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Wohnungsmieter – Unterlassungsanspruch gegen Baugerüsterrichtung

LG Berlin – Az.: 65 S 424/15 – Urteil vom 20.04.2016

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 22. Oktober 2015 – 8 C 1009/15 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a, 542 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II.

1. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.

a) Im Ergebnis zutreffend hat das Amtsgericht einen Anspruch des Verfügungsklägers gegen die Verfügungsbeklagte aus § 862 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB auf Unterlassung einer Gerüstaufstellung an den Fassaden des Vorderhauses und des Hofes des Gebäudes verneint, in dem sich die vom Verfügungskläger inne gehaltenen Wohnungen befinden.

Nach § 862 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB kann der Besitzer, der in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört wird, von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen; sind weitere Störungen zu erwarten, kann er auf Unterlassung klagen. Der Begriff der verbotenen Eigenmacht knüpft nach § 858 Abs. 1 BGB an den fehlenden Willen des Besitzers an. Die Widerrechtlichkeit ist  ausgeschlossen, wenn das Gesetz die Störung gestattet.

Diese Voraussetzungen liegen hier im Ergebnis nicht vor.

Eine Besitzstörung ist bei jeder Beeinträchtigung der Sachherrschaft unterhalb der Schwelle des Sachentzugs gegeben. Zu den möglichen Eingriffen gehören Störungen der Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeiten aller Art, im Bereich des Wohnraummietrechts insbesondere Lärm-, Staub- und Geruchsimmissionen, Einschränkungen des Zugangs durch Arbeiten im Eingangsbereich oder Treppenhaus, Einschränkungen der Belichtung und Privatheit der Wohnung durch das Aufstellen eines Baugerüstes (Joost in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 5, m. w. N., beck-online; Gutzeit in Staudinger, BGB, 2012, § 858 Rn. 14, m. w. N., juris).

Störungen im vorgenannten Sinn liegen hier nicht vor. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit allerdings erst aus dem unmittelbar vor dem Termin eingegangenen Schriftsatz des Verfügungsklägers und dem Hinweis des Vertreters der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung, dem der Verfügungskläger in tatsächlicher Hinsicht nicht entgegen getreten ist. Ein Gerüst befindet sich nur vor der Straßenfassade des Nachbargebäudes mit der Hausnummer 78, nicht aber vor den von ihm inne gehaltenen Wohnungen. Soweit er meint, eine Besitzstörung sei dessen ungeachtet deshalb anzunehmen, weil die Hausnummern 77/78 eine Wirtschaftseinheit bildeten, übersieht er, dass es für die Beurteilung des Vorliegens einer Besitzstörung allein auf die tatsächlichen Verhältnisse, nicht aber rechtliche oder wirtschaftliche Beziehungen ankommt: es bedarf einer tatsächlichen Störung des konkreten Gebrauchs und der Nutzungsmöglichkeiten an den vom Verfügungskläger inne gehaltenen Räumlichkeiten; entsprechende Störungen ausgehend von der Installation am Nachbarhaus trägt er selbst nicht vor.

Als Besitzstörung kann in Abhängigkeit vom konkreten Gewicht jedoch auch ein Verhalten angesehen werden, das den Besitzer über den ungestörten Fortbestand seines Besitzes ernstlich beunruhigt. Dazu können insbesondere Drohungen gehören, wenn sie sich auf konkrete Besitzhandlungen beziehen oder eine tatsächliche Verhinderung der Besitzausübung in Aussicht stellen (vgl. Joost in MünchKomm/BGB, a.a.O.; Gutzeit in Staudinger, a.a.O., Rn. 15; Aspekte des Besitzschutzes im Wohnraummietrecht, MietRB 2013, 343), etwa Vorbereitungen zu einem Bau auf dem Grundstück, an dem der Besitz besteht oder Nutzungsuntersagungen („Besitzentziehung in psychischer Form“: vgl. LG Karlsruhe, Urt. v. 18.04.2008 – 4 O 120/08, MMR 2008, 859, juris Rn. 22; vgl. m. w. N.: Gutzeit in Staudinger, a.a.O.).

Wird nach diesen Maßstäben zugunsten des Verfügungsklägers unterstellt, dass nicht nur das Inaussichtstellen einer Besitzentziehung als Besitzstörung anzusehen ist, sondern die Ankündigung einer Besitzstörung unterhalb der Schwelle der Besitzentziehung ausreichen kann, so gilt jedoch auch dann, dass die Störung von hinreichendem Gewicht und in einer Weise angekündigt sein muss, dass sie eine ernstliche Besorgnis zu begründen überhaupt geeignet ist. Die bloße Ankündigung einer Außenmodernisierung genügt den vorgenannten Anforderungen nicht grundsätzlich, insbesondere dann nicht, wenn der Vermieter erklärt hat, von den angekündigten Maßnahmen Abstand zu nehmen. Soweit nicht besondere Umstände Zweifel an der Richtigkeit der abgegebenen Erklärung ergeben, so ist insbesondere nicht allein die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung geeignet, die (sachlich nicht begründete) ernstliche Besorgnis entfallen zu lassen (a. A. LG Berlin, Beschl. v. 01.03.2013 – 63 T 29/13, juris Rn. 6). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich nicht der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.09.2012 – V ZR 230/11 (in Grundeigentum 2012, 1699, juris)  entnehmen, denn – anders als in der vorgenannten Entscheidung – steht bei einer Modernisierungsankündigung die Besitzstörung erst bevor, während der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung in dem ihm zur Entscheidung vorliegenden Fall deshalb eine strafbewehrte Unterlassungserklärung verlangt, weil eine vorangegangene, also bereits stattgefundene Störung die Wiederholungsgefahr indiziert (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 12). Diese Situation ist in den Fällen der Besorgnis einer (allein) künftigen Besitzstörung aufgrund einer Modernisierungsankündigung regelmäßig nicht bzw. nicht ohne weiteres gegeben; es liegen insbesondere – so auch hier – nicht die Voraussetzungen des § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB vor.

Die Verfügungsbeklagte hat mit Schreiben vom 28. Februar 2015 und 12. September 2015 die Gerüstaufstellung jedoch konkret in Aussicht gestellt. Hinzu kommt, dass sie davon im Verfahren nicht Abstand genommen, sondern an der Gerüstaufstellung festgehalten, die Dringlichkeit des Beginns der Arbeiten zudem betont hat. Damit sind nach den oben dargestellten Maßstäben über die bloße Modernisierungsankündigung hinaus Umstände gegeben, die die ernstliche Besorgnis stützen, dass die mit der angekündigten Maßnahme zu erwartende Besitzstörung eintreten wird.

Diese ist zwar auch von hinreichendem Gewicht und kann dem Grunde nach geeignet sein, auch als (nur) künftige Störung den Anspruch aus § 861 Abs. 1, 2 BGB auszulösen; sie ist jedoch unwesentlich im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB und daher vom Verfügungskläger hinzunehmen.

Anerkannt ist, dass der weite Begriff der Besitzstörung und in der Folge der Besitzschutzanspruch aus § 862 Abs. 1, 2 BGB einer Begrenzung bedarf. Entsprechende Anwendung findet – auch im Mietrecht – der in § 906 BGB bezeichnete Maßstab. Danach können nur wesentliche Beeinträchtigungen der Besitzausübung Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach den Regelungen der §§ 858ff. BGB auslösen, während unwesentliche Beeinträchtigungen des Gebrauchs hinzunehmen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 16.01.2015 – V ZR 110/14, in WuM 2015, 368, juris Rn. 10; Urt. v. 29.04.2015 – VIII ZR 197/14, in WuM 2015, 478, juris Rn. 43; Urt. v. 26.09.1975 – V ZR 204/73, in MDR 1977, 128, juris Rn. 16; Urt. v. 29.10.1954 – V ZR 53/53, in NJW 1955, 19, juris; OLG München, Urt. v. 21.01.1992 – 13 U 2289/91, in WuM 1992, 238, juris 8; LG Berlin, Beschl. v. 16.09.2014 – 65 T 224/14, Grundeigentum 2015, 595, juris Rn. 6; Beschl. v. 24.10.2014 – 63 S 203/14, in Grundeigentum 2014, 1589, juris Rn. 8; einschränkend für Ausgleichsansprüche; BGH, Urt. v. 12.12.2003 – V ZR 180/03, in Grundeigentum 2004, 476, juris15ff.; Joost in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 5, m. w. N.; Gutzeit in: Staudinger, 2012, § 862 Rn. 2, m. w. N.; Aspekte des Besitzschutzes im Wohnraummietrecht, a.a.O.); anderenfalls würde die Rechtsposition des Besitzers stärker sein als die des Eigentümers, der Schutz des Besitzers vor Störungen durch andere Besitzer bzw. auch Eigentümer weiter reichen als der Schutz unter Eigentümern (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2015, a.a.O.; Fritzsche in: Beck’scher OKBGB, Bamberger/Roth, 38. Ed., Stand 01.02.2016, § 858 Rn. 21, beck-online).

Findet § 906 BGB entsprechende Anwendung, so gelten insoweit auch die dazu vom Bundesgerichtshof weitergehend entwickelten Maßstäbe (vgl. dem entsprechend etwa BGH, Urt. 16.01.2015, a.a.O., juris Rn. 10; Urt. v. 26.09.1975 – V ZR 204/73, in: MDR 1977, 128, juris Rn. 10ff.)

Wann eine Beeinträchtigung wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen; die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze ist dabei Ergebnis einer wertenden Betrachtung (vgl. BGH, Urt. 16.01.2015, a.a.O., juris Rn. 10; Urt. v. 27.10.2016 – V ZR 2/06, in WuM 2007,147, juris Rn. 8, jew. m. w. N. zur st. Rspr.).

Der Bundesgerichtshof setzt in inzwischen gefestigter Rechtsprechung im Interesse einer Vereinheitlichung zivil- und öffentlich-rechtlicher Beurteilungsmaßstäbe den in § 906 BGB niedergelegten Begriff der „Wesentlichkeit“ dem der „erheblichen Belästigung“ im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung gleich; diese sieht als erhebliche Belästigung alles das an, was dem Nachbarn auch unter Würdigung öffentlicher und privater Belange billigerweise nicht mehr zuzumuten ist. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung – und ihr insoweit folgend der Bundesgerichtshof – bezieht auf dieser Grundlage in die Prüfung der Erheblichkeit gesetzliche Wertungen und schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit ein; die Erheblichkeit (oder Wesentlichkeit) einer Belästigung wird danach im Sinne einer wertenden Abgrenzung durch eine situationsbezogene Abwägung bestimmt, dies, indem nicht (mehr) auf das Empfinden eines „normalen“, sondern auf das eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ abgestellt wird. In die Wertung einfließen können etwa Gesichtspunkte wie das veränderte Umweltbewusstsein, der Natur- und Artenschutz, das Interesse der Allgemeinheit an einer kinder-  und jugendfreundlichen Umgebung, die kommunale Bedeutung einer Veranstaltung oder der gesetzlich verankerte Nichtraucherschutz; auch die Dauer und Häufigkeit der Einwirkung kann von erheblicher Bedeutung für die Wertung sein (vgl. BGH, Urt. v. 20.11.1992 – V ZR 82/9, in: NJW 1993, 925, juris Rn. 44;  BGH, Urt. v.05.02.1993 – V ZR 62/91, in: NJW 1993, 1656, juris Rn 21; vgl. BGH, Urt. v. 26.09.2003 – V ZR 41/03, in: NJW 2003, 3699, juris Rn. 10, m. z. w. N.; BGH Urt. v. 16.01.2015, a.a.O., juris Rn. 15).

Diese Maßstäbe und Rechtsgedanken zugrunde gelegt, ergibt hier die Unwesentlichkeit der Besitzstörung.

Das Aufstellen eines Gerüstes vor den zur Miete überlassenen Wohnräumen ist regelmäßig nicht als lediglich unwesentliche bzw. unerhebliche Beeinträchtigung des Gebrauchs der Mietsache – etwa im Sinne des § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB – anzusehen. Das Aufstellen eines Gerüstes erreicht als Besitzstörung auch ein Gewicht, das die weitergehende Prüfung an den vom Bundesgerichtshof zu § 906 Abs. 1 BGB entwickelten Maßstäben auf der Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung notwendig macht, wobei der verwaltungsrechtliche Begriff der „Erheblichkeit“ nicht mit dem Erheblichkeitsbegriff des § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB gleichgesetzt werden darf. Die letztgenannte Erheblichkeitsschwelle wird überschritten, denn ein Gerüst vor Wohnräumen stört die Privatheit des Rückzugsbereiches der überlassenen Wohnräume dadurch, dass vom Baugerüst aus Einblick in die Wohnung genommen werden kann, ein Öffnen bzw. Offenhalten der Fenster unter Sicherheitsaspekten Einschränkungen unterliegt, weil ein Betreten des Gerüstes nicht nur durch Bauarbeiter, sondern auch Dritten zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich ist, weshalb regelmäßig im Rahmen von Modernisierungsankündigungen – wie auch hier mit dem Ankündigungsschreiben zum Beginn der Bauarbeiten vom 12. September 2015 – gebeten wird, die Hausratversicherung über das erhöhte Risiko zu informieren (a. A. wohl mit abweichender Begründung LG Berlin, Urt. v. 26.02.2013 – 63 S 429/12, in: Grundeigentum 2013, 487, juris Rn. 24ff.; Beschl. v. 24.10.2014 – 63 S 203/14, in: Grundeigentum 2014, 1589, juris Rn. 12).

Die situationsbezogene Abwägung unter Einbeziehung gesetzlicher Wertungen und schutzwürdiger Interessen der Allgemeinheit nach dem vom Bundesgerichtshof herangezogenen verwaltungsgerichtlichen Maßstab des „verständigen Durchschnittsmenschen“ ergibt hier jedoch, dass die mit dem Aufstellen des Gerüstes einher gehenden Beeinträchtigungen dem Verfügungskläger billigerweise zuzumuten sind mit der Folge, dass sie (im rechtlichen Sinne nach den oben dargestellten Kriterien) nicht die Erheblichkeits- (bzw. Wesentlichkeits-)Schwelle des § 906 BGB überschreiten.

Als offenkundig, § 291 ZPO, darf unterstellt werden, dass vor dem Hintergrund der Bedeutung der Wohnung für den Einzelnen und angesichts des Umstandes, dass von den ca. 40 Millionen Wohnungen in Deutschland knapp 24 Millionen vermietet sind (vgl. BT-Ds. 17/10485, S. 1), ein ganz grundlegendes Interesse der Allgemeinheit daran besteht, dass der Wohnungsmarkt die Versorgung mit qualitativ gutem Wohnraum zu angemessenen Preisen gewährleistet. Dieses schließt das Interesse an der Schaffung neuen Wohnraums ein, aber auch die Instandhaltung und laufende Verbesserung des Wohnungsbestandes (vgl. etwa BGH, Urt. v. 20.07.2005 – VIII ZR 253/04, in: WuM 2005, 576, juris Rn. 12). Als eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben im Wohnungsmarkt hat der Gesetzgeber angesichts knapper Energiereserven und des Klimawandels zudem die energetische Modernisierung des Wohnungsbestandes formuliert (vgl. BT-Ds. 17/10485, S. 1, 13ff.). Die vorgenannten schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit liegen als Wertung zahlreichen Gesetzen und Förderprogrammen von Bund und Ländern zugrunde.

Die Installation des Gerüstes ist hier – wie auch sonst in der Regel – Voraussetzung für die Ausführung von Maßnahmen der Außeninstandsetzung und –modernisierung, die der Umsetzung der vorstehend genannten gesetzlichen Wertungen und schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit dienen. So wie sich Besitzstörungen bei Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen generell nicht ausschließen lassen (vgl. LG Berlin, Urt. v. 17.02.2016 – 65 S 301/15, in: WuM 2016, 282; juris), ist das Aufstellen eines Gerüstes vor einem Wohngebäude bei bestimmten Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten eine notwendige, nicht vermeidbare Begleiterscheinung. Die hier geplanten Arbeiten zur Dachsanierung und –dämmung, zum Dachgeschossausbau für die Schaffung von zwei weiteren Wohnungen, zur Instandsetzung der Straßen- und Hoffassade sowie zum Balkonanbau sind ohne das Aufstellen eines Gerüstes nicht ausführbar. Ob die Verfügungsbeklagte – wie der Verfügungskläger beanstandet – zutreffend zwischen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen differenziert hat, ist für die hier zu treffende Bewertung angesichts der übergreifenden gesetzlichen Wertungen und Interessen der Allgemeinheit ohne Belang, wenngleich einer dringend erforderlichen Instandsetzung im – hier nicht gegebenen – Einzelfall eine zusätzliche Bedeutung zukommen kann.

Ebenso ohne Bedeutung für die Bewertung der Erheblichkeit bzw. Wesentlichkeit der Beeinträchtigung im Rahmen des Eilrechtsschutzes ist die Frage, ob und inwieweit die Maßnahmen unter Berücksichtigung der formellen Anforderungen der §§ 555a Abs. 2, 555c BGB eine Duldungspflicht nach §§ 555a Abs. 1, 555d BGB auslösen bzw. – wie der Verfügungskläger in Abrede stellt – letztlich eine Mieterhöhung nach § 559 BGB rechtfertigen (werden).

Wohnungsmieter - Unterlassungsanspruch gegen Baugerüsterrichtung
(Symbolfoto: graja/Shutterstock.com)

Soweit der Verfügungskläger seinen Antrag auf die formelle und inhaltliche Unzulänglichkeit des Ankündigungsschreibens vom 28. Februar 2015 nach Maßgabe des § 555c BGB stützt, ist ihm jedoch zuzugeben, dass eine Ankündigung als solche nicht etwa entbehrlich ist vor dem Hintergrund der oben ausgeführten, mit der Gerüstaufstellung verbundenen Beeinträchtigungen. Dies ist (ebenfalls) Folge der vorzunehmenden situationsbezogenen Abwägung. Auch insoweit sind gesetzliche Wertungen und Interessen des von der Störung Betroffenen zu berücksichtigen, etwa der Schutz der Wohnung als privater Rückzugsraum nach Art. 13 GG und der darauf basierenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Sie gebieten, dass zumutbare Vorkehrungen und die Einhaltung des Rücksichtnahmegebotes durch den Vermieter in die Prüfung einbezogen werden (vgl. BGH, Urt. v. Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 281/13, in Grundeigentum 2015, 853, juris Rn. 19, 33; Urteil v. 04.06.2014 – VIII ZR 289/13, in: NJW-Spezial 2014, 579, juris Rn. 14; LG Berlin, Urt. v. 17.02.2016 – 65 S 301/15, a.a.O.).

Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht entfällt der Anspruch aus § 862 Abs. 1, 2 BGB daher nicht schon deshalb, weil die Duldungspflichten nach §§ 555a, 555d BGB als gesetzliche Gestattung im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB anzusehen wären mit der Folge, dass eine fehlende Widerrechtlichkeit der Annahme verbotener Eigenmacht entgegen stünde (a. A. Lehmann-Richter in: NZM 2013, 451, [452]).  Die Widerrechtlichkeit der Besitzstörung nach §§ 858 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB entfällt nur dann, wenn das Gesetz die Störung gestattet, wobei gesetzliche Gestattungen sich aus jeder Rechtsnorm ergeben können, vgl. Art. 2 EGBGB; die Rechtsnorm muss allerdings die eigenmächtige Störung gestatten; Normen, die lediglich einen entsprechenden Anspruch gewähren, rechtfertigen nicht die eigenmächtige Durchsetzung. Sie sind – im Zweifel – durch Beschreiten des Rechtsweges durchzusetzen (vgl. Joost, a.a.O., § 858 Rn. 11; Gutzeit, a.a.O., § 858 Rn. 22; BGH Urteil v. 27.04.1971 – VI ZR 191/69, in WM 1971, 943, juris). Die Gestattung einer eigenmächtigen Störung kann den §§ 555a ff BGB weder mit Blick auf den Sinn und Zweck der Ankündigungspflichten noch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Besitzschutzregelungen und der Maßstäbe des § 906 Abs. 1 BGB entnommen werden (vgl. BT-Ds. 14/4553, S. 37; BT-Ds. 17/10485, S. 20f.). Die Richtigkeit der Gegenauffassung unterstellt, könnte der Vermieter nach dem Wortlaut der §§ 555a, 555d BGB den Anspruch auf Duldung der Maßnahmen selbst bei fehlender Ankündigung einwenden. Dies ließe die schutzwürdigen Belange des Mieters außer Betracht, ohne dass es für eine so weitreichende Einschränkung des Besitzschutzes ein Bedürfnis bestünde.

Im Eilrechtsverfahren zum Besitzschutz sind die Anforderungen an die Ankündigung entgegen der Auffassung des Verfügungsklägers jedoch nicht an den §§ 555a ff. BGB zu messen, sondern – wie auch sonst – am jeweiligen Informationsinteresse des betroffenen Mieters auszurichten (vgl. Wertungen: BT-Drucks. 14/4553, S. 37; LG Berlin, Urt. v. 17.02.2016, 65 S 301/15 a.a.O.). Hier ist das mit den Regelungen der §§ 861ff. BGB gesicherte Rechtsschutzziel maßgeblich. Dieses besteht – anders als der Verfügungskläger nach seinem prozessualen Vortrag und dem außergerichtlichen Schriftverkehr meint – nicht darin durchzusetzen, dass der Vermieter in jedem Fall der Außenmodernisierung zunächst einen gerichtlichen Duldungstitel erwirkt; er wäre dazu im Übrigen selbst dann gehalten, wenn der Mieter der Durchführung der Maßnahmen zugestimmt hätte, denn es besteht jederzeit das Risiko der Rücknahme der Erklärung (vgl. insoweit zutreffend Lehmann-Richter, a.a.O., 451, [452f.]; im Falle der Innenmodernisierung, die ungleich stärker in das Besitzrecht des Mieters eingreift, ist er dazu – wegen des Erfordernisses der Gewährung des Zutritts durch den Mieter – in jedem Fall gezwungen, so dass diese Fälle hier nicht in die Abwägung einfließen. Will der Mieter – wie hier – die  Modernisierungsarbeiten als solche verhindern, ist er gehalten, die Klärung der Frage der Duldungspflicht und gegebenenfalls einer späteren Mieterhöhung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens nach den Regelungen des (Wohnraum-)Mietrechts herbeizuführen. Der Zweck des im Eilrechtsverfahren durchsetzbaren Besitzschutzes besteht nicht darin, die Durchführung von Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten zu erschweren oder zu verzögern; dies würde den – oben dargestellten – gesetzlichen Wertungen und Interessen der Allgemeinheit zuwider laufen. Zweck ist vielmehr der effektive Schutz vor wesentlichen, nicht zumutbaren Störungen, gegebenenfalls auch Störungen, die die Grenze zur Rücksichtslosigkeit überschreiten.

Danach sind die Anforderungen an die Ankündigung hier in formeller und inhaltlicher Hinsicht mit Blick auf die mieterseits möglichen Veranlassungen eher gering. Die mit der Gerüstaufstellung verbundenen, oben dargestellten Beeinträchtigungen sind als solche nicht vermeidbar; möglich sein muss es dem Mieter aber aufgrund der Ankündigung, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wie das Schließen der Fenster oder die Information der Versicherung. Diesen Anforderungen genügen die Schreiben der Verfügungsbeklagten vom 28. Februar 2015 und 12. September 2015. In dem Schreiben vom 28. Februar 2015 werden Beginn und die Dauer der Arbeiten angekündigt, in dem weiteren Schreiben in zeitlicher Hinsicht konkretisiert. Dass die angekündigten Zeitpunkte verstrichen sind, ist dem gerichtlichen Verfahren geschuldet.

Soweit der Verfügungskläger meint, die Arbeiten seien in kürzeren Zeiträumen ausführbar, vermag die Kammer die Auffassung mangels Darstellung der nicht näher konkretisierten Erkenntnisquelle nicht zu teilen; es ist auch nicht ersichtlich, dass bzw. auf welche Sachkunde der Verfügungskläger diese stützt. Schon nach allgemeiner Erfahrung dürfte die Ausführung der Arbeiten angesichts ihres Umfanges die von der Verfügungsbeklagten angesetzten Zeiträume erfordern. Im Übrigen hat selbst der Gesetzgeber der Mietrechtsreform 2001 vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten der Angabe präziser Zeiträume die diesbezüglich von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Modernisierungsankündigung – die hier nicht einmal Prüfungsmaßstab ist – durch eine entsprechende Formulierung im Gesetz ausdrücklich abgesenkt (vgl. BT-Ds. 14/4553, S. 50). Unabhängig davon hat die Verfügungsbeklagte im Schreiben vom 12. September 2015 auf die den nicht vorhersehbaren Witterungsverhältnissen geschuldeten Unwägbarkeiten hingewiesen. Soweit der Verfügungskläger mit der zeitlichen Beschränkung eine Begrenzung des Umfangs der Arbeiten erreichen möchte, besteht der Anspruch nach den Feststellungen zur Erheblichkeit (Wesentlichkeit) der zu erwartenden Besitzstörung nicht.

Schließlich kann nach den vom Bundesgerichtshof im Rahmen der Bewertung der Erheblichkeit bzw. Wesentlichkeit der (zu erwartenden) Störung entwickelten Maßstäben auch deren Dauer und Häufigkeit zu berücksichtigen sein. Danach ist hier zum einen von Bedeutung, dass es sich bei der Gerüstaufstellung zur Durchführung der angekündigten Maßnahmen um ein eher singuläres, sich nicht dauerhaft wiederholendes Ereignis handelt. Andererseits ist der Vermieter – schon nach dem Gebot der Rücksichtnahme (vgl. BGH, Urt. v. Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 281/13, in Grundeigentum 2015, 853, juris Rn. 19, 33; Urteil v. 04.06.2014 – VIII ZR 289/13, in: NJW-Spezial 2014, 579, juris Rn. 14; LG Berlin, Urt. v. 17.02.2016 – 65 S 301/15, a.a.O.) – gehalten, die Störungen im Rahmen der baulichen Möglichkeiten auch in zeitlicher Hinsicht gering zu halten. Daher kann sich die Bewertung der Erheblichkeit der Störung unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit anders darstellen, wenn – wie der Verfügungskläger befürchtet – die Standzeit des Gerüstes aus sachlich bzw. baulich nicht gerechtfertigten Gründen ausgedehnt wird.

Anhaltspunkte, die es rechtfertigen könnten, die Gerüstaufstellung bereits im Vorfeld zu untersagen (oder einzuschränken), sind hier entgegen der Auffassung des Verfügungsklägers (noch) nicht gegeben. Selbst wenn zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass im Jahre 2013 am Telefon die im Termin behauptete Äußerung durch den Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten, Herrn T. gefallen ist, so ergibt sich unter Berücksichtigung des Inhaltes der zeitlich deutlich nachfolgenden Schreiben vom 28. Februar 2015 und 12. September 2015 sowie mit Blick darauf, dass Gerüststandzeiten mit Kosten verbunden sind, (noch) keine hinreichend gewichtige und ernstliche Besorgnis, die eine andere rechtliche Bewertung rechtfertigt.

b) Der Zulässigkeit der neuen, erstmals in der Berufungsbegründung gestellten Anträge steht bereits § 533 Ziff. 2 ZPO entgegen.

Die Anträge sind nach den Feststellungen unter a) auch unbegründet. Hinsichtlich des Antrages zu 3) fehlt es nach § 862 Abs. 1, 2 BGB bereits an einem Verfügungsanspruch. Soweit als Anspruchsgrundlage mietrechtliche Vorschriften in Betracht kommen, ist ein Verfügungsgrund weder vorgetragen noch ersichtlich.

Hinsichtlich des Antrages zu 4) kann unter Bezugnahme auf die vorstehenden Feststellungen unter a) nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausführung der sehr umfangreichen Arbeiten nicht den in den Ankündigungsschreiben angegebenen Zeitraum erfordern, sondern lediglich den vom Verfügungskläger unterstellten Zeitraum von 14 Tagen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 6, 713 ZPO.

3. Die Zulassung der Revision ist schon nach § 542 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

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