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Angeordnete Vertragsfortsetzung auf unbestimmte Zeit nur bei angemessener Miete

Mieter darf bleiben: Unangemessene Mieterhöhung abgelehnt!

Das Urteil des Landgerichts Berlin betont, dass eine Eigenbedarfskündigung des Vermieters nicht automatisch zur Räumung führt, wenn für den Mieter dadurch eine unzumutbare Härte entsteht. Trotz eines nachgewiesenen Eigenbedarfs des Vermieters wird das Mietverhältnis unter neuen Bedingungen fortgesetzt, da die Beendigung für den Mieter gesundheitlich schwerwiegend wäre. Dieser Fall zeigt die Balance zwischen den Interessen des Vermieters und den Schutzbedürfnissen des Mieters im deutschen Mietrecht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 67 S 20/23 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Eigenbedarfskündigung: Der Vermieter hatte ein berechtigtes Interesse an der Kündigung, um die Wohnung für sich zu nutzen.
  2. Widerspruch des Mieters: Der Mieter widersprach wirksam aufgrund unzumutbarer Härte bei Verlust der Wohnung.
  3. Gesundheitliche Gründe: Der Mieter leidet an mehreren psychischen Störungen, und ein Wohnungsverlust würde zu einer erheblichen Verschlechterung führen.
  4. Fortsetzung des Mietverhältnisses: Trotz Eigenbedarfs des Vermieters wird das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.
  5. Neue Mietbedingungen: Ab einem festgelegten Datum wird eine neue Nettokaltmiete festgesetzt.
  6. Berücksichtigung beider Interessen: Das Gericht wägt die Interessen des Vermieters und des Mieters ab.
  7. Unzumutbare Härte: Die gesundheitliche Situation des Mieters begründet eine unzumutbare Härte.
  8. Endgültigkeit des Urteils: Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

Mietrecht: Eigenbedarfskündigung und Fortsetzung des Mietverhältnisses

Eigenbedarfskündigungen sind im Mietrecht ein heikles Thema. Wenn ein Vermieter eine Wohnung für sich oder nahe Angehörige benötigt, kann er das Mietverhältnis kündigen. Doch was passiert, wenn der Mieter aufgrund der Kündigung eine gesundheitliche Verschlechterung befürchten muss? In solchen Fällen kann das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden, wie ein aktuelles Urteil zeigt.

In diesem Artikel werden wir uns mit den Details dieses Urteils befassen. Wir werden erörtern, wie das Gericht die Interessen von Vermieter und Mieter abgewogen hat und welche Konsequenzen dieses Urteil für die Mietrechtspraxis hat. Lesen Sie weiter, um mehr über dieses wichtige Thema zu erfahren.

Recht auf Wohnraum versus Eigennutzung: Ein Balanceakt

In einem bemerkenswerten Urteil des Landgerichts Berlin, Aktenzeichen 67 S 20/23, wurde am 7. Dezember 2023 entschieden, dass die Klage eines Vermieters auf Räumung und Herausgabe einer Zwei-Zimmer-Wohnung abgewiesen wird. Trotz eines berechtigten Eigenbedarfs des Vermieters und einer wirksamen Kündigung des Mietverhältnisses, wurde entschieden, das Mietverhältnis zu modifizierten Konditionen fortzusetzen. Dieses Urteil wirft ein Schlaglicht auf die komplexe Interaktion zwischen Mieter- und Vermieterrechten im deutschen Mietrecht, insbesondere im Kontext der Eigenbedarfskündigung.

Der Konflikt: Eigenbedarf des Vermieters gegen gesundheitliche Härte des Mieters

Die rechtliche Auseinandersetzung entzündete sich an der Kündigung des Vermieters, der die Wohnung für sich beanspruchte. Der Vermieter, selbst in Miete wohnend, plante, näher bei seinem minderjährigen Sohn zu leben. Trotz des nachgewiesenen Eigenbedarfs widersprach der Mieter der Kündigung erfolgreich. Er litt an mehreren psychischen Störungen, und der Verlust der Wohnung hätte eine erhebliche gesundheitliche Verschlechterung zur Folge gehabt. Dies wurde durch ein medizinisches Gutachten bestätigt, das eine schwere depressive Episode und weitere Komplikationen bei einem Wohnungsverlust prognostizierte.

Gerichtliche Würdigung: Abwägung der widerstreitenden Interessen

Das Landgericht Berlin nahm eine umfassende Würdigung der Situation vor und entschied, das Mietverhältnis unter neuen Bedingungen fortzusetzen. Dabei berücksichtigte das Gericht die psychische Verfassung des Mieters und das Fehlen sozialer Ressourcen, was die Entscheidung zu einer Frage der Menschenwürde machte. Gleichzeitig wurden die Interessen des Vermieters, seine Lebensplanung und die Nähe zu seinem Sohn, ernst genommen, jedoch nicht als überwiegend eingestuft.

Fortsetzung des Mietverhältnisses: Ein Kompromiss

In einer entscheidenden Wendung wurde beschlossen, das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen, jedoch unter geänderten Bedingungen. Ab dem 1. Januar 2024 wurde eine neue monatliche Nettokaltmiete von 551,90 Euro festgesetzt. Dieser Betrag spiegelt die marktübliche Miete wider und stellt einen Kompromiss dar, der sowohl die finanziellen Interessen des Vermieters als auch die soziale Verträglichkeit für den Mieter berücksichtigt.

Das Urteil des Landgerichts Berlin zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie das deutsche Mietrecht einen Ausgleich zwischen den Rechten und Pflichten von Mietern und Vermietern schafft. Es illustriert die Wichtigkeit, individuelle Umstände in Betracht zu ziehen und bekräftigt den hohen Stellenwert, den die persönliche Lebenssituation und die Gesundheit in der deutschen Rechtsprechung genießen. Die Fortsetzung des Mietverhältnisses unter geänderten Bedingungen demonstriert, dass Gerichte bereit sind, flexible Lösungen zu finden, die beide Parteien berücksichtigen.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Was sind die rechtlichen Grundlagen und Voraussetzungen für eine Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB?

Die rechtlichen Grundlagen und Voraussetzungen für eine Eigenbedarfskündigung sind im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgelegt, insbesondere in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Nach diesem Paragraphen liegt Eigenbedarf vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.

Es ist zu beachten, dass der Eigenbedarf nur für einen bestimmten Personenkreis gilt. Dazu gehören der Vermieter selbst, seine Familienangehörigen und Personen, die bereits seit längerer Zeit und auf Dauer im Haushalt des Vermieters aufgenommen sind. Bei einer Mehrheit von Vermietern genügt es, wenn der Eigenbedarf für einen von ihnen besteht.

Die Kündigung muss schriftlich erfolgen und die Gründe für den Eigenbedarf müssen im Kündigungsschreiben angegeben werden. Andere Gründe werden nur berücksichtigt, soweit sie nachträglich entstanden sind.

Die Kündigungsfrist bestimmt sich nach § 573c BGB. Danach ist die Kündigung „spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig“. Es ist jedoch zu beachten, dass die Kündigungsfrist auch davon abhängig ist, wie lange das Mietverhältnis bereits besteht.

Es gibt jedoch auch Ausnahmen und Einschränkungen. So kann der Mieter einer Eigenbedarfskündigung widersprechen, wenn er einen Härtefall geltend macht. Dies ist in der sogenannten „Sozialklausel“ in § 574 (1) BGB geregelt. Ein Härtefall liegt beispielsweise vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.

Darüber hinaus ist eine Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter nur vorübergehend – etwa ein paar Monate – einzieht, um einen unliebsamen Mieter loszuwerden. In solchen Fällen kann es zu einem Räumungsrechtsstreit kommen, bei dem die Strafbarkeit wegen Prozessbetrugs droht.

Wie wird im Mietrecht eine unzumutbare Härte für den Mieter definiert und in welchen Fällen kommt dieser zum Tragen?

Der Begriff „unzumutbare Härte“ im Mietrecht bezieht sich auf Situationen, in denen ein Mieter, seine Familie oder andere Haushaltsangehörige durch bestimmte Umstände übermäßig belastet werden. Dies kann beispielsweise bei Modernisierungsmaßnahmen, Kündigungen oder Mieterhöhungen der Fall sein. Ob eine unzumutbare Härte vorliegt, ist immer einzelfallabhängig und wird im Streitfall von einem Gericht entschieden.

Im Kontext von Modernisierungsmaßnahmen kann eine unzumutbare Härte durch die Arbeiten selbst, die baulichen Folgen oder aufgrund vorausgegangener Aufwendungen des Mieters vorliegen. Auch die zu erwartende Mieterhöhung und die Höhe der zukünftigen Betriebskosten können eine Härte begründen.

Bei Kündigungen kann der Mieter einen Härteeinwand geltend machen, wenn er keine zumutbare Ersatzwohnung findet oder wenn andere besondere Umstände vorliegen. Beispiele für solche Umstände sind eine fortgeschrittene Schwangerschaft, hohes Lebensalter in Verbindung mit einer Verwurzelung im sozialen Umfeld, schwere Krankheiten oder die Pflegebedürftigkeit des Mieters.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Mieter den Härteeinwand rechtzeitig geltend machen muss, um seine Rechte zu wahren. Im Falle einer Kündigung muss der Widerspruch beispielsweise spätestens zwei Monate vor dem Ende des Mietverhältnisses erfolgen.

Welche Rolle spielt die gesundheitliche Verschlechterung des Mieters bei der Beurteilung einer Kündigung und der Fortsetzung des Mietverhältnisses?

Die gesundheitliche Verschlechterung eines Mieters kann eine wichtige Rolle bei der Beurteilung einer Kündigung und der Fortsetzung des Mietverhältnisses spielen. Insbesondere bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs kann der Gesundheitszustand des Mieters einen Härtegrund darstellen, der eine Fortsetzung des Mietverhältnisses rechtfertigen kann.

Es ist jedoch zu beachten, dass nicht jede gesundheitliche Beeinträchtigung automatisch zu einer Fortsetzung des Mietverhältnisses führt. Vielmehr muss im Einzelfall festgestellt werden, ob der Gesundheitszustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder ob im Falle eines Umzugs eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist.

In einigen Fällen kann die Kündigung eines Mietvertrags aufgrund von Eigenbedarf an gesundheitlichen Gefahren für den Mieter scheitern. Beispielsweise kann eine ernsthafte Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung die Annahme einer unzumutbaren Härte rechtfertigen.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die gesundheitliche Verschlechterung des Mieters kein außerordentliches Kündigungsrecht gewährt. Darüber hinaus kann der soziale Schutz des Mieters, der in einem Wohnraummietverhältnis gilt, nicht auf ein Gewerberaummietverhältnis übertragen werden.

Insgesamt hängt die Rolle der gesundheitlichen Verschlechterung des Mieters bei der Beurteilung einer Kündigung und der Fortsetzung des Mietverhältnisses stark vom Einzelfall ab und erfordert eine sorgfältige Abwägung der Interessen beider Parteien.


Das vorliegende Urteil

LG Berlin – Az.: 67 S 20/23 – Urteil vom 07.12.2023

Auf die Berufung des Klägers wird das am 14. Dezember 2022 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte teilweise abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Das Mietverhältnis zwischen den Parteien über die Zwei-Zimmer-Wohnung im Hause X wird bis zum 31.12.2023 zu den bisherigen mietvertraglichen Bedingungen und ab dem 1. Januar 2024 auf unbestimmte Zeit mit der Maßgabe fortgesetzt, dass die monatliche Nettokaltmiete ab dem 1. Januar 2024 551,90 Euro beträgt und im Übrigen die sonstigen bisherigen Bedingungen des Mietvertrages fortgelten.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Tatbestand entfällt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO.

II.

Die Berufung ist in geringem Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung aus den §§ 546 Abs. 1, 985 BGB.

Keine der streitgegenständlichen Eigenbedarfskündigungen hat im Ergebnis zur Beendigung des zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestehenden Mietverhältnisses geführt. Der Beklagte hat den Kündigungen gemäß §§ 574 Abs. 1, 574a Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam widersprochen, da die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn eine unzumutbare Härte darstellen würde. Er hat gemäß §§ 574a Abs. 2 Satz 2 BGB, 308a Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit zu den aus dem Tenor ersichtlichen Bedingungen.

Die Berufung rügt allerdings im Ausgangspunkt zu Recht, dass dem Kläger ein Kündigungsgrund zur Seite stand, da die Voraussetzungen des § 573 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 BGB vorlagen. Der Vermieter hat gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein berechtigtes Interesse zur Kündigung, wenn er die Wohnung für sich, die zu seinem Haushalt gehörenden Personen oder seine Familienangehörige benötigt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, auch wenn der Beklagte den Eigennutzungswillen des Klägers bestritten hat. Der Kläger hat den von ihm behaupteten Nutzungswunsch als insoweit beweisbelastete Partei zur vollen Überzeugung der Kammer bewiesen (vgl. zum Beweismaß Kammer, Urt. v. 25. September 2014 – 67 S 198/14, NJW 2014, 3585).

Der Kläger hat im Rahmen seiner beantragten Parteieinvernahme, die wegen seiner nicht anders zu beseitigenden Beweisnot geboten war (vgl. BGH, Beschl. v. 27. September 2017 – XII ZR 48/17, NJW-RR 2018, 249, Tz. 12; Kammer, a.a.O.), glaubhaft bekundet, dass er die streitgegenständliche Wohnung beziehen möchte. Zur Begründung hat er angeführt, dass er sich von der Mutter seines minderjährigen Sohnes getrennt habe, er bislang selbst zur Miete wohne und zukünftig räumlich näher an der von seinem Sohn besuchten Kindertagesstätte leben wolle. Die Bekundungen des Klägers waren widerspruchsfrei, reich an realitätstypischen Details und durchgängig spontan. Das spricht für ihre Glaubhaftigkeit. Die Plausibilität des Eigennutzungswunsches spricht ebenfalls für die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen. Denn es ist verständlich und einleuchtend, dass der Kläger es bevorzugt, näher bei seinem Sohn zu wohnen und sich gleichzeitig durch die Nutzung der in seinem Eigentum stehenden Wohnung die Aufwendungen für die Anmietung seiner derzeit genutzten Wohnung jedenfalls anteilig zu ersparen. Anhaltspunkte, die der Kammer hätten Veranlassung gehen müssen, an der Glaubwürdigkeit des Klägers zu zweifeln, bestanden nicht. Dass er als Partei ein Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens hat, vermochte ohne das Hinzutreten weiterer – hier aber fehlender – Umstände keine entscheidungserheblichen Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit zu begründen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 18. Januar 1995 – VIII ZR 23/94, BGHZ 128, 307; Kammer, Urt. v. 19. Oktober 2023 – 67 S 119/23, BeckRS 2023, 32252 Tz. 14). Die Tatgerichte können im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben einer Partei sogar dann glauben, wenn sie im Widerspruch zu den Bekundungen eines Gegenzeugen oder des als Partei vernommenen Prozessgegners stehen (vgl. BGH, Beschl. v. 27. September 2017, a.a.O., Tz. 12 m.w.N.). Das gilt auch hier.

Die gegenteilige Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebietet keine dem Beklagten günstigere Beurteilung, da die Kammer nicht an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung gebunden war. Dabei kann dahinstehen, ob das Amtsgericht die Beweise vertretbar gewürdigt hat. Zwar ist das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden. Diese Bindung entfällt jedoch gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Diese Zweifel können sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 8. August 2023 – VIII ZR 20/23, NJW 2023, 3496, Tz. 16 m.w.N.). So lag der Fall hier, in dem das Amtsgericht trotz der eindeutigen und widerspruchsfreien Bekundungen des Klägers im ersten Rechtszug und in Würdigung einer nur wenige Zeilen umfassenden Sitzungsniederschrift zu dem Beweisergebnis gelangt ist, es sei von den Angaben des Klägers „nicht überzeugt“.

Das Mietverhältnis ist gleichwohl gemäß §§ 574 Abs. 1, 574a Abs. 2 Satz 1und 2 BGB auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der §§ 573 ff. BGB haben die Zivilgerichte neben dem Erlangungsinteresse des Vermieters auch das Bestandsinteresse des Mieters zu berücksichtigen, diese widerstreitenden Belange gegeneinander abzuwägen und in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen (st. Rspr., vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 9. Oktober 2014 – 1 BvR 2235/14, NZM 2015, 161). Unter einer Härte i.S.d § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB sind davon ausgehend alle dem Mieter aus der Vertragsbeendigung erwachsenden Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die in Folge der Vertragsbeendigung auftreten können (vgl. Kammer, Urt. v. 25. Mai 2021 – 67 S 345/18, WuM 2021, 492, beckonline Tz. 15 m.w.N.; Hartmann, in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 574 Rz. 21 m.w.N.). Dabei müssen die dem Mieter entstehenden Nachteile nicht mit absoluter Sicherheit feststehen; insbesondere bei gesundheitlichen Nachteilen genügt bereits die ernsthafte Gefahr ihres Eintritts (vgl. BGH, Urt. v. 16. Oktober 2013 – VIII ZR 57/13, NJW-RR 2014, 78; Kammer, Urt. v. 25. Mai 2021, a.a.O.; Hartmann, a.a.O.). Für die Annahme einer Härte ist es erforderlich, aber gleichzeitig auch ausreichend, dass sich die Konsequenzen, die für den Mieter mit einem Auszug verbunden wären, von den mit einem Wohnungsverlust typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 3. Februar 2021, a.a.O., Tz. 21; Kammer, Urt. v. 25. Mai 2021, a.a.O. Tz. 15)

Gemessen an diesen Grundsätzen begründet die kündigungsbedingte Beendigung des Mietverhältnisses für den Beklagten eine Härte:

Es steht zur Überzeugung der Kammer als Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweiserhebung aufgrund des überzeugenden und von den Parteien nicht entscheidungserheblich in Frage gestellten Gutachtens des von der Kammer bestellten Sachverständigen fest, dass der Beklagte an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer rezidivierenden depressiven Störung, einer Agoraphobie mit Panikstörung sowie einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung leidet. Es ist nach den ebenso überzeugenden und von den Parteien unwidersprochenen Feststellungen des Sachverständigen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Verlust der streitgegenständlichen Wohnung den Beklagten wegen seiner fehlenden sozialen Ressourcen und seiner psychischen Vorerkrankungen überfordern und zu einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung einschließlich einer schweren depressiven Episode führen würde. Zwar bestünde nach dem Wohnungsverlust und der dann zu erwartenden Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beklagten die Möglichkeit einer antidepressiven Medikation und einer mehrmonatigen ambulanten oder stationären Behandlung des Beklagten. Die Erfolgsaussichten einer Behandlung konnten aber auch vom Sachverständigen im Rahmen seiner mündlichen Anhörung nicht verlässlich prognostiziert werden; denn zum Teil chronifiziert sich nach den Ausführungen des Sachverständigen bei Betroffenen die Erkrankung trotz medizinischer Behandlung. Ein derartiger Verlauf ist auch bei dem Beklagten nicht auszuschließen.

Davon ausgehend handelt es sich bei den Folgen des Wohnungsverlustes für den Beklagten nicht um eine bloße „Unannehmlichkeit“. Die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation eines erkrankten Mieters im Fall des Wohnungsverlustes geht vielmehr über eine gewöhnliche Unannehmlichkeit weit hinaus und begründet deshalb auch nach der von der Kammer insoweit einschränkungslos geteilten Rechtsprechung des BGH eine Härte i.S.d. § 574 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2022 – VIII ZR 96/22, NZM 2023, 210, beckonline Tz. 17). Dabei ist es unerheblich, ob die Erkrankung des Mieters psychischer oder physischer Natur ist. Dass der Mieter vor dem Wohnungsverlust „schwer“ erkrankt war, ist bei psychischen Erkrankungen für die Annahme einer Härte nicht erforderlich, ebensowenig, dass der Wohnungsverlust zusätzlich die – beim Beklagten nicht bestehende – Gefahr eines Suizids begründet (vgl. BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2022, a.a.O.). Für die Annahme einer Härte reicht es im hier zu beurteilenden Zusammenhang schon aus, dass sich der Gesundheitszustand des psychisch vorerkrankten Mieters durch den Wohnungsverlust nicht lediglich unerheblich zu verschlechtern droht und eine zeitnahe Besserung oder gar Wiederherstellung des vorherigen Gesundheitszustands selbst für den Fall einer umgehenden medizinischen Behandlung des Mieters nicht verlässlich zu prognostizieren ist.

So liegt der Fall hier. Es kommt hinzu, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Beklagte einer medizinischen Behandlung verweigert. Deshalb kann es auch dahinstehen, ob von einem Wohnraummieter in Ansehung der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG überhaupt verlangt werden kann, sich auf die Kündigung des Vermieters zum Erhalt seines Härteeinwands auf eine medizinischen Behandlung ungewissen Ausgangs einlassen zu müssen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 26. Oktober 2022 – VIII ZR 390/21, NZM 2023, 35, Tz. 43).

Die für den Beklagten zu besorgenden gesundheitlichen Folgen des Wohnungsverlustes gebieten gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Klägers die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit:

Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung kommt der wahrscheinlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beklagten ein erhebliches Gewicht zu. Dem Erlangungsinteresse des Klägers ist zwar ebenfalls ein beträchtliches Gewicht nicht abzusprechen, da er nicht mehr wie bislang in einer Mietwohnung, sondern stattdessen in seinem Eigentum und zudem in der Nähe seines minderjährigen Sohnes leben möchte. Diese Lebensplanung ist zu respektieren. Sie bleibt allerdings hinter dem Interesse des Beklagten an einem Verbleib in der Mietsache zurück:

Bei der Gewichtung des Vermieterinteresses an der Vertragsbeendigung ist vor allem die Dringlichkeit des geltend gemachten Eigenbedarfs von Bedeutung (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2017 – VIII ZR 270/15, NJW 2017, 1474; Kammer, Urt. v. 25. Mai 2021, a.a.O., Tz. 35). Diese ist beim Kläger nur gewöhnlich ausgeprägt, da sein Eigennutzungswunsch im Wesentlichen auf Komfortzuwachs und die Verringerung seiner bisherigen Wohnkosten gerichtet ist. Das reicht nicht aus, um dem Interesse des Beklagten am Erhalt seines ohnehin schon beeinträchtigten Gesundheitszustands mit Erfolg zu begegnen. Bereits deshalb überwiegen die Interessen des Beklagten. Hier kommt allerdings noch hinzu, dass der Kläger durch sein Prozessverhalten eine besondere Dringlichkeit seines Eigenbedarfs selbst widerlegt hat, indem er vor der Kammer einen nur für den Beklagten widerruflichen und von diesem später tatsächlich widerrufenen Prozessvergleich geschlossen hat, der nicht die Beendigung, sondern die mit einer Erhöhung des Mietzinses verbundene Fortsetzung des Mietverhältnisses zum Gegenstand hatte. Dieses Prozessverhalten lässt ohne das Hinzutreten gegenteiliger – und hier fehlender – Anhaltspunkte den Rückschluss auf eine jedenfalls nicht überdurchschnittliche Dringlichkeit des vom Vermieter geltend gemachten Eigenbedarfs zu.

Das Mietverhältnis war in Ausübung des der Kammer zugewiesenen tatrichterlichen Ermessens („kann“) gemäß § 574a Abs. 2 Satz 2 BGB auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Danach kann im Falle der Ungewissheit, wann voraussichtlich die Umstände wegfallen, auf Grund derer die Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeutet, vom Gericht bestimmt werden, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird. Ausschlaggebend für eine Fortsetzung auf unbestimmte Zeit und keine lediglich befristete Fortsetzung war hier, dass wegen der unabsehbaren und nicht verlässlich beherrschbaren Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beklagten im Falle des Wohnungsverluste kein Zeitpunkt abgesehen werden kann, zu dem eine Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausginge und eine Fortsetzung des Mietverhältnisses abzulehnen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 26. Oktober 2022, a.a.O., Tz. 59; Kammer, Urt. v. 7. Mai 2015 – 67 S 117/14, NZM 2015, 929).

Den Interessen des Klägers ist für den Fall eines tatsächlich abweichenden Geschehensverlaufs von Gesetzes wegen Rechnung getragen. Denn sollten sich die im Rahmen der Ermessensentscheidung berücksichtigten Umstände – etwa wegen einer Besserung der gesundheitlichen Situation des Beklagten oder wegen einer Veränderung im Nutzungsbedarf oder der Dringlichkeit des vom Kläger geltend gemachten Eigenbedarfs – nachträglich wesentlich ändern, wäre eine erneute Kündigung durch den Kläger nicht ausgeschlossen. Bei einer solchen käme gemäß § 574c Abs. 2 Satz 2 BGB eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nur nach § 574 BGB unter Berücksichtigung und Würdigung der dann bestehenden, wesentlich veränderten Umstände in Betracht (vgl. BGH, Urt. v. 26. Oktober 2022, a.a.O., Tz. 60). Dass der Kläger bei einer Verlängerung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit auf dieses Vorgehen angewiesen ist, während das Mietverhältnis bei einer Fortsetzung auf bestimmte Zeit automatisch enden würde, ist allerdings die gesetzliche Folge der Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit. Sie konnte deshalb im Rahmen der von der Kammer zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden (vgl. BGH, a.a.O.).

Der Beklagte kann jedoch gemäß § 574a Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz BGB nur verlangen, dass das Mietverhältnis unter einer angemessenen Änderung der Vertragsbedingungen fortgesetzt wird. Eine Fortsetzung zu den bisherigen Bedingungen ist dem Kläger nicht zuzumuten. Die bislang vom Beklagten entrichtete Miete liegt deutlich unter der üblichen Marktmiete. Für den Vermieter angemessen sind im Falle der gerichtlich angeordneten Vertragsfortsetzung aber grundsätzlich nur solche Bedingungen, wie sie bei vergleichbaren Mietverhältnissen in der Gemeinde üblich sind (vgl. BGH, Urt. v. 26. Oktober 2022, a.a.O., Tz. 61; LG Hagen, Urt. v. 17. September 1990 – 10 S 418/89, WuM 1991, 103, Tz. 19; LG Köln Urt. v. 11. November 2021 – 1 S 124/20, BeckRS 2021, 58856 Tz 15; Hartmann, a.a.O., § 574a Rz. 14). Abzustellen ist dabei auf die vom Gericht erforderlichenfalls zu schätzende ortsübliche Neuvermietungsmiete, sofern diese für den Mieter noch sozialverträglich ist. Die Kappungsgrenze und die sonstigen Formalien der ohnehin nur für die ortsübliche Vergleichsmiete maßgeblichen §§ 558 ff. BGB sind dabei unbeachtlich (vgl. Hartmann, a.a.O. Tz. 15). Davon ausgehend hat die Kammer den Nettokaltmietzins in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß §§ 574a Abs. 2 Satz 1 BGB, 308a Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Zukunft auf eine marktübliche Höhe angepasst. Die nicht unerhebliche Anhebung des Mietzinses wird für den Beklagten unter Zugrundelegung des von ihm behaupteten Nettoeinkommens mit Einschränkungen in seiner bisherigen Lebensführung verbunden sein. Diese sind jedoch zumutbar und von ihm hinzunehmen, zumal auch der Kläger durch die unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht nur fortdauernde wirtschaftliche Nachteile, sondern ebenfalls eine Beschränkung seiner Lebensführung hinzunehmen hat.

Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 92 Abs, 1 Nr. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 Satz 1 und 2, 713 ZPO. Gründe, die Revision gemäß § 543 ZPO zuzulassen, bestehen nicht. Die Entscheidung wirft keine abstrakten Rechtsfragen auf, die die Zulassung der Revision rechtfertigen. Sie beruht auf revisionsgerichtlich geklärten Grundsätzen, von denen die Kammer nicht abweicht.

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