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Mietvertragskündigung nach Ausgleich der Mietrückstände innerhalb der Schonfrist

LG Itzehoe, Az.: 9 S 15/18, Urteil vom 21.12.2018

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Pinneberg vom 21.02.2018, Az. 84 C 114/17, wird zurückgewiesen.

2. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.1.2019 gewährt, die sich um jeweils einen Monat, längstens bis zum 30.6.2019 verlängert, wenn die Nutzungsentschädigung für den jeweils vorhergehenden Monat in Höhe von aktuell 465,00 € brutto bis zum 15. des Monats an die Klägerin gezahlt worden ist.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckungen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.424,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Mietvertragskündigung nach Ausgleich der Mietrückstände innerhalb der Schonfrist
Symbolfoto: fizkes/Bigstock

Die Parteien streiten um die Räumung einer Mietwohnung.

Es wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die nachfolgend zitierten Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang auf die tatbestandlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

„Die Klägerin ist Vermieterin, der Beklagte ist Mieter einer Wohnung in …. Der Mietvertrag datiert vom 1.11.2016. Die Miete beträgt 317 € netto, zzgl. Vorauszahlungen auf die Nebenkosten von 88,00 €, brutto 465,00 €. Mit Schreiben vom 20.07.2017 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis fristlos wegen Zahlungsverzugs des Beklagten. Der Beklagte entrichtete die ausstehende Miete innerhalb der Schonfrist. Die Klägerin erklärte in demselben Kündigungsschreiben u. a. eine weitere fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen eines Vorfalls am 07.07.2017. An diesem Tag kam es zu einem Alarm des Rauchwarnmelders in der Wohnung der Beklagten. Mitmieter des Beklagten klingelten an dessen Wohnung, wurden von dem alkoholisierten Beklagten eingelassen und stellten fest, dass alle 3 Herdplatten und der Backofen auf jeweils höchster Stufe eingestellt waren. Ein Essteller mit Essen stand zerbrochen auf dem Herd. Die Feuerwehr kam. Wegen der weiteren Vorfälle wird auf die Kündigung, Anlage K 2,Bl. 13 f d.A. verwiesen. Der Beklagte ist alkoholkrank.“

Ergänzend stellt die Kammer Folgendes fest: Der Beklagte zahlte die Mieten für die Monate Februar, April und Juli 2017 in Höhe von insgesamt 1.215,00 € – die Warmmiete betrug in diesem Zeitraum pro Monat 405,00 € – zunächst nicht. Dies holte er im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens nach. Im Schriftsatz vom 14.9.2017 (Bl. 20 ff. d. A.) bezieht sich der Prozessvertreter des Beklagten auf die erfolgte Überweisung. Mit Schriftsatz vom 7.11.2018 (Bl. 26 ff. d. A.) bestätigte die Klägerseite den Eingang der Zahlung von 1.215,00 €.

Die Klägerin hat behauptet, das Essen habe auf dem Teller gebrannt. Der Beklagte sei erheblich alkoholisiert gewesen; er habe sich möglicherweise einen Suizidversuch vorgenommen. Es bestehe eine ganz erhebliche Gefahr für Leib und Leben der übrigen Bewohner des Hauses.

Nach Ausgleich des Zahlungsrückstands haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Zahlungsantrags übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die in der …, 1. OG Mitte belegene Wohnung bestehend aus einem Zimmer, Küche, Diele, Flur, Bad und WC nebst dem zur Wohnung gehörenden Kellerraum zu räumen und besenrein nebst der zur Wohnung gehörenden Haus-, Wohnungs- und Briefkastenschlüssel an die Klägerin herauszugeben sowie die Klägerin von außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren als Forderung der Kanzlei … und Partner in … in Höhe von 571,44 € freizuhalten.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise eine angemessene Räumungsfrist von mindestens drei Monaten zu gewähren.

Der Beklagte hat behauptet, er sei wegen des Alkoholkonsums versehentlich eingeschlafen, was jedem Mieter passieren könne. Es habe sich um einen einmaligen Vorfall eines ansonsten reibungslosen Mietverhältnisses gehandelt. Das Essen habe nicht gebrannt, sondern sei verkohlt.

Das Amtsgericht hat Beweis durch die Vernehmung der Zeuginnen … und … erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 03.01.2018 (Bl. 55 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das Amtsgericht Pinneberg hat den Beklagten zur Räumung der Mietwohnung verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Mietverhältnis sei durch die fristlose Kündigung vom 20.7.2017 beendet worden. Der Beklagte sei infolge grober Nachlässigkeit für eine erhebliche Gefährdung des Hauses und des Leibs und Lebens der übrigen Bewohner verantwortlich und es bestehe aus objektiver Sicht ein nachvollziehbarer Verdacht, dass der Beklagte aufgrund seiner Erkrankung generell unzuverlässig sei und es daher jederzeit wieder zu Gefahrensituationen kommen könne, auf die der Beklagte dann nicht adäquat zu reagieren vermöge. Dies ergebe sich aus dem Vorfall am 7.7.2017, als der Beklagte im alkoholisierten Zustand sein Essen aufgewärmt und hierzu einen Teller auf den Herd gestellt und alle drei Platten und den Backofen voll aufgedreht habe. Der Teller sei zersprungen und das Essen jedenfalls verkohlt gewesen. Zudem sei das Erstgericht nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Wohnung ganz erheblich verqualmt und der Beklagte trotz des Rauchwarnmelders und der offensichtlichen Gefahr nicht in der Lage zu reagieren gewesen sei. Weiterhin sei eine Abmahnung nach § 543 Abs. 3 Nr. 2 BGB nicht erforderlich gewesen, da eine erhebliche Vertragsverletzung vorliege.

Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen diese Entscheidung. Es wird insoweit auf die Berufungsbegründung vom 24.5.2018 (Bl. 94 ff. d. A.) und die Schriftsätze vom 9.7.2018 (Bl. 111 f. d. A.) sowie vom 31.10.2018 (Bl. 140 f. d. A.) und vom 27.11.2018 (Bl. 146 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte behauptet, er leide unter einer paranoiden Schizophrenie und unter einer schweren Depression mit psychotischen Symptomen. Diese Erkrankung sei zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Pinneberg nicht erkennbar gewesen. Dazu meint er, die Erkrankung würde einen Härtegrund i. S. des § 574 BGB darstellen.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Pinneberg, Az. 84 C 114/17, vom 21.1.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Weiterhin beantragt er eine möglichst lange Räumungsfrist.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Auf das Vorbringen der Klägerin aus der Berufungserwiderung vom 21.6.2018 (Bl. 106 ff. d. A.) sowie den Schriftsätzen vom 26.7.2018 (Bl. 115 f. d. A.) sowie vom 10.10.2018 (Bl. 124 ff. d. A.), vom 24.10.2018 (Bl. 127 d. A.) und vom 27.11.2018 (Bl. 149 ff. d. A.) wird Bezug genommen.

Die Kammer hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 6.11.2018 umfassend persönlich angehört.

II.

Die nach §§ 511 Abs. 2 Nr. 1, 517, 519, 520 ZPO zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die dem Berufungsrechtszug zu Grunde liegenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung als das Amtsgericht sie getroffen hat (§§ 513 Abs. 1, 529 ZPO).

Die Klägerin hat gegen den Beklagten gemäß § 546 BGB einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung. Das Mietverhältnis ist in Abweichung der Auffassung des Erstgerichts nicht bereits durch die fristlose Kündigung vom 20.7.2017 beendet worden (1. und 2.), sondern erst durch die im selben Schriftsatz hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung (3.).

1. Nach § 543 Abs. 1 S. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Mit Beschluss vom 31.8.2018 hat die Kammer darauf hingewiesen, dass der Vorfall vom 7.7.2017 keinen hinreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellt. Denn es handelte sich um einen einmaligen, verhaltensbedingten Vorfall. Eine außerordentliche Kündigung käme nach der Auffassung der Kammer allenfalls in Betracht, wenn der Beklagte zum wiederholten Male des Nachts Essen hätte anbrennen lassen und dadurch die Gefahr eines Wohnungsbrandes heraufbeschwört hätte (vgl. LG Duisburg, Urteil vom 18.6.1991 – 7 S 629/90, juris Rn. 1).

Im Rahmen der verhaltensbedingten Kündigung wäre darüber hinaus eine Abmahnung i. S. des § 543 Abs. 3 BGB erforderlich gewesen. Diese war nicht nach § 543 Abs. 3 Nr. 2 BGB entbehrlich, weil es für die Wiederholung eines solchen Vorfalls keine konkreten Anhaltspunkte gibt. Eine solche Annahme kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Beklagte alkoholkrank ist und deshalb eine solche Gefährdung jederzeit eintreten könne. Denn daraus kann – wenn überhaupt – lediglich eine abstrakte Gefahr gefolgert werden. Konkrete Hinweise auf eine etwaige Wiederholung eines solchen Vorfalls folgen daraus nicht.

2. Ferner kommt ein außerordentlicher fristloser Kündigungsgrund wegen Zahlungsverzuges (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB) im Rahmen der Kündigung vom 20.7.2017 ebenfalls nicht in Betracht, da der Beklagte gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB die Zahlung der ausstehenden Miete vor dem 14.9.2017, also bis spätestens zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit (20.8.2017) nachgeholt hat. Dadurch ist die außerordentliche fristlose Kündigung unwirksam geworden.

3. Das Mietverhältnis ist aber durch die mit Schriftsatz vom 20.7.2017 hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 BGB zum 30.4.2018 beendet worden. Der Klägerin stand es zunächst frei, die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzuges mit einer ordentlichen Kündigung zu verbinden (BGH, Urteil vom 19.9.2018 – VIII ZR 231/17, juris Rn. 15). Weiterhin ist die Kündigung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§ 133 BGB) dahingehend auszulegen, dass sowohl die fristlose Kündigung als auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung jeweils auf alle in dem Kündigungsschreiben genannten Vorfälle gestützt werden soll.

Ein Kündigungsgrund ergibt sich aus § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Zu der Feststellung eines berechtigten Interesses ist eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Nicht unerheblich meint weniger als eine erhebliche und mehr als eine nur unerhebliche Verletzung. Die Pflichtverletzung kann sich beispielsweise auf Zahlungsverzug, vertragswidrigen Gebrauch oder die Verletzung von Obhutspflichten beziehen. Das berechtigte Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses ergibt sich aus dem Zahlungsverzug und dem Vorfall vom 7.7.2017.

Demnach ist eine nicht unerhebliche Vertragspflichtverletzung in diesem Sinne regelmäßig anzunehmen, wenn der Mieter mit der Zahlung der Miete in Höhe eines Betrages, der die Bruttomiete für zwei Monate erreicht, über einen Zeitraum von mehr als zwei Zahlungsterminen hinweg in Verzug gerät (BGH, Urteil vom 14.7.2010 – VIII ZR 267/09, NJW 2010, 3020 Rn. 15). Denn ein solcher Mietrückstand würde den Vermieter sogar zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b BGB berechtigen. Der Zahlungsrückstand bezieht sich auf die Monate Februar, April und Juli 2017 und betrug insgesamt 1215,00 €. Der Zahlungsrückstand erreichte damit drei Bruttomieten. Zudem war der Beklagte mit der Zahlung mehr als zwei Zahlungstermine in Verzug, da er die Zahlung erst im September 2017 nachgeholt hat.

Auch der Vorfall vom 7.7.2017 stellt eine nicht unerhebliche Vertragspflichtverletzung in diesem Sinne dar, weil dadurch eine erhebliche Gefährdung des Mietobjekts und auch des Lebens der übrigen Bewohner entstanden ist. Für die Kammer kommt es diesbezüglich auch nicht darauf an, ob das Essen tatsächlich gebrannt hat oder ob es lediglich zu einer Rauchentwicklung kam. Unstreitig ist jedenfalls, dass das Essen auf dem Herd infolge des Anschaltens aller Herdplatten und des Backofens durch den Beklagten verkohlt ist und es eine Rauchentwicklung gegeben hat. Ferner ist unstreitig, dass der Beklagte infolge seines Alkoholkonsums versehentlich eingeschlafen ist. Dieses Verhalten überschreitet die Schwelle einer nur unerheblichen Pflichtverletzung.

Anders als die außerordentliche fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB verlangt die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB allerdings ein Verschulden. Ein solches wird entsprechend § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet; der Mieter muss sich also exkulpieren (BGH, Urteil vom 13.04.2016 – VIII ZR 39/15, WuM 2016, 365 Ls. 2; Beschluss vom 20.07.2016 – 138/15, WuM 2016, 682, 685 Rn. 15). Der Beklagte hat keine tragfähigen Tatsachen vorgetragen, die ihn vom Vorwurf des Verschuldens freihalten können.

Hinsichtlich des Zahlungsverzugs hat der Beklagte im Wesentlichen geltend gemacht, er sei mit der Mietzahlung in Rückstand geraten, weil er vom Jobcenter irrtümlich im Zeitraum ab Januar 2017 lediglich 670,00 € monatlich statt der ihm zustehenden 874,00 € erhalten habe. Der von ihm für die Mietzahlungen eingerichtete Dauerauftrag sei in den Monaten Februar, April und Juli 2017 mangels Deckung seines Kontos nicht ausgeführt worden. Der Beklagte habe dies nicht bemerkt, da er darauf vertraut habe, dass ihm der ihm zustehende Hartz IV Regelungsbedarf zuzüglich der Miete überwiesen worden sei. Es hat allerdings dem Beklagten oblegen, die Rechtzeitigkeit der Mietzahlungen zu überwachen und nach besten Kräften dafür Sorge zu tragen, dass zum Fälligkeitszeitpunkt eine Deckung seines Kontos vorhanden ist. Dies hat er nicht getan. Sollte dies aus wirtschaftlichen Gründen für den Beklagten nicht zu leisten gewesen sein, hätte er die Klägerin von den durch das Jobcenter verursachten Schwierigkeiten wenigstens in Kenntnis setzen müssen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist er sogar gehalten gewesen, darzulegen, dass er die Leistung rechtzeitig und unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen beantragt und bei etwaigen Zahlungsversäumnissen die säumige Behörde zur pünktlichen und umfassenden Zahlung zu drängen (vgl. BGH, Urteil vom 29.6.2016 – VIII ZR 173/15, NJW 2016, 2805, 2806).

In Bezug auf den Vorfall vom 7.7.2017 hat der Beklagte nicht vorgetragen, dass er in einem Maße alkoholisiert gewesen sei, dass von einer Schuldunfähigkeit auszugehen sei. Darauf dürfte es im Ergebnis auch nicht ankommen, da er diesen Zustand selbst herbeigeführt hat und ihn gleichwohl in entsprechender Anwendung der Grundsätze der „actio libera in causa“ ein Verschulden träfe.

Die im September 2017 erfolgte Begleichung des Zahlungsrückstands hat nicht zur Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung geführt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es keine allgemeine Regel des Inhalts, dass sich ein Festhalten des Vermieters an der ordentlichen Kündigung nach Ausgleich der Mietrückstände innerhalb der Schonfrist stets als rechtsmissbräuchlich i. S. des § 242 BGB erweist, wenn künftige Verletzungen der Zahlungspflicht oder sonstiger vertraglicher Pflichten nicht zu besorgen sind (BGH, Beschluss vom 6.10.2015 – VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225). Im vorliegenden Fall kann aufgrund der festgestellten Pflichtverletzungen des Beklagten nicht davon ausgegangen werden, dass künftig keine weiteren Verletzungen der vertraglichen Pflichten zu besorgen sind. Demnach sprechen die besseren Gründe dafür, dass die im September 2017 erfolgte Begleichung des Zahlungsrückstandes nicht zur Unwirksamkeit der darauf gestützten Kündigung mit Schreiben vom 20.7.2017 führt.

4. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach der Sozialklausel des § 574 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht. Die Klägerin hat eine solche gemäß § 574b Abs. 2 S. 1 BGB zu Recht abgelehnt, weil der Beklagte einen Kündigungswiderspruch nicht rechtzeitig innerhalb der Frist des § 574b Abs. 2 S. 2 BGB nachgeholt hat. Nach dieser Vorschrift kann der Mieter den Widerspruch noch im ersten Termin des Räumungsrechtsstreits erklären, wenn der Vermieter nicht rechtzeitig vor Ablauf der Widerspruchsfrist auf die Möglichkeit des Widerspruchs sowie auf dessen Form und Frist hingewiesen hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da der Widerspruch nicht bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Pinneberg am 10.11.2017 erfolgt ist. Ein seitens des Beklagten ggf. stillschweigend in der mündlichen Verhandlung vom 6.11.2018 vor der Kammer vorgebrachter Härteeinwand erfolgte nicht innerhalb dieser Frist. Darauf hat die Kammer auch bereits in der mündlichen Verhandlung hingewiesen.

Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass eine möglicherweise bestehende Erkrankung des Beklagten (diagnostizierte paranoide Schizophrenie und ggf. auch eine schwere Depression mit psychotischen Symptomen) erst nach der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht aufgetreten ist. Denn entstehen Härtegründe nach dem in § 574b Abs. 2 S. 2 BGB genannten Zeitpunkt, ist § 574 Abs. 3 BGB mangels einer planwidrigen Regelungslücke nicht entsprechend anwendbar und es ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (BeckOK BGB-Bamberger u.a./Hannappel, 48. Edition (Stand: 1.8.2018), § 574b Rn. 6; Staudinger/Rolfs, BGB, 2014, § 574b Rn. 15; Dauner-Lieb/Langen/Hinz, BGB, 3. Aufl. 2016, § 574b BGB Rn. 11; andere Ansicht: Schmitt-Futterer/Blank, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 574b Rn. 10; Münchener Kommentar zum BGB-Häublein, 7. Aufl. 2016, § 574b Rn. 7). Denn im Interesse der Dispositionsfreiheit des Vermieters über die vermietete Wohnung beschränkt das Gesetz das Widerspruchsrecht des Mieters auf den in § 574b Abs. 2 S. 1 BGB genannten Zeitraum. Außerdem handelt es sich bei § 574 Abs. 3 BGB bereits um einen Ausnahmetatbestand, dessen Anwendungsbereich nicht durch eine analoge Anwendung erweitert werden kann. Weiterhin spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber es dem Mieter aus Gründen der Rechtsklarheit zumutet, dem Widerspruch vorausschauend zu erklären und Härtegründe notfalls nachzuschieben. Dies hat die Folge, dass der Mieter auf die Rechtsbehelfe nach §§ 721, 765a ZPO zu verweisen ist.

Die Entscheidung über die Gewährung der Räumungsfrist folgt aus § 721 Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht dem Schuldner auf Antrag oder von Amts wegen eine den Umständen nach angemessene Räumungsfrist gewähren, wenn auf Räumung von Wohnraum erkannt wird. Das Gericht hat dabei die Interessen der beiden Parteien gegeneinander abzuwägen. Die Voraussetzungen des § 721 Abs. 1 ZPO liegen vor. Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung eine Räumungsfrist beantragt. Die Kammer hält eine Räumungsfrist von ca. sechs Monaten – bis zum 30.6.2019 – für angemessen, wenn der Beklagte die Nutzungsentschädigung in Höhe von 465,00 € brutto leistet. Auf Seiten der Klägerin ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Räumung teilweise auf einem Zahlungsverzug des Beklagten beruht und es sich bei dem Mietobjekt um ihr Eigentum handelt. Auf der Seite des Beklagten ist sein Interesse zu berücksichtigen, mit der Wohnung nicht seinen bisherigen Lebensmittelpunkt zu verlieren. Dabei ist insbesondere von Gewicht, dass der Beklagte bereits seit ca. elf Jahren in der Wohnung lebt. Außerdem ist es für den Kläger schwierig, einen vergleichbaren Ersatzwohnraum in … zu finden. Des Weiteren hält die Kammer die Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu seiner behaupteten Erkrankung für glaubhaft, sodass in Hinblick auf die Dauer der Räumungsfrist auch die Erkrankung zu berücksichtigen ist.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, ZPO.

Die Revision ist zuzulassen. Die Rechtssache hat eine grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO, da die Rechtsfrage, ob Härtegründe, die nach dem in § 574b Abs. 2 S. 2 BGB genannten Zeitpunkt entstehen, bei der Anwendung von § 574 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen sind in der Literatur unterschiedlich beantwortet wird und damit eine Klärungsbedürftigkeit besteht.

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