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Berücksichtigung Schonfristzahlung – bei außerordentlicher und ordentlicher Mietvertragskündigung

LG Berlin – Az.: 66 S 293/19 – Urteil vom 30.03.2020

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 23.10.2019, Az. Xxxxx, abgeändert; die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird in beschränktem Umfang zugelassen, nämlich zu der Frage, ob eine Auslegung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB dessen Anwendung auf eine Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB möglich macht. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Mietwohnung verurteilt. Die von der Klägerin am 7. Mai 2019 fristlos und hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung hat es als wirksam angesehen. Der darin geltend gemachte Zahlungsrückstand von 2600 € sei zwar durch Zahlungen des Beklagten von 1000 € am 21.6.2019 und von weiteren 1600 € am 22.6.2019 vollständig beglichen worden, das Mietverhältnis sei aber wegen der hilfsweise ordentlich erklärten Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB beendet. Auch mit Blick auf die Schonfristzahlung (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) lägen keine Umstände vor, die die ordentliche Kündigung in einem milderen Licht erscheinen ließen oder nach § 242 BGB dem Begehren der Klägerin entgegenstünden.

Anstelle der Darstellung eines Tatbestandes nimmt die Kammer zunächst Bezug auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Mit der Berufung erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage. Hierzu verweist er u.a. auf den in der Verhandlung beim Amtsgericht am 8.10.2019 erhobenen Einwand, wonach er im März 2019 einen Mangel an der Badezimmerdecke der Wohnung angezeigt habe.

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil des Amtsgerichts.

Ergänzungen zum Tatbestand des Urteils sind wie folgt geboten:

Die Klägerin hatte ihre Ansprüche zunächst ausschließlich auf die Kündigung wegen Zahlungsrückständen vom 7.5.2019 gestützt. Im laufenden Verfahren erster Instanz erklärte sie mit Schreiben vom 26.7.2019 eine weitere Kündigung, die sie auf die Nichterteilung bestimmter vom Beklagten verlangter Auskünfte und auf unerlaubte Untervermietung der Wohnung stützte; in dem Schreiben forderte sie den Beklagten erneut zur Erteilung der Auskünfte bis 28.7.2019 und zur Beendigung der Untervermietung bis 18.8.2019 auf und drohte anderenfalls eine weitere Kündigung an. Für weitere Einzelheiten wird auf den Inhalt des Kündigungsschreibens (eingereicht als Anlage K8) verwiesen.

Diese neue Kündigung führte die Klägerin mit Schriftsatz vom 2.8.2019 in das laufende Verfahren ein und erklärte, dass das Begehren auf sofortige Herausgabe der Wohnung nunmehr zunächst auf die Kündigung vom 26.7.2019 und lediglich hilfsweise bei „…Erfolglosigkeit des Hauptantrags…“ noch auf die vorherige Kündigung vom 7.5.2019 gestützt werde. Diesen Standpunkt hat sie nach der Berufungsverhandlung umgedreht; in dem nachgelassenen und fristgemäß eingereichten Schriftsatz vom 18.3.2020 erklärt sie, der Räumungsklage sei vorrangig wegen der ordentlichen Zahlungsverzugskündigung stattzugeben, sie werde lediglich hilfsweise mit der Untervermietungskündigung begründet.

Im Berufungsverfahren erklärte die Klägerin schließlich mit Schriftsatz vom 27.1.2020 eine weitere Kündigung wegen vorsätzlich wahrheitswidrigen Sachvortrages. Hierzu reicht sie auszugsweise die mit dem Beklagten 2019 persönlich geführte Korrespondenz ein, insbesondere sein Schreiben vom 5. September 2019. Der Beklagte habe darin vorsätzlich falsch erklärt, eine Untervermietung/Drittüberlassung der Wohnung sei nicht erfolgt. Bei einem Besuch am 17.9.2019 hätten demgegenüber Mitarbeiter der Hausverwaltung zwei Herren in der Wohnung angetroffen, die nach eigenen Angaben je eines der Zimmer bewohnten.

II.

Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch gemäß §§ 546 Abs. 1, 985 BGB gegen den Beklagten nicht zu. Das streitgegenständliche Mietverhältnis besteht fort. Die Kündigung vom 7.5.2019 ist als fristlose und als ordentliche Kündigung durch die erfolgte Schonfristzahlung vom Juni 2019 nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden. Für die Kündigung vom 26.7.2019 fehlte es von vornherein an einem Kündigungsgrund. Es kommt daher nicht darauf an, in welcher Reihenfolge die Klägerin diese Kündigungen vorrangig bzw. hilfsweise anführt.

A.

Die Kündigung vom 7. Mai 2019 rechtfertigt entgegen der Annahme des Amtsgerichts eine Verurteilung zur Räumung und Herausgabe nicht.

Zu Frage eines am 7.5.2019 bestehenden Zahlungsrückstands hat das Amtsgericht offen gelassen, ob die vom Beklagten behauptete Minderung wegen eines im März 2019 gerügten Mangels als verspätet zurückzuweisen sei. Unabhängig davon habe nämlich durch vorherige Unterzahlungen von monatlich 160 € in 8 Monaten (07/2018 bis 02/2019) ein Rückstand von 1280 € für länger als einen Monat bestanden, was bei einer Monatsmiete von 1.000 € als Kündigungsgrund (nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB) ausreiche.Damit ist offen geblieben, ob überhaupt die Voraussetzungen der vorrangig erklärten fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB vorgelegen haben. Diese Frage kann aber auch im Ergebnis der 2. Instanz dahinstehen (ebenso wie Fragen nach einer Minderung bzw. nach dem genauen Betrag des Zahlungsrückstandes). Denn alle Wirkungen der Kündigung vom 7.5.2019 wurden mit dem letzten Teil der Schonfristzahlung vom 22.6.2019 nach Maßgabe von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB geheilt.

Die Kammer verkennt nicht, dass der Bundesgerichtshof seit der Entscheidung vom 16.2.2005 (VIII ZR 6/04) daran festhält, eine Erstreckung der Wirkung von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf eine ordentliche Kündigung sei nicht möglich. Dies entspreche zweifelsfrei dem geltenden Recht; eine Abweichung von den daraus resultierenden (häufig bedauerten) Folgen und Wertungswidersprüchen sei nicht durch Rechtsanwendung der Gerichte möglich, sondern allein durch den Gesetzgeber.

Diese Einschätzung teilt die Kammer nicht. Es bleiben wesentliche Gesichtspunkte unerörtert, die zur Bestimmung des Inhalts der Normen und ihrer Beziehungen zueinander berücksichtigt werden müssen. Bei Anwendung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze erweist sich für die ordentliche Kündigung die (unmittelbare) Anwendung des in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB enthaltenen Normbefehls als gerechtfertigt; einer (bloßen) Analogie bedarf es nicht.

I.

In der o.g. Entscheidung vom 16.02.2005 begründet der Bundesgerichtshof seine Auffassung mit einer dezidierten Auslegung der fraglichen Normen. Die dabei angestellten Erwägungen (nachfolgend jeweils nach juris Rz. zitiert) sind in späteren Entscheidungen bekräftigt worden, ohne dass aber ganz neue Aspekte hinzugetreten wären.

Für die systematische Auslegung zu § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (daran anknüpfend aber auch für die genaue Betrachtung von Wortlaut, sowie von Sinn und Zweck der Norm) sind aber entscheidungserhebliche Zusammenhänge bisher unberücksichtigt geblieben. Das vollständige Bild der Anknüpfungspunkte führt zu der Feststellung, dass die Anwendung der Schonfristregelung auf die ordentliche Kündigung nach der Systematik geboten, vom Wortlaut nicht ausgeschlossen, und vom Sinn und Zweck (nach den Maßstäben der vom Gesetzgeber stammenden Gesetzesbegründung) gedeckt ist.

1.

Zur Systematik führt der BGH (a.a.O. juris Rz. 16) aus, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB enthalte eine Ausnahme von dem in §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB geregelten Grundsatz, dass eine auf einen qualifizierten Zahlungsrückstand gestützte fristlose Kündigung wirksam ist. Diese Stellung als Ausnahme spreche für eine restriktive Handhabung und damit gegen eine Erweiterung auch auf die fristgemäße Kündigung.

Die systematische Auslegung kann dabei nicht stehen bleiben, weil sonst der entscheidende gesetzessystematische Aspekt unberücksichtigt bleibt. Der Reformgesetzgeber 2001 hat in der Systematik des Mietrechts grundlegende Änderungen vorgenommen. Er hat dadurch neue Bezüge zwischen den einzelnen Vorschriften eingeführt, die über das bloße Verhältnis von „Grundsatz“ und „Ausnahme vom Grundsatz“ weit hinausgehen.

a) Das bis 2001 geltende System bestand aus der (zuerst eingeführten) Regelung der fristlosen Kündigung (§ 554 BGB a.F.) und aus der später hinzu gekommenen fristgemäßen Kündigung (§ 564b BGB a.F.). § 554 enthielt in Abs. 2 die Schonfristregelung, der später entstandene § 564b enthielt sie nicht. Es existierte keine weitergehende gesetzliche Systematik zwischen diesen Vorschriften. Das gesamte Mietrecht war von § 535 BGB a.F. bis § 580a BGB a.F. vor 2001 auf einer einzigen Gliederungsebene „nebeneinander“ angesiedelt. Systematische Wirkungen einer Norm auf eine andere, wie sie durch unterschiedliche Gliederungsebenen im Gesetz oder durch abschnittsweise Verklammerung von Vorschriften entstehen, lagen somit nicht vor.

Diese Gesetzeslage rechtfertigte eine Beschränkung der Schonfristzahlung auf die fristlose Kündigung nach § 554 BGB a.F. Denn wenn die Heilungsmöglichkeit ausdrücklich bei dieser Kündigungsvorschrift vorgesehen war, bei der später folgenden ordentlichen Kündigung aber nicht, so galt sie eben an der einen Stelle, und galt an der anderen nicht. Dies genau war auch die Argumentation der vom BGH angeführten Rechtsentscheide aus den 1990er Jahren (s. OLG Stuttgart, WuM 1991, 526 (genauer: juris Rz. 8), sowie später zustimmend OLG Karlsruhe (WuM 1992, 517).

b) Diese Gesetzessystematik hat der Reformgesetzgeber 2001 aber grundlegend geändert. Das Verhältnis der Schonfristzahlung (nun in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB n.F.) zu den beiden Kündigungstatbeständen ist seither ein völlig anderes. Systematisch bezieht die Vorschrift sich eindeutig auf § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB und auf § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

(1) Der Bezug zu § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist offenkundig, weil die Schonfristregelung an ihrem 2001 neu bestimmten systematischen Standort eine ausdrückliche Anknüpfung an die Kündigungsnorm erhalten hat. Die Schonfristzahlung konnte dabei nur außerhalb des § 543 BGB geregelt werden, weil eine Kündigung eben nur im Wohnraummietrecht durch eine fristgerechte Nachzahlung von Rückständen unwirksam werden soll. In anderen Mietverhältnissen (etwa bei der Miete eines Pkw) soll und kann die Kündigung ausschließlich als Folge der Aufrechnung eintreten (die deshalb auch in § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB unmittelbar geregelt ist).

(2) Der Bezug zu § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist zwar schwerer zu entdecken, deshalb aber (jedenfalls gesetzessystematisch) nicht weniger zwingend. Die 2001 neu geschaffene Systematik zeigt eine komplexe Struktur aus allgemeinen und speziellen Vorschriften, die jeweils verschiedenen Gliederungsebenen zugewiesen sind. Das Gesetz löst damit Wirkungen der Normen aufeinander auch dort aus, wo ein (einzelner) Wortlaut fehlt. Es ist bekanntlich gerade der Vorzug dieser Regelungstechnik, im geeigneten Fall eine normierte Folge z.B. durch die Schaffung einer „allgemein geltenden“ Vorschrift herbeizuführen, um dadurch (gleichlautend) wiederholte Regelungen in besonderen Einzelvorschriften überflüssig zu machen.

Genau dies ist für das Verhältnis zwischen § 569 BGB und § 573 BGB geschehen. Beide Vorschriften gehören im mietrechtlichen Untertitel 2 (Mietverhältnisse über Wohnraum; §§ 549 ff. BGB) zu dem mit § 568 BGB einsetzenden Kapitel 5 (Beendigung des Mietverhältnisses). Sie stehen dort aber gerade nicht auf derselben Ebene (nebeneinander). Stattdessen enthält Kapitel 5 zunächst das Unterkapitel 1, in dem „Allgemeine Vorschriften“ versammelt und systematisch vorangestellt sind. Zu diesen „Allgemeinen Vorschriften“ zählt § 569 BGB. Die darin enthaltene Schonfristregelung gehört damit zu dem „vor die Klammer gezogenen“ allgemeinen Teil dessen, was für die „Beendigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum“(Untertitel 2, Kapitel 5) maßgeblich ist. Es stellt den Kern systematischer Wirkungen dar, dass der „Allgemeine Teil“ in Unterkapitel 1 versammelt wurde, weil er für alle nachfolgenden (besonderen) Unterkapitel im Kapitel 5 gelten soll. Die Anwendung von § 569 BGB auf die im nachfolgenden Unterkapitel 2 (Mietverhältnisse auf unbestimmte Zeit) geregelte Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist damit (nur) die zwingende Konsequenz aus der 2001 neu eingeführten gesetzlichen Struktur.

Es entspricht systematisch also dem gesetzlichen Gebot (und benötigt damit zunächst keine weitere Begründung), die Schonfristregelung auf die Fälle des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzuwenden. Stattdessen bedürfte es nun eines anderweitigen zwingenden Grundes, wenn trotz der 2001 neu eingeführten Systematik die nun allgemein angeordnete Heilung der Kündigung nach § 569 BGB nicht auf die nachfolgende spezielle Vorschrift des § 573 BGB angewendet werden soll.

2.

Einen solchen zwingenden Grund liefert der Gesetzeswortlaut nicht. Der BGH nimmt dazu an, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB konkretisiere die in § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB enthaltene Regelung zur Aufrechnung nur um den weiteren Fall der nachträglichen Zahlung. Diese Erweiterung beziehe sich dem Wortlaut nach nur auf die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs (§ 543 BGB), während eine entsprechende Regelung oder Verweisung auf § 573 BGB fehle (BGH a.a.O.; juris Rz. 14).

Zunächst geht dies ohne Begründung darüber hinweg, dass die Gesetzessystematik eine ausdrückliche Erwähnung des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (also den vermeintlich „fehlenden Wortlaut“ in § 569 BGB) überhaupt nicht erwarten lässt. Auch bleibt offen, welcher „Wortlaut“ des Gesetzes für das Argument herangezogen werden soll. In Betracht kommen drei Stellen, von denen aber keine ein Wortlautargument stützt, mit dem sich die Gesetzessystematik „überwinden“ ließe.

a) Besonders nahe liegt als Anknüpfungspunkt der Normbefehl selbst. In § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB lautet dieser allerdings: „Die Kündigung wird auch dann unwirksam, wenn (…)“. Als ein Wortlautargument dürfte es nicht vertretbar sein, dass es hier nur um die fristlose Kündigung gehen soll. Der Wortlaut des Normbefehls enthält gerade keine solche Festlegung; er verwendet den Oberbegriff „Kündigung“ ohne konkretisierende (oder gar einschränkende) Zusätze. Er lässt sich dem tatsächlich gewählten Wortlaut nach ohne weiteres wie folgt auffassen: „Die (auf rückständige Miete gestützte) Kündigung wird auch dann unwirksam, wenn der Vermieter (…) hinsichtlich der fälligen Miete (…) befriedigt wird.“

Die Heilungswirkung im laufenden Mietvertrag bliebe damit denkbar einfach mit dem Auslöser der Probleme in dem Vertrag verknüpft; die Wirkung betrifft – wie es der Wortlaut sagt  schlicht „…die Kündigung…“ (und zwar: jede), die aus dem Bestehen der nun ausgeglichenen Mietrückstände abgeleitet worden ist. Die entscheidende Verknüpfung ist dann nicht eine (auch im Normbefehl nicht genannte) konkret angeführte Kündigungsnorm, sondern der innere Grund für die Kündigung (nämlich der Zahlungsrückstand). Er ist der einzige konkrete Umstand, der sich durch das tatbestandsmäßige Verhalten bei einer Schonfristzahlung verändert. Es ist in sich völlig schlüssig, dass die innere Verbindung zwischen diesem Umstand (Rückstand) und der aus ihm abgeleiteten Konsequenz (Kündigung) erhalten bleibt. Wer kündigt, weil er „sein Geld“ nicht erhalten hat, soll die Kündigung nicht durchsetzen können, wenn er „sein Geld“ unter den qualifiziert geregelten Voraussetzungen erhalten hat. Der Wortlaut legt an dieser Stelle jedenfalls einen komplizierteren, als diesen offenkundig sinnvollen Zusammenhang, nicht nahe.

b) Ein (weiteres) Argument scheint sich aus dem Wortlaut der Einleitung der Norm zu ergeben. Die in § 569 Abs. 3 BGB getroffenen Regelungen werden ausdrücklich „ergänzend zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3“ eingefügt. Die Funktion dieser Einleitung darf aber nicht mit einem Wortlautargument verwechselt werden. Die Regelungen in § 569 Abs. 3 BGB kämen grundsätzlich (wie andere gesetzliche Anordnungen auch) ohne „Einleitung“ aus; deren Existenz, Zweck und Notwendigkeit erschließt sich allein durch § 549 BGB, also durch einen erneuten Blick auf die seit 2001 neue Gesetzessystematik.

Mit § 549 BGB beginnt der Untertitel 2 (vgl. oben A. I. 1 b). Er folgt auf die allgemeinen Vorschriften für (alle) Mietverhältnisse im Untertitel 1 (dort auch § 543 BGB), betrifft nun aber allein „Mietverhältnisse über Wohnraum“. Für diese sollen die vorherigen Regelungen des allgemeinen Mietrechts zwar im Grundsatz gelten (das entspricht (auch hier) der Funktion eines „Allgemeinen Teils“ im Untertitel 1). Die allgemeinen Vorschriften werden aber verdrängt, soweit sich „…aus den nachfolgenden Regelungen etwas anderes ergibt…“ (Wortlaut § 549 Abs. 1 BGB). Eine kommentarlos „nachfolgende“ Schonfristregelung würde deshalb die Frage auswerfen, ob sie im Wohnraummietrecht „etwas anderes“ ist, ob sie also die allgemeine Regelung in § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB (Unwirksamkeit der Kündigung nach unverzüglicher Aufrechnung) verdrängt.

Diese aus § 549 Abs. 1 BGB resultierende Folge war vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt; es bedurfte deshalb der einleitenden Anordnung, dass die Schonfristzahlung zusätzlich zur Unwirksamkeit nach einer Aufrechnung gelten soll. Die Einleitung in § 569 Abs. 3 BGB erwähnt also § 543 BGB allein deshalb, weil dessen Aufrechnungswirkung nicht (nach § 549 Abs. 1 BGB) verdrängt werden, sondern im Wohnraummietrecht neben der Schonfristregelung (weiter)gelten soll. Der entscheidende Inhalt der Einleitung in § 569 Abs. 3 BGB ist entgegen verbreiteter Annahmen also nicht die Erwähnung von § 543 BGB, sondern das Wort „…ergänzend…“.

c) Als dritter Anknüpfungspunkt für ein Wortlautargument käme schließlich die Überschrift von § 569 BGB in Betracht, die „Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund“ lautet.

Zwar handelt es sich in diesem Fall um eine (vom Gesetzgeber stammende) amtliche Überschrift. Es erscheint aber ausgeschlossen, allein durch eine Überschrift den in der Vorschrift selbst geschaffenen Normbefehl umzugestalten. Vom Reformgesetzgeber 2001 heißt es dazu, die eingeführten amtlichen Überschriften sollten die Vorschrift schlagwortartig zusammenfassen und zur Übersichtlichkeit beitragen (BT-Drs 14/4553 S. 35). Dieser Vorgabe entspricht es, dass nicht durch Verweis auf eine Überschrift der Normbefehl selbst einen neuen Inhalt bekommen kann. Erweckt eine Überschrift einen unzutreffenden Eindruck vom Inhalt der Norm (der sich aus ihr selbst gar nicht ergibt), so ist die Überschrift verfehlt; nicht etwa ändert sich der Inhalt des Normbefehls.

Im übrigen wirkt sich auch hier der systematische Aufbau der 2001 geschaffenen Regelungen aus: § 543 Abs. 2 BGB enthält eine systematisch vor § 569 BGB kodifizierte Kündigung. Wenn die spätere Norm (§ 569 BGB) die frühere (§ 543 BGB) ergänzen soll, muss dies kenntlich gemacht werden. Für § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB gibt es ein entsprechendes Erfordernis nicht. Die Erwähnung in § 569 Abs. 3 BGB würde nur (überflüssig) aussprechen, was sich bereits aus der Systematik des Gesetzes ergibt. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB wird in § 569 Abs. 3 BGB damit letztlich aus demselben Grund nicht angeführt, aus dem es etwa im Anfechtungsrecht des BGB keine Erwähnung von Kaufverträgen gibt.

d) Es kann dahinstehen, ob man das hier ausgeführte Verständnis zum Gesetzeswortlaut als zwingend ansieht. Die angestellten Erwägungen belegen in jedem Fall, dass ein gegenteiliges „Wortlautargument“ sich nicht zwingend annehmen lässt. Damit gibt es auch keine Grundlage für die Annahme, an einen (vermeintlichen) Gesetzeswortlaut sei man gebunden, solange er nicht durch nachfolgende Prüfungen (etwa zum Sinn und Zweck und zur Systematik des Gesetzes) widerlegt werde.

Stattdessen ergeben die unmittelbar am Inhalt des Gesetzes orientierten Auslegungstechniken: Die Systematik des Gesetzes enthält das unmittelbare Gebot, die Vorschrift in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch auf die Fälle von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzuwenden. Es liegt kein Wortlaut des Gesetzes vor, der es zwingend erscheinen ließe (oder auch nur nahelegen würde), gleichwohl von der systematisch gebotenen Anwendung der Schonfristregelung abzusehen.

3.

Als Bestätigung des aus dem Wortlaut abgeleiteten Ansatzes hält der BGH die Beschränkung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf die fristlose Kündigung auch nach Sinn und Zweck der Regelung für richtig. Die Schonfristzahlung diene nach dem Willen des Reformgesetzgebers von 2001 der Vermeidung von Obdachlosigkeit (BT-Drs. 14/4553, S. 64), die bei einer ordentlichen Kündigung wegen der Fristen des § 573 c Abs. 1 BGB „…in geringerem Maße…“ drohe, weil der Mieter einen wesentlich längeren Zeitraum zur Verfügung habe, um sich angemessenen Ersatzwohnraum zu beschaffen (BGH a.a.O.; juris-Rz. 17-19).

a) Das für dieses Argument angeführte Zitat der Gesetzesbegründung aus dem Jahr 2001 ist unscharf. In der BT-Drs. geht es a.a.O. gerade nicht um die Wirkungen der Schonfristzahlung, sondern um die mit der Gesetzesänderung eintretende Verdoppelung der Frist für die Herbeiführung dieser Wirkungen. Der Vorschlag dazu (so wird in der BT-Drs. a.a.O. referiert) geht auf ein an die Regierungskommission „Obdachlosigkeit, Suchtfolgen“ erstattetes Gutachten zurück, wonach die bisherige Frist von 1 Monat „… sich für die Sozialhilfebehörden häufig als zu kurz erwiesen …“ habe. Die Verlängerung der Frist (auf dann 2 Monate) diene also dem allgemeinen Interesse an der „Vermeidung von Obdachlosigkeit“.

Die Erwägung, Obdachlosigkeit drohe wegen gesetzlicher Kündigungsfristen „in geringerem Maße“, weil der Mieter sich ja nun länger um eine neue Wohnung kümmern könne, geht an diesem Inhalt der zitierten Stelle völlig vorbei. Dem Gesetzgeber geht es dort in keiner Weise darum, dass die Mieter (also z.B. die Suchtkranken, auf die sich das referierte Gutachten bezog) zu wenig Zeit hätten, um aus der Wohnung auszuziehen. Es ging stattdessen allein um das Problem, dass die Sozialbehörden zu wenig Zeit hatten, den vom Gesetzgeber gewünschten (dauerhaften) Verbleib in der Wohnung rechtzeitig herbeizuführen. Aus dem damit behandelten Zeitmangel der Behörden macht die angeführte Zitierweise einen Zeitmangel gekündigter Mieter bei der Wohnungssuche. Die Erwägung des Gesetzgebers betraf demgegenüber unzweifelhaft die dauerhafte Vermeidung von Obdachlosigkeit, nicht deren „Verzögerung“.

b) Der in der Entscheidung von 2005 angesprochene Zweck der „Vermeidung von Obdachlosigkeit“ war schon im Februar 2005 begrifflich unscharf (zu späteren Änderungen im SGB II s. noch unter II.). Der 2005 geltende § 22 Abs. 5 SGB II (a. F.) gestattete eine Unterstützung für Mietschulden „… wenn sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht …“. Die beiden Begrifflichkeiten (s. BT-Drs. 16/5214 v. 04.05.2007) unterscheiden sich. Obdachlosigkeit ist ein dem Ordnungsbehördenrecht entstammender Begriff, bei dem es um die Einweisung bzw. den Aufenthalt in öffentlichen Notunterkünften u. ä. als Gefahrenabwehr geht. Demgegenüber gilt als wohnungslos derjenige, der „…nicht über einen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt…“ (BT-Drs. a.a.O. S. 7). Wohnungslosigkeit droht, wenn ohne Übernahme der Schulden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Verlust der Wohnung bevorsteht. Diese Prognose ist gerechtfertigt, wenn mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen ist, auf dem Wohnungsmarkt eine angemessene andere Unterkunft zu finden. Drohende Wohnungslosigkeit liegt dabei (nur) dann nicht vor, wenn eine angemessene Unterkunft konkret verfügbar ist. (m.w.N. Lauterbach / Gagel (beck-online), Rn. 140 zu § 22 SGB II).

Nach diesen Maßstäben dürfte es zweifelhaft sein, drohende Obdachlosigkeit „in geringerem Maße“ zu befürchten, ohne dass die Möglichkeit zur Anmietung einer konkreten anderen Wohnung aktenkundig ist. Dass dahingehende Formulierungen des BGH zu „Sinn und Zweck“ der Vorschrift dem Gesetzgeber vorschwebten, ist der zitierten Stelle keineswegs zu entnehmen.

c) Die Äußerungen des Reformgesetzgebers von 2001 (BT-Drs. 14/4553) belegen auch über die bereits (unter A. I. 3 a) behandelten Zitate hinaus, dass die Schonfristzahlung den praktischen Verbleib des Mieters in der Wohnung zur Folge haben sollte:

„…Mit der Fristverlängerung ist die Hoffnung verbunden, dass sich die Behörden mehr als bisher einschalten und gegenüber dem Vermieter eine Verpflichtungserklärung abgeben. (…) Zum Schutz des Vermieters bleibt es aber dabei, dass eine Nachholung nur einmal innerhalb einer Frist von 2 Jahren möglich ist. Damit soll ausgeschlossen sein, dass sich die Abfolge von Mietrückstand, Kündigung und Vertragsfortsetzung in kurzen Abständen wiederholt…“ (BT-Drs. a.a.O S. 64).

Diese Äußerung des Gesetzgebers wäre nach dem Gesagten und dem Nichtgesagten gleichermaßen unverständlich, wenn er bei Schonfristfällen die Möglichkeit einer unabwendbaren Vertragsbeendigung durch fristgemäße Kündigung vorhergesehen (oder gar gewollt) hätte.

(1) Dies gilt zunächst für den (positiv) geäußerten Wunsch des Gesetzgebers. Warum sollte es als staatlich erwünschter Erfolg erstrebt werden, dass Sozialbehörden sich häufiger als bisher einschalten (und öffentliche Gelder für Mietrückstände ausgeben), wenn regelmäßig die damit gerade abzuwendende Beendigung des Mietverhältnisses ganz unabhängig von diesem Engagement eintreten kann? Es ist unbestreitbar, dass die Früchte einer Schonfristzahlung sich in der Praxis immer erst nach einem gerichtlichen Verfahren zeigen können. Zu diesem Zeitpunkt existiert aber kein Unterschied zwischen einem „fristlos sofort“ eingetretenen und einem erst nach „schützender Räumungsfrist“ eintretenden Vertragsende. Theoretische Konstellationen, in denen wegen sofortiger Klageerhebung und gänzlich komplikationslosem Rechtsstreit das Verfahren vor einer Kündigungsfrist (auch nach sehr langem Mietverhältnis maximal 9 Monate) endet, sind praxisfern. Wie (und warum) sollte also bei einer wirksamen ordentlichen Kündigung das vom Gesetzgeber propagierte erfolgreiche Einschreiten der Sozialbehörden mit Steuergeldern „häufiger“ gelingen können?

(2) Dieselbe Verwunderung müsste das Schweigen des Gesetzgebers über eine von ihm erkannte (oder auch nur in Betracht gezogene) ordentliche Kündigungsmöglichkeit trotz Schonfristzahlung auslösen.

Er erläutert in der genannten Passage (Bt-Drs. a.a.O.) ja gerade die gelungene Balance zwischen fristgebundenen Abwehrmöglichkeiten des Mieters einerseits, sowie limitierten Zumutungen an den Vermieter andererseits. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass der Vermieter eine Nachzahlung mit Vertragsfortsetzung „nur einmal innerhalb einer Frist von 2 Jahren“ hinnehmen muss (BT-Drs. a.a.O. S. 64). Dass der Gesetzgeber etwa neben dieser „tröstenden Äußerung“ zwar einerseits von einer im Falle des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht mehr abwendbaren Vertragsbeendigung wegen desselben Zahlungsrückstandes ausgeht, er dies aber hier mit keinem (weitergehend tröstenden) Wort an die Vermieterseite erwähnt, erscheint ausgeschlossen. Die Auffassung des BGH führt ja gerade dazu, dass der „zum Trost“ vom Gesetzgeber geschaffene Schutz des Vermieters vor ständiger Wiederkehr von Zahlungsrückständen praktisch kaum Bedeutung hat, weil die hilfsweise ordentliche Kündigung schon beim 1. Vorfall zum Vertragsende (und zum Räumungstitel) führt. Solche Konsequenzen können in der zitierten Äußerung des Gesetzgebers nicht „versehentlich vergessen“ worden sein; sie waren stattdessen schlicht nicht gewollt.

d) Die Sichtweise des Reformgesetzgebers 2001 zu § 573 BGB ist auch angesichts zweier weiterer Äußerungen nahezu unmissverständlich. Die Regelung soll „…den Kündigungsschutz des Mieters im Wohnraummietrecht als Ausdruck des sozialen Mietrechts…“ verwirklichen; bei der Fassung des Abs. 2 „…besteht an der gesetzlichen Regelung zum Schutz des Mieters selbst jedoch im Grundsatz kein Änderungsbedarf…“ (so BT-Drs. a.a.O. S. 65). Der Gesetzgeber hält an den bis 2001 geltenden Regelungen ausdrücklich (nur) zugunsten des Mieters fest, um den beabsichtigten Kündigungsschutz zu verwirklichen. Damit dies erreicht wird, ändert er genau die (frühere) Systematik des Gesetzes, aus der sich nach den Rechtsentscheiden des OLG Stuttgart und des OLG Karlsruhe zuvor Kündigungsmöglichkeiten neben einer Schonfristzahlung ergeben hatten (s.o.).

Für einen vermeintlichen Sinn und Zweck der 2001 in Kraft gesetzten Regelung, als deren Ergebnis am Ende des Räumungsprozesses der Wohnungsverlust eines Mieters steht, obwohl dieser sich gemäß den Buchstaben der Regelung in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB verhalten hat, gibt es keinen Anhaltspunkt.

e) Vom Reformgesetzgeber 2001 stammt schließlich eine weitere Erläuterung, die den Konsequenzen der Ansicht des BGH deutlich entgegensteht.

Ziel der Mietrechtsreform war danach die verbesserte Klarheit, Verständlichkeit und Transparenz der Regelungen, damit Mieter und Vermieter in die Lage versetzt werden, ihre Rechte und Pflichten auch ohne fachliche Hilfe selbst erkennen zu können, um dem Rechtsfrieden zu dienen und das Streitpotenzial zwischen Mietparteien zu verringern, und zugleich einen Beitrag zur Entlastung der Gerichte zu leisten (BT-Drs. a.a.O. S 34).

Ein derart klar vorgegebenes Ziel des Gesetzgebers muss bei der Auslegung im Rahmen der Gesetzesanwendung zu der Konsequenz führen, dass eine klar strukturierte und vorhersehbare Anwendung des Gesetzes vorzuziehen ist gegenüber einer Sichtweise, die zu einer Zersplitterung in unvorhersehbare Einzelfallentscheidungen führt.

Genau diese Folge hat aber die Auffassung des BGH mit der dazu eingeführten Fragestellung, ob nach einer Schonfristzahlung im Einzelfall nach § 242 BGB das Mietverhältnis nicht beendet worden ist. Gegenüber den zitierten Zielsetzungen des Gesetzgebers birgt diese Vorgehensweise zwei entscheidende Nachteile. Zum einen hat sich zur Anwendung von § 242 BGB bzw. zur Feststellung, die ordentliche Kündigung stehe ausnahmsweise in einem milderen Licht, ein unüberschaubares Geflecht nahezu beliebig weit voneinander entfernter Konkretisierungen herausgebildet (dazu ausführlich LG Berlin, Beschluss vom 21. März 2019 (66 S 90/17); juris Rz. 13 – 15 m.w.N.). Zudem löst die mit § 242 BGB verbundene Aufgabe vorhersehbarer Strukturen und Parameter neben unabsehbaren Risiken auch ebensolche Hoffnungen der beklagten Mieter aus. Wenn er stets schwer einzuschätzende Chancen sehen kann, auf der Grundlage aller erdenklichen tatsächlichen Anhaltspunkte mit mildem Licht den Räumungsprozess am Ende noch zu seinen Gunsten zu entscheiden, während der Vermieter mit gleicher Hartnäckigkeit mit einer Anerkennung seiner Kündigung rechnen kann, resultieren daraus die längstmöglichen Räumungsverfahren vor den Gerichten, die mit völlig unvorhersehbaren „Einzelfallergebnissen“ beendet werden.

Das demgegenüber hier vertretenen Auslegungsergebnis zeigt den Vorzug, zu Klarheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung in Fällen der Schonfristzahlung zu führen. Da eben dies das vom Reformgesetzgeber 2001 betonte Ziel der gesamten gesetzlichen Neuregelung war, bedeutet die praktische Auswirkung eine weitere Bestätigung für diese Auslegung.

II.

Die grundlegende Entscheidung des BGH behandelt neben der Gesetzesbegründung von 2001 zu § 569 BGB auch weitere Maßnahmen des historischen Gesetzgebers. Auch diese Erwägungen zwingen jedenfalls nicht zu einer Abweichung von der systemgerechten Anwendung der Norm auf die ordentliche Kündigung. Stattdessen ergeben sich weitere Argumente für die hier vertretene Auffassung aus Äußerungen und Maßnahmen des Gesetzgebers (zeitlich vor und nach der Entscheidung des BGH vom 16.02.2005. Auch darüber hinausgehende Kontrollüberlegungen zu den Konsequenzen, die aus der Anwendung der vom BGH entwickelten Grundsätze in dem eng verzahnten Bereich von Zivil- und Sozialrecht resultieren, lassen die hier vertretene Anwendung der Heilungswirkung der Schonfristzahlung auch bei der ordentlichen Kündigung vorzugswürdig erscheinen.

1.

Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht nach Ansicht des BGH gegen eine „erweiternde Anwendung des § 569 III 2 BGB“ (derer es allerdings nach der hier vertretenen Ansicht auch nicht bedarf). Bis 1971 sei die ordentliche Kündigung nicht von einer schuldhaften Pflichtverletzung abhängig gewesen. Die Gesetzesänderung von 1971 habe zwar den Mieter „in gewissem Rahmen“ schützen, aber keine Angleichung an die fristlose Kündigung erreichen sollen. Eine dabei 1971 erfolgte versehentliche Auslassung des Gesetzgebers sei spätestens seit der Gesetzesänderung 2001 nicht mehr anzunehmen; zu dieser Zeit seien die Rechtsentscheide vom OLG Stuttgart und OLG Karlsruhe (s. o. unter A. I. 1 a) längst bekannt gewesen, ohne dass der Gesetzgeber dann aber eine anderweitige Regelung getroffen habe (BGH a.a.O.; juris Rz. 15).

a) Zu den Rechtsentscheiden ist bereits unter (A. I. 1) dargestellt worden, dass deren zentrales Argument aus der Gesetzessystematik der §§ 554 Abs. 2, 564b BGB a.F. gewonnen worden war. Das Schweigen des § 564b BGB a.F. zur Schonfristzahlung führte bei dem einfachen systematischen „Nebeneinander“ der Normen zu dem tragenden Argument, die Heilungswirkung könne nicht eintreten, wo sie nicht (eigens) als Regelung vorhanden sei.

Die Einschätzung, der Gesetzgeber habe keine „andere Regelung“ getroffen, erweist sich als nicht haltbar, nachdem eben die diejenige Systematik grundlegend umgestaltet worden ist, auf die es noch in den Rechtsentscheiden maßgeblich angekommen war. Bezieht man die 2001 geänderte Systematik in die Prüfung ein, ist ein schlichtes Festhalten an den Rechtsentscheiden ebenso wenig möglich, wie die Annahme einer „Billigung“ der Folgen dieser Entscheide durch den späteren Gesetzgeber des Jahres 2001.

b) Auch die Betrachtung des 1. Wohnraumkündigungsschutzgesetzes vom 25. November 1971 (BGBl. I 1839) (beim BGH a.a.O.; juris Rz. 15) überzeugt nicht. Es bleiben auch insoweit entscheidende Aspekte dieser Gesetzgebung von 1971 unbeachtet.

Der damals geschaffene Vorläufer des heutigen § 573 BGB kannte zwar eine 1971 neu formulierte Voraussetzung (schuldhafte nicht unerhebliche Vertragsverletzung; § 1 Abs. 2 Ziffer 1 WKSchG). Nachfolgend hieß es (auch) dazu aber in § 1 Abs. 5, es blieben „…weitergehende Schutzrechte des Mieters (…) unberührt…“ (s. BGBl 1971 I 1839). Die vom BGH behauptete „Begrenztheit“ der gesetzlichen Maßnahme, die keine Angleichung der Kündigungsfolgen habe schaffen sollen, sondern nur einen Mieterschutz „in gewissem Rahmen“, steht dazu in Widerspruch. Für die ordentliche Kündigung wurden (zuvor nicht erforderliche) Kündigungsgründe eingeführt, um die Stellung des Mieters zu verbessern. Spätestens nach § 1 Abs. 5 ist evident, dass (außerdem!) alle Schutzmechanismen, die gegenüber einer Kündigung zu dieser Zeit ohnehin schon galten, auch gegenüber der jetzt erfolgten Neuregelung ausdrücklich unangetastet blieben. Zu diesen Schutzmechanismen zählte auch die Schonfristzahlung, die schon seit dem 14.7.1964 als § 554 Abs. 2 BGB (a. F.) galt.

1971 ging es allein um eine Stärkung der Mieterrechte, weil sich gezeigt hatte, dass das geschaffene „System ungeschützter Mietverhältnisse“ (und damit das Ende der in der Nachkriegszeit notwendigen Wohnraumbewirtschaftung) im Jahre 1963 verfrüht eingeführt worden war. Dies sollte 1971 durch einen „umfassenden Bestandschutz“ ersetzt werden, wie er vor 1963 unter der Geltung des MSchG bestanden hatte (ausführlich dazu Blank, WuM 2005, 252 ff.).

Da der BGH auch in den späteren Entscheidungen diesen Hintergrund unkommentiert lässt, bleibt unklar, woraus ein (nur) „in gewissem Rahmen“ gewollter Mieterschutz neben § 1 Abs.5 des 1. WKSchG abgeleitet werden könnte, und wo der „gewisse Rahmen“ dieses Schutzes seine Konturen haben soll. Die vermeintlich nicht gewollte „Angleichung an die Vorschriften über die fristlose Kündigung“ würde nämlich auch deshalb erstaunen, weil es in allen Fällen „zweier Kündigungen“ stets um eine und dieselbe Wohnung des Mieters geht. Es wäre eine sehr eigenwillige Ausgestaltung des klar gewollten Schutzes des Mieters, diesem an einer Stelle (bei der fristlosen Kündigung) eine Abwehrmöglichkeit zu gewähren, um diese Möglichkeit für die identische tatsächliche Lage und Wohnung an anderer Stelle (bei der neu geschaffenen fristgemäßen Kündigung) wieder zu entziehen; und dies alles, obwohl neben allen Neuerungen ausdrücklich „…weitergehende Schutzrechte des Mieters (…) unberührt…“ bleiben sollten.

2.

Bei der Betrachtung der historischen Rechtsentwicklung lässt der BGH im Übrigen bis heute den Bereich des SGB außer Betracht. Die enge Verzahnung zwischen den mietrechtlichen Folgen einer Schonfristzahlung und den in diesem Bereich existenten Aufgaben und Zielen der öffentlichen Sozialbehörden wird über § 22 SGB II (im Bereich der Jobcenter) bzw. § 35 f. SGB XIII (im Bereich der Sozialämter) realisiert. Diese Vorschriften bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und zu welchen Zwecken die als „Übernahme von Schulden“ behandelten Schonfristzahlungen sozialrechtlich erfolgen dürfen.

Die Ausführungen zu den Zielen der Vermeidung von Wohnungslosigkeit (oben A. I. 3 b) sind besonders gegenüber der Entscheidung des BGH vom 16.02.2005 zu beachten, nachdem der Gesetzgeber noch anschließend im SGB II tätig geworden ist, um die Vorschrift mit Wirkung ab 1.4.2006 (also deutlich nach dem 16.2.2005) zu ändern.

a) In § 22 SGB II ist der vormalige Abs. 5 zunächst als neuer Abs. 5 (a. F.; heute inhaltlich unverändert § 22 Abs. 8 SGB II) neu gefasst worden. Schulden „können“ seitdem (nun außerhalb eines dazu bis dahin zwingenden vorgesehenen Darlehens) übernommen werden, „…soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt…“ ist. Nach Satz 2 „sollen“ sie übernommen werden, wenn sonst Wohnungslosigkeit droht.

Für den Terminus „zur Sicherung der Unterkunft“ besteht Einigkeit, dass dies sich auf die Unterkunft bezieht, in der der Leistungsberechtigte aktuell wohnt (Lauterbach/Gagel a.a.O. Rn. 136; als Hauptanwendungsfall ist ausdrücklich die Konstellation aus § 569 III 2 BGB anerkannt (a.a.O.)). Der BGH ist (auch in späteren Entscheidungen) nie auf diese Gesetzesänderung eingegangen, obwohl mindestens die „Sicherung der Unterkunft“ mit dem vom BGH beschriebenen Zweck des Gesetzes unvereinbar ist. Eine Sicherung der Unterkunft kann nicht anders erreicht werden, als durch einen Verbleib des Mieters in seinen aktuellen Räumen. Keinesfalls wäre die Anmietung einer neuen Wohnung (selbst wenn sie in einer anderen, als der in Berlin bestehenden Lage am Wohnungsmarkt aussichtsreich wäre) eine „Sicherung der Unterkunft“ in diesem Sinne. Das Verständnis des BGH von Sinn und Zwecks des Gesetzes steht danach (mindestens inzwischen) außerhalb der gesetzlichen Ziele für die Schonfristzahlung nach § 22 Abs. 8 SGB II.

b) Entsprechendes gilt für die Einführung funktionierender Verfahren zur Herbeiführung von Schonfristzahlungen. 2006 trat die Regelung des heutigen § 22 Abs. 9 SGB II (als damaliger Abs. 6 der Vorschrift) in Kraft. Damit wurde eine ausschließlich zwischen amtlichen Stelle (ohne Mitwirkung der Mietvertragsparteien) ablaufende Benachrichtigung der örtlich zuständigen Sozialbehörde im Falle des Eingangs einer Räumungsklage eingeführt. Konkret waren damit im Sozialrecht die folgenden Ziele und Mechanismen vorgegeben:

– alte Mietschulden können aus öffentlichen Mitteln an private Gläubiger (Vermieter) gezahlt werden, wenn damit die „Sicherung der Unterkunft“ erreicht wird;

– zu diesem Zweck sollen die Gerichte den Sozialhilfeträger von eingehenden Räumungsklagen informieren, damit in den nach § 22 SGB II geeigneten Fällen Zahlungen auch wirklich rechtzeitig geleistet werden, sodass eine mitgeteilte Räumungsklage nicht in einem Räumungsurteil endet.

Die daraus ersichtliche Dringlichkeit, mit der die Behörden sogar ohne das Zutun des säumigen Mieters (nämlich direkt vom Gericht) auf den Fall aufmerksam gemacht werden sollen, wäre ohne die verlässliche Möglichkeit zur erfolgreichen Abwendung des Räumungsurteils völlig unverständlich. Von einem Gerichtsverfahren, das ohnehin (wegen ordentlicher Kündigung) mit einer Räumung endet, benötigt die Behörde keine Kenntnis. Was außerhalb von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB in dem Gerichtsverfahren gegenüber einer ordentlichen Kündigung zu gewinnen ist (Zeitaufschub von maximal 9 Monaten), ist von einer behördlichen Zahlung an den Vermieter völlig unabhängig. Diese Frist wird weder kürzer noch länger, wenn das Jobcenter Mietrückstände zahlt oder verweigert. Warum also sollte ein Räumungsverfahren für die Sozialbehörde so interessant sein, dass den Gerichten eigens eine Informationsobliegenheit auferlegt wird? Plausibel ist dies nur, wenn (und weil) es nach der Vorstellung des Sozialgesetzgebers im Jahr 2006 in dem Gerichtsverfahren bei einer rechtzeitigen Schonfristzahlung eben doch etwas zu gewinnen (genauer: zu verbessern) gibt. Es soll die „Sicherung der Unterkunft“ i.S.d. § 22 Abs. 8 SGB II erreichbar sein, also der dauerhafte Verbleib des Mieters in der Wohnung. Dies erspart der Behörde – also dem Staat – Geld und Ressourcen. Deshalb sorgt er in § 22 Abs. 9 SGB II dafür, dass die Behörde rechtzeitig von dieser Chance erfährt.

c) Die Auswirkungen der Ansicht des BGH auf diese sozialrechtliche Rechtslage wurden nach 2005 zunächst von den Behörden nicht erkannt. In der Folge war in der tatrichterlichen Praxis zu beobachten, dass in einem ersten Schritt öffentliche Gelder an private Gläubiger (die Vermieter) flossen, die damit vom Sozialrecht beabsichtigten Zwecke (§ 22 Abs. 8 SGB II) aber nicht eintraten. Das Räumungsverfahren, in das die Sozialbehörden eigens von Amts wegen eingeschaltet worden waren, endete infolge der Entscheidung vom 16.02.2005 trotz fristgerechter Schonfristzahlung mit einem auf die ordentliche Kündigung gestützten Räumungstitel. Entgegen den Zwecken der Ermächtigungsnorm für derartige Zahlungen (§ 22 SGB II) endeten die Zivilverfahren nicht mit dem Erhalt, sondern mit dem Verlust der Wohnung des Leistungsberechtigten.

Erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung setzte sich die Erkenntnis durch, dass bei dieser zivilgerichtlichen Praxis die Zwecke des § 22 Abs. 8 und 9 SGB II nicht erreicht werden konnten. Die Behörden gingen nun zunehmend dazu über, die fraglichen Zahlungen überhaupt nicht mehr zu leisten, um die nutzlose Aufwendung öffentlicher Gelder bei gleichzeitiger Verfehlung der damit verfolgten Zwecke zu beenden.

Praktisch ist diese in sich schlüssige Konsequenz der Ämter gleichbedeutend mit der vollständigen Abschaffung des Instituts der Übernahme von Mietschulden zum Erhalt der Wohnung des Leistungsbeziehers. Da die in § 22 SGB II vorgesehenen Ziele durch die Übernahme von Schulden nicht erreichbar sind, werden die Schulden nicht (mehr) übernommen. In der Folge tritt dann schon der äußere Tatbestand einer Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB erst gar nicht mehr ein; auch die Frage nach der Unwirksamkeit einer (ordentlichen) Kündigung kann sich also in diesem zentralen Anwendungsbereich der Regelung überhaupt nicht mehr stellen. Das Ausbleiben behördlicher Schonfristleistungen beendet damit auch die (nach den Worten des BGH „in jedem Einzelfall“ erforderliche) Prüfung, ob im Kontext einer Schonfristzahlung „mildes Licht“ oder Rechtsmissbrauch einem Räumungstitel entgegen stehen. Weil (bzw. solange) die Rechtsprechung darauf beharrt, eine Entscheidung über den Erhalt der Wohnung (unvorhersehbar) nach den Maßstäben von § 242 BGB zu treffen, liegen die sozialrechtlichen Voraussetzungen für behördliche Zahlungen nicht vor, so dass der gesamte „Fall“ (einschließlich der vermeintlichen Einzelfallprüfungen) von vornherein ausbleibt.

Solche Konsequenzen sind nicht akzeptabel. Stattdessen muss das Auslegungsergebnis an dieser Stelle im Blick zu behalten, dass die Vorschriften zur Schonfrist (im Zivilrecht und im Sozialrecht) in ihrer Gesamtheit keineswegs allein den Interessenausgleich zwischen Mieter und Vermieter bezwecken. Auch die Bewertung der Wirkungen einer Schonfristzahlung kann deshalb nicht allein auf dieses Verhältnis beschränkt bleiben.

Die Zwecke der Schonfristregelungen schließen auch die beteiligten Vertreter der öffentlichen Hand ein. Diese sollen unabhängig von einer Einschaltung durch den Mieter oder einer Zustimmung des Vermieters die Ziele (u.a.) aus § 22 SGB II verfolgen, womit (auch) im Interesse der Allgemeinheit Kosten und Verwaltungsaufwand für vermeidbare Wohnungswechsel der Leistungsberechtigten abgewendet werden. Die Zuweisung dieser Befugnisse und Aufgaben setzt es voraus, dass die sozialrechtlich zu verfolgenden Zwecke auch erreicht werden können. Entsprechende Wertungen stammen im SGB II in gleicher Weise „vom Gesetzgeber“, wie die Gesetzesbegründungen zu den bereits erörterten mietrechtlichen Vorschriften.

Eine Auslegung im Bereich des Zivilrechts, in deren Konsequenz ein gesamtes damit unmittelbar verknüpftes Instrument des Sozialrechts leerläuft und faktisch abgeschafft wird, verdient keine Gefolgschaft. Es verstößt gegen das Postulat, unter den möglichen Ergebnissen dasjenige Verständnis einer Norm zu bevorzugen, bei dem auch alle anderen Normen der Rechtsordnung ihren Sinn und Anwendungsbereich behalten. Die Rechtsprechung des BGH hat in der Praxis der Jobcenter das genau gegenteilige Ergebnis ausgelöst. Die dafür maßgebliche Annahme der Beendigung des Mietverhältnisses (durch die ordentliche Kündigung) stellt für die Verfehlung der Zwecke aus § 22 SGB II auch nicht nur einen zufälligen Reflex dar, sondern beides bedingt sich unmittelbar im Verhältnis von Ursache und Wirkung.

Treten solche Folgen der Auslegung einer Vorschrift ein, so spricht dies gegen die Richtigkeit der Auslegung und die Vollständigkeit der dabei angestellten Erwägungen. Wenn der Gesetzgeber im Sozialrecht es darauf anlegt, den Wohnraum von Leistungsbeziehern auch dadurch zu erhalten, dass man Mietschulden nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB übernimmt, darf eine Rechtsansicht im Bürgerlichen Recht nicht zu der Konsequenz führen, dass das sozialrechtlich bestimmte Ziel zivilrechtlich gar nicht mehr erreicht werden kann. Die Existenz der Regelung, mit der durch Nachzahlung von Mietschulden eine vorhandene Wohnung erhalten werden soll, spricht entschieden dagegen, der entsprechenden Zahlung genau diese Wirkung abzusprechen.

3.

Auch (vermeintlich) unterschiedliche Voraussetzungen und Begleitregelungen einerseits des § 543 BGB und andererseits des § 573 BGB rechtfertigen kein anderes Ergebnis. § 573 BGB knüpfe (so der BGH a.a.O.; juris Rz. 19) Rechtsfolgen an andere Kriterien, als § 543 BGB. Bei § 573 BGB sei verschuldet die Hauptleistungspflicht verletzt; dies könne nicht durch bloße nachträgliche Zahlung geheilt werden. Die Heilungswirkung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB wird dabei als Rechtswohltat für eine (vermeintlich nach § 543 BGB eintretende) verschuldensfreie und dadurch besonders strenge Haftung gedeutet. Bei § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB seien für den Mieter (auch bei Unerreichbarkeit der Möglichkeiten der §§ 574, 574 a BGB) die Interessen hinreichend geschützt, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Schonfristklausel des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB bedürfe (BGH a.a.O.; juris Rz. 20).

Ganz ähnlich war schon in den vom BGH zitierten Rechtsentscheiden argumentiert worden: Nach einer ordentlichen Kündigung bestehe bei schuldhaften Vertragsverletzungen keine „Notwendigkeit“, dem Mieter eine Heilungsmöglichkeit zu eröffnen (OLG Karlsruhe a.a.O.; juris Rz. 24). Die fristlose Kündigung treffe den Mieter schon bei unverschuldetem Rückstand; deshalb müsse es dem Mieter ermöglicht werden, durch nachträgliche Zahlung die Kündigung wirkungslos zu machen (OLG Stuttgart a.a.O. juris Rz. 8), was aber eben nur eine „begrenzt geregelte und eng auszulegende Heilungsmöglichkeit“ darstelle.

Dabei wird übersehen, dass die Vorwerfbarkeit für den Zahlungsverzug in der Regelung zur Schonfristzahlung offensichtlich keine Rolle spielt. Der gleichwohl mit „Verschuldensfragen“ angestellte Vergleich hinkt also, denn er tut so, als ob ein schuldhafter Zahlungsverzug allein in die Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB führt, wo (anders als bei dem „viel leichter“ erfüllten § 543 Abs. 2 BGB) ein eigenes System von strengeren (und insbesondere dauerhaft eintretenden) Voraussetzungen zu beachten sei. Dies alles soll (mit Blick auf erforderliches Verschulden) dann auch noch als „Schutz zugunsten“ des Mieters aufzufassen sein.

Das ist nicht schlüssig. Die Folgen einer Schonfristzahlung stehen nach der Fassung des Gesetzes in § 569 BGB jedem Mieter zu, selbst dem vorsätzlich und böswillig rückständigen Zahlungsschuldner. Wenn eine schuldhafte Nichtzahlung für § 543 Abs. 2 BGB nicht erforderlich wäre, so wäre sie für dessen Eingreifen aber jedenfalls auch nicht hinderlich. Es gibt dann aber keinen überzeugenden Grund, der Schutzvorschrift des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB Wirkungen gegenüber einem (konkret im Einzelfall vorliegenden) schuldhaften Zahlungsverzug zuzugestehen, solange man diesen im Rahmen von § 543 Abs. 2 BGB feststellt, die Wirkung aber gegenüber genau demselben schuldhaften Zahlungsverzug zu leugnen, nur weil man die identischen Tatsachen nun bei § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB prüft und bewertet.

Der Begründungsansatz, in Fällen der ordentlichen Kündigung sei der Schutz aus § 569 BGB „nicht notwendig“ erstaunt auch deshalb, weil diese Behauptung keine Begründung darstellt, sondern einer solchen bedürfte. Die Entscheidung darüber, ob die im Gesetz enthaltenen Schutzmechanismen als notwendig anzuerkennen sind, steht dem Gesetzgeber zu, nicht den Gerichten. Es ist auch nicht überzeugend, die ungleich strengere und weitergehende Folge (aus § 543 Abs. 2 BGB) als geheilt anzusehen, die weniger gewichtige „hilfsweise“ ordentliche Kündigung aber (vorgeblich im Rahmen einer dem Schutz des Mieters dienenden Vorschrift) als unumkehrbar zu betrachten.

4.

Aus jüngerer Zeit stammt eine andere Beschreibung der gesetzlichen Zielsetzung bei § 569 BGB. In seiner Entscheidung vom 19.9.2018 führt der BGH (Urteil vom 19.09. 2018 (VIII ZR 261/17); juris Rz. 37) zu den Intentionen der Regelung aus, dass der Gesetzgeber

„…eine für beide Seiten angemessene Regelung zu der Frage treffen wollte, unter welchen Voraussetzungen das Mietverhältnis trotz wirksamer Kündigung fortzusetzen ist. Hierbei war für ihn entscheidend, ob der Mieter das finanzielle Interesse des Vermieters in einem noch hinnehmbaren zeitlichen Rahmen nachträglich befriedigt hat. In diesen Fällen wollte er (Anm.: der Gesetzgeber) den Mieter grundsätzlich so stellen, als ob das Mietverhältnis nicht beendet worden wäre…“ .

Dieser Ausspruch steht allerdings in einem etwas abweichenden Zusammenhang (nämlich der Frage der zeitlichen Rückwirkung). Der BGH hält trotz der zitierten Passage unverändert an seiner Ansicht fest. Die Kammer stimmt dem zitierten Auszug gleichwohl uneingeschränkt zu, weil darin der schlichte Regelungsgehalt zwischen „Zahlung“ und „Fortsetzung des Mietverhältnisses“ in der vom Gesetz bezweckten Simplizität und Vorhersehbarkeit überzeugend abgebildet ist.

Die Voraussetzungen der Wirkung aus § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ist nicht abstrakt bestimmt (z. B. in den Kategorien von Verschulden, Vertretenmüssen, Erheblichkeit, Rechtsmissbrauch o.ä.), sondern konkret: Über die Wirkungen entscheidet (abseits von Wertungen) ein rein tatsächlich fristgerechter erfolgender „Geldeingang“. Die Folgen beziehen sich ebenso konkret auf den (nun ausgeräumten) Kündigungsgrund. Dieses schlichte Ereignis soll abseits theoretischer Begrifflichkeiten mit der ebenso schlichten Folge verknüpft werden, dass dieser Kündigungsgrund dieses Mal nicht zu einer Beendigung des Vertrages führt.

Auch die gesamte Tätigkeit des Gesetzgebers und die von ihm stammenden Erläuterungen zeigen danach keinen (zwingenden) Grund, einen gekündigten Mieter nach tatbestandsmäßiger Schonfristzahlung entgegen § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB seiner Wohnung verlustig gehen zu lassen. Es trifft nicht zu, dass die Gerichte bis zu einer Änderung des geltenden Rechts „leider gezwungen“ seien, diese Fälle so zu entscheiden.

B.

Auch durch weitere Kündigungen der Klägerin ist das Mietverhältnis nicht beendet worden.

I.

Die Kündigung vom 26.07.2019 ist nicht begründet, denn der geltend gemachte Kündigungsgrund ist nicht feststellbar. Die Klägerin äußert ihren Verdacht einer fortgesetzten Untervermietung lediglich in der Art einer Mutmaßung, die aus dem Vorhandensein „fremder“ Namensschilder am Briefkasten abgeleitet werden soll. Darüber hinaus führt sie ohne nähere Substantiierung aus, es lägen „Schilderungen aus der Hausgemeinschaft“ zum Aufenthalt Dritter in der Wohnung vor.

Angesichts der substantiierten Erwiderung des Beklagten genügen diese Ausführungen nicht zur schlüssigen Darlegung einer konkret behaupteten Pflichtverletzung. Der Beklagte hat schon außergerichtlich den Mutmaßungen der Klägerin widersprochen. Er hat dezidierte Angaben dazu gemacht, welche der behaupteten Personen sich überhaupt für welche Zeiträume in der Wohnung aufgehalten hätten, und er hat für diese Personen konkret eingewendet, dass diese Aufenthalte den Charakter eines Besuchs gehabt hätten, aber in keinem Fall ein Wohnen vorgelegen habe und auch keinerlei Entgelte durch den Beklagten vereinnahmt worden seien.

Mit diesen Angaben hat er in der Sache zugleich zu den von der Klägerin begehrten Auskünften Stellung genommen, deren vermeintliche Nichterteilung sie ebenfalls als Grund für die Kündigung angeführt hat. Diese vom Beklagten verlangten Auskünfte waren darauf gerichtet, welche Personen „aktuell in der Wohnung wohnhaft sind“, wer wem gegenüber und wann um eine Erlaubniserteilung dafür nachgesucht habe, sowie wann wer die erbetene Erlaubnis wem gegenüber erteilt habe. Rechtsansprüche der Klägerin auf derartige Auskünfte sind aber nicht ersichtlich.

Der zentrale Streitpunkt zwischen den Parteien wäre insoweit offenbar die Frage, wann eine Person im Sinne der Fragen der Klägerin „in der Wohnung wohnhaft“ ist. Soweit die Antwort auf diese Frage von rechtlichen Wertungen abhängt, steht es dem Beklagten frei, ob und wie weit er der Klägerin seine diesbezüglichen Ansichten mitteilen will. Der Beklagte hat seine Sicht auf die Dinge in der Korrespondenz deutlich gemacht. Er muss sich zu den von der Klägerin aufgeworfenen Fragen nicht weitergehend äußern. Stattdessen ist es allein die rechtliche Verantwortung der Klägerin, einen von ihr gemutmaßten Verstoß gegen vertragliche Pflichten aufzuklären und dann ggf. konkret zu substantiieren.

Da der Klägerin die formulierten Auskunftsansprüche rechtlich nicht zustanden, und da sie ausreichend konkrete Behauptungen zum tatsächlichen Vorliegen einer Untervermietung bzw. Drittüberlassung bis zur Kündigung vom 26.7.2019 weder ermittelt noch dargelegt hat, liegen die angeführten Kündigungsgründe nicht vor. Es kommt dann nicht mehr auf den weiteren Umstand an, dass das Kündigungsschreiben auch nicht zweifelsfrei erkennen lässt, ob vermeintliche Vertragsverstöße abgemahnt werden (und also erst künftig zu vertragsrechtlichen Konsequenzen führen) sollen, oder ob dem Beklagten keine Abhilfemöglichkeit mehr gewährt und das Vertragsverhältnis sofort durch Gestaltungserklärung beendet werden soll.

II.

Die weitere Kündigung vom 27.01.2020 ist im hier geführten Berufungsverfahren nicht zu berücksichtigen.

Zentraler Grund für diese Kündigung soll der Umstand sein, dass der Beklagte in vorgerichtlicher Korrespondenz, die von der Klägerin erstmals in 2. Instanz angesprochen und zur Akte gereicht worden ist, sich vorsätzlich falsch zu den Nutzungsverhältnissen in der Wohnung erklärt habe. Sowohl die fragliche Korrespondenz des Beklagten, als auch die von der Klägerin behaupteten Feststellungen in der Wohnung, mit denen sie das Vorliegen vorsätzlich falscher Angaben des Beklagten dartun will, haben sich im Zeitraum bis September 2019 ereignet, mithin so rechtzeitig vor der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht, dass eine etwaige Klageerweiterung dort hätte geltend gemacht werden können und müssen.

In zweiter Instanz handelt es sich um eine nach § 533 ZPO zu behandelnde nachträgliche Klagehäufung. Diese wäre nur zu berücksichtigen, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht die Klageänderung für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt wird, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. An diesen Voraussetzungen fehlt es schon deshalb, weil der objektive Tatbestand der behaupteten Kündigung in der Korrespondenz des Beklagten liegt, zu denen das Amtsgericht keinerlei Feststellungen getroffen hat (und treffen konnte), weil dort entsprechender Sachvortrag nicht vorgebracht worden ist. Gegenstand der Kündigung sind also keine Behauptungen zu Umständen, die in 2. Instanz ohnehin zu berücksichtigen wären. Vorgetragen wird stattdessen erstmals im Berufungsverfahren ein vollständig neuer Lebenssachverhalt.

C.

Die Kammer hat die Revision zugelassen, soweit es um die maßgebliche Auslegung zu § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB und dessen Wirkungen auf eine nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erklärte Kündigung geht. In dieser Frage von über den Einzelfall hinausgehendem Interesse weicht die vorliegende Entscheidung von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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