AG Heidelberg – Az.: 1 M 7/21 – Beschluss vom 22.03.2021
1. Die Erinnerung der Gläubigerin G G vom 04.02.2021 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Gläubigerin zu tragen.
3. Der Gegenstandswert wird auf 9.120,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Gläubigerin ließ am 27.08.2020 einen Antrag gem. § 885 ZPO stellen auf Räumung einer Wohnung in der Dstraße …, H. einschließlich Wegschaffens der in der Wohnung befindlichen Gegenstände. Der Antrag richtete sich zunächst gegen den Schuldner 1 und die Schuldnerin 2. Vollstreckt werden sollte der zwischen dem Schuldner 1 und der Gläubigerin vor dem Amtsgericht Heidelberg am 09.07.2020 (AZ: 26 C 61/19) geschlossene Räumungsvergleich. Da dieser nicht auch mit der Schuldnerin 2, die schon lange nicht mehr in der Wohnung lebte, geschlossen war, wies der Gerichtsvollzieher am 30.09.2020 die Vollstreckung gegen sie zurück.
Mit Schreiben vom 06.10.2020 setzte der Gerichtsvollzieher einen Räumungstermin für den Schuldner 1 auf den 04.11.2020 fest. Diese Räumungsmitteilung wurde dem Schuldner 1 am 07.10.2020 durch persönliche Übergabe zugestellt.
Der Gerichtsvollzieher begab sich am Räumungstag zur streitgegenständlichen Wohnung. Dort fand er den Schuldner 1 tot auf. Am 09.11.2020 hat er das Vollstreckungsverfahren eingestellt, den Überschuss aus dem Verfahren mit der Gläubigerin abgerechnet und den Titel zurückgegeben. Am 04.02.2021 hat der Gläubigervertreter den Titel erneut übersandt und einen Vorschuss für die Vollstreckung eingezahlt. Zugleich legte er Erinnerung gegen die Einstellung der Zwangsvollstreckung ein. Er ist der Auffassung, die Zwangsvollstreckung müsse fortgesetzt werden. Unter Berufung auf den Beschluss des BGH vom 30.04.2020, Az I ZB 61/19 ist er der Ansicht, die möglichen Erben des Schuldners seien gem. § 857 BGB in die Besitzerstellung des Schuldners 1 eingetreten. Die Vollstreckung müsse – ohne Titelumschreibung auf die Erben – umgehend fortgesetzt werden. Diese Meinung teilt der Gerichtsvollzieher nicht, weshalb er der Erinnerung nicht abgeholfen hat.
Der Gläubigervertreter hat sich inzwischen weiter darauf berufen, dass der Vollstreckungsantrag gegen den Schuldner 1 und die Schuldnerin 2 gestellt worden sei. Auch aus diesem Grund müsse die Zwangsvollstreckung fortgesetzt werden.
II.
Die Erinnerung ist zulässig gem. § 766 ZPO, jedoch nicht begründet.
Zurecht hat der Gerichtsvollzieher die Räumungsvollstreckung eingestellt und nicht wieder aufgenommen.
Nach § 750 Abs. 1 ZPO kann die Zwangsvollstreckung nur gegen Personen stattfinden, die im Titel oder der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind. Der Titel richtete sich gegen den Schuldner 1. Soweit der Gläubigervertreter sich nun im darauf beruft, der Räumungsauftrag sei gegen den Schuldner 1 und die Schuldnerin 2 gestellt worden, wurde der Antrag gegen die Schuldnerin 2 zurecht durch den Gerichtsvollzieher zurückgewiesen, da gegen sie kein Titel vorliegt.
Die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner 1 ist nach dessen Tod einzustellen und nicht nach § 779 ZPO durchzuführen. Nach dieser Vorschrift kann beim Tod eines Schuldners nach Beginn der Zwangsvollstreckung diese unmittelbar in den Nachlass fortgesetzt werden, ohne dass es einer Titelumschreibung auf die Erben bedarf.
Voraussetzung hierfür aber ist, dass die Vollstreckung vor dem Tod des Schuldners schon begonnen hat. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Zum Zeitpunkt des Beginns der Vollstreckung war der Schuldner 1 schon verstorben. „Die Zwangsvollstreckung beginnt mit dem Beginn des ersten Vollstreckungsaktes. Davor und nach dem Titelerlass liegende erforderliche Akte gehören nicht zur Zwangsvollstreckung, sind vielmehr meist ihre Voraussetzungen, wie die Zustellung (§ 750 Abs. 1), ….der Vollstreckungsantrag u.Ä.. ….. Eine Vollstreckungshandlung beginnt mit dem ersten in ihrem Rahmen auf zwangsweise Durchsetzung des Titels gerichteten Akt des Vollstreckungsorgans“ (h.M.: z.B. Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, vor § 704, Rdnr. 29 und 30). Die hier im Rahmen der Räumungsvollstreckung zu vollziehende Vollstreckungshandlung besteht nach § 885 ZPO aus dem Aus-dem-Besitz-Setzen des Schuldners und der Besitzeinweisung des Gläubigers. Das Aus-dem-Besitz-Setzen beginnt frühestens mit dem Öffnen der Wohnungstür durch den Gerichtsvollzieher am Räumungstag, mit dem Ziel, den Schuldner aus der Wohnung zu weisen. Vorbereitungshandlungen wie z.B. hier die Räumungsmitteilung gehören noch nicht zur eigentlichen Vollstreckung (vgl. Lackmann a.a.O. Rdnr. 31).
Selbst wenn man – wie anscheinend vom Gläubigervertreter angenommen – davon ausgehen wollte, dass die Räumungsvollstreckung vor dem Tod des Schuldners 1 z.B. durch Mitteilung des Räumungstermins begonnen hätte, wäre diese nicht nach § 779 ZPO fortzusetzen. Diese Vorschrift ist nach h.M. nicht anwendbar bei der Vollstreckung zur Erwirkung von Handlungen und bei Duldungs- und Unterlassungsvollstreckungen (z.B.: Geimer, in : Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 779, Rdnr. 1; Kindl, in: Saenger, ZPO, 8. Aufl, 2019, § 779, Rdnr. 1. a.A. Karsten Schmitt in: Münchner Kommentar, ZPO; 6.Aufl. 2020, § 779 Rdnr. 1 s.u.). Denn durch den Schuldner können diese Forderungen nicht mehr erfüllt werden. Dasselbe hat für das faktische Aufgeben des Besitzes zu gelten, das mit dem aus-dem-Besitz-Setzen vollstreckt werden soll. Dies ist nach dem Tod des Schuldners in gleicher Weise nicht mehr möglich. Es gibt niemanden mehr, der den Besitz aufgeben bzw. der aus dem Besitz gesetzt werden könnte.
Teilweise wird demgegenüber vertreten, dass eine begonnene – wenn man vorliegend einen Beginn zu Lebzeiten des Schuldners unterstellt – Zwangsvollstreckung nach dem Tod des Schuldners gem. § 779 ZPO auch dann fortgesetzt werden kann, wenn eine vertretbare Handlung durchgesetzt werden soll (vgl. Karsten Schmidt a.a.O. § 779, Rdnr. 1+ 2). Selbst wenn man diese Ansicht für richtig hielte und wenn man zudem das zu vollstreckende Aufgeben des Besitzes einer vertretbaren Handlung vergleichen wollte, könnte die Zwangsvollstreckung hier nicht in den Nachlass fortgesetzt werden.
§ 779 ZPO stellt eine Ausnahme aus dem Prinzip der Formalisierung der Zwangsvollstreckung dar. Es darf, ohne dass ein Titel gegen die Erben vorläge, in den auf die Erben übergegangenen Nachlass vollstreckt werden. Der Grund liegt darin, dass schon zu Beginn der Zwangsvollstreckung klar ersichtlich Titel und Gegenstand, in den vollstreckt werden darf, dem Erblasser zuzurechnen sind. Vorliegend ist § 779 ZPO jedoch nicht anwendbar, denn der „Nachlassgegenstand“, in den vollstreckt werden soll, nämlich die Sachherrschaft des Schuldners über die Wohnung ist entfallen. Der Schuldner kann nicht mehr aus dem Besitz gesetzt werden. Auch die möglichen Erben haben keinen vollstreckungsrechtlich relevanten Besitz erlangt, aus dem sie zu setzen wären. Vollstreckungsrechtlicher Besitz gem. § 885 ZPO – aus dem der Schuldner gesetzt werden soll – entspricht nämlich dem unmittelbaren Besitz nach § 854 Abs. 1 BGB. Er setzt Gewahrsam im Sinne tatsächlicher Gewalt über die Sache voraus, wobei vollstreckungsrechtlich entscheidend ist, dass die vom entsprechenden Willen getragene tatsächliche Sachherrschaft für den Gerichtsvollzieher äußerlich erkennbar sein muss (BGH aaO. Rn. 33; für bewegliche Sachen: Flockenhaus in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Auflage 2020, § 808 Rn. 4; Fritsche in: BeckOK BGB, 56. Edition, Stand 01.11.2020, § 857 Rn. 17). Die möglichen Erben haben aber die Wohnung nicht im Sinne des § 885 ZPO in Besitz genommen. Vollstreckungsrechtlich kommt es nicht darauf an, ob die Erben Besitzrechte nach § 857 BGB an den Räumlichkeiten oder den dort weiterhin befindlichen Sachen erworben haben. Denn der fiktive Erbenbesitz nach § 857 BGB begründet ohne tatsächliche Sachherrschaft keinen Gewahrsam, es handelt sich um einen Besitz ohne Sachherrschaft. Ein mit Sachherrschaft verbundener Besitz der Erwerber, der vollstreckungsrechtlich relevant wäre, entsteht erst durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Räumlichkeiten (BGH a.a.O Rdnr. 35; Schäfer, in: Münchner Kommentar BGB, 8. Auflage 2020, § 857 Rdnr. 3 und 4). Einen solchen Besitz, aus dem sie nach § 885 ZPO gesetzt werden müssten, haben mögliche Erben vorliegend nicht erlangt.
Eine andere Beurteilung ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht daraus, dass der verstorbene Schuldner 1 alleiniger Räumungsverpflichteter war. Anders als bei dem oben genannten vom BGH entschiedenen Verfahren, liegt hier ein Titel nur gegen den verstorbenen Schuldner 1 vor. Wie in diesen Konstellationen zu entscheiden ist, hat der BGH ausdrücklich offen gelassen (BGH aaO Rdnr. 37). Dort lag ein Titel gegen zwei Gewahrsamsinhaber vor, die die Wohnung zunächst gemeinsam in Besitz hielten und von denen einer verstorben war. Dort wurde dann die Vollstreckung gegen den noch lebenden Schuldner aufgrund des auch gegen ihn lautenden Titels durchgeführt. Vorliegend gibt es keinen weiteren Gewahrsamsinhaber gegen den aus einem zu vollstreckenden Titel die Räumung erfolgen könnte.
Es besteht kein Bedürfnis, den Grundsatz des formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahrens in Fällen wie dem vorliegenden nach § 779 ZPO zu durchbrechen, weder durch die Fiktion einer tatsächlichen Sachherrschaft der Erben entsprechend § 857 BGB, noch durch die Konstruktion einer Ausnahmeregelung der Zwangsvollstreckung. Es gibt keine Personen, die für den Gerichtsvollzieher ersichtlich Gewahrsam an der streitgegenständlichen Wohnung genommen haben.
Zwar wird vertreten, dass der Erbenbesitz gem. § 857 BGB genüge auch in der Zwangsvollstreckung, solange kein Gewahrsam Dritter be- oder entstehe, bestehe aber nicht (mehr), wenn es außer den Erben andere Gewahrsamsinhaber gebe (für bewegliche Sachen: Gruber in Münchner Kommentar, ZPO, 6. Auflage 2020, § 808 Rdnr. 10 in Kindl/Meller-Hannich, gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Auflage 2020, § 808 ZPO Rdnr. 6). Diese Differenzierung ist nicht nachvollziehbar. Konsequenterweise dürfte man dann § 857 BGB nicht nur heranziehen in Fällen, in denen kein Gewahrsam eines Dritten entsteht, sondern auch dann, wenn es (Mit-)Gewahrsamsinhaber gibt. Denn dieser Erbenbesitz wäre dann immer als Teil des Nachlasses anzusehen, in den – nicht nur in Fällen wie dem hier zu entscheidenden – vollstreckt werden könnte. Ob ein Gegenstand oder ein Recht zum Nachlass gehört, kann jedoch nicht davon abhängen, ob irgendjemand – ggf. auch Nichterben – tatsächlich Gewahrsam an der Sache/der Wohnung begründet oder nicht. Diese Schlussfolgerung, dass der Erbenbesitz immer Besitz auch im vollstreckungsrechtlichen Sinn begründet, wird jedoch nirgends gezogen, denn § 857 BGB soll nach einhelliger Meinung Besitzschutz für die Erben gewährleisten, nicht aber grundsätzliche Auswirkungen z.B. auch auf die Zwangsvollstreckung haben.
Würdinger und Herberger (NJW 2020, 3381) vertreten dasselbe Ergebnis, dass die Erben quasi Gewahrsamsinhaber sind, wenn es keine anderen Gewahrsamsinhaber gibt, ohne § 857 BGB heranzuziehen. Sie statuieren in Fällen wie dem vorliegenden eine Ausnahme aus dem Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung. Wie es etwa entgegen § 808 ZPO verboten sei, Sachen zu pfänden, die zwar im Gewahrsam des Schuldners, aber offensichtlich im Eigentum eines Dritten stehen, müsse vorliegend auf das Moment des Gewahrsams als rein tatsächliche Sachherrschaft verzichtet werden, weil ansonsten die Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten blockiert werden würden. Dies trifft so nicht zu, denn die Räumungsvollstreckung als solche wird nicht blockiert. Sie ist schlicht nicht mehr möglich und nicht mehr erforderlich. Was blockiert ist, ist die Folge einer Räumung, nämlich das Wegschaffen der Gegenstände des verstorbenen Schuldners bzw. der Erben. Beim Versterben des Schuldners vor der Vollstreckung müssen vom Gläubiger die Erben ermittelt und die weiteren Vorgehensweisen (notfalls mit Titelumschreibung) geklärt werden. Diese Aufgaben würden vorliegend systemwidrig auf den Gerichtsvollzieher verlagert. Bei Pfändungen konkreter Gegenstände, bei denen eine Fortsetzung der Zwangsvollstreckung nach § 779 ZPO ohne weiteres erfolgt, ist klar, in welche Gegenstände vollstreckt werden soll. Bei Räumungsvollstreckungen hingegen ist der eigentliche Vollstreckungsgegenstand, der Gewahrsam an der Wohnung, entfallen. Nur die „Annexvollstreckung“ (Wegschaffen der zuvor dem Schuldner gehörenden Gegenstände) soll zulasten des Gerichtsvollziehers mit unklarem Ausgang gegen (noch unbekannte) nicht aus dem Titel ersichtliche Schuldner durchgeführt werden. Das bloße Wegschaffen der Gegenstände, die im Gewahrsam des Schuldners gestanden haben, ohne zuvor durchgeführte Räumung, kann jedoch verlangt werden. Denn Gegenstände, die nach § 885 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO weggeschafft werden sollen, sind gerade nicht selbst Gegenstände der Zwangsvollstreckung (BGH aaO Rdnr. 43). Entfällt die Räumungsvollstreckung als solche, verbleiben auch die genannten Gegenstände in den Räumlichkeiten.
Auch wenn man – wovon der Gläubigervertreter wohl ausgeht – unterstellen wollte, dass die Räumungsvollstreckung schon vor dem Tod des Schuldners begonnen hat, stellt sich die Situation ist für die Gläubigerin nicht anders, als wenn der Schuldner zu irgendeinem Zeitpunkt vor der begonnenen Zwangsvollstreckung verstorben wäre. Die in § 779 ZPO vorgesehene Ausnahme von der Formalisierung der Zwangsvollstreckung greift nicht bei Räumungsvollstreckung.
Die Kostenentscheidung erging nach § 97 ZPO.