AG Wedding, Az.: 31 M 8072/16
Beschluss vom 12.07.2016
In der Zwangsvollstreckungssache wird die Gerichtsvollzieherin … auf die Erinnerung der Gläubigerin vom 08.07.2016 hin angewiesen, den Zwangsvollstreckungsauftrag vom 15.06.2016 auszuführen. Die Kosten des Erinnerungsverfahrens hat der Schuldner zu tragen.
Gründe
Die Gläubigerin verfügt gegen den Schuldner über ein Versäumnisurteil des AG Wedding, Aktenzeichen 6aC 96/16.
Der Schuldner wurde darin u.a. verurteilt, die im Hause … 13347 Berlin, 2. OG rechts gelegene Wohnung, bestehend aus 2 Zimmern nebst Küche, Bad und Flur, insgesamt ca. 51,35 m², zu räumen und an die Klägerin herauszugeben. Am 15.06.2016 stellte die Gläubigerin bei der zuständigen Gerichtsvollzieherin den Vollstreckungsauftrag zur Räumung bzw. die Inbesitznahme zu veranlassen. Mit Schreiben vom 05.07.2016 lehnte die Gerichtsvollzieherin die begehrte Amtshandlung ab, weil ihr bekannt sei, dass in der Wohnung auch die Tochter des Schuldners und ggfl deren Freundin wohnhaft seien.
Hiergegen wendet sich die Gläubigerin mit ihrer Erinnerung und macht geltend, dass die Ablehnung des Auftrages rechtswidrig sei. Insbesondere müsse sich die Gerichtsvollzieherin davon überzeugen, dass weitere Personen in der Wohnung tatsächlich aufhältig seien und auch ihr Besitzrecht daran geltend machten.
Die Gerichtsvollzieherin hat telefonisch gegenüber der Unterzeichnenden eine Abhilfe bzgl. der Erinnerung abgelehnt.
Die Erinnerung ist gemäß § 766 ZPO zulässig und begründet.
Zu Unrecht hat die Gerichtvollzieherin die Durchführung des erteilten Zwangsvollstreckungsauftrages aufgrund des rechtskräftigen Räumungstitels gegen den Schuldner abgelehnt.
Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung liegen vor. Die Gläubigerin verfügt über einen rechtskräftigen Räumungstitel gegen den Schuldner, der diesem auch zugestellt wurde. Sie hat einen zulässigen Vollstreckungsauftrag bei der zuständigen Gerichtsvollzieherin gestellt.
Die Mitteilung der Gerichtsvollzieherin, dass in der Wohnung auch die Tochter des Schuldners wohnt, rechtfertigt die Zurückweisung des Vollstreckungsauftrages nicht. Denn das allein genügt nicht.
Die Gerichtsvollzieherin hat in ihrem Schreiben vom 05.07.2016 nämlich zu den von ihr im Rahmen der Ausführung des Räumungsauftrages ermittelten äußeren Umständen zu den Besitzverhältnissen in der Wohnung keine Angaben gemacht, da sie den Auftrag gar nicht erst mit begonnen hat. Dies ist jedoch genau die Aufgabe des Gerichtsvollziehers bei der Räumungsvollstreckung. Sie hat den Schuldner außer Besitz und den Gläubiger in Besitz der Räume zu setzen. Sofern weitere Personen angetroffen werden, oder Hinweise darauf vorliegen, dass sich andere Personen in der Wohnung aufhalten, hat sie dies zu protokollieren. Zusammengefasst: Die Gerichtsvollzieherin hat sich in dem Räumungstermin ein Bild von den tatsächlichen Besitzverhältnisses zu machen und dies zu protokollieren. Selbstverständlich hat die Gerichtvollzieherin keine Beurteilung vorzunehmen, ob ein Besitz Dritter oder nur eine Besitzdienerschaft vorliegt. Sie hat aber die Voraussetzungen für die Möglichkeit einer derartigen Beurteilung zu schaffen. Denn auch Dritte haben die Möglichkeit, sich gegen die Vollstreckung zu wenden. Dieser Möglichkeit beraubt die Gerichtsvollzieherin die Dritten im vorliegenden Falle. Die Mitteilung, dass in der Wohnung „die Tochter mit ihrer Freundin wohnt”, reicht für die Annahme des Besitzes allein nicht aus. Zudem wird in der Rechtsprechung auch davon ausgegangen, dass mit einem allein gegen den Mieter gerichteten Räumungstitel regelmäßig auch dann gegen die mit dem Mieter zusammen lebenden erwachsenen Kinder vollstreckt werden kann, wenn diese über ein eigenes Einkommen verfügen und sich wirtschaftlich an der Miete beteiligen. Nur in Ausnahmefällen sind volljährige Kinder als Besitzer anzusehen. Das kommt etwa in Betracht, wenn sie innerhalb der Wohnung in einem abgeschlossenen Lebensbereich leben, einen eigenen Hausstand begründet haben oder Miete zahlen. Ein minderjähriges Kind, dass mit seinen Eltern zusammenlebt, hat grundsätzlich keinen Mitbesitz an der gemeinsam genutzten Wohnung.
Dieses Besitzverhältnis ändern sich im Regelfall auch dann nicht, wenn das Kind volljährig wird und weiter mit seinen Eltern zusammenlebt. Ein Mitbesitz des volljährigen Kindes an der Wohnung, der einen eigenen Räumungstitel gegen das Kind erforderlich machen würde, liegt nur dann vor, wenn er sich klar und eindeutig aus den Umständen ergibt.
Dies alles ist aber nicht aufgeklärt.
Die Gläubigerin muss sich von der Gerichtsvollzieherin auch nicht auf den Klageweg gegen die Dritten verweisen lassen. Vielmehr hat die Gläubigerin die Möglichkeit, einen Titel gemäß § 940a ZPO (Räumung von Wohnraum) zu erwirken, und zwar im einstweiligen Verfügungsverfahren. Danach darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben angeordnet werden.
In Absatz 2 dieser Vorschrift heißt es, dass die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden darf, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat. Jedenfalls setzen sowohl die Räumungsklage als auch der Antrag nach § 940a ZPO voraus, dass die Gläubigerin darlegen und nachweisen kann, dass sich neben dem Räumungsschuldner Dritte in Besitz der Mietsache befinden. Dieses darzulegen, soll ihr auch ein sorgfältig ausgefülltes Räumungsprotokoll des Gerichtsvollziehers ermöglichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.