kontakte auf ein Mindestmaß reduziert werden. Aufgrund der erlassenen Landesverordnungen zur Eindämmung des Coronavirus ist das öffentliche Leben zum anderen weitgehend beschränkt und teilweise zum Erliegen gebracht worden, so dass eine erfolgreiche Beschaffung von Ersatzwohnraum für einen zur Räumung verpflichteten Mieter derzeit wiederum überwiegend unwahrscheinlich, wenn nicht sogar ausgeschlossen ist (vgl. zur Rechtsprechung zum ersten „Lockdown“ LG Berlin, Urteil vom 26.03.2020, 67 S 16/20,Ls. 1, juris). Ob der Beklagte inzwischen geimpft ist und künftig teilweisen Lockerungen in Bezug auf geimpfte Personen unterliegen wird, ist hier nicht bekannt. Aber der Verlust der Wohnung ohne geeignete Alternative oder aber die Unterbringung in einer Notunterkunft würden jedoch erhebliche Ansteckungs- und Gesundheitsrisiken für den Beklagten verursachen. So gehört der Beklagte aufgrund seiner Vorerkrankungen auch zu einer Risikogruppe, bei der die Ansteckung mit dem Coronavirus schwerwiegende Folgen – bis hin zum Tod – haben könnte. Darüber hinaus ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu prognostizieren, wie lange entsprechende öffentliche Einschränkungen andauern werden und der Beklagte dem Ansteckungsrisiko des Coronavirus ausgesetzt sein wird. Außerdem wurde bereits erörtert, dass der Beklagte aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen auf speziellen Wohnraum beschränkt ist (Erdgeschoss-/Parterrewohnung oder vorhandener Aufzug). Aufgrund dessen, aber auch der geringen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteht für die Beklagten zudem unabhängig von der Pandemie ein erhebliches Erschwernis, schnellstens geeigneten Ersatzwohnraum erhalten zu können. Daneben ist aber auch das Interesse des Klägers an alsbaldiger Räumung aus seinem Eigentumsrecht in Erwägung zu ziehen, was aber hier im Hinblick auf die durch das Coronavirus verursachten Gesundheitsgefahren aktuell hinter dem Interesse des Beklagten an nicht alsbaldiger Räumung zurückstehen muss.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 7, 712 Abs. 2 S. 2, Abs. 1 S. 1 ZPO.

Es liegt an für sich ein Fall des § 708 Nr. 7 ZPO vor. Auf den Hilfsantrag des Beklagten wurde gemäß § 712 Abs. 2 S. 2 ZPO die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung angeordnet und nach Abs. 1 S. 1 dem Beklagten eine Abwendungsbefugnis erteilt. Insofern wird auf obige Ausführungen zu Ziff. 3 verwiesen, dass der Beklagte eine angemessene, aber längere Räumungsfrist erhalten hat. Bezüglich der auch hier durchzuführenden Interessenabwägung – insofern das Interesse des Klägers an der vorläufigen Vollstreckbarkeit vor Rechtskraft des Urteils und das Interesse des Beklagten an der Vermeidung desselben – wird auf obige Ausführungen Bezug genommen. Im Einzelfall überwiegt auch hier nicht das alsbaldige Interesse des Klägers an der Räumung das Interesse des Beklagten. Eine Sicherheitsleistung bzw. Hinterlegung i. H. v. 500 EUR erscheint angesichts finanziell schlechten Verhältnisse des Beklagten auch angemessen.

Streitwert: 3480 EUR (12x 290 EUR-Grundmiete)

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