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Ethnische Diskriminierung – Ansprüche gegen Hausverwaltung

LG Essen – Az.: 10 S 6/22 – Beschluss vom 18.05.2022

In dem Rechtsstreit hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Essen am 18.05.2022 einstimmig beschlossen:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 10.12.2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Essen – Az. 20 C 165/21 – durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Wertfestsetzung für das Berufungsverfahren ist auf den Betrag i. H. v. 3.000,- EUR beabsichtigt (Berufung 1.500,00 EUR, Anschlussberufung 1.500,00).

Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme, die Beklagte ggf. auch zur Rücknahme der Berufung binnen zwei Wochen.

Gründe

I.

Die Kammer ist einstimmig der Überzeugung, dass die gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthafte und gemäß §§ 511 Abs. 2, 517, 519, 520 ZPO zulässige Berufung der Beklagten in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, §§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 Satz 2, 546 ZPO, noch rechtfertigen die im Berufungsverfahren zu Grunde zu legenden Tatsachen, §§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 ZPO, eine abweichende Beurteilung.

Das Amtsgericht hat aus berufungsrechtlicher Sicht beanstandungsfrei dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 1.500,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.10.2021 zuerkannt und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Soweit die Berufungsbegründung Anlass zur Erörterung gibt, beruht dies auf folgenden Erwägungen:

1. Beanstandungsfrei hat das Amtsgericht die Passivlegitimation der Beklagten angenommen. Soweit die Berufung unter Anführung der Entscheidung des Landgerichts Aachen vom 17.03.2009 (Az.: 8 0 449/07) einwendet, dass nicht die Beklagte als Hausverwaltung auf Entschädigung nach den §§ 19, 21 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (im Folgenden AGG) in Anspruch genommen werden könne, sondern sich der Kläger allenfalls an den Eigentümer als etwaig Benachteiligenden im Sinne des § 21 Abs. 2 S. 1 AGG halten müsse, so ist dem entgegenzuhalten, dass passivlegitimiert derjenige ist, der die Benachteiligung getätigt hat bzw. dem sie zuzurechnen ist. Das kann auch ein Makler oder sonstiger Vermittler sein (Däubler/Beck/Olaf Deinert, AGG, 5. Auflage 2022, § 21 Rn. 59). Dafür spricht auch folgende Überlegung: § 19 Abs. 1, 2, 21 Abs. 2 AGG benennen die Adressaten der Diskriminierungsverbote nicht konkret; in der sog. Kleinanbieterklausel ist zwar ausdrücklich vom Vermieter die Rede und auch die Regelung des Näheverhältnisses in § 19 Abs. 5 S. 1, S. 2 AGG orientiert sich an den Mietparteien. Die weite Fassung des § 19 Abs. 1, Abs. 2 AGG erlaubt es aber gerade, die handelnden Personen einzubeziehen, nicht nur die Organe juristischer Personen und die gesetzlichen und rechtsgeschäftlichen Vertreter von Gesellschaften und sonstigen Verbänden. Diese Personen haften mithin persönlich für Diskriminierungen, wie dies auch dem Recht der unerlaubten Handlungen entspricht. Daher kann auch ein Makler oder sonstiger Vermittler in Anspruch genommen werden, der mit oder ohne Auftrag oder Vollmacht gehandelt hat, der Vermieter daneben darum nur, wenn er sich dessen Handeln zurechnen lassen muss, wobei rechtsgeschäftliches Handeln nach Vollmachtregeln, tatsächliches Handeln, wenn ein vorvertragliches Verhältnis besteht, nach § 278 BGB, sonst nach § 831 BGB- zugerechnet wird (vgl. auch Derleder, Vertragsanbahnung und Vertragsabschluss über Mietwohnungen und die Diskriminierungsverbote des AGG, NZM 2007, 625 (630); ders. NZM 2009, 310ff.). Soweit im Schrifttum und vereinzelt in der Rechtsprechung (LG Aachen, Urteil vom 17.3.2009 – 8 0 449/07, nur die Partei des abzuschließenden Schuldverhältnisses als potentieller Anspruchsgegner angesehen wird, ist dies deshalb zu eng, weil dort die weite Fassung des § 19 Abs. 1, Abs. 2 AGG nicht hinreichend gewürdigt wird. Zugleich erkennt diese andere Ansicht zumindest, dass eine Zurechnung von Gehilfenverhalten nach § 278 BGB analog notwendig ist (vgl. Thüsing, Münchener Kommentar, 9. Auflage 2021, § 19 AGG, Rn. 127 ff.). Für eine weite Auslegung im vorstehenden Sinne und wie sie mit Ausnahme einzelner Stimmen im Schrifttum und der angeführten Entscheidung des Landgerichts Aachen – die im Übrigen vom Oberlandesgericht Köln abgeändert wurde (Az.: 24. U 51/09; WuM 2010, 81 = NZM 2010, 294) – vertreten wird, sprechen auch die Richtlinien 2000/43/EG und 2004/113/EG und deren Zielsetzung, Diskriminierungen effektiv zu bekämpfen (vgl. Mörsdorf, beck-online.Großkommentar, Gselll/Krüger/Lorenz/Reymann, Hrsg: Looschelders, Stand: 15.01.2022, § 21 AGG, Rn. 76). Allein der Gesetzeszweck verlangt mithin diese extensive Auslegung, die auch vom offenen Wortlaut erfasst wird. Vorliegend hat das Amtsgericht daher die Beklagte als Hausverwaltung zutreffend für passivlegitimiert erachtet.

In der Sache hat das Amtsgericht ferner bei Feststellung einer Benachteiligung des Klägers aus Gründen der ethnischen Herkunft i. S. d. § 1 AGG zutreffend die Darlegungs- und Beweislasten gemäß § 22 AGG zugrunde gelegt und angewendet. Nach § 22 AGG muss ein Geschädigter lediglich Indizien darlegen, aus denen sich ein Verstoß nach den Vorschriften des AGG ergibt und es ist dann Sache des Gegners, hier der Beklagten, gemessen an § 286 ZPO das Fehlen eines solchen Verstoßes zu beweisen. Zutreffend hat das Amtsgericht die Nichtreaktion auf die Anfrage des Klägers und das vom Kläger durchgeführte Testing-Verfahren, woraufhin unter Verwendung eines deutschklingenden Namens eine Reaktion auf eine weitere Anfrage des Klägers erfolgte, als hinreichende Indizien für eine Diskriminierung festgestellt.

Ethnische Diskriminierung - Ansprüche gegen Hausverwaltung
(Symbolfoto: Inspiring/Shutterstock.com)

Ebenso hat das Amtsgericht in berufungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise unter Anwendung des zutreffenden Beweismaßstabes des § 286 Abs. 1 ZPO die Beweisfälligkeit der Beklagten für das Nichtvorliegen einer Diskriminierung angenommen. Es hat verfahrensfehlerfrei ohne Verstoß gegen allgemeine Denk- oder Erfahrungsgesetze eine Beweisfälligkeit der Beklagten angenommen, weil auch nach Durchführung der Beweisaufnahme Zweifel verblieben, dass keine Diskriminierung zu Lasten des Klägers erfolgte.

Soweit die Beklagte einwendet, dass durch die Vermietung an ein Paar, bei dem zumindest einer der Partner einen Migrationshintergrund hat, der Gegenbeweis geführt und die Vermutung der Diskriminierung erschüttert sei, greift dies nicht durch, weil möglich erscheint, dass lediglich bestimmte ethnische Herkunftsgruppen, wie die, zu der der Kläger zählt, diskriminiert werden. Die Beklagte verfängt gerade nicht damit, dass das Amtsgericht fehlerhaft auf eine unterschiedliche ethnische Herkunft des Klägers und der späteren Mieterin abgestellt hat. Denn insoweit ist bekannt und durch die seitens des Klägers zur Akte gereichten Studien belegt, dass der jeweilige konkrete ethnische Hintergrund durchaus unterschiedlich behandelt werden kann. Jedenfalls ist es der Beklagten nicht gelungen, zu beweisen, dass die ethnische Herkunft des Klägers in diesem Fall keinen Diskriminierungsgrund darstellte, gleich ob dies auch für den Umgang mit anderen ethnischen Gruppen seitens der Beklagten gilt oder nicht.

Soweit die Beklagte mit der Berufung erstmals bestreitet, dass die zweite Anfrage des Klägers überhaupt bei ihr eingegangen sei, ist sie damit gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, zudem spricht dagegen die Wirkung des Tatbestands der angefochtenen Entscheidung, dessen Berichtigung nicht beantragt wurde.

Letztlich käme es aber auch nicht entscheidend auf diesen einzelnen Umstand an. Zum einen belegen die Aussagen der vernommenen Zeuginnen einzig, dass beide schlichtweg nicht konkret bekunden konnten, die Anfrage erhalten zu haben. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass die zweite Anfrage nicht in den Herrschaftsbereich der Beklagten als solches gelangt ist.

Ebenso hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Aussagen der Zeuginnen letztlich unergiebig waren und die genauen Gründe für die Nichtbeantwortung der Anfrage unter richtigem Namen unaufklärbar waren.

Dann aber gehen diese Lasten aufgrund der Gesetzessystematik und der bestehenden Indizien für eine Diskriminierung schlichtweg zu Lasten der Beklagten, die die durch weitere Indizien gestützte Vermutung nicht zu erschüttern vermochte.

Auch die vom Beklagten benannten vermeintlich nicht hinreichend berücksichtigten Aussagenbestandteile der Zeuginnen bieten keinen Anlass für die Annahme von unrichtigen und unvollständigen Feststellungen.

Selbst wenn in der Regel bei fehlender negativer Schufa-Auskunft ein Besichtigungstermin vereinbart wird, schließt auch dies nicht aus, dass im konkreten Fall des Klägers die Beklagte anders agierte. Es mag sein, dass es sich vorliegend um ein Versehen der Nichtbearbeitung handelte und die Anzeige schlichtweg untergegangen ist, es mag aber ebenso sein, dass im konkreten Fall eine Diskriminierung erfolgte, Die insoweit angeführten Indizien für letzteres hat die Beklagte jedenfalls auch insoweit nicht erschüttert.

Auch wenn der Kläger im Schlichtungsverfahren angegeben haben mag, die Wohnung nicht wirklich haben zu wollen, sondern geäußert haben soll, es sei ihm um das Prinzip gegangen, so ändert auch dies nichts daran, dass die Beklagte zuvor nämlich nach der Anfrage – die Anfrage unbeantwortet ließ und erst darauf hin, der Kläger die Wohnung nicht mehr wollte. Auch der Kläger sagt nicht, dass er von Anfang an kein Interesse an der Wohnung hatte, sondern letztlich erst nach vermuteter Diskriminierung seine Rechte hieraus verfolgt.

Ob und inwieweit die schriftlich angegebene Altersangabe im Mieterfragebogen in der Sache zutreffend war oder nicht, kann dahinstehen, da auch dieser Verweis nicht zu Zweifeln an der Vollständigkeit und Richtigkeit der amtsgerichtlichen Feststellungen und zur Widerlegung der Vermutung der Diskriminierung des Klägers durch die Beklagte aufgrund seiner Herkunft führt.

Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer im Übrigen auf die vollständigen und zutreffenden Entscheidungsgründe der amtsgerichtlichen Entscheidung.

II.

Rein vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass die Anschlussberufung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird, ihre Wirkung verliert, § 524 Abs. 4 ZPO. Es kann daher zum jetzigen Zeitpunkt dahin stehen, ob die Entschädigung der Höhe nach mit 1.500,- angemessen ist und ob das Amtsgericht den Sanktionsgedanken, der mit dem Entschädigungsanspruch ebenfalls verbunden ist, nicht hinreichend berücksichtigt hat, was mit der Anschlussberufung im Wesentlichen gerügt wird. Obiter dictum merkt die Kammer an, dass das Amtsgericht ausweislich der Urteilsgründe seine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Höhe ermessensfehlerfrei getroffen haben dürfte. Soweit die Kammer eine solche Entscheidung auf Ermessensfehler hin zu überprüfen hätte, könnte sie einen solchen Fehler wohl nicht feststellen. Das Amtsgericht hat Art und Schwere des Verstoßes ebenso berücksichtigt wie den Umstand, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls auch nach Durchführung der Beweisaufnahme offen blieben. Letztlich erscheint die festgesetzte Höhe der Geldentschädigung auch im Vergleich mit dem der oben genannten Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln zugrundeliegenden Sachverhalt und der dort festgesetzten Entschädigung nicht unangemessen.

III.

Da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Urteil des Berufungsgerichts nicht erfordern sowie eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist, beabsichtigt die Kammer eine Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege.

Auf die mit einer Berufungsrücknahme verbundene Kostenreduktion weist die Kammer vorsorglich hin.

IV.

Die beabsichtigte Wertfestsetzung ist orientiert an dem Interesse der Beklagten an der weiterverfolgten Klageabweisung und dem Interesse des Klägers an Zuerkennung weiterer 1.500,- Euro Entschädigung.

 

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