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WEG-Versammlungen unter 2G+-Bedingungen möglich

AG München – Az.: 1293 C 19127/21 EVWEG – Beschluss vom 06.12.2021

In dem Rechtsstreit erlässt das Amtsgericht München am 06.12.2021 folgenden Beschluss

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 03.12.2021 wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert des Verfahrens wird festgesetzt auf EUR 3.000,00.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Verwaltungsbeiratsvorsitzender der Antragsgegnerin.

Nachdem die ursprünglich bestellte Hausverwaltung den Verwaltervertrag mit Schreiben vom 29.09.2021 fristlos gekündigt und das Amt des Hausverwalters mit sofortiger Wirkung niedergelegt hatte, lud der Antragsteller mit Schreiben vom 06.11.2021 die Eigentümer der Antragsgegnerin für den 01.12.2021 um 18:00 Uhr zu einer außerordentlichen Eigentümerversammlung in den Pfarreiräumen der Vaterunserkirche in München ein. Dabei sollte eine Beschlussfassung über die Bestellung einer neuen Hausverwaltung erfolgen. Die Einladung enthielt den Hinweis, dass die Versammlung zu den am Versammlungstermin gültigen Hygieneregeln stattfinde, und die Eigentümer hierzu am Eingang aktuell informiert würden. Ferner wurden sie gebeten, sich vorab auch selbst zu informieren und daran zu denken, eine evtl. erforderliche Maske oder einen erforderlichen Nachweis hinsichtlich Testung, Impfung oder Genesung mitzubringen.

Nach dem Inkrafttreten der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung zum 24.11.2021 wurde die Eigentümerversammlung abgesagt, weil der Antragsteller der Ansicht ist, deren Durchführung unter „2-G Plus“ Voraussetzungen sei wohnungseigentumsrechtlich nicht zulässig, da nicht geimpfte oder genesene Wohnungseigentümer von vornherein von der Teilnahme an der Eigentümerversammlung ausgeschlossen würden. Nachdem das Amtsgericht München wie auch andere Gerichte in den vergangenen Monaten in zahlreichen Urteilen entschieden hätten, dass einzelne Eigentümer nicht allein darauf verwiesen werden können, dass sie eine Vollmacht an die Hausverwaltung oder andere Eigentümer erteilen, sondern jedem Eigentümer die physische Teilnahme an einer Eigentümerversammlung möglich sein müsse, und bei Verstoß gegen diesen Grundsatz eine Nichtigkeit sämtlicher gefasster Beschlüsse anzunehmen sei, sei es rechtlich nicht mehr möglich, einen gültigen Beschluss über die Bestellung einer neuen Hausverwaltung herbeizuführen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 03.12.2021 war zurückzuweisen, da mangels Vorbefassung der Wohnungseigentümer kein Verfügungsanspruch auf Bestellung eines Notverwalters im Wege der gerichtlichen Beschlussersetzung besteht.

WEG-Versammlungen unter 2G+-Bedingungen möglich
(Symbolfoto: Janon Stock/Shutterstock.com)

1. Vor Beantragung einer gerichtlichen Beschlussersetzung muss der Antragsteller im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren alles versucht haben, eine Entscheidung der Wohnungseigentümer selbst zu erreichen. Bevor ein Wohnungseigentümer das WEG-Gericht in Anspruch nimmt, um eine Regelung wegen der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums (§§ 18, 19 WEG) zu erreichen, müssen er und die anderen Wohnungseigentümer grundsätzlich selbst versuchen, in Wahrnehmung ihres Selbstorganisationsrechts eine angemessene Lösung des Problems zu finden (stRspr, exemplarisch BGH NJW-RR 2019, 909 Rn. 13; NJW 2018, 1749 Rn. 14). Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht daher in der Regel nicht, wenn der klagende Wohnungseigentümer ohne vorherige Einschaltung der anderen Wohnungseigentümer und ohne Versuch einer eigenen Regelung sogleich das Gericht mit seinem Begehren befasst (stRspr., exemplarisch BGH NZM 2019, 480 Rn. 13; NJW 2010, 2129 Rn. 14). Die Vorbefassung wird in der Regel in einer Versammlung zu suchen sein. Auch ein schriftlicher Beschluss nach § 23 Abs. 3 WEG ist vorstellbar (vgl. Hügel/Elzer, WEG vor § 43 Rn. 7, beck-online).

Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht ausnahmsweise allerdings auch ohne eine Vorbefassung der anderen Wohnungseigentümer, wenn dem Antragsteller der Versuch einer Vorbefassung unzumutbar war oder der Versuch, etwa auf Grund der Mehrheitsverhältnisse, erkennbar aussichtslos und daher bloße „Förmelei“ wäre (stRspr, exemplarisch BGH NJW 2017, 64 Rn. 8; 2015, 613 Rn. 7, Hügel/Elzer, WEG vor § 43 Rn. 7, beck-online).

2. Vorliegend hat eine Vorbefassung der Wohnungseigentümer mit der Thematik Verwalterneubestellung nicht stattgefunden, die hierzu für den 01.12.2021 in den Pfarreiräumen der Vaterunserkirche in München einberufene Eigentümerversammlung wurde vielmehr abgesagt, ohne dass den Wohnungseigentümern die Teilnahme an der Eigentümerversammlung nach zum Zeitpunkt der Versammlung geltender Rechtslage unmöglich oder unzumutbar erschwert gewesen wäre.

a) Gern. § 4 Abs. 1 der 15. BaylfSMV durften am 03.12.2021 Eigentümerversammlungen unter „2-G Plus“ Voraussetzungen stattfinden, waren also rechtlich möglich.

b) Die Teilnahme an der Eigentümerversammlung war den Wohnungseigentümern infolge der nach der 15. BaylfSMV geltenden gesetzlichen Regelungen auch nicht unzumutbar erschwert. Insbesondere stellt die Durchführung einer Eigentümerversammlung unter „2-G Plus“ Voraussetzungen entgegen der Ansicht des Antragstellers keinen Ausschluss nicht geimpfter oder infizierter Wohnungseigentümer, und damit keinen unzulässigen Eingriff in den Kernbereich der Eigentümerrechte dar.

(1) Zwar besteht auch in Zeiten der Corona-Pandemie grundsätzlich ein Anspruch der. Eigentümer auf eine persönliche Teilnahme an Eigentümerversammlungen. Die Eigentümer haben nicht nur das Recht, ihren Willen durch das Abstimmungsverhalten zum Ausdruck zu bringen, sondern auch durch Wortmeldungen auf der Versammlung die Mehrheit in Richtung der von Ihnen gewünschten Willensbildung zu beeinflussen (vgl. Landgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 17.12.2020, Az. 2-13 S 108/20 m. w. N.).

Aufgabe des Einberufenden ist es, zu einer Versammlung einzuladen, wobei er über den Ort und die Zeit der Versammlung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat. Anhaltspunkte dafür, dass Versammlungsort und/oder -zeit vorliegend pflichtwidrig so ausgewählt wurden, dass nicht allen Wohnungseigentümern eine Teilnahme ermöglicht wurde, bestehen nicht.

(2) Dass an der für den 03.12.2021 anberaumten Eigentümerversammlung nur geimpfte oder genesene Wohnungseigentümer unter der zusätzlichen Voraussetzung eines negativen Testergebnisses hätten teilnehmen können, stellt keinen unzulässigen vorsätzlichen Ausschluss Ungeimpfter und/oder Infizierter dar, sondern ist Folge der neuen Gesetzeslage und der eigenverantwortlich getroffenen Entscheidung derjenigen Wohnungseigentümer, die sich gegen eine Impfung entschieden haben. Wer sich eigenverantwortlich gegen eine Impfung entscheidet, muss auch die sich aus dieser Entscheidung ergebenden Konsequenzen tragen, in diesem Fall die Konsequenz, auf unabsehbare Zeit nicht an Eigentümerversammlungen teilnehmen zu können. Auf derartige individuelle Belange von Eigentümern ist ebenso wenig Rücksicht zu nehmen wie auf Terminskollisionen oder Erkrankungen einzelner Eigentümer.

Vor diesem Hintergrund wäre für den Fall der Durchführung der Eigentümerversammlung am 03.12,2021 und anschließender Beschlussmängelklage keine gerichtliche Nichtigkeitsfeststellung wegen unzulässigen Eingriffs in das Teilnahmerecht an der Eigentümerversammlung als einem Kernbereich der Eigentümerrechte zu befürchten gewesen. Die Nichtigkeitsfeststellung von Beschlüssen im Bereich von formellen Mängeln steilt ohnehin die absolute Ausnahme dar. Der BGH nimmt sie nur an, wenn ein Eigentümer vorsätzlich und bewusst zu einer Versammlung nicht geladen wurde und damit sein unverzichtbares Teilnahmerecht vereitelt und so in den Kernbereich seiner Mitgliedschaft eingegriffen wurde. Dem ist in der Rechtsprechung der Fall gleichgestellt worden, dass bewusst ein Versammlungsort gewählt wurde, den ein Eigentümer aus Gesundheitsgründen – dort einer Gehbehinderung – nicht erreichen konnte. Objektiv kann man dem zwar Fälle gleichstellen, in denen in der Hochzeit der Virusepidemie zu Versammlungen eingeladen wird, bei denen offensichtlich ist, dass die Teilnahme den Teilnehmern unzumutbar ist oder – etwa aufgrund von (Ein)Reisebeschränkungen – objektiv unmöglich. Erforderlich ist aber stets noch ein subjektives Element, dass damit Teilnehmer bewusst ausgeschlossen werden sollten (Schmidt, COVID-19, § 4 Wohnungseigentumsrecht Rn. 39, beck-online). Dies war vorliegend nicht der Fall.

(3) Ein – wenngleich wohl nur zur Anfechtbarkeit führender – Verstoß gegen das Teilnahmerecht hätte bei einem Festhalten am Termin zwar darin liegen können, dass Wohnungseigentümer sich nicht mehr rechtzeitig zur Eigentümerversammlung einen (vollständigen) Impfschutz hätten verschaffen können. Dies wird vorliegend jedoch nicht geltend gemacht. Ebenso wenig ist dargetan, dass es unter den Wohnungseigentümern überhaupt ungeimpfte und/oder infizierte Personen gibt, denen eine Teilnahme an der Eigentümerversammlung infolge der am 24.11.2021 in Kraft getretenen gesetzlichen Vorschriften versagt gewesen wäre. Im Falle einer bloßen Anfechtbarkeit wäre jedoch der gefasste Beschluss bis zu einer gerichtlichen Ungültigerklärung wirksam und die Antragsgegnerin damit (zunächst) handlungsfähig gewesen.

3. Da eine gerichtliche Beschlussersetzung das Selbstorganisationsrecht der Wohnungseigentümer in viel stärkerer Weise beschneidet als ggf. das Teilnahmerecht einzelner Eigentümer durch Infektionsschutzmaßnahmeverordnungen beschränkt wird, darf sie stets nur soweit gehen, als dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes unbedingt notwendig ist (stRspr, BGH NJW 2018, 552 Rn. 13; NZM 2018, 615 Rn. 124; NJW 2017, 64 Rn. 31; NZM 2016, 523 Rn. 21; 2013, 582 Rn. 31; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 44 Rn. 208). Wegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben darf die Ermessensentscheidung des Gerichts das Selbstbestimmungsrecht der Wohnungseigentümer nur insoweit beschränken, wie dies aufgrund der zu regelnden Angelegenheit und zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes unbedingt nötig ist (Suilmann in: Jennißen, WEG, 3. Aufl., § 21, Rn. 138).

Auch in Zeiten der Corona-Pandemie kann das Selbstorganisationsrecht der Gemeinschaft nicht einfach prophylaktisch durch eine gerichtliche Beschlussersetzung ersetzt werden, um das Risiko von Beschlussmängelklagen zu minimieren, zumal wenn – wie offenbar hier weder versucht worden ist, eine Beschlussfassung nach § 23 Abs. 3 WEG herbeizuführen, noch eine Ausnahmegenehmigung nach § 16 Abs. 2 der 15. BayIfSMV durch die zuständige Kreisverwaltungsbehörde zu erhalten.

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